Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer KG für deren Umsatzsteuerschulden
Leitsatz (NV)
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH haftet in Fällen, in denen eine GmbH persönlich haftender Gesellschafter einer KG ist, der Geschäftsführer der GmbH für Steuerschulden der KG, sofern er schuldhaft die ihm obliegenden steuerrechtlichen Pflichten verletzt hat und dadurch Steueransprüche verkürzt worden sind.
2. Zur Ausübung und Begründung des Ermessens bei der Inanspruchnahme des Geschäftsführers als Haftenden an Stelle der Komplementär-GmbH.
3. Die Inanspruchnahme des Geschäftsführers nach § 109 AO als Haftenden erfordert nicht deshalb ein mindestens grob fahrlässiges Verhalten, weil der Haftungsbescheid erst nach Inkrafttreten des § 69 AO 1977 ergangen ist.
4. Ein Verschulden des Geschäftsführers kann sich in Fällen, in denen Mittel zur Bezahlung einer Umsatzsteuerschuld im Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr vorhanden waren, daraus ergeben, daß die Mittel bei Beachtung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsmannes hätten zur Verfügung stehen müssen.
5. Zu einer Verkürzung von Umsatzsteueransprüchen können auch Voranmeldungen führen, wenn darin zu Unrecht Umsatzsteuern als vorsteuerabzugsfähig aufgenommen werden. Die Verkürzung ist schuldhaft, wenn der Geschäftsführer hätte erkennen müssen, daß die Voranmeldungen zu hohe Vorsteuern ausweisen.
Normenkette
AO §§ 103, 105, 109; AO 1977 § 69; EGAO 1977 Art. 97 § 11
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, der Komplementärin der A-KG. Beide Gesellschaften sind inzwischen aufgelöst und wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden. Die A-KG befaßte sich mit Verkauf und Planung von Spezialerzeugnissen, die von der B-KG hergestellt wurden. Beide KGen arbeiteten eng zusammen. Die A-KG versteuerte ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten. 1973 schlossen beide KGen eine Provisionsvereinbarung, nach der die A-KG gegen Provision die Preisgestaltung sowie die kaufmännische und technische Abwicklung aller von der B-KG ausgeführten Umsätze übernahm und nach der die Fakturierung der einzelnen Fertigungsaufträge von der B-KG über die A-KG geleitet werden mußte. Die Zahlung der Provision bzw. ihre Verrechnung sollte nach dieser Vereinbarung jeweils am 31. Dezember eines Jahres erfolgen. Die Vereinbarung wurde für beide KGen vom Kläger unterschrieben. Im Januar 1974 vereinbarten die KGen, daß in den der A-KG in Rechnung gestellten Verrechnungspreisen für die Erzeugnisse die Konstruktionskosten, die bei der B-KG angefallen waren, enthalten sein sollten. Dennoch wurden von Januar bis August 1974 der A-KG von der B-KG weiterhin gesonderte Konstruktionskostenrechnungen erteilt, in denen die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen war. Bei den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen zog die A-KG die in diesen Rechnungen ausgewiesene Vorsteuer ab. Die Voranmeldungen ergaben infolgedessen größtenteils Vorsteuerüberschüsse und nur teilweise auch eine Umsatzsteuerschuld. In einer Aktennotiz vom Dezember 1974, in deren Verteiler u.a. auch der Kläger und dessen Ehefrau aufgenommen waren, teilte die B-KG der Buchhaltung der A-KG mit, daß die Konstruktionskostenrechnungen für Januar bis August 1974 zu stornieren seien. Vom 1. Januar 1975 an machte die A-KG keine Umsätze mehr. Im Januar 1975 standen dieser KG neben anderen Mitteln 270 000,- DM Provision von der B-KG zur Verfügung. Diese wurden zur Regulierung von Außenständen verwendet.
Der A-KG war die Frist zur Abgabe der monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen und -vorauszahlungen für 1974 um jeweils einen Monat verlängert worden. Im Februar 1975 gab die A-KG eine Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1974 mit einer Steuerschuld von 26 000 DM ab. Die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1974 gab die A-KG im November 1976 ab; sie meldete eine Abschlußzahlung in Höhe von 58 000 DM an. Zur Abgabe dieser Umsatzsteuerjahreserklärung war eine Frist bis zum 28. Februar 1976 beantragt und gewährt worden.
Auf die genannten Steueranmeldungen leistete die A-KG keine Zahlungen. Ihre Umsatzsteuerschuld für das Jahr 1974 betrug nach diesen Anmeldungen somit 84 000 DM. Wegen dieser Umsatzsteuerschuld erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im August 1977 einen Haftungsbescheid gegen den Kläger über 83 000 DM. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Nach Erhebung der Klage erließ das FA einen Berichtigungsbescheid, in dem die Haftungssumme auf 82 000 DM festgesetzt wurde. Dieser Bescheid wurde auf Antrag des Klägers zum Gegenstand des Verfahrens vor dem Finanzgericht (FG).
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Der Kläger legte mit folgender Begründung Revision ein:
Als Haftungsschuldner könne allenfalls die GmbH, nicht aber er - der Kläger - in Anspruch genommen werden. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stehe dem zwar entgegen. Der BFH habe für seine Ansicht aber keine überzeugende und schlüssige Begründung geliefert. - Da der Haftungsbescheid im Streitfall erst zu einer Zeit ergangen sei, in der § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht mehr gegolten habe, sei im Rahmen der Anwendung des § 109 AO die Regelung in § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) zu berücksichtigen, so daß eine Haftung bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung entfalle. Aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit müsse der dem § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) innewohnende Rechtsgedanke auf Sachverhalte der vorliegenden Art einwirken. - Die Haftungssumme bestehe aus der Steuerschuld von 26 000 DM aus der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1974 und aus der Steuerschuld von 58 000 DM aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 1974. Hinsichtlich des Betrages von 26 000 DM sei den Entscheidungsgründen des FG nicht zu entnehmen, worin konkret die Fahrlässigkeit des Klägers liegen solle.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger nach § 109 AO für die Umsatzsteuer in Höhe von 82 000 DM haftet und daß der Berichtigungsbescheid infolgedessen rechtmäßig ist.
1. Der Auffassung des Klägers, daß der Bescheid schon deshalb nicht rechtmäßig sei, weil persönlich haftender Gesellschafter der A-KG die GmbH und nicht der Kläger sei, kann nicht gefolgt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 21. Januar 1972 VI R 187/68, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364; vom 11. August 1978 VI R 169/75, BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683; vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, und vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776) haftet in Fällen, in denen eine GmbH persönlich haftender Gesellschafter einer KG ist, der Geschäftsführer der GmbH, sofern er schuldhaft die ihm und der GmbH nach den §§ 103, 105 AO obliegenden Pflichten verletzt hat und dadurch Steueransprüche verkürzt worden sind. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung.
Diese Haftung wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß auch die GmbH nach § 109 AO für die Verkürzung der Steueransprüche durch schuldhafte Pflichtverletzung haftet; denn sie haftet allenfalls neben dem Geschäftsführer (vgl. BFHE 141, 443, 446, BStBl II 1984, 776). Ob das im Streitfall zutrifft, braucht aber nicht entschieden zu werden. Eine solche Haftung hätte nur zur Folge, daß das FA nach seinem Ermessen darüber zu entscheiden hatte, ob es den Kläger oder die GmbH in Anspruch nehmen wollte. Anhaltspunkte dafür, daß das FA sein Ermessen insoweit fehlerhaft ausgeübt hat, sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren darauf auch nicht berufen. Darüber hinaus deuten die Feststellungen des FG darauf hin, daß ein Ermessensfehler auf Grund einer unterlassenen Inanspruchnahme der GmbH schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die GmbH aufgelöst und wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden ist und eine Inanspruchnahme der GmbH als Haftende infolgedessen keine Aussicht auf Erfolg versprach (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 AO A 5). Das spricht auch dafür, daß für den Kläger von Anfang an erkennbar war, weshalb das FA nicht die GmbH als Haftende in Anspruch genommen hat, und das FA aus diesem Grunde nicht verpflichtet war, in den Gründen des Haftungsbescheids oder der Einspruchsentscheidung auf diese Frage einzugehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 31. Mai 1983 VII R 7/81, BFHE 138, 416, 421, BStBl II 1983, 545).
2. Das FG ist bei seiner Entscheidung auch zutreffend davon ausgegangen, daß ein Verschulden i.S. des § 109 AO nicht ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten erfordert (vgl. BFH-Urteile vom 26. November 1980 I R 47/78, BFHE 132, 194, BStBl II 1981, 287; BFHE 135, 416, 418, BStBl II 1982, 521; BFHE 141, 442, 448, BStBl II 1984, 776) und daß die Regelung in § 69 AO 1977 bei der Anwendung des § 109 AO nicht zu berücksichtigen ist.
Bei der Entscheidung der Frage, ob die Regelung in § 69 AO 1977 anzuwenden ist, kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Grundgedanke berücksichtigt werden, der dem im Strafrecht geltenden Grundsatz der Anwendung des mildesten Gesetzes (§ 2 Ab. 3 StGB) innewohnt. Unter welchen Voraussetzungen § 69 AO 1977 angewandt werden darf, ist in Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) ausdrücklich und abschließend bestimmt, so daß das FG diese Vorschrift zutreffend zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Nach dieser Vorschrift kommt es für die Anwendbarkeit des § 69 AO 1977 allein darauf an, ob der haftungsbegründende Tatbestand nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht worden ist (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 16. März 1982 VII R 105/79, BFHE 135, 239, 242, BStBl II 1982, 483).
Da das im Streitfall nicht zutrifft, kann § 69 AO 1977 bei der Entscheidung über die Revision auch nicht in der Weise berücksichtigt werden, daß § 109 AO im Lichte des § 69 AO 1977 dahin ausgelegt wird, die Haftung des Klägers sei davon abhängig, daß er sich bei der für den Streitfall maßgebenden Pflichtverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig verhalten habe. Auch das wäre mit der Regelung in Art. 97 § 11 EGAO 1977 nicht vereinbar. Aus dieser Vorschrift muß entnommen werden, daß auch die Regelung in § 69 AO 1977 über das - geänderte - Schuldmaß bei der Anwendung des § 109 AO außer Betracht bleiben muß, sofern die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 69 AO 1977 nicht erfüllt sind.
3. Das FG hat auch ohne Rechtsfehler entschieden, daß der Kläger durch schuldhaftes Verhalten Pflichten i.S. des § 109 AO verletzt hat und daß dadurch Steueransprüche in dem Maße verkürzt worden sind, in dem der Kläger als Haftender in Anspruch genommen worden ist.
Der Kläger wendet insoweit lediglich ein, die Darlegungen des FG vermöchten nicht das Ergebnis zu tragen, daß ihn - den Kläger - bezüglich der Verkürzung der Umsatzsteuer auf Grund der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1974 in Höhe von 26 000 DM ein Verschulden treffe. Auch dieser Einwand greift jedoch nicht durch.
Wie sich aus den Ausführungen des FG ergibt, hat dieses dem Kläger insoweit angelastet, daß er keine Mittel zur Bezahlung dieser Umsatzsteuerschuld bereitgehalten hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, ein Verschulden daraus herzuleiten, daß die Mittel zur Bezahlung einer Umsatzsteuerschuld im Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr vorhanden sind, obwohl sie bei Beachtung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsmannes hätten zur Verfügung stehen müssen. Die Pflicht eines Geschäftsführers, dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet werden, besteht nicht erst bei Fälligkeit der Steuerschuld. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann sich auch daraus ergeben, daß der Geschäftsführer sich schuldhaft außerstande setzt, eine fällig werdende Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen (vgl. BFHE 141, 443, 448, BStBl II 1984, 776). Nach den Darlegungen des FG sind diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt.
Auch wenn bei der Entscheidung über die Revision berücksichtigt wird, daß der Kläger sich in der Vorinstanz darauf berufen hat, er habe vor Aufstellung der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1974 (im Februar 1975) nicht wissen und auch nicht ermitteln können, ob sich eine Steuerschuld oder, wie meistens in der vorhergehenden Zeit, ein Guthaben ergeben werde, so kann er mit seinem vorgenannten Einwand nicht durchdringen. Das FG hat dargelegt, daß schon die Voranmeldungen in der vorhergehenden Zeit zu einer Verkürzung von Umsatzsteueransprüchen geführt haben, weil der Kläger zu Unrecht die auf die in Rechnung gestellten Konstruktionskosten entfallende Umsatzsteuer als vorsteuerabzugsfähig in die Voranmeldungen aufgenommen hat, und daß der Kläger schon insoweit seine Sorgfaltspflichten verletzt hat. Diese Darlegungen beinhalten auch, daß der Kläger sich deshalb nicht damit entlasten kann, er habe auf Grund der Voranmeldungen in der vorhergehenden Zeit nicht mit einer Umsatzsteuerschuld als Ergebnis der Voranmeldung für Dezember 1974 zu rechnen brauchen; denn bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte er danach erkennen müssen, daß die Voranmeldungen zu hohe Vorsteuern auswiesen. Daraus ist ersichtlich, daß der Kläger bei Beachtung der ihm obliegenden Sorgfalt bei Abgabe der Voranmeldungen in der vorhergehenden Zeit nicht zu dem Ergebnis hätte kommen können, die Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1974 werde keine Umsatzsteuerschuld ausweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 414036 |
BFH/NV 1986, 129 |