Leitsatz (amtlich)
Die Gewährung von Unterhalt an eine Schwiegertochter kann die Inanspruchnahme des Freibetrags nach § 33 a Abs. 1 EStG rechtfertigen, wenn sie außerstande ist, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen. Es ist nicht erforderlich, daß sie zuvor einen ihr zur Unterhaltsgewährung verpflichteten Angehörigen erfolglos auf Unterhalt verklagt hat.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 2, § 33a Abs. 1
Tatbestand
Der 1943 geborene Sohn der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) studierte seit 1963 in S. Im April des Streitjahres 1967 heiratete er. Seine Ehefrau, die bis dahin zur Aushilfe als Stenotypistin gearbeitet hatte, wurde im September des Streitjahres von einem Kind entbunden. Die Kläger unterstützten ihren Sohn und dessen Familie durch Geldzuwendungen von monatlich 400 DM und Sachleistungen. Die Schwiegertochter der Kläger erhielt von ihren Eltern keinen Unterhalt.
Die Kläger beantragten in ihrer Einkommensteuererklärung 1967 unter anderem einen Freibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG in Höhe von 900 DM für den der Schwiegertochter gewährten Unterhalt. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte die Gewährung eines Freibetrags wegen des Unterhalts der Schwiegertochter ab. Der Einspruch war erfolglos. Das FG gab der Klage statt und führte in dem in den EFG 1972, 433 veröffentlichten Urteil aus:
Die Kläger könnten von den Aufwendungen für den Unterhalt der Schwiergertochter 900 DM gem. § 33 a Abs. 1 EStG von ihrem Einkommen abziehen; denn diese Aufwendungen seien ihnen zwangsläufig entstanden. Eine rechtliche Pflicht, zum Unterhalt der Schwiegertochter beizutragen, habe für die Kläger zwar nicht bestanden. Auch habe sich die Unterhaltspflicht der Kläger gegenüber ihrem Sohn nur auf dessen eigenen Unterhalt bezogen und sich nicht auf den Bedarf der Personen erstreckt, denen dieser unterhaltspflichtig gewesen sei. Es sei aber nicht zu verkennen, daß in einem Fall wie dem Streitfall entgegen der Zielsetzung des § 1610 Abs. 2 BGB der Lebensbedarf des Berechtigten durch die Unterhaltsleistungen jedenfalls dann nicht voll gedeckt werde, wenn er eine Familie zu unterhalten habe. Er müsse dann die ihm gewährten Leistungen, die für ihn allein - wenn er ledig wäre - ausreichen würden, mit seiner Familie teilen (vgl. §§ 1360, 1603 Abs. 2 BGB). Dies gelte insbesondere, wenn wie hier, der andere Ehepartner seinen Beitrag durch die Haushaltsführung leiste. Es bestehe daher in solchen Fällen zwar keine rechtliche, wohl aber eine sittliche Pflicht des Unterhaltsverpflichteten, im Rahmen des Zumutbaren auch zum Unterhalt der Personen beizutragen, denen der unmittelbar Berechtigte als Familienvater seinerseits Unterhalt schulde. Die Schwiegertochter der Kläger sei auch bedürftig gewesen. Nach der ärztlichen Bescheinigung vom 12. Januar 1972 sei sie vor ihrer Niederkunft nicht imstande gewesen, sich durch Einsatz ihrer Arbeitskraft selbst zu erhalten. Nach der Niederkunft habe eine Erwerbstätigkeit von ihr nicht mehr verlangt werden können, weil sie ein Kleinkind zu versorgen gehabt habe. Sie sei auch nicht verpflichtet gewesen, von ihren Eltern Unterhalt zu fordern. Die Bedürftigkeit eines Unterhaltsempfängers sei nicht schon dann ausgeschlossen, wenn Ansprüche gegen Dritte bestünden. Erforderlich sei weiterhin, daß diese Ansprüche durchsetzbar seien und die Durchsetzung dem Berechtigten auch zugemutet werden könne. Das sei nach dem glaubhaften Vorbringen, das auch das FA nicht bestritten habe, nicht der Fall gewesen. Da sich die Schwiegertochter mit ihren Eltern wegen ihrer Verehelichung überworfen gehabt habe, hätte eine gerichtliche Auseinandersetzung erfolgen müssen, die den Weg zu einer späteren Aussöhnung aber endgültig verbaut und die junge Familie erheblich belastet hätte. Die Kläger hätten daher ihrer sittlichen Verpflichtung, auch die Familie des Sohnes zu unterhalten, zuwidergehandelt, wenn sie von der Schwiegertochter eine gerichtliche Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche verlangt oder unter Berufung auf diese Möglichkeit ihre Leistungen eingestellt hätten.
Mit der - zugelassenen - Revision führt das FA aus: Das FG habe unter Verkennung des Begriffs der Zwangsläufigkeit (§ 33 Abs. 2 EStG) zu Unrecht eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung an die Schwiegertochter angenommen. Eine Unterhaltspflicht aus sittlichen Gründen setze voraus, daß der Berechtigte bedürftig sei. Bedürftigkeit - und damit die Notwendigkeit der Aufwendungen - liege aber nicht vor, wenn der Unterhaltene eigene Mittel zu seinem Unterhalt aufbringen könne (Abschn. 190 Abs. 2 EStR). Dem FG sei zuzugeben, daß der Einsatz der eigenen Arbeitskraft der Schwiegertochter nicht in Betracht gekommen sei. Dem FG könne aber nicht gefolgt werden, wenn es nach dem vorgetragenen Sachverhalt die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der Schwiegertochter gegen die eigenen Eltern als unzumutbar bezeichne. Die von den Klägern dargelegten besonderen familiären Verhältnisse bei ihrer Schwiegertochter rechtfertigten es für sich allein noch nicht, die Durchsetzung solcher Ansprüche für unzumutbar zu halten. Habe es die Schwiegertochter aus rein persönlichen Gründen unterlassen, ihre Eltern für ihren Unterhalt in Anspruch zu nehmen, so verzichte sie insoweit auf die Ausschöpfung einer Einkommensquelle. Dieser Verzicht führe dazu, daß die Unterhaltsleistungen der Kläger an ihre Schwiegertochter nicht nach dem Gesetz als zwangsläufig anzusehen seien. Im übrigen hätten die Kläger, die sich auch darauf beriefen, daß der Vater ihrer Schwiegertochter nichts zum Unterhalt seiner Tochter beisteuern könne, Nachweise über die finanziellen Verhältnisse des Vaters nicht vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1967 kann ein Betrag bis zu 1 200 DM jährlich vom Einkommen abgezogen werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 EStG) Aufwendungen für den Unterhalt von Persenen erwachsen, für die er keinen Kinderfreibetrag erhält. Voraussetzung für die Gewährung des Freibetrages ist nach Satz 2 und 3 der Vorschrift, daß die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen hat und ihr auch keine nennenswerten Einkünfte oder Bezüge zur Verfügung stehen, die zur Bestreitung ihres Unterhalts bestimmt sind. Zu Recht hat das FG angenommen, daß sich die Kläger aus sittlichen Gründen den Aufwendungen für den Unterhalt der Schwiegertochter nicht haben entziehen können.
Das FG hat den Begriff der Zwangsläufigkeit (§ 33 Abs. 2 EStG) nicht verkannt. Zwar kann sich nicht jeder Steuerpflichtige, der einem bedürftigen Menschen Unterhalt gewährt, darauf berufen, daß er sich diesen Aufwendungen aus sittlichen oder tatsächlichen Gründen nicht habe entziehen können, denn eine allgemeine, steuerlich anzuerkennende sittliche Pflicht, bedürftige Mitbürger zu unterstützen, besteht nicht. Das beruht darauf, daß im allgemeinen die dem Bedürftigen persönlich näherstehenden Angehörigen für eher verpflichtet gehalten werden, diesen zu unterstützen. Folgerichtig kann eine sittliche Pflicht zur Gewährung von Unterhalt dann in der Regel nicht verneint werden, wenn der Unterhalt Angehörigen i. S. des § 10 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) gewährt wird (vgl. schon Urteil vom 8. April 1954 IV 342/53 U, BFHE 58, 722, BStBl III 1954, 388), und zwar auch dann nicht, wenn dem Unterhaltenen gegen den Leistenden ein Rechtsanspruch nicht zusteht. Daß die Schwiegertochter in diesem Sinne zu den Angehörigen der Kläger gehört, ergibt sich aus § 10 Nr. 4 StAnpG. Im übrigen hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, daß die Kläger ihren Sohn, der seinerseits seiner Ehefrau unterhaltspflichtig war, nur dadurch sinnvoll unterstützen konnten, wenn sie zugleich auch den Unterhalt ihrer Schwiegertochter sicherstellten.
Die Schwiegertochter war auch bedürftig (§ 33 a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG). Eine zu zwangsläufigen Aufwendungen für den Unterhalt führende Bedürftigkeit ist zwar nicht anzunehmen, wenn der Unterhaltene seine Möglichkeiten, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, nicht ausschöpft. So hat der Senat im Urteil vom 9. Dezember 1966 VI R 196, 197/66 (BFHE 88, 119, BStBl III 1967, 308) eine außergewöhnliche Belastung eines Verlobten verneint, der seine Braut während ihres Studiums unterhalten hatte. Im Streitfall hat das FG jedoch aufgrund eines ärztlichen Attestes festgestellt, daß die Schwiegertochter der Kläger bis zu ihrer Niederkunft tatsächlich nicht imstande gewesen ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und daß ihr dies auch in der Zeit danach nicht zuzumuten gewesen sei. Ob in den auf das Streitjahr folgenden Jahren der Schwiegertochter nicht zugemutet werden kann, ein Arbeitsverhältnis einzugehen, ist im Streitfall nicht zu entscheiden. Im Streitjahr haben die Kläger ihre Schwiegertochter lediglich in den auf die Entbindung folgenden drei bis vier Monaten unterhalten. Da nach § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung Mütter acht bis zwölf Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden dürfen, konnte das FG annehmen, daß der Schwiegertochter im Streitjahr 1967 eine Arbeitsaufnahme nicht zuzumuten war.
Die Bedürftigkeit der Schwiegertochter ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil sie Angehörige hat, die es jedoch ablehnten, ihren Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen. Angesichts der geringen steuerlichen Auswirkung war es nicht vertretbar zu verlangen, daß die Schwiegertochter zum Nachweis ihrer Bedürftigkeit zunächst eine Unterhaltsklage gegen ihre zum Unterhalt verpflichteten Angehörigen erhob.
Fundstellen
Haufe-Index 71442 |
BStBl II 1975, 629 |
BFHE 1975, 349 |