Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterziehungszinsen bei dinglichem Arrest
Leitsatz (NV)
- Der Umstand, dass das BVerfG mit Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) die Tarifvorschrift des § 10 Nr. 1 VStG in allen seit 1983 gültig gewesenen Fassungen für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt hat, steht der Festsetzung der Hinterziehungszinsen zur Vermögensteuer nicht entgegen.
- Die aufgrund des dinglichen Arrestes erfolgte Beschlagnahme von Vermögenswerten steht einer Zahlung der Steuer nicht gleich; Hinterziehungszinsen können deshalb auch für die Zeit nach der Beschlagnahme von Vermögen festgesetzt werden.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; VStG § 10 Nr. 1; AO 1977 §§ 47, 235 Abs. 1-3, § 238 Abs. 1, § 324 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat im Zeitraum von 1970 bis 1983 in erheblichem Umfang Einkommen-, Umsatz- und Vermögensteuer hinterzogen. Im Rahmen des in diesem Zusammenhang am 15. November 1982 eingeleiteten Steuerstrafverfahrens beschlagnahmte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) im Wege des dinglichen Arrestes Vermögenswerte der Klägerin.
Durch (Änderungs-)Bescheid vom 12. September 1991 setzte das FA gegen die Klägerin Hinterziehungszinsen in Höhe von 407 035 DM fest. Hiervon entfiel auf hinterzogene Vermögensteuer für die Jahre 1972 bis 1982 sowie für das IV. Quartal 1983 ein Betrag von 10 010 DM. Die Berechnung der Hinterziehungszinsen erfasste den Zeitraum bis zum 8. November 1983, dem Tag des Eintritts der Fälligkeit der hinterzogenen Steuern; die Steuerschuld der Klägerin wurde unter Verwertung der sichergestellten Vermögensgegenstände zu einem späteren Zeitpunkt getilgt.
Mit dem Einspruch machte die Klägerin geltend, die im Wege des dinglichen Arrestes erfolgte Beschlagnahme von Vermögenswerten durch das FA stehe einer Zahlung der hinterzogenen Steuern gleich. Spätestens mit der Beschlagnahme habe sie im Umfang der sichergestellten Gelder und Vermögenswerte Vorauszahlungen auf die Steuerschuld geleistet. Die Festsetzung der Hinterziehungszinsen sei insoweit nicht gerechtfertigt.
Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Beschlagnahme von Vermögenswerten einer Zahlung nicht gleichstehe. Der dingliche Arrest diene nur der Sicherung der Vollstreckung.
Mit der Revision wendet sich die Klägerin nur noch gegen die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Vermögensteuer, soweit Zinsen auch noch nach der Beschlagnahme ihres Vermögens berechnet wurden. Habe der Steuerpflichtige dem FA sein gesamtes Vermögen zur Begleichung der Steuerschuld zur Verfügung gestellt, könne er keine Steuervorteile mehr erlangen. Der Umstand, dass das FA das Sicherungsgut erst später verwertet habe, könne den Zinslauf nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen verlängern.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 30. Mai 2000 12 K 6356/96 AO aufzuheben und den Zinslauf der Hinterziehungszinsen zur Vermögensteuer bis zum 31. Juli 1982 zu begrenzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist ohne Rechtsverstoß von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Festsetzung der Hinterziehungszinsen ausgegangen.
1. Der Festsetzung der Hinterziehungzinsen zur Vermögensteuer steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) die Tarifvorschrift des § 10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) in allen seit 1983 gültig gewesenen Fassungen für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erklärt hat. Denn das BVerfG hat die Erklärung über die Unvereinbarkeit des § 10 Nr. 1 VStG mit Art. 3 Abs. 1 GG mit der Anordnung verbunden, dass das bisherige Vermögensteuerrecht auf alle bis Ende 1996 verwirklichten Tatbestände weiter anwendbar bleibt. Dies hat zur Folge, dass bezüglich dieser Tatbestände nach wie vor eine strafbare Steuerhinterziehung möglich ist und infolgedessen auch noch Hinterziehungszinsen festgesetzt werden können (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 24. Mai 2000 II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378; s. auch Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 10. Mai 2001 1 BvR 1242/00).
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das FG auch zutreffend entschieden, dass die aufgrund des dinglichen Arrestes erfolgte Beschlagnahme von Vermögenswerten einer Zahlung der Steuer nicht gleichsteht und deshalb das FA zu Recht Hinterziehungszinsen auch für die Zeit nach der Beschlagnahme des Vermögens der Klägerin festgesetzt hat.
Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) sind hinterzogene Steuern mit einem Zinssatz von einhalb vom Hundert für jeden Monat (§ 238 Abs. 1 AO 1977) zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Steuerverkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) und endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern (§ 235 Abs. 3 Satz 1 AO 1977). Für Zeiträume der Steuersäumnis, einer Steuerstundung oder im Falle der Aussetzung der Vollziehung dürfen Hinterziehungszinsen nicht festgesetzt werden (§ 235 Abs. 3 Satz 2 AO 1977).
Da die Klägerin die Steuer hinterzogen hat, war diese ab Eintritt der Steuerverkürzung zu verzinsen. Der Zinslauf endete nicht vor dem 8. November 1983, weil ―entgegen der Auffassung der Klägerin― die Voraussetzungen, unter denen nach § 235 Abs. 3 AO 1977 der Zinslauf endet oder unter denen Hinterziehungszinsen nicht erhoben werden dürfen, jedenfalls vor dem 8. November 1983 nicht vorgelegen haben. Die Steuern wurden von der Klägerin weder bis zum 8. November 1983 gezahlt noch lagen vor diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Festsetzung von Säumniszuschlägen, Stundungs- oder Aussetzungszinsen vor.
Die Beschlagnahme von Vermögenswerten der Klägerin vor dem 8. November 1983 im Wege des dinglichen Arrestes hat nicht zur Beendigung des Zinslaufs geführt. Insbesondere liegt darin keine Steuerzahlung durch die Klägerin. Vielmehr erfolgt die Beschlagnahme nach § 324 Abs. 1 AO 1977 lediglich "zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen". Der dingliche Arrest dient danach lediglich der Sicherung des Steuergläubigers (BFH-Urteil vom 27. November 1973 VII R 100/71, BFHE 110, 499, BStBl II 1974, 119) und stellt deshalb keine Befriedigungsmaßnahme dar. Eine Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände im Arrestverfahren ist grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Ramackers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 324 AO 1977 Rdnr. 2). Der Arrest ist nicht selbst Maßnahme der Vollstreckung, sondern bereitet diese nur vor, und soll lediglich die Gefährdung einer zukünftigen Zwangsvollstreckung verhindern (Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 324 Rdnr. 2), die dadurch eintreten kann, dass der Steuerpflichtige einen bestehenden Zustand ändert, insbesondere Vermögen beiseite schafft.
Die Beschlagnahme bewirkt nur eine Verfügungsbeschränkung; sie macht den Arrestschuldner aber nicht vermögenslos, wie die Klägerin meint. Auch bedarf es für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen keines konkreten "Zinsvorteils" des Nutznießers der Steuerhinterziehung. Vielmehr soll durch die Regelung in § 235 AO 1977 der "steuerliche" Vorteil abgeschöpft werden, der sich für den Steuerschuldner daraus ergibt, dass er die geschuldete Steuer erst verspätet gezahlt hat; § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 meint nur den steuerlichen, nicht den wirtschaftlichen Vorteil (BFH-Urteile vom 31. Juli 1996 XI R 82/95, BFHE 180, 533, BStBl II 1996, 354; vom 27. Juni 1991 V R 9/86, BFHE 165, 10, BStBl II 1991, 822, und vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596). Der steuerliche Vorteil ist danach unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Steuerpflichtige wirtschaftlichen Nutzen aus der Steuerhinterziehung gezogen hat. Auf die Gründe, die dazu geführt haben, dass der Steuerpflichtige durch die Steuerhinterziehung keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, kommt es nicht an. Deshalb kann ―wie das FG zutreffend erkannt hat― nicht berücksichtigt werden, dass die Klägerin ―nach ihrer Behauptung― aufgrund des verfügten Arrestes an einer wirtschaftlichen Verwertung ihres Vermögens gehindert war. Im Übrigen hatte es allein die Klägerin in der Hand, das FA rechtzeitig in die Lage zu versetzen, die (hinterzogenen) Steuern festzusetzen, und die Steueransprüche durch Zahlung zum Erlöschen zu bringen (§ 47 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 887184 |
BFH/NV 2003, 353 |