Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Erkennt ein Arbeitgeber nach einer Lohnsteuerprüfung gegenüber dem Prüfer gemäß § 46 Abs. 4 Satz 1 LStDV schriftlich die Lohnsteuernachforderung an, so spricht er damit keinen Rechtsmittelverzicht im Sinne des § 248 AO aus.
Normenkette
AO §§ 248, 235; LStDV § 46 Abs. 4
Tatbestand
Der Steuerpflichtige betrieb während einer Messe auf dem Messegelände eine Gaststätte, in der er mehrere Aushilfskräfte beschäftigte. Die Löhne unterwarf er einer Pauschlohnsteuer von 8 v. H. Bei einer Lohnsteuerprüfung nahm der Prüfer des Finanzamts B. aus der Pauschbesteuerung 57 Aushilfskräfte aus, welche in zehn Tagen mehr als 200 DM verdient hatten und errechnete für sie nach der Lohnsteuertabelle eine zusätzliche Lohnsteuer von 2.120,90 DM. Im Namen der Steuerpflichtigen erklärte dessen Buchhalter am Ende der Prüfung, am 21. September 1956, schriftlich, daß der Steuerpflichtige die Mehrlohnsteuer anerkenne und auf die Erteilung eines besonderen Bescheides verzichte. Der Steuerpflichtige zahlte die nachgeforderte Steuer am 27. September 1956 mit einem Scheck, bei dessen überreichung sein Steuerberater darauf hinwies, daß er die Steuernachforderung erst anerkennen könne, wenn er den Prüfungsbericht, um dessen übersendung er bat, eingesehen habe. Nach Empfang des Prüfungsberichts legte der Steuerberater am 11. Oktober 1956 beim Finanzamt Einspruch "gegen die in Anrechnung gebrachten Mehrforderungen an Lohnsteuer" ein. Das Finanzamt behandelte dieses Schreiben als Einspruch gegen die Festsetzung der Lohnsteuernachforderung und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit der Berufung beantragte der Steuerpflichtige, den Einspruchsbescheid aufzuheben und ihm den gezahlten Lohnsteuerbetrag zu erstatten. Er trug vor, das für seine Besteuerung sonst zuständige Betriebsfinanzamt A. habe ihm den angewendeten Pauschsteuersatz von 8 v. H. zugestanden; auch das Finanzamt B. habe dieses Verfahren früher nicht beanstandet. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn es für das Streitjahr anders vorgehe. Im übrigen sei die Lohnsteuer der anderen Aushilfskräfte mit dem Pauschsteuersatz von 8 v. H. überzahlt; diese überzahlung sei auf die Nachforderung anzurechnen.
Das Finanzgericht stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, das vom Steuerpflichtigen eingelegte Rechtsmittel sei als Berufung unzulässig; es wies das Rechtsmittel als Einspruch im Lohnsteuerhaftungsverfahren an das Finanzamt zurück. Es begründete diese Entscheidung wie folgt: Der Bescheid des Finanzamts bezeichne sich zwar als Einspruchsbescheid im Haftungsverfahren. Seinem Wesen nach sei er aber ein erster Bescheid, mit dem die vom Steuerpflichtigen beantragte Erstattung der gezahlten Lohnsteuer abgelehnt worden sei. Das Finanzamt habe keinen Lohnsteuerhaftungsbescheid erlassen; ein solcher Bescheid hätte schriftlich ergehen müssen (§§ 210 b, 211 AO). In der Mitteilung des Prüfers gegenüber dem Buchhalter des Steuerpflichtigen und der anschließenden Entgegennahme der Erklärung des Buchhalters am Schluß der Lohnsteuerprüfung liege kein Steuerbescheid (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Anm. 3 zu § 246 AO). Das Schreiben des Steuerpflichtigen vom 9. Oktober 1956 habe sich deshalb nicht gegen einen Lohnsteuerhaftungsbescheid gewandt und müsse in einen Erstattungsantrag aus Rechtsgründen nach § 150 AO umgedeutet werden. Das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen sei, weil es nicht gegen einen Einspruchsbescheid, sondern gegen einen ersten Bescheid des Finanzamts eingelegt worden sei, als Berufung unzulässig (§§ 259, 261, 252 AO). Das Finanzamt müsse zuerst über den Einspruch gegen die Ablehnung der Erstattung entscheiden.
Entscheidungsgründe
Die Rbn. des Vorstehers des Finanzamts und des Steuerpflichtigen, mit denen gerügt wird, das Finanzgericht habe zu Unrecht das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen nicht als Berufung behandelt, sind begründet.
Das Verfahren des Lohnsteuerprüfers beruht auf § 46 Abs. 4 Satz 1 LStDV. Danach kann, wenn sich bei der Lohnsteueraußenprüfung eine Mehrsteuer ergibt, das Finanzamt von der Erteilung eines förmlichen Haftungsbescheids nach § 46 Abs. 3 LStDV absehen, wenn der Arbeitgeber vor dem Lohnsteuerprüfer seine Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer schriftlich anerkennt oder der Arbeitgeber nachträglich eine Lohnsteueranmeldung im Sinne des § 44 LStDV abgibt. Die Vorschrift des § 46 Abs. 4 LStDV ist mit den Grundsätzen des EStG und der AO vereinbar. Das Gesetz sieht für die Anforderung von Lohnsteuer nicht allgemein einen schriftlichen Bescheid vor, wie das Finanzgericht irrtümlich anzunehmen scheint. Dies hat der Senat bereits in der Entscheidung VI 43/60 U vom 13. Mai 1960 (BStBl 1960 III S. 297, Slg. Bd. 71 S. 131) näher ausgeführt. In den weitaus meisten Fällen wird die Lohnsteuer dann auch in der Form entrichtet, daß der Arbeitgeber gemäß § 44 LStDV eine Lohnsteueranmeldung abgibt und dann die Lohnsteuer zahlt. Unbedenklich ist auch zuzulassen, daß der Arbeitgeber nach einer Lohnsteuerprüfung nachträglich eine Lohnsteueranmeldung über den vom Prüfer festgestellten Mehrbetrag abgibt, wie es § 46 Abs. 4 LStDV vorsieht. Erkennt der Arbeitgeber seine Pflicht zur Nachzahlung von Lohnsteuer gegenüber dem Prüfer oder dem Finanzamt schriftlich an, so steht das sachlich einer nachträglichen Lohnsteueranmeldung gleich, so daß auch gegen diese Form der Nachforderung von Lohnsteuer keine rechtlichen Bedenken bestehen.
In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 43/60 U a. a. O. hat der Senat aber bereits ausgesprochen, daß in der Entgegennahme der Lohnsteueranmeldung bzw. der Lohnsteuerzahlung eine stillschweigende Steueranforderung des Finanzamts liegt und daß der Arbeitgeber diesen ihm gegenüber ergangenen formlosen Steuerbescheid im Berufungsverfahren nach § 235 AO angreifen kann. Wenn, wie im Streitfall, der Prüfer ausdrücklich eine Mehrsteuer verlangt und seine Erklärung und das Anerkenntnis des Steuerpflichtigen schriftlich festgelegt werden, so kann man im übrigen sogar sagen, daß ein schriftlicher Steuerbescheid ergangen sei.
Man kann auch in dem Anerkenntnis der Steuernachforderung durch den Arbeitgeber keinen Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen den Steuerbescheid des Finanzamts sehen. Ein Rechtsmittelverzicht muß wegen seiner weittragenden Bedeutung klar und eindeutig erklärt werden. Aus diesem Grund ist im Urteil des Bundesfinanzhofs I 186/54 U vom 2. August 1955 (BStBl 1955 III S. 331, Slg. Bd. 61 S. 345) mit Recht - entgegen der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs - in einer nach § 94 AO erteilten Erklärung des Steuerpflichtigen zur änderung eines angefochtenen Steuerbescheids kein Rechtsmittelverzicht angesehen worden. Im übrigen kann das schriftliche Anerkenntnis keine größere Wirkung haben als eine nachträgliche Lohnsteueranmeldung, mit der es gleichwertig ist. Eine laufende oder nachträgliche Lohnsteueranmeldung kann aber ohne Zweifel ebensowenig als Rechtsmittelverzicht gewertet werden wie die Abgabe einer Steuererklärung, sofern das Finanzamt den Steuerpflichtigen nach seiner eigenen Steuererklärung veranlagt.
Der Steuerpflichtige konnte also innerhalb der Rechtsmittelfrist gegen die Lohnsteuernachforderung des Finanzamts Einspruch einlegen und hat es auch mit den Schreiben vom 26. September und vom 9. Oktober 1956 fristgerecht getan, so daß das Finanzamt mit Recht sachlich über den Einspruch entschieden hat.
Die Vorentscheidung war demnach aufzuheben und die Sache zur sachlichen Prüfung an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Auf die sachlichen Einwendungen des Steuerpflichtigen kann der Senat nicht eingehen, solange das Finanzgericht dazu nicht Stellung genommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410511 |
BStBl III 1962, 355 |
BFHE 1963, 243 |
BFHE 75, 243 |