Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zum Unterschied von Zeitrenten und abgekürzten Leibrenten.
Die Neuregelung der Rentenbesteuerung in § 22 Ziff. 1a und § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 gilt nicht nur für (entgeltliche) Veräußerungsrenten, sondern auch für unentgeltlich begründete Renten.
Zeitlich befristete wiederkehrende Versorgungsleistungen sind in der Regel nur dann als Renten zu behandeln, wenn sie für einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren zugesagt werden.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 22/1/a, § 33a/1; EStDV § 55 Abs. 2
Tatbestand
Der Bg. verpflichtete sich am 26. März 1953 in einer notariellen Urkunde, seiner von ihrem Ehemann getrennt lebenden Schwester mit Rücksicht auf ihre Bedürftigkeit in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis 31. Dezember 1957 eine monatliche Rente von 100 DM zu zahlen. Die daraufhin in den Jahren 1953 und 1954 gezahlten Beträge von je 1.200 DM erkannte das Finanzamt als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG) an. Für das Streitjahr 1955 bestritt es, daß eine Rente vorliege; eine Rente setze eine längere Laufzeit als fünf Jahre voraus. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es führte im wesentlichen aus: Die Zeitdauer von fünf Jahren sei ausreichend. Es sei zwar streitig, für welche Mindestzeit eine Zahlungsverpflichtung eingegangen sein müsse, um als Rente gelten zu können. In der heutigen schnellebigen Zeit dürfe aber die Zeitspanne nicht zu groß bemessen werden; es liege auch im öffentlichen Interesse, Abmachungen der hier vorliegenden Art steuerlich zu fördern. Zweifelhaft sei wiederum, ob der volle Betrag von 1.200 DM oder gemäß §§ 25 und 28 EStDV 1955 nur ein Betrag von (90 v. H. von 1.200 =) 1.080 DM abgezogen werden könne. Nach der Fassung der §§ 10 Abs. 1 Ziff. 1 und 22 Ziff. 1 a EStG 1955 beziehe sich die Neuregelung nicht nur auf entgeltlich, sondern auch auf unentgeltlich erworbene Leibrenten (Brockhoff "Finanz-Rundschau" 1956 S. 53). Die Gerichte könnten nicht berücksichtigen, ob die gesetzliche Gleichbehandlung von entgeltlich und unentgeltlich erworbenen Leibrenten zu unbefriedigenden Ergebnissen führe. Die Neuregelung beziehe sich indessen nur auf Leibrenten, nicht auf Zeitrenten. Diese würden wegen ihrer kurzen Laufzeit nicht zum sonstigen Vermögen im Sinne des Bewertungsgesetzes (BewG) gerechnet (§ 67 Ziff. 4 BewG). Die Auffassung, daß ab 1. Januar 1955 Leibrenten und Zeitrenten gleichbehandelt werden müßten (so Brockhoff, "Finanz-Rundschau" 1956 S. 440; Theis, "Der Betrieb" Beilage 11 zu Nr. 26/1956 unter C II 8; derselbe "Der Betrieb" 1956 S. 1092) sei abzulehnen. über den klaren Wortlaut des Gesetzes, daß die Neuregelung nur für Leibrenten gelte, könne man nicht hinweggehen.
Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitfrage beigetreten war, führte im wesentlichen aus:
Die Auffassung des Finanzgerichts, es liege eine Zeitrente vor, treffe nicht zu. Wenn man überhaupt eine Rente annehmen wolle, so handele es sich um eine abgekürzte Leibrente. Leibrenten im Sinn des § 22 Ziff. 1 a und des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStG 1955 seien regelmäßig wiederkehrende, gleichmäßige Bezüge (Leistungen) in Geld oder Geldeswert, deren Dauer von der Lebenszeit einer Person abhänge, sofern ein Stammrecht (Rentenrecht) begründet sei, dessen Früchte die einzelnen Rentenzahlungen seien (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 67 S. 212; Bd. 150 S. 390; Gutachten des Reichsfinanzhofs I D 3/20 vom 7. Januar 1921, Slg. Bd. 4 S. 244). Zeitrenten endeten ohne Rücksicht auf die Lebensdauer einer Person mit dem Ablauf der vereinbarten Zeit; im übrigen beruhten sie wie Leibrenten auf einem Stammrecht. Abgekürzte Leibrenten seien Leibrenten, die nur für eine bestimmte Zeit (Höchstlaufzeit) vereinbart seien; sie seien aber bis zum Ablauf der Höchstlaufzeit nur zu zahlen, wenn der Empfänger den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt erlebe. Im Gegensatz zu den Zeitrenten, die immer erst mit dem Ablauf der vereinbarten Zeit endeten, erlöschten also die abgekürzten Leibrenten schon vorher mit dem Tod des Begünstigten. Für den Streitfall sei anzunehmen, daß der Bg. die Zahlungen, die er seiner Schwester wegen ihrer Bedürftigkeit zugesagt habe, nicht über deren Tod hinaus habe leisten wollen.
Die streitigen Unterhaltsleistungen des Bg. an seine Schwester seien aber wohl überhaupt keine Rente, weil die vertraglichen Leistungen nicht während eines längeren Zeitraums gezahlt würden. Wie lange der Zeitraum sein müsse, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab (Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 75/55 U vom 12. April 1957, BStBl 1957 III S. 275, Slg. Bd. 65 S. 109, mit weiteren Angaben). Bei der verhältnismäßig kurzen Laufzeit von fünf Jahren handele es sich um Zahlungen für einen vorübergehenden Zweck. Sie könnten darum nicht anders als kurzfristige Studienzuschüsse behandelt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 352/51 U vom 24. Januar 1952, BStBl 1952 III S. 48, Slg. Bd. 56 S. 115).
Es sei auch zweifelhaft, ob die Schwester ein Rentenstammrecht erworben habe. Ein Rentenstammrecht liege nicht vor, wenn die Rente nicht unabhängig und losgelöst von den künftigen wirtschaftlichen Verhältnissen der Beteiligten für die Laufzeit der Rente zugesagt werde, sondern die einzelnen Leistungen von der Bedürftigkeit des Rentenberechtigten abhängig blieben (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 150 S. 390; Reichsgerichtsräte-Kommentar, 10. Aufl. 1953, Anm. 1 zu § 759 BGB). Fortlaufende Unterhaltsleistungen seien, selbst wenn sie als "Rente" bezeichnet würden, eine fortlaufende Reihe selbständiger Ansprüche. Der Bg. habe sich verpflichtet, seiner Schwester, die auch von ihrem geschiedenen Ehemann Unterhaltszahlungen erhalte, zusätzliche Leistungen "mit Rücksicht auf deren Bedürftigkeit zu gewähren". Nach Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 111 S. 287 sei in der Regel anzunehmen, daß in solchen Fällen die Leistungen unter dem stillschweigenden Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse stünden; die zugesagten Leistungen blieben also von der Bedürftigkeit des Empfängers abhängig. Der Bg. habe deshalb die Leistungen einstellen oder einschränken können, wenn seine Schwester der Unterstützung nicht mehr bedürfe.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Der Senat tritt dem Bundesminister der Finanzen darin bei, daß - vorausgesetzt, daß man überhaupt eine Rente annehmen kann - keine Zeitrente, sondern eine abgekürzte Leibrente im Sinne von § 55 Abs. 2 EStDV 1955 und Abschn. 167 Abs. 5 EStR 1955 vorliegt. Nach dem Wortlaut der notariellen Urkunde wollte der Bg. mit den vereinbarten Leistungen seiner Schwester wegen deren Bedürftigkeit helfen. Daraus muß man folgern, daß die Leistungen auf jeden Fall enden sollten, wenn die Schwester vor Ablauf der Vertragszeit starb. Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Bg. auf die ihm bekanntgegebene Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen hin allerdings vorgetragen, die Beihilfe habe in erster Linie zur Ausbildung der beiden Söhne der Schwester dienen sollen. Abgesehen davon, daß diese Behauptung erstmalig im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgestellt worden ist, kann ihr angesichts des Wortlauts der notariellen Urkunde keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Im Gegensatz zur Auffassung des Finanzgerichts kann also die notarielle Vereinbarung nicht als Zusage einer Zeitrente gewürdigt werden. Damit erübrigt sich eine Stellungnahme zu der vom Finanzgericht behandelten Streitfrage, ob Zeitrenten anders zu behandeln sind als die in § 22 Ziff. 1 a und § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 allein erwähnten Leibrenten.
In der Streitfrage, ob zu den in § 22 Ziff. 1 a und § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 erwähnten Leibrenten auch unentgeltlich, also durch Schenkung oder letztwillige Verfügung, begründete Leibrenten gehören, tritt der Senat der Auffassung des Finanzgerichts bei. Weil das Gesetz nicht zwischen entgeltlich und unentgeltlich begründeten Leibrenten unterscheidet, könnte nur aus besonderen Gründen im Wege der Gesetzesauslegung diese Unterscheidung eingeführt werden. Mit Recht hat allerdings Hoffmann (Finanz- Rundschau 1956 S. 512) darauf hingewiesen, daß die änderung in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sich nur auf (entgeltliche) Veräußerungsrenten, nicht auf Versorgungsrenten bezogen habe und daß es infolgedessen nahegelegen hätte, im EStG 1955 nur die Behandlung der Veräußerungsrenten neu zu regeln. Es trifft auch zu, daß die gesetzliche Gleichstellung von entgeltlich und unentgeltlich eingeräumten Rentenrechten in manchen Fällen zu wirtschaftlich nicht überzeugenden Ergebnissen führen kann (vgl. Flume, "Der Betrieb" 1955 S. 833; Littmann, Einkommensteuerrecht, 6. Aufl. 1959, Anm. 62 zu § 10 EStG). Es hätte darum vielleicht manches dafür gesprochen, die Unterscheidung, die in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entwickelt worden war, bei der gesetzlichen Neuregelung beizubehalten. Die Gleichbehandlung führt vor allem oft zu einer Schlechterstellung des Rentenverpflichteten, weil dieser nicht mehr wie früher die vollen Leistungen, sondern nur den nach § 22 Ziff. 1 a EStG 1955 beim Empfänger steuerpflichtigen Teil der Leistungen als Sonderausgaben absetzen kann. Der Einwand, daß andererseits die Rentenberechtigten steuerlich entlastet würden, ist theoretisch richtig. In vielen Fällen tritt aber der wirtschaftliche Ausgleich im Ergebnis doch nicht ein, weil der Empfänger überhaupt nicht oder nur gering besteuert wird, während der Geber gewöhnlich das höhere Einkommen hat. Es ist indessen nicht möglich, auf Grund dieser und ähnlicher Erwägungen das Gesetz dahin auszulegen, daß unentgeltlich eingeräumte Rentenrechte nicht unter § 22 Ziff. 1 a und § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 fallen; denn hier handelt es sich um Fragen der Steuerpolitik und der Zweckmäßigkeit der gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber wollte in § 22 Ziff. 1 EStG 1955 die Rentenbesteuerung in vollem Umfang neu regeln und dabei durch Typisierung und Einführung von Tabellen die Rechtslage vereinfachen. Er hat offenbar nur des Vereinfachungszwecks wegen auch bewußt nicht zwischen entgeltlich und unentgeltlich erworbenen Renten unterschieden; die dabei in Einzelfällen eintretenden Mehrbelastungen hat er gewollt. Geht man davon aus, so ist es, wie übrigens auch die herrschende Meinung annimmt, nicht möglich, entgegen dem Wortlaut des Gesetzes, der in sich klar ist und auch einen guten Sinn ergibt und in dem der wirkliche Wille des Gesetzgebers sich zutreffend widerspiegelt, zwischen entgeltlich und unentgeltlich erworbenen Leibrenten zu unterscheiden (vgl. Brockhoff, Finanz-Rundschau 1956 S. 440; Theis, "Der Betrieb" 1956 S. 1092; Hartz, "Der Betrieb" 1956 S. 696; Lantau, "Der Betriebs-Berater" 1955 S. 1054).
Im Streitfall kommt es aber auf diese Zweifelsfrage nicht entscheidend an. Denn mit Recht macht der Bundesminister der Finanzen entgegen der Auffassung des Finanzgerichts geltend, daß die vereinbarte fünfjährige Laufzeit nicht genüge, um die wiederkehrenden Leistungen zu einer Rente zu machen. Das Finanzgericht geht im Anschluß an die ständige Rechtsprechung selbst davon aus, daß wiederkehrende Zahlungen nur Renten sind, wenn sie über eine längere Zeit geleistet werden. Das ergibt sich daraus, daß das Gesetz "Renten" und "dauernde Lasten" gleichstellt. Die Rechtsprechung hat eine Mindestlaufdauer bisher nicht festgelegt; sie stellte auf die Umstände des einzelnen Falles ab. Im Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 420/31 vom 19. August 1931 (RStBl 1931 S. 910) war ein Zeitraum von 12 Jahren als ausreichend bezeichnet worden; die Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 352/51 U vom 24. Januar 1952 (BStBl 1952 III S. 48, Slg. Bd. 56 S. 115) sah eine zwei- bis dreijährige Studienbeihilfe an einen Neffen nicht als Rente an; in der Entscheidung des Senats VI 75/55 U vom 12. April 1957 (a. a. O.) wurde bei einer Versorgungszusage an die Schwiegermutter auch ein Zeitraum von vier Jahren noch nicht für ausreichend gehalten. Um eine für die Besteuerungspraxis brauchbare Grenze zu schaffen, nimmt der Senat an, daß bei zeitlich befristeten Renten in der Regel ein Zeitraum von 10 Jahren erforderlich und ausreichend ist. Dafür spricht insbesondere, daß nach § 67 Ziff. 4 BewG zeitlich befristete Renten nur zum sonstigen Vermögen rechnen, wenn sie auf die Dauer von mindestens 10 Jahren geschuldet werden.
Da das Finanzgericht von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, muß seine Entscheidung wegen unrichtiger Anwendung des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 aufgehoben werden. Aber auch die Einspruchsentscheidung des Finanzamts ist aufzuheben, damit das Finanzamt prüft, in welchem Umfang die Leistungen des Bg. nach § 33 a EStG 1955 zu berücksichtigen sind. Erhält die Schwester des Bg. auch von ihrem Ehemann Zahlungen, die bei dem Ehemann nach § 33 a EStG berücksichtigt werden, so ist § 33 a Abs. 1 letzter Satz EStG 1955 zu beachten.
Fundstellen
Haufe-Index 409464 |
BStBl III 1959, 463 |
BFHE 1960, 542 |
BFHE 69, 542 |