Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bindung des FA an bei früherer Betriebsprüfung vertretene Rechtsauffassung
Leitsatz (NV)
Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung hat das FA die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muß es zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; AO 1977 § 85
Tatbestand
Der Kläger und Revisionbeklagte (Kläger) ist von Beruf Apotheker und erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Kläger haben drei Kinder, die in den Jahren 1962 (A), 1964 (B) und 1967 (C) geboren sind.
Mit notariellen Verträgen vom 7. Juli 1978 beteiligte der Kläger seine Kinder als stille Gesellschafter an seiner Apotheke. Die Einlagen der Kinder betrugen jeweils 10 000 DM. Nach dem Vortrag des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) waren die Einlagen der Kinder im Jahre 1982 um jeweils 9 500 DM erhöht, im Jahre 1983 jedoch wieder auf die ursprünglichen Beträge zurückgeführt worden. Der Gewinnanteil der Kinder sollte 10 v. H. des betrieblichen steuerpflichtigen Gewinns, jedoch nicht mehr als 25 v. H. des Betrags der Einlage jährlich betragen. Eine Verlustbeteiligung sowie eine Beteiligung an den stillen Reserven war nicht vorgesehen.
Der Kläger wies die stillen Beteiligungen in seinen Steuerbilanzen als Darlehen (langfristige Verbindlichkeiten) aus.
Bei zwei Außenprüfungen, die in den Jahren 1980 (betr. die Jahre 1976 bis 1978) und 1983 (betr. die Jahre 1979 bis 1981) durchgeführt wurden, blieben die stillen Gesellschaften unbeanstandet. Anläßlich einer im Jahre 1985 für die Streitjahre 1982 bis 1984 durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Gesellschaftsverträge seien nicht anzuerkennen. Der Prüfer beanstandete u. a., daß nicht für jedes Kind ein eigener Pfleger bestellt worden sei, daß die Herkunft der Mittel für die Einlagen unklar sei und daß die den Kindern eingeräumten Rechte nicht den Rechten entsprächen, die einem fremden stillen Gesellschafter nach §§ 335 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) zukämen. Der Vertrag sei nicht vollständig durchgeführt, da die Gewinnanteile für alle drei Kinder auf ein Konto der Tochter A überwiesen worden seien.
Das FA folgte der Auffassung des Prüfers. In den gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheiden erhöhte es den gewerblichen Gewinn um die bisher als Zinsen für langfristige Verbindlichkeiten behandelten Gewinnanteile in Höhe von insgesamt 7 500 DM jährlich.
Der hiergegen gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben.
Es hat zur Begründung ausgeführt: Es könne dahingestellt bleiben, ob die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des FA zur Nichtanerkennung der stillen Gesellschaften einer Überprüfung standhalte. Jedenfalls verstoße die Nichtanerkennung der stillen Gesellschaften gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Nach dem Vortrag der Kläger, dem das FA nicht widersprochen habe, seien die Gesellschaftsverträge Gegenstand zweier vorausgegangener Betriebsprüfungen gewesen. Erfahrungsgemäß würden Verträge zwischen nahen Angehörigen bei Betriebsprüfungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht einer kritischen Prüfung unterzogen. Diese Annahme liege um so näher, als die stillen Beteiligungen in den Steuerbilanzen als Darlehen unter namentlicher Bezeichnung der Kinder als Darlehensgläubiger ausgewiesen worden seien. Weil die Gesellschaftsverträge somit ,,in wiederholter Weise nicht zu Beanstandungen geführt hätten", sei ein nachhaltiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Hieraus hätten die Kläger schließen dürfen, daß das FA auch in Zukunft grundsätzlich diese Rechtsauffassung beibehalten würde. Dem stehe nicht entgegen, daß beide Betriebsprüfungsberichte zu dem entsprechenden Sachverhalt keine Ausführungen enthielten. Das FA müsse Feststellungen und Wertungen auch ohne Erwähnung im Bericht gelten lassen, wenn sich wie im Streitfall bereits aus dem Inhalt der Steuerakten ein entsprechender Prüfungspunkt aufdränge. Eine Nichtbeanstandung durch den Prüfer sei zumindest vertretbar gewesen. Auch sei nicht ersichtlich, daß sich bei der dritten Außenprüfung neue sachliche Gesichtspunkte ergeben hätten. Unabhängig von einer im Vertrauen auf das Verhalten des FA getroffenen Disposition sei das Vertrauen des Klägers bereits deswegen schutzwürdig, weil es sich bei der zu beurteilenden Frage um einen Dauertatbestand mit fortlaufenden vermögensrechtlichen Auswirkungen handle. ,,Durch die wiederholte Anerkennung seitens der Betriebsprüfung" sei der Kläger veranlaßt worden, an den Verträgen mit den Kindern und den sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtungen weiterhin festzuhalten, denen er sich sonst durch Wahrnehmung des vertraglichen Kündigungsrechts hätte entziehen können. Die Schutzwürdigkeit des Klägers erweise sich auch daran, daß er nach den beiden beanstandungslos durchgeführten Außenprüfungen - nach Auffassung des FA - keinen Nachweis über die Herkunft der von den Kindern eingelegten Mittel erbracht habe. Wegen der besonderen Sachverhaltsumstände folge eine Änderungsbefugnis des FA weder aus dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung noch aus dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977).
Entscheidungsgründe
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG hat die im Jahre 1978 abgeschlossenen Gesellschaftsverträge, soweit ersichtlich, erstmals für die Streitjahre 1982 bis 1984 nach den steuerrechtlichen Grundsätzen über Verträge zwischen nahen Angehörigen beurteilt und daraufhin für die Kläger nachteilige Folgerungen gezogen. Zu Unrecht hat das FG entschieden, daß hierin ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege, da die Gesellschaftsverträge und ihre Durchführung bereits Gegenstand zweier Außenprüfungen gewesen seien.
a) Nach § 85 AO 1977 haben die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Dies fordert der Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -).
Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung hatte das FA in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung mußte es zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Urteile vom 13. April 1967 V 235/64, BFHE 88, 443, BStBl III 1967, 442, m. w. N.; vom 19. November 1985 VIII R 25/85, BFHE 146, 32, BStBl II 1986, 520 unter 4. c; vom 7. Juni 1988 VIII R 296/82, BFHE 153, 407, 413, BStBl II 1988, 886; vom 29. September 1988 V R 53/83, BFHE 154, 395, 400, BStBl II 1988, 1022 unter II. B. 2.; vom 15. Dezember 1988 IV R 36/84, BFHE 155, 538, 540, BStBl II 1989, 363; vom 28. Februar 1990 I R 120/86, BFHE 160, 96, BStBl II 1990, 553 unter 4.). Dies ist sogar dann angenommen worden, wenn die - fehlerhafte - Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden war (BFH-Urteil vom 16. Juli 1964 V 92/61 S, BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634) oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hatte (BFH-Urteil vom 22. Juni 1971 VIII 23/65, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749). In den zitierten Urteilsfällen ging es stets um sog. Dauertatbestände, d. h. steuerrechtlich erhebliche Tatbestände, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie über einen längeren Zeitraum hinweg verwirklicht werden. Das FA ist an eine bei einer früheren Veranlagung zugrunde gelegte Rechtsauffassung auch dann nicht gebunden, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (Urteil des erkennenden Senats vom 23. Mai 1989 X R 17/85, BFHE 157, 516, BStBl II 1989, 879, m. w. N.).
b) Eine vom vorstehenden Grundsatz abweichende Beurteilung kann erforderlich sein, wenn der Vorsteher oder der zuständige Sachgebietsleiter dem Steuerpflichtigen eine bestimmte rechtliche Behandlung zugesagt hat oder wenn das FA durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hatte (Urteil in BFHE 146, 32, BStBl II 1986, 520). Eine Zusage ist nur unter bestimmten Voraussetzungen als für die Zukunft rechtlich bindend anzuerkennen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274). Einer solchen Zusage stehen eine Äußerung des Prüfers in der Schlußbesprechung (Urteil in BFHE 160, 96, BStBl II 1990, 553), die unzutreffende Beurteilung im Prüfungsbericht oder eine aufgrund einer Außenprüfung ergangene Veranlagung nicht gleich (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1962 VI 215/61 U, BFHE 76, 239, BStBl III 1963, 86; vom 25. Mai 1977 I R 93/75, BFHE 122, 296, BStBl II 1977, 660).
Im Streitfall hat das FA keine Zusage erteilt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die - im Streitfall allenfalls konkludente - Meinungsäußerung des oder der Prüfer und des veranlagenden FA für ein steuererhebliches Verhalten des Klägers ursächlich war. Des weiteren kommt es nicht darauf an, ob das FA bereits mit der ersten Außenprüfung einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und, sofern dies zu verneinen ist, ab welchem Zeitpunkt die zweite Außenprüfung für die Streitjahre 1982 bis 1984 vertrauensbildend wirken konnte.
Ein Vertrauenstatbestand, der das FA außerhalb einer Zusage binden würde (vgl. Urteil in BFHE 146, 32, BStBl II 1986, 520 unter 4. c), ist weder von den Klägern dargelegt worden noch ersichtlich.
c) Auch auf eine Verwirkung des Steueranspruchs können sich die Kläger nicht berufen, weil das FA hinsichtlich der Verwirklichung dieses Anspruchs nicht untätig geblieben ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121). Auch in dieser Hinsicht schafft die Nichtbeanstandung einer steuerrechtlich fehlerhaften Handhabung keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand (vgl. Urteil in BFHE 153, 407, 413 f., BStBl II 1988, 886).
2. a) Da das angefochtene Urteil von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war es aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtszug prüfen, ob die Verträge über die stillen Gesellschaften steuerrechtlich anerkannt werden können.
b) Im Rahmen des vom BFH vertretenen weiten Begriffs des Streitgegenstandes könnten zu niedrig angesetzte Kinderfreibeträge - auch wenn die Kläger dies nicht geltend gemacht haben - zu einer Gegenrechnung und damit zu einer teilweisen Stattgabe führen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 12. Juni 1990 l BvL 72/86 (BStBl II 1990, 664) den aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen bestehenden gesetzlichen Kinderlastenausgleich für die Jahre 1983 bis 1985 für unzureichend erklärt. Es hat daher § 32 Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes in der für 1983 bis 1985 geltenden Fassung für mit dem GG unvereinbar erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betroffenen Steuerpflichtigen durch Erhöhung des Kindergeldes, durch eine Änderung des Steuerrechts oder durch eine anderweitige Angleichsregelung zu beheben. Soweit der Gesetzgeber eine steuerrechtliche Lösung wählt, wäre diese im Wege der Saldierung zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 417333 |
BFH/NV 1991, 217 |