Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Kürzung des Vorwegabzugs von Vorsorgeaufwendungen bei ruhendem Anspruch auf Arbeitslosengeld
Leitsatz (amtlich)
Der Vorwegabzug von Vorsorgeaufwendungen ist nicht nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG 1997 zu kürzen, wenn der Arbeitgeber für den Steuerpflichtigen zwar Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abführt, dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld aber gemäß § 142 Abs. 2 Nr. 4 SGB III ruht.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 62, § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 10c Abs. 3 Nrn. 1-2; LStDV § 2 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 139 Abs. 3 S. 3; SGB III § 142 Abs. 1 Nr. 4, § 346 Abs. 1; SVG § 14; SG § 44 Abs. 2, § 45 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der 1935 geborene Kläger erzielte u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Zu diesen gehörten Versorgungsbezüge aus einem früheren Dienstverhältnis bei der Bundeswehr. Im Streitjahr 1997 war er zudem bei der X beschäftigt. Diese Gesellschaft führte Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 3 198 DM ab; Renten- und Krankenversicherungsbeiträge wurden nicht entrichtet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) ließ im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1997 Vorsorgeaufwendungen nur in Höhe des Grundhöchstbetrags sowie des hälftigen Grundhöchstbetrags zum Abzug als Sonderausgaben zu; den Vorwegabzugsbetrag in Höhe von 12 000 DM kürzte er um 16 v.H. der Einnahmen des Klägers aus seiner Tätigkeit bei der X mit der Folge, dass den Klägern kein weiterer Abzugsbetrag mehr zustand. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 888.
Mit der Revision machen die Kläger geltend, der Kläger trage die Aufwendungen für seine Zukunftssicherung allein. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung seien wegen des zeitlich begrenzten Bezugs von Arbeitslosengeld keine Zukunftssicherungsleistung i.S. des § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wie auch § 2 Abs. 2 Nr. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) zeige, der die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht als Zukunftssicherungsleistungen aufführe.
Allenfalls dürfe der Vorwegabzug um die geleisteten 3 198 DM gekürzt werden. Die Kürzung des Vorwegabzugs um 12 000 DM führe im Vergleich zu Selbständigen zu einer gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) und das Eigentumsrecht des Art. 14 GG verstoßenden Übermaßbesteuerung. Die Pauschalregelung benachteilige den Kläger um 8 802 DM. Es sei ungewiss, ob dem Kläger im Falle von Arbeitslosigkeit überhaupt Leistungen der Arbeitslosenversicherung zustünden; denn er sei Versorgungsempfänger.
Die Kläger beantragen, zum Teil sinngemäß, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und die Einkommensteuer 1997 dergestalt festzusetzen, dass der Vorwegabzug nicht, hilfsweise nur um 3 198 DM gekürzt wird.
Weiter beantragen sie, die Beiziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, nachdem das FG über diesen Antrag nicht entschieden habe.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es sei für die Kürzung des Vorwegabzugs unmaßgeblich, ob der Kläger Ansprüche gegen die Arbeitslosenversicherung erwerbe oder nicht.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat entscheidet über den Änderungsbescheid vom 4. April 2002, der Gegenstand des Verfahrens geworden ist (§ 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Zu Unrecht hat das FG im Streitfall die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung als Leistungen für die Zukunftssicherung des Klägers beurteilt, die zur Kürzung des Vorwegabzugs führen. Werden vom Arbeitgeber für den Steuerpflichtigen lediglich Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt und ruht der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III), so ist der Vorwegabzug nicht nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG zu kürzen.
1. Als Sonderausgaben sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen u.a. Beiträge zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, zu den gesetzlichen Rentenversicherungen und an die Bundesanstalt für Arbeit. Für den Abzug dieser sog. Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) sind durch § 10 Abs. 3 EStG im Falle der Zusammenveranlagung je Kalenderjahr folgende Höchstbeträge vorgegeben: ein Grundhöchstbetrag in Höhe von 5 220 DM, ein Vorwegabzug in Höhe von 12 000 DM und ein sog. hälftiger Höchstbetrag bis zu 2 610 DM. Der Vorwegabzug ist nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG ―ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG― zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass der Kläger als Versorgungsempfänger auf Grund eines früheren Dienstverhältnisses nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 EStG gehört.
2. Nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind steuerfrei Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist.
Der Arbeitgeber des Klägers hat zwar auf Grund sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit erbracht; es handelt sich dabei aber nicht um Leistungen "für" die Zukunftssicherung des Klägers i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG, weil dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld als Empfänger von Versorgungsbezügen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ruht.
a) Der Arbeitgeber war nach § 346 Abs. 1 SGB III verpflichtet, die sich aus § 341f SGB III ergebenden Beiträge des Klägers zur Arbeitslosenversicherung zur Hälfte zu tragen. Die Leistungspflicht des Arbeitgebers bestand im Streitfall unabhängig davon, ob dem Kläger als ehemaligem Soldaten und Empfänger von Versorgungsbezügen nach dem SVG Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwuchsen. Im Hinblick auf die gesetzlichen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit ist es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verfassungsrechtlich gerechtfertigt, Arbeitsentgelte solcher Arbeitnehmer der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit zu unterwerfen, die wegen des Bezugs anderweitiger Sozialleistungen im Falle der Arbeitslosigkeit regelmäßig überhaupt kein Arbeitslosengeld erhalten können (Urteil des BSG vom 15. Mai 1985 7 RAr 3/84, Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht ―NZA― 1986, 176; im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 11. März 1980 1 BvL 20/76 und 1 BvR 826/76, BVerfGE 53, 313, 324 f., 331; ferner Urteil des BSG vom 22. März 1989 7 RAr 104/87, Soziale Sicherheit, Zeitschrift für Arbeit und Soziales ―SozSich― 1990, 63). Diese Beiträge sind im Prinzip auch Leistungen zur Zukunftssicherung (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 3 Nr. 62, unter "Zukunftssicherungsleistungen", dort b; Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. E 41).
Die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit und die anderen Beiträge zu den gesetzlichen Sozialversicherungen der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherungen werden sowohl im Rahmen des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als auch bei der Steuerfreistellung der sog. Arbeitgeberanteile nach § 3 Nr. 62 EStG steuerlich gleich behandelt. Aus dem steuersystematischen Zusammenhang, in dem die Kürzungsvorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG zu den beiden Vorschriften steht, ergibt sich, dass auch hinsichtlich der Kürzung des Vorwegabzugs die vom Arbeitgeber geleisteten Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit nicht anders zu behandeln sind als die Beiträge zu den sonstigen gesetzlichen Sozialversicherungen. Der Begriff der Zukunftssicherung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG umfasst demnach auch die Leistungen an die Bundesanstalt für Arbeit.
b) Es handelt sich im Streitfall aber nicht um Leistungen "für" die Zukunftssicherung i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG, da der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld nach § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ruht, solange er als Versorgungsempfänger eine einer Altersrente ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art erhält. Eine Leistung ist dann i.S. des § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ähnlich, wenn sie ein bestimmtes Lebensalter voraussetzt, mit dem das Erwerbsleben als beendet anzusehen ist, und wenn sie dem Grunde nach dazu geeignet ist, den Lebensunterhalt im Alter sicherzustellen. Um eine solche Leistung handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG bei dem Ruhegehalt, das einem Berufssoldaten nach §§ 14 ff. SVG wegen Versetzung in den Ruhestand gemäß § 44 Abs. 2 des Soldatengesetzes (SoldatenG) bereits nach Überschreiten des 52. Lebensjahres (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 SoldatenG) zuerkannt worden ist (vgl. zum früheren § 118 Nr. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes ―AFG― Urteile des BSG vom 31. August 1976 7 RAr 113/75, SozSich 1976, 345, und vom 11. Februar 1976 7 RAr 158/74, BSGE 41, 177 ff.; Übersicht über das Sozialrecht, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, 3. Aufl., 1995, Abschn. 4, 176; vgl. auch Beschlüsse des BVerfG vom 15. Juni 1971 1 BvR 88, 496/69 BVerfGE 31, 185, 190 f., und vom 9. November 1988 1 BvL 22/84, 71/86 und 9/87, BVerfGE 79, 87, 98; Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, SGB III, § 142 Anm. 21). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger das von der Rechtsprechung der Sozialgerichte vorausgesetzte Lebensalter bei Versetzung in den Ruhestand nicht erreicht hatte, sind nicht erkennbar.
Damit steht von vornherein fest, dass der Kläger durch die Beitragsleistungen seines Arbeitgebers dem Grunde nach keine Ansprüche auf Absicherung für den Fall seiner Arbeitslosigkeit erlangen kann. Da es dabei nicht nur um die Höhe der Leistungen geht, fehlt den Beitragsleistungen bereits dem Grunde nach das Merkmal, dass sie "für" die Zukunftssicherung des Klägers erbracht werden.
c) Der Normzweck, die Kürzungsregelung für den Sonderausgaben-Vorwegabzug von Versicherungsbeiträgen zu vereinfachen (BTDrucks 12/5630, S. 3), rechtfertigt nicht eine Auslegung nach der Leistungen, die insbesondere im Hinblick auf "das besonders bedeutsame Interesse der Allgemeinheit an der Gesunderhaltung des Arbeitsmarkts und damit an einer möglichst leistungsfähigen Arbeitsverwaltung" (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 53, 313, 327) erbracht werden, dem einzelnen Steuerpflichtigen mit der Folge zugerechnet werden, dass für seine eigene Vorsorge ein wesentlich geringerer steuerlicher Abzugsbetrag verbleibt. Für die Kläger hat das FA statt 14 735 DM nur 7 830 DM berücksichtigt. Die Beitragsleistungen hätten dann eine doppelte Belastung des Steuerpflichtigen zur Folge: Zum einen durch die Beitragspflicht selbst, aus der keine Leistungsansprüche erwachsen und zum anderen durch die geringere steuerliche Entlastung seiner eigenen Zukunftsaufwendungen.
d) Den Entscheidungen des Senats vom 16. Oktober 2002 XI R 61/00 (BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183), XI R 71/00 (BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343) und XI R 75/00 (BFHE 200, 548, BStBl II 2003, 288) kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Danach kommt es für die Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG an, sondern allein auf den Umstand, dass überhaupt solche Leistungen erbracht worden sind. Eine individuelle Berechnung, die auf die Höhe der in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum erbrachten Zukunftssicherungsleistungen abstellt, ist nicht geboten. Voraussetzung ist danach aber stets, dass überhaupt Leistungen "für" die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers erbracht worden sind.
e) Da den Klägern für ihre Vorsorgeaufwendungen der Vorwegabzug in voller Höhe zusteht, ist die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer für 1997 entsprechend herabzusetzen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Antrag, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren; zuständig ist dafür das Gericht des ersten Rechtszuges, im Streitfall das FG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Oktober 2001 VII R 47/00, BFH/NV 2002, 555; BFH-Beschlüsse vom 30. August 1996 I R 15/96, BFH/NV 1997, 195; vom 18. Juli 1967 GrS 5-7/66, BFHE 90, 150, BStBl II 1968, 56).
Fundstellen
Haufe-Index 1003716 |
BFH/NV 2003, 1628 |
BStBl II 2004, 6 |
BFHE 2004, 33 |
BFHE 203, 33 |
BB 2003, 2390 |
DB 2003, 2577 |
DStR 2003, 1872 |
DStRE 2003, 1366 |
HFR 2004, 109 |