Leitsatz (amtlich)
Eine unselbständige Anschlußrevision ist innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung einzulegen und zu begründen (Abweichung von den Urteilen vom 12. Januar 1968 IV R 111/66, BFHE 91, 145, BStBl II 1968, 207 und vom 9. Juli 1969 I R 188/67, BFHE 96, 397, BStBl II 1969, 690).
Normenkette
FGO § 155; ZPO i.d.F. der Novelle vom 8. Juli 1975 § 556
Verfahrensgang
Tatbestand
Die nunmehrige Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionsklägerin (Klägerin) ist im Zuge mehrerer Umwandlungen Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglichen Klägerin, einer bergrechtlichen Gewerkschaft, geworden, die ihre Betriebsergebnisse aufgrund eines Ergebnisausschlußvertrages an ihre Hauptgewerkin Muttergesellschaft) abzuführen hatte.
Bei einer Betriebsprüfung war der Prüfer zu der Auffassung gelangt, daß die Muttergesellschaft durch ihre Angestellten "Arbeitsleistungen in erheblichem Umfang" vollbringen ließ, ohne daß sie hierfür ein Entgelt erhielt. Der Prüfer beurteilte die Leistungen als freiwillige Leistungen im Sinne des § 2 Nr. 4 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1955/1959.
Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte wegen der das Kalenderjahr 1959 betreffenden Vorgänge Gesellschaftsteuer fest. Im ersten Rechtsgang hob der erkennende Senat das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) auf und verwies die Sache an das FG zurück (vgl. das Urteil vom 8. Oktober 1975 II R 94/70, BFHE 117, 109, BStBl II 1976, 24).
Im zweiten Rechtsgang hat das FG der Klage (unter Zulassung der Revision) zum Teil stattgegeben; zum Teil hat es sie abgewiesen (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 143 - EFG 1978, 143 -). Steuerpflicht bestehe nur wegen der bis zum 26. Mai 1959 erbrachten Leistungen (§ 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1955). Die später erbrachten Leistungen fielen nicht unter § 2 Nr. 4 KVStG 1959.
Das FA hat Revision eingelegt. Die Revisionsbegründung ist der Klägerin mittels eingeschriebenen Briefes, der am 3. Februar 1978 zur Post gegeben wurde, zugestellt worden.
Mit Schreiben vom 5. März 1979, das am 6. März 1979 beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, hat die Klägerin Anschlußrevision eingelegt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt. Auch für die Zeit vom 1. Januar bis 26. Mai 1959 lägen keine freiwilligen Leistungen vor.
Entscheidungsgründe
Die nach Ablauf der Revisionsfrist eingelegte Anschlußrevision der Klägerin ist als unselbständige Anschlußrevision statthaft, weil von dem Beklagten eine zulässige Hauptrevision eingelegt worden ist (vgl. Urteil vom 30. Juni 1967 VI R 104/66, BFHE 89, 337, BStBl III 1967, 655, ständige Rechtsprechung). Sie ist zulässig, obwohl sie nicht innerhalb der Frist des über § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltenden § 556 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - (i. d. F. der Novelle vom 8. Juli 1975, BGBI I, 1863) eingelegt worden ist. Denn der Klägerin ist wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
1. In der Rechtsprechung des BFH ist bisher die Auffassung vertreten worden, daß die unselbständige Anschlußrevision nicht befristet sei und daß sie deshalb auch noch während der mündlichen Verhandlung eingelegt werden könne (vgl. die Urteile vom 12. Januar 1968 IV R 111/66, BFHE 91, 145, BStBl II 1968, 207 und vom 9. Juli 1969 I R 188/67, BFHE 96, 397, BStBl II 1969, 690; unentschieden das Urteil vom 4. Oktober 1968 III R 6/67, BFHE 94, 108, BStBl II 1969, 78). Eine sinngemäße Anwendung der früheren Fassung des § 556 Abs. 1 ZPO insoweit, als die unselbständige Anschlußrevision nach dieser Vorschrift bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist einzulegen war, ist vor allem deshalb abgelehnt worden, weil im Revisionsverfahren vor dem BFH dem Revisionsbeklagten die Einlegung der Revision meist erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist bekannt werde und deshalb bei einer sinngemäßen Anwendung des § 556 Abs. 1 ZPO für die Einlegung einer unselbständigen Anschlußrevision in der Mehrzahl der Fälle die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erforderlich sei. Deshalb sei es angemessen, auf die unselbständige Anschlußrevision § 141 i. V. m. § 127 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuwenden, zumal in der vom Bundestag seinerzeit zunächst verabschiedeten Fassung der Finanzgerichtsordnung, die allerdings nicht Gesetz geworden sei, vergleichbare Vorschriften vorgesehen gewesen seien.
Diesen Überlegungen ist durch die Novelle zur Zivilprozeßordnung vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1863) weitgehend die Grundlage entzogen worden. Nunmehr schreibt § 556 Abs. 1 ZPO vor, daß der Revisionsbeklagte sich der Revision bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung anschließen kann. Damit erhält der Revisionsbeklagte, der keine selbständige Revision eingelegt hat oder sie nicht einlegen konnte, in jedem Fall eine Überlegungsfrist von einem Monat, innerhalb derer er sich entscheiden kann, ob er sich der Hauptrevision anschließen will. Diese Regelung ist auch für das Revisionsverfahren vor dem BFH sinnvoll. Einer sinngemäßen Anwendung dieser Vorschrift über § 155 FGO steht deshalb nichts im Wege. Auch für das Revisionsverfahren vor dem BFH entspricht es dem Wesen der Revision als eines auf die Rechtsüberprüfung gerichteten Rechtsmittels, daß auch der Revisionsbeklagte sich innerhalb einer bestimmten Frist darüber schlüssig werden muß, ob und inwieweit er das Urteil des FG angreifen will. Unberührt hiervon bleibt für ihn die Möglichkeit, der Hauptrevision bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung mit Gegenrügen entgegenzutreten (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1970 IV R 72/69, BFHE 99, 21, BStBl II 1970, 497).
Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung auch davon leiten lassen, daß das Bundessozialgericht (BSG) § 556 Abs. 1 ZPO über § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) schon immer entsprechend angewendet hat (vgl. zuletzt das Urteil vom 21. Juli 1977 7 RAr 12/76, BSGE 44, 184).
Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Anrufung des Großen Senats vorliegen (vgl. § 11 Abs. 3 FGO), bedarf keiner Prüfung, weil alle Senate des BFH der Auffassung des erkennenden Senats zur Befristung der unselbständigen Anschlußrevision zugestimmt haben.
Eine Anrufung des Gemeinsamen Senats wegen einer etwaigen Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 28. Oktober 1970 VI C 55.68 (BVerwGE 36, 218, 224) kommt nicht in Betracht, weil für das Revisionsverfahren vor dem BVerwG eine andere Gesetzeslage besteht (vgl. § 141 i. V. m. § 127 VwGO).
2. Hat die Klägerin danach die Anschlußrevisionsfrist versäumt, so ist ihr jedoch (von Amts wegen) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO); denn die Versäumung der Anschlußrevisionsfrist war unverschuldet. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des BFH (abgesehen von der Haltung des III. Senats in der Entscheidung in BFHE 94, 108, BStBl II 1969, 78) und der in der Literatur vertretenen Auffassungen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 115 FGO, Tz. 112; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 106; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 120 Tz. 3 B; Ziemer/Birkenholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 121, Tz. 11; Ziemer/Haarmann/Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9945; Kühn/Kutter, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 120 FGO Anm. 3) ist es entschuldbar, daß sich die Klägerin auf die Beständigkeit der bisherigen Rechtsprechung verlassen hat. Es kann ihr auch nicht angelastet werden, daß sie (und ihre Prozeßbevollmächtigten) keine Schlußfolgerungen aus der Novellierung des § 556 ZPO im Jahre 1975 gezogen haben. Denn entsprechende Folgerungen sind auch in der neueren Kommentarliteratur zur Finanzgerichtsordnung nicht gezogen worden (vgl. z. B. Tipke/Kruse, a. a. O., § 115 Tz. 112 - Lieferung 36 vom Dezember 1980 -).
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert nicht an § 56 Abs. 3 FGO, weil die begründete Anschlußrevision beim BFH innerhalb eines Jahres nach dem Ende der Anschlußrevisionsfrist eingegangen ist.
3. Die unselbständige Anschlußrevision ist auch nicht deshalb unzulässig, weil sie einen anderen Zeitraum betrifft als die Hauptrevision. Die von der Rechtsprechung des BFH geforderte Konnexität (vgl. zuletzt das Urteil vom 3. Juli 1979 VII R 53/76, BFHE 128, 158, BStBl II 1979, 655; anderer Meinung Klamaris, Das Rechtsmittel der Anschlußberufung, 1975 S. 211, unter Hinweis vor allem auf Schrifttum und Rechtsprechung zur Zivilprozeßordnung) zwischen Hauptrevision und Anschlußrevision ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Das FA hat wegen der von ihm angenommenen Leistungen der Muttergesellschaft während des Kalenderjahres 1959 einen einheitlichen Steuerbescheid erlassen, ohne in diesem Bescheid danach zu unterscheiden, inwieweit die Leistungen vor dem 27. Mai 1959 (während der Geltung des KVStG 1955) und nach dem 26. Mai 1959 (während der Geltung des KVStG 1959) erbracht worden sind. Wenn auch die Gesellschaftsteuer keine Zeitraumsteuer ist, so ist doch bei Leistungen, wie sie im vorliegenden Fall im Streit sind, unverkennbar daß sinnvoll nur die Erfassung der in einem bestimmten Zeitraum ausgeführten Leistungen in einem einheitlichen Steuerbescheid ist. Bei einer anderen Auffassung ergäbe sich eine nicht gerechtfertigte Abweichung zu der Behandlung der Veranlagungsteuern und der im Abrechnungsverfahren (vgl. z. B. §§ 24ff. der Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsverordnung 1960) erhobenen Steuern.
Eine Abweichung von dem Urteil des VII. Senates in BFHE 128, 158, BStBl II 1979, 655, liegt nicht vor, obwohl dort ebenfalls über einen Bescheid, nämlich einen Haftungsbescheid, zu entscheiden war. Indessen faßte dieser Bescheid fünf ohne weiteres unterscheidbare Haftungsfälle erkennbar zusammen so daß die Annahme des VII. Senats vertretbar war, die unselbständige Anschlußrevision sei deshalb unzulässig, weil sie einen anderen Haftungsfall beträfe als die Hauptrevision.
Fundstellen
Haufe-Index 413626 |
BStBl II 1981, 534 |
BFHE 1981, 155 |