Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Abzug einer Darlehensverbindlichkeit bei fehlender wirtschaftlicher Belastung
Leitsatz (NV)
Ob eine rechtswirksam begründete Schuld vermögensmindernd zu berücksichtigen ist, hängt davon ab, ob der Schuldner bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit der Geltendmachung der Forderung am Stichtag ernsthaft rechnen muß. Kann der Schuldner zu diesem Zeitpunkt bereits davon ausgehen, daß er die ihm obliegende Verbindlichkeit nicht (mehr) erfüllen muß, stellt diese -- ungeachtet ihrer rechtlichen Existenz -- für ihn keine wirtschaftliche Last dar.
Normenkette
VStG § 4 Abs. 1 Nr. 1; BewG § 118 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Vermögensteuer veranlagte Eheleute. Bei ihrer auf den 1. Januar 1980 bestandskräftig durchgeführten Hauptveranlagung ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) eine in der Steuererklärung mit 1 505 794 DM bezifferte lebenslängliche Darlehensverbindlichkeit gegenüber ihren Kindern A und P in Höhe eines abgezinsten Werts von 104 865 DM zum Abzug vom Rohvermögen zu. Zur Begründung des Schuldabzugs hatten die Kläger ausgeführt, sie hätten im Jahre 1969 den damals noch minderjährigen A und P im Wege der vorweg genommenen Erbfolge insgesamt vier Grundstücke gegen Einräumung eines lebenslänglichen Nießbrauchs übertragen. Der Löschung dieses Rechts hätten sie in Anbetracht der 1977 und 1978 von ihren Kindern beschlossenen Veräußerung der Grundstücke mit der Maßgabe zugestimmt, daß ihnen -- den Klägern -- der hieraus erzielte Verkaufserlös in Höhe von 1 505 794 DM bis zum Tode des Letztversterbenden als unverzinsliches Darlehen zur Verfügung gestellt werde.
Im geänderten Hauptveranlagungsbescheid auf den 1. Januar 1983 erkannte das FA dieses Darlehen -- anders als in den Vorjahren -- nicht (mehr) als vermögensmindernde Schuld der Kläger an und lehnte auch die darüber hinaus beantragte Neuveranlagung auf den 1. Januar 1981 mit dem Hinweis ab, die in § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) bezeichneten Wertabweichungsgrenzen seien nicht erreicht.
Mit ihrer nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren nach Abzug der Darlehensverbindlichkeiten in Höhe eines Teilbetrags von 1 180 000 DM weiter. Mittels dieses aus dem Verkauf dreier Grundstücke herrührenden und ihnen -- den Klägern -- überlassenen Geldbetrags, der ein Ersatz für ihren Nießbrauchsverzicht habe sein sollen, hätten sie die derzeit von ihnen bewohnte Eigentumswohnung sowie Wertpapiere erworben. Unter Zugrundelegung ihres an den Stichtagen jeweils erreichten Lebensalters ergäbe sich -- so die Berechnung der Kläger -- eine auf den 1. Januar 1981 abgezinste Schuld von 404 421 DM, deren Berücksichtigung eine Neuveranlagung auf den 1. Januar 1981 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 VStG zur Folge habe; bei der Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1983 ergebe sich ein Abzugsposten in Höhe von 461 934 DM.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage weitgehend statt. Es verpflichtete das FA, die Kläger unter Abzug der streitigen Darlehensverbindlichkeit auf den 1. Januar 1981 neu zu veranlagen, und setzte die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1983 im wesentlichen wie beantragt herab. Das finanzgerichtliche Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 591 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 VStG i. V. m. § 118 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, die von den Klägern geltend gemachte Darlehensverbindlichkeit sei bei der Ermittlung ihres Gesamtvermögens als Schuld i. S. des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG abziehbar.
Der Vermögensteuer unterliegt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 VStG bei unbeschränkt Steuerpflichtigen das nach den Vorschriften der §§ 114 bis 120 BewG zu ermittelnde Gesamtvermögen. Dabei sind Schulden und Lasten gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG vom Rohvermögen abzuziehen, soweit sie nicht mit einem gewerblichen Betrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH), der sich der Bundesfinanzhof (BFH) angeschlossen hat, ist der Abzug von Schulden und Lasten jedoch nur zulässig, wenn und soweit diese in dem für die Ermittlung des Gesamtvermögens maßgeblichen Zeitpunkt (zivil-)rechtlich bestehen und außerdem den Leistungsverpflichteten tatsächlich wirtschaftlich belasten (vgl. BFH-Urteil vom 11. April 1975 III R 93/72, BFHE 116, 43, BStBl II 1975, 657, 659, m. w. N.). Ob eine rechtswirksam begründete Schuld vermögensmindernd zu berücksichtigen ist, hängt demzufolge davon ab, ob der Schuldner bei wirtschaft licher Betrachtungsweise mit der Geltendmachung der ihr gegenüberstehenden Forderung am Stichtag ernsthaft rechnen muß (so schon RFH-Urteile vom 21. Januar 1932 III A 562/30, RStBl 1932, 964, und vom 11. Februar 1937 III A 201/36, RStBl 1937, 603; vgl. ferner BFH-Urteil vom 8. Dezember 1993 II R 118/89, BFHE 173, 82, BStBl II 1994, 216, m. w. N.). Kann der Schuldner zu diesem Zeitpunkt bereits davon ausgehen, daß er die ihm obliegende Verbindlichkeit nicht (mehr) erfüllen muß, stellt diese -- ungeachtet ihrer rechtlichen Existenz -- für ihn keine wirtschaftliche Last dar (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 3. April 1959 III 353/57 S, BFHE 69, 97, BStBl III 1959, 300).
So verhält es sich im Streitfall. Die durch den Darlehensvertrag zwischen den Klägern und ihren Kindern begründete Rückerstattungspflicht (§ 607 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches) kann nicht als Schuld i. S. des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG vom Rohvermögen der Kläger abgezogen werden. Denn diese nur formal bestehende Verbindlichkeit hat sich an keinem der streitigen Veranlagungszeitpunkte für die Kläger tatsächlich wirtschaftlich belastend ausgewirkt. Zwar ist bei Kapitalschulden, deren rechtliche Existenz am Stichtag außer Frage steht, in der Regel auch das Vorhandensein einer wirtschaftlichen Belastung zu bejahen (BFH-Urteil vom 27. April 1962 III 266/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 49). Diese kann aber dann nicht unterstellt werden, wenn der formal leistungspflichtige Schuldner die in seiner Person begründete oder von ihm übernommene Verbindlichkeit unter normalen Umständen niemals (selbst) wird erfüllen müssen. Davon ist jedoch im Streitfall entgegen der Auffassung des FG auszugehen. Denn nach dem Darlehensvertrag wurde den Klägern das Kapital von ihren Kindern auf Lebenszeit ohne Kündigungsmöglichkeit gewährt. Die Kläger konnten deshalb darauf vertrauen, bis zum Tode des Letztversterbenden nicht von ihren Kindern auf Rückzahlung des Darlehens in Anspruch genommen zu werden; sie brauchten insbesondere auch keine Vorsorge dafür zu treffen, die ihnen zur freien Verfügung und damit auch zum Verbrauch überlassenen Geldbeträge noch zu Lebzeiten zurückzahlen zu können. Dies entspricht Sinn und Zweck der zwischen den Klägern und ihren Kindern getroffenen Vereinbarung, wonach die Aufgabe des Nießbrauchsrechts an den den Kindern schenkweise übertragenen Grundstücken durch die Gewährung eines dem Erlös aus dem Verkauf der Grundstücke entsprechenden zinslosen und ungesicherten Darlehens ersetzt wurde, ohne daß hierdurch die Kläger wirtschaftlich belastet werden sollten.
2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Die Kläger sind weder durch die Ablehnung der auf den 1. Januar 1981 beantragten Neuveranlagung noch durch die angefochtene Vermögensteuer-Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1983 in ihren Rechten verletzt.
Einer Zurückverweisung der Sache an das FG bedarf es nicht. Der Senat kann selbst über die Klage entscheiden, weil die Kläger ihr Begehren hinsichtlich beider streitigen Veranlagungszeitpunkte ausschließlich auf die Nichtberücksichtigung der von ihnen geltend gemachten Darlehensverbindlichkeit gestützt haben und sonstige Gründe für die Durchführung einer Neuveranlagung auf den 1. Januar 1981 sowie der beantragten Änderungsfestsetzung auf den Hauptveranlagungsstichtag am 1. Januar 1983 nicht erkennbar sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat sieht gemäß § 90 a Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung von einer weiteren Darstellung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe ab, weil er mit seinem Urteil der Begründung des Gerichtsbescheids vom 11. September 1996 (siehe Anlage) folgt.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, daß die Rechtmäßigkeit der die Kinder der Kläger betreffenden Vermögensteuerfestsetzungen auf die streitigen Stichtage nicht Gegenstand dieses Verfahrens war.
Anlage: Gerichtsbescheid vom 11. 9. 1996:
Fundstellen
Haufe-Index 422146 |
BFH/NV 1997, 820 |
DStRE 1998, 63 |