Leitsatz (amtlich)
Auch wenn ein Steuerbescheid durch rechtskräftiges Urteil als unzulässig aufgehoben wird, dauerte die Unterbrechung der Verjährung durch Erlaß des Steuerbescheids fort bis zur rechtskräftigen Entscheidung.
Normenkette
AO § 147 a. F
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erließ am 26. Juli 1960 gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, einen Berichtigungsbescheid nach § 222 AO, in dem er die Körperschaftsteuer 1955 auf 13 608 DM und die Abgabe "Notopfer Berlin" (NOB) 1955 auf 1 185,60 DM festsetzte. Die Klägerin erhob Einspruch. Durch Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 1960 wurden die Körperschaftsteuer 1955 auf 15 970 DM und das NOB 1955 auf 1 391,40 DM heraufgesetzt. Auf die Berufung hob das FG durch insoweit rechtskräftiges Urteil vom 20. Mai 1964 den Berichtigungsbescheid 1955 vom 26. Juli 1960 ersatzlos auf, weil es an einer gesetzlichen Berichtigungsmöglichkeit gefehlt habe.
Anläßlich einer Betriebsprüfung stellte das FA im Jahre 1969 Tatsachen fest, aus denen es schloß, die Klägerin habe im Streitjahr 1955 verdeckte Gewinnausschüttungen vorgenommen. Durch Bescheid vom 16. Dezember 1969 setzte es die Körperschaftsteuer auf 35 329 DM und das NOB auf 3 077,50 DM fest.
Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG hat den Körperschaftsteuerbescheid 1955 vom 16. Dezember 1969 ersatzlos aufgehoben. Zur Begründung dieser Entscheidung, die in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 390 veröffentlicht ist, hat das FG ausgeführt, der Steueranspruch sei verjährt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung des § 147 AO a. F. gerügt wird. Das FA meint, § 212 Abs. 1 BGB sei auf Grund der Sonderregelung des § 147 AO a. F. im Steuerrecht nicht anwendbar. Als Handlungen des FA zur Feststellung des Anspruchs, die nach § 147 AO. a. F. die Verjährung unterbrächen, seien nicht nur der Berichtigungsbescheid vom 26. Juli 1960 und die Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 1960 anzusehen, sondern auch der im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren geführte Schriftverkehr.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Anspruch des FA gegen die Klägerin auf Körperschaftsteuer 1955 und NOB 1955 ist noch nicht verjährt (§§ 143, 144, 147 AO a. F.).
Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 144 AO a. F.). Sie begann mit dem Ablauf des Jahres 1955 und hätte am 31. Dezember 1960 geendet. Vorher wurde die Verjährung unterbrochen durch den Berichtigungsbescheid vom 26. Juli 1960. Der Erlaß dieses Bescheides war eine Handlung, die das zuständige FA zur Feststellung des Anspruchs vornahm (§ 147 AO a. F.). Unerheblich ist, ob der Berichtigungsbescheid zulässig war. Vom Fall der Unzuständigkeit des FA abgesehen, unterbrechen auch unzulässige Handlungen des FA die Verjährung. Denn das Gesetz stellt in § 147 AO a. F. allein auf die Tatsache des Handelns ab.
Die Unterbrechung der Verjährung dauerte bis zum rechtskräftigen Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens, das durch die Klage gegen den Berichtigungsbescheid vom 26. Juli 1960 eingeleitet wurde. § 212 BGB kann entgegen der Ansicht des FG nicht entsprechend angewandt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH endet die Unterbrechung der Verjährung, die durch einen angefochtenen Steuerbescheid eingetreten ist, mit der rechtskräftigen Entscheidung oder, wenn der Prozeß in Stillstand gerät, mit der letzten Prozeßhandlung (BFH-Urteile vom 22. Oktober 1971 VI R 235/69, BFHE 104, 27, BStBl II 1972, 297, und vom 6. Mai 1971 IV R 188/70, BFHE 102, 449, BStBl II 1971, 754). Der BFH wendet insoweit die §§ 209, 211 BGB entsprechend an. Dazu ist zu bemerken, daß es einer entsprechenden Anwendung des § 209 BGB (Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung oder gleichgestellte Handlungen) nicht bedarf. Die Unterbrechung der Verjährung durch Erlaß eines Steuerbescheids folgt unmittelbar aus § 147 AO a. F. (jede Handlung, die das zuständige FA zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten vornimmt). Ob es zu der rechtlichen Feststellung, daß die Unterbrechung der Verjährung durch einen mit Klage angefochtenen Steuerbescheid bis zur rechtskräftigen Entscheidung dauert, der entsprechenden Anwendung des § 211 BGB bedarf, oder ob dieses Ergebnis auch durch Auslegung des § 147 AO a. F. zu gewinnen ist - eine Auffassung, die in dem BFH-Urteil VI R 235/69 anklingt -, braucht der Senat nicht abschließend zu prüfen. Entsprechend anwendbar ist jedenfalls nicht § 212 BGB. Nach dieser Vorschrift gilt die Unterbrechung durch Klageerhebung als nicht erfolgt, wenn die Klage zurückgenommen oder durch ein nicht in der Sache selbst entscheidendes Urteil rechtskräftig abgewiesen wird.
§ 212 BGB hat mit der Dauer der Unterbrechung der Verjährung nichts zu tun. Die Vorschrift beschränkt vielmehr die Unterbrechungskraft der Klageerhebung. Das hängt damit zusammen, daß nach den Vorschriften des BGB nicht jede Handlung des Gläubigers, sondern nur bestimmte Arten der prozessualen Geltendmachung die Verjährung unterbrechen (§ 209 BGB). Dadurch unterscheidet sich die Rechtslage nach BGB grundsätzlich von der Rechtslage nach der AO a. F. Nach § 147 AO a. F. unterbricht jede Handlung des zuständigen FA zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten die Verjährung. Darunter fallen auch Rückfragen des FA beim Steuerpflichtigen, Einholung von Auskünften oder sonstige Ermittlungen bei dritten Personen. Die Handlung des FA muß nicht an den Steuerpflichten gerichtet sein, es genügt, daß sie gegen ihn gerichtet ist.
Angesichts dieser unterschiedlichen Rechtslage verbietet sich die entsprechende Anwendung des § 212 BGB auf die Verjährung von Steueransprüchen nach den Vorschriften der AO. Die gegenteilige Ansicht kann der Senat auch nicht dem BFH-Urteil vom 30. Juli 1970 IV R 10/70 (BFHE 100, 165, BStBl II 1970, 855) entnehmen. Der IV. Senat hat dort ausgeführt, der Rücknahme der Klage entspreche nicht die Rücknahme des Einspruchs, sondern die Rücknahme des Steuerbescheids. Der IV Senat hat aber nicht gesagt, die Rücknahme des Steuerbescheids habe die Wirkung, daß die Unterbrechung der Verjährung als nicht erfolgt gelte. Der IV. Senat hat vielmehr durch Urteil vom 12. November 1959 IV. 46/59 U (BFHE 70, 75, BStBl III 1960, 29) entschieden, daß der vom zuständigen FA erlassene Bescheid die Verjährung auch dann unterbricht, wenn er nachträglich aufgehoben wird. Dieser Entscheidung hat sich der VII. Senat im Urteil vom 26. November 1974 VII R 45/72 (BFHE 114, 522, BStBl II 1975, 460) angeschlossen.
Kommt somit eine entsprechende Anwendung des § 212 BGB nicht in Betracht, so verbleibt es bei der allgemeinen Regel, daß die Unterbrechung der Verjährung durch Erlaß eines angefochtenen Steuerbescheids fortdauert bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits. Für die Fortdauer der Unterbrechung der Verjährung spricht auch hier der Gedanke, daß das FA durch den Rechtsstreit an der endgültigen Realisierung des Steueranspruchs gehindert ist und andererseits keine Veranlassung hat, abgesehen von den Prozeßhandlungen, weitere Unterbrechungshandlungen vorzunehmen. Außerdem ist das Betreiben des Rechtsstreits selbst eine Handlung zur Feststellung des Anspruchs im Sinne des § 147 AO a. F. Diese findet ihr Ende erst mit der Rechtskraft des Urteils, durch das der Rechtsstreit beendet wird. Auf den Inhalt der Entscheidung kommt es bei dieser Betrachtung nicht an.
Danach endete im Streitfall die Unterbrechung der Verjährung, die durch den Erlaß des Berichtigungsbescheids vom 26. Juli 1960 eingetreten war, frühestens am 20. Mai 1964, dem Tag, von dem das rechtskräftige Urteil stammt, durch das der Rechtsstreit beendet wurde. Die neue Verjährung begann am 1. Januar 1965 zu laufen (§ 147 Abs. 3 AO a. F.) und endete am 31. Dezember 1969. Der im gegenwärtigen Verfahren angefochtene Körperschaftsteuerbescheid vom 16. Dezember 1969 wurde daher noch innerhalb der Verjährungsfrist erlassen.
In der Annahme, daß der Steueranspruch verjährt sei, hat das FG die Frage nicht geprüft, ob der angefochtene Bescheid im übrigen rechtmäßig ist, insbesondere, ob verdeckte Gewinnausschüttungen vorgenommen wurden. Die Sache geht daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 71924 |
BStBl II 1976, 604 |
BFHE 1977, 11 |