Leitsatz (amtlich)
Bei den Veranlagungssteuern sind infolge des für sie geltenden Abschnittsprinzips die Grundlagen der Besteuerung bei jeder Veranlagung selbständig festzustellen und der Sachverhalt und die Rechtslage neu zu prüfen. Stellt sich heraus, daß das FA bei einer früheren Veranlagung eine Rückstellung zu Unrecht anerkannt hat, so steht diese Anerkennung nicht der Richtigstellung bei einer späteren Veranlagung durch Auflösung der Rückstellung entgegen.
Normenkette
EStG §§ 5, 6a, 15 Nr. 2; AO § 222 Abs. 1
Tatbestand
Es ist nur noch streitig, ob die vom FA - Beklagten und Revisionskläger - in den Vorjahren anerkannten Rückstellungen für Pensionsanwartschaften eines Gesellschafter-Geschäftsführers der Klägerin, einer Familien-Personengesellschaft (OHG), im Jahre 1960 aufgelöst werden mußten. An der OHG waren die Gesellschafter-Geschäftsführer M und N zu je 50 v. H. beteiligt. Der Gesellschafter N ist der Ehemann der einzigen Tochter des Gesellschafters M.
Am 1. Dezember 1956 sagte die OHG dem Gesellschafter M eine monatliche Pension nach Erreichen des 65. Lebensjahres oder bei Invalidität zu. Die Pensionszusage wurde am 31. Juli 1959 neu gefaßt, weil bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1959 Bedenken hinsichtlich der Rückstellbarkeit auftraten. Nach § 2 der Neufassung sollte die Pensionszusage ein Entgelt für die im Betrieb entfaltete Tätigkeit des Firmengründers darstellen und bürgerlich-rechtlich unwiderruflich sein. Die Ansprüche aus der Pensionszusage sollten weder im Falle der Beendigung der Geschäftsführertätigkeit noch bei Auflösung der Gesellschaft erlöschen.
Wegen der Pensionsverpflichtung hatte die OHG erstmals zum 31. Dezember 1956 und auch zu den folgenden Bilanzstichtagen Rückstellungen gebildet. Das FA erkannte im Anschluß an die Betriebsprüfung im Jahre 1959 - nach der Neufassung der Pensionszusage - die Rückstellungen zum 31. Dezember 1956 und 31. Dezember 1957 an. Auch in den Folgejahren ließ es die Rückstellung, zu der jährlich neue Zuführungen erfolgten, unbeanstandet.
Im Anschluß an eine weitere Betriebsprüfung im Jahre 1964 ließ das FA jedoch die Rückstellungen nicht mehr zu, weil es sich um eine Familien-Personengesellschaft handele. Bei der berichtigten einheitlichen Gewinnfeststellung für das Jahr 1960 löste das FA daher die bis zum 31. Dezember 1959 bereits gebildete Rückstellung wieder auf. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG gab der Berufung (Klage) insoweit statt. Es führte im wesentlichen aus: Die Voraussetzungen für eine Rückstellung wegen einer Pensionszusage an den Gesellschafter-Geschäftsführer einer Personengesellschaft seien zwar insofern erfüllt, als klare schriftliche Vereinbarungen vorlägen, die unwiderrufliche Ansprüche und Verpflichtungen auslösten und sich auch bei einer Liquidation des Unternehmens oder einer Kündigung des Gesellschafters noch rechtlich auswirkten. Im Streitfall handele es sich aber um eine Familien-Personengesellschaft. Nach der Rechtsprechung des BFH bestehe in diesem Fall eine nur ausnahmsweise widerlegbare Vermutung, daß die einem ausscheidenden Familienmitglied zugesagte Pension nicht auf betrieblichen Erwägungen, sondern auf einer Unterhaltsverpflichtung beruhe. Im vorliegenden Fall seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß für die Pensionszusage an den ausscheidenden Gesellschafter betriebliche Gründe maßgebend gewesen seien. Die vom BFH aufgestellte Vermutung könne deshalb nicht als widerlegt angesehen werden. Nach dem BFH-Urteil VI 327/60 U vom 15. März 1963 (BFH 76, 815, BStBl III 1963, 297) dürften jedoch die vom FA in der Vergangenheit anerkannten Rückstellungen nicht auf Grund anderer rechtlicher Betrachtungen in einem folgenden Jahr aufgelöst werden. Das gelte auch im Streitfall. Der Gewinn des Jahres 1960 sei demnach um die in den Vorjahren insgesamt zugelassenen Pensionsrückstellungen in Höhe von 36 584 DM zu mindern.
Mit der Revision macht das FA geltend, die Pensionsrückstellung müsse im Jahre 1960 aufgelöst werden. Das Urteil VI 327/60 U (a. a. O.) stehe dem nicht entgegen. Der unzulässige Bilanzansatz habe zum frühestmöglichen Zeitpunkt beseitigt werden müssen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Ob für Pensionszusagen an Gesellschafter-Geschäftsführer von Personengesellschaften allgemein keine Rückstellungen gebildet werden können (so BFH-Urteil IV R 62/66 vom 16. Februar 1967, BFH 87, 531, BStBl III 1967, 222), kann dahingestellt bleiben. Denn das FG ist in Übereinstimmung mit dem FA in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, eine Rückstellung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich im Streitfall um eine Familien-Personengesellschaft handele. Nach seinen Feststellungen sind für die Zusage an den Gesellschafter W außerbetriebliche, und zwar familienrechtliche Gesichtspunkte maßgebend gewesen. Diese Würdigung liegt auf tatsächlichem Gebiet (BFH-Urteil I 141/60 U vom 17. Januar 1961, BFH 72, 347, BStBl III 1961, 130). Das FG konnte bei den tatsächlichen Gegebenheiten zu ihr gelangen. Der BFH darf nicht prüfen, ob es dazu kommen mußte.
Dem FG kann jedoch insoweit nicht gefolgt werden, als es die Auflösung der Rückstellungen im Streitjahr 1960 allein deshalb für nicht erforderlich hält, weil das FA diese Rückstellungen in den Vorjahren zugelassen hat. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob dem BFH-Urteil IV R 62/66 (a. a. O.) beizustimmen ist, daß Rückstellungen, die nach einer "Änderung der Rechtsprechung" nicht mehr zulässig sind, von Gesetzes wegen im frühestmöglichen Steuerabschnitt aufgelöst werden müssen. Denn im Streitfall hat das FA die Rückstellung zunächst nicht deshalb zugelassen, weil die damalige Rechtsprechung es gestattet hat, sondern weil es von einer irrtümlichen, später als falsch erkannten Rechtsansicht ausgegangen ist.
Das FA hat die steuerliche Unbeachtlichkeit der Pensionszusage darauf gestützt, daß bei einer Familien-Personengesellschaft eine nahezu unwiderlegbare Vermutung dafür spreche, die Pensionszusage werde aus außerbetrieblichen Erwägungen gegeben. Hinsichtlich dieser Begründung lag weder im Zeitpunkt der Berichtigungsveranlagung im Jahre 1964 noch im Streitjahr 1960 selbst eine Änderung oder Verschärfung der früheren Rechtsprechung vor. Schon der RFH hatte in dem Urteil VI 750/39 vom 13. März 1940 (RStBl 1940, 474) darauf hingewiesen, daß bei Familien-Personengesellschaften besonders sorgfältig zu prüfen sei, ob eine echte Pensionsverpflichtung bestehe. Der BFH hat diesen Gedanken in dem Urteil I 347/56 U vom 8. Oktober 1957 (BFH 65, 535, BStBl III 1957, 440) lediglich vertieft und bei Pensionszusagen an Familienangehörige die Prüfung gefordert, ob sie auf betrieblichen oder außerbetrieblichen Erwägungen beruhten. Dabei ging er von der Vermutung aus, daß bei Familienangehörigen viel dafür spreche, die Zusage sei aus erbrechtlichen und damit außerbetrieblichen Gründen erteilt worden. Diese Auffassung hat der BFH in den Urteilen I 141/58 U vom 16. Juni 1959 (BFH 75, 4, BStBl III 1962, 271) und I 141/60 U (a. a. O.) nur wiederholt.
Danach hätte das FA schon bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für 1956 im Jahre 1960 die erstmalige Pensionsrückstellung zum 31. Dezember 1956 nicht anerkennen dürfen. Wenn es dies dennoch tat, ging es von einer fehlerhaften Rechtsauffassung aus.
Der späteren Berichtigung der unrichtigen einheitlichen Gewinnfeststellung durch Auflösung der Rückstellung stand dann auch Treu und Glauben nicht entgegen. Im Gegenteil war es ein Gebot des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, eine unzutreffende Rechtsauffassung im Rahmen der steuerprozessualen Möglichkeiten aufzugeben (vgl. das BFH-Urteil I 141/60 U, a. a. O.).
Dieses Ergebnis widerspricht, entgegen der Ansicht des FG, auch nicht dem Urteil des Senats VI 327/60 U (a. a. O.). In dem Urteil ließ es der Senat ausdrücklich dahingestellt, ob die Pensionszusagen auf betrieblichen oder außerbetrieblichen Erwägungen beruhten. Denn er erkannte die Rückstellung dem Grunde nach schon deshalb nicht an, weil sie nicht unwiderruflich erteilt worden war. Er verneinte aber, wie sich aus dem Rechtssatz 3 des Urteils ergibt, die Pflicht, die Rückstellung aufzulösen allein mit Rücksicht darauf, daß sich seit dem Streitjahr 1956, für das die Rückstellung zunächst anerkannt worden war, auf Grund der BFH-Urteile I 347/56 U (a. a. O.) und I 141/58 U (a. a. O.) die Rechtslage geändert hatte. Ob an der Ansicht, daß in Fällen dieser Art keine Auflösungsverpflichtung bestehe, noch festgehalten werden kann (vgl. insoweit BFH-Urteil IV R 62/66, a. a. O.), erscheint fraglich, braucht aber im Streitfall nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist im Urteil VI 327/60 U (a. a. O.) nicht ausgesprochen, eine Rückstellung brauche nicht aufgelöst zu werden, wenn sich später herausstelle, daß das FA das Recht fehlerhaft angewandt habe.
Ein solcher Grundsatz wäre auch unrichtig. Fehlerhafte Bilanzansätze sind im Gegenteil grundsätzlich zu berichtigen, sobald ihre Fehlerhaftigkeit erkannt ist. Wie der BFH wiederholt betont hat, sind bei den Veranlagungssteuern wegen des für sie geltenden Abschnittsprinzips die Grundlagen der Besteuerung bei jeder Veranlagung selbständig festzustellen und der Sachverhalt sowie die Rechtslage neu zu prüfen. Eine falsche Rechtsanwendung ist vom ehestmöglichen Zeitpunkt an aufzugeben, indem nunmehr das richtige Recht angewendet wird (vgl. das BFH-Urteil V 235/64 vom 13. April 1967, BFH 88, 443, BStBl III 1967, 442, und die dort angeführten Entscheidungen).
Da das FG von einer anderen Rechtsansicht ausging, war die Vorentscheidung hinsichtlich des Streitjahres 1960 und hinsichtlich der Kostenentscheidung in vollem Umfang aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die vom FG anerkannte Rückstellung in Höhe von 36 584 DM ist gewinnerhöhend aufzulösen. Der Gewinn des Jahres 1960 erhöht sich demnach auf 77 816 DM.
Die Vorinstanz hat dem Gewinn des Jahres 1962 aus einer teilweisen Auflösung der - von ihm anerkannten - Pensionsrückstellung 1 257 DM hinzugerechnet. Da die Vorentscheidung hinsichtlich der einheitlichen Gewinnfeststellung für das Jahr 1962 nicht angegriffen wurde, ist sie insoweit rechtskräftig geworden. Das FA wird zu erwägen haben, ob es die rechtskräftige einheitliche Gewinnfeststellung für 1962 nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 des Steueranpassungsgesetzes ändern muß (vgl. BFH-Urteile VI 317/63 U vom 29. Januar 1965, BFH 81, 496, BStBl III 1965, 179; IV R 238/67 vom 27. Juni 1968, BFH 92, 363, BStBl II 1968, 583).
Die Kosten des gesamten Verfahrens fallen der OHG nach §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO zur Last.
Fundstellen
Haufe-Index 68481 |
BStBl II 1969, 314 |
BFHE 1969, 41 |