Leitsatz (amtlich)
Die Begründung von Wohnungseigentum gemäß § 3 WEG durch eine Miteigentümergemeinschaft ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 nicht als schädlicher Erwerbsvorgang zu werten, soweit die Beteiligungsverhältnisse wertmäßig nicht verändert werden.
Normenkette
GrEStG § 1; GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 § 9 Abs. 1 Nr. 9; GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 § 10 Abs. 6 S. 2; WEG § 3 Abs. 1
Tatbestand
Drei Schwestern waren Miteigentümerinnen eines Grundstücks zu je einem Drittel gewesen, auf dem sie drei Wohnhäuser mit je sechs Wohnungen errichtet hatten, die im Dezember 1971 bezugsfertig geworden waren. Im Tiefgeschoß der Wohnhäuser befindet sich eine Tiefgarage.
"Zwecks Begründung von Wohnungseigentum" hatten die drei Schwestern durch notariellen Vertrag vom 20. November 1972 "ihre Miteigentumsanteile an dem Grundstück" in der Weise geändert und geteilt, daß jeder der drei Schwestern je sechs Miteigentumsanteile, jeder verbunden mit dem Sondereigentum an einer Wohnung zustanden, und zwar in der Weise, daß jede der drei Schwestern das Sondereigentum an sämtlichen Wohneinheiten je eines der drei Häuser innehatte.
Die Klägerin erwarb durch Vertrag vom 22. April 1974 von Frau W. B., einer der drei Schwestern, eine Eigentumswohnung, die dieser im Vertrag vom 20. November 1972 zugewiesen worden war. Das FA (Beklagter) lehnte den Antrag der Klägerin, ihren Erwerb gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 steuerfrei zu lassen, ab, weil kein Ersterwerb i. S. dieser Vorschrift vorliege und setzte mit Bescheid vom 29. Mai 1974 Grunderwerbsteuer fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG hob auf die Klage den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist im Ergebnis unbegründet.
Der Erwerb der Eigentumswohnung durch die Klägerin unterliegt der Grunderwerbsteuer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970).
Der Erwerb ist als erster Erwerb einer steuerbegünstigten eigengenutzten Eigentumswohnung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 9 in Verbindung mit § 10 Abs. 6 Satz 2 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 von der Besteuerung ausgenommen.
Das Wohnungseigentum ist ein besonders gestaltetes Miteigentum an einem bebauten Grundstück, nämlich Miteigentum am Grundstück, verbunden mit dem Sondereigentum an einer Wohnung. Das Sondereigentum ist untrennbar mit dem Miteigentumsanteil verbunden. Es ist nicht für sich veräußerlich und belastbar (§ 6 des Wohnungseigentumsgesetzes - WEG -). Das Sondereigentum kann jedoch aufgehoben werden (§ 4 WEG); es bleibt dann das Miteigentum übrig.
Bei der vertraglichen Einräumung von Sondereigentum gemäß § 3 WEG wird das Miteigentum an einem Grundstück durch Vertrag der Miteigentümer in der Weise beschränkt, daß jedem der Miteigentümer abweichend von § 93 BGB das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung ... in einem auf dem Grundstück errichteten (oder zu errichtenden) Gebäude eingeräumt wird.
Dem Gesetz läßt sich nicht von vornherein eindeutig entnehmen, ob und ggf. wie das Wohnungs- und Teileigentum von dem Miteigentum zu unterscheiden ist, oder ob das Sondereigentum nur eine Beschränkung des an sich bestehenden Miteigentums ist.
In § 1 Abs. 2 und 3 bezeichnet das Wohnungseigentumsgesetz die Verbindung von Sondereigentum und Miteigentumsanteil als "Wohnungseigentum" oder "Teileigentum". Die Begriffsbestimmung nennt also das Sondereigentum als erstes Glied der Verbindung von Eigentum und Sondereigentum. Sie geht von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus, bei der das Sondereigentum an den Räumen im Vordergrund steht und der gemischten Eigentumsform das Gepräge gibt.
Rechtlich betrachtet wird dagegen das Raumeigentum von der Möglichkeit gekennzeichnet, "das Miteigentum mehrerer Personen an einem Grundstück in der Weise zu beschränken, daß jedem Miteigentümer (abweichend von § 93 BGB) das Sondereigentum an bestimmten Räumen eines auf dem Grundstück errichteten oder zu errichtenden Gebäudes eingeräumt wird (§ 3 Abs. 1)". Es ist insoweit "nichts anderes als ein besonders ausgestaltetes Miteigentum am Grundstück (Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht - Wohnungseigentumsgesetz - Bundesrats-Drucksache 75/51 I zu § 3). Zwischen § 1 Abs. 2 und 3 einerseits und § 3 Abs. 1 besteht ... nur ein Unterschied in der Betrachtungsweise" (vgl. Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 11. Aufl., VI. Bd., Berlin 1970, § 1 Anm. 4; ebenso Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl. 1968, Bd. 4, § 1 WEG Bem. 1 S. 422). Nach Bärmann (vgl. Bärmann-Merle-Pick, Wohnungseigentumsgesetz, Kommentar, 3. Aufl., 1975, S. 133 Anm. 7) wird das Wohungseigentum durch das Miteigentum, das Sondereigentum an der Wohnung und die Rechtsstellung als Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft gleichermaßen charakterisiert.
Das Miteigentum ist bei jeder dieser Betrachtungsweisen ein von der Rechtsfigur des Wohnungseigentums nicht hinwegzudenkender Bestandteil, und zwar bei der Entstehung wie bei dem Bestand des Wohnungseigentums. Das Sondereigentum entsteht dagegen durch Beschränkung des Miteigentums und ist in seinem Bestand Beschränkung des Miteigentums.
Im Miteigentum bleiben nicht nur der Grund und Boden sowie die nicht zum Gebäude gehörigen Anlagen, sondern auch alle Gebäudeteile, die für den Bestand und die Sicherheit des Gebäudes erforderlich sind, wie z. B. Fundament, Außenwände, Dach und alle tragenden Gebäudeteile, Treppenhaus, Waschküche, Installation und dergleichen mehr. Zwar gehören Ausstattung (Fußbodenbelag, Tapeten usw.) und nichttragende Zwischenwände einer Wohnung zum Sondereigentum. Von der Gesamtanlage her gesehen tritt aber das Sondereigentum an Bedeutung zurück gegenüber dem Miteigentum des einzelnen, zu dem das Sondereigentum gehört.
Die Begründung des Wohnungseigentums führt zwar dazu, daß ein besonderes, zusammengesetztes dingliches Recht entsteht, für das besondere Grundbuchblätter angelegt werden. Die Rechtsstellung des Miteigentümers wurde durch den Hinzutritt des Sondereigentums um einen Bereich des Alleineigentums bereichert. Deshalb scheint es sich anzubieten, die Begründung des Wohnungseigentums gemäß § 3 WEG mit der flächenweisen Aufteilung gemeinschaftlichen Eigentums zu vergleichen und auf diesen Rechtsvorgang § 20 Abs. 1, 2 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 (= § 7 Abs. 1, 2 GrEStG 1940) analog anzuwenden. Das hätte zur Folge, daß ein Erwerb vorläge und damit ein Verbrauch der Begünstigung des Ersterwerbs einträte. Dem steht aber die Überlegung entgegen, daß der Rechtsvorgang der Begründung des Wohnungseigentums gemäß § 3 WEG durch Miteigentümer in bezug auf das Sondereigentum eine Beschränkung - keine Teilung - des Miteigentums zur Folge hat und sich durch diesen Rechtsvorgang in bezug auf das Miteigentum an dem Verhältnis der Miteigentümer zueinander nichts ändert. Die Begründung des Wohnungseigentums durch Miteigentümer eines Grundstücks gemäß § 3 WEG läßt sich weder als nichtsteuerbarer noch als steuerbarer Vorgang einordnen, ohne daß dabei wesentliche Merkmale dieses Rechtsvorgangs gedanklich vernachlässigt werden.
Da das Sondereigentum nicht unabhängig vom Miteigentum bestehen kann und da bei der Begründung des Wohnungseigentums durch eine Miteigentümergemeinschaft des Grundstücks gemäß § 3 WEG sich die Rechtsträgereigenschaft des einzelnen Miteigentümers in bezug auf das Miteigentum nicht ändert, ist es gerechtfertigt, diesem letzteren Umstand ausschlaggebende Bedeutung beizumessen und demzufolge die Begründung des Wohnungseigentums durch eine Miteigentümergemeinschaft gemäß § 3 WEG bei der Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 nicht als schädlichen Erwerbsvorgang zu werten, soweit die Beteiligungsverhältnisse zwischen den Bruchteilseigentümern wertmäßig nicht verändert werden.
Wird die Begründung des Wohnungseigentums gemäß § 3 WEG in dieser Weise beurteilt, folgt daraus, daß der Rechtsvorgang des Erwerbs der sechs Miteigentumsanteile einschließlich des mit jedem verbundenen Sondereigentums an einer Wohnung durch Frau W. B. kein erster Erwerb i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 9 i. V. m. § 10 Abs. 6 Satz 2 GrEStG Rheinland-Pfalz 1970 war. Demzufolge aber war der Erwerb durch die Klägerin ein Ersterwerb i. S. dieser Vorschriften und demgemäß steuerfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 72450 |
BStBl II 1977, 780 |
BFHE 1978, 60 |