Leitsatz (amtlich)
1. Eine Aufforderung zur Benennung von Zahlungsempfängern ist auch dann rechtmäßig, wenn dem Steuerpflichtigen mit Sicherheit Betriebsausgaben entstanden sind (Anschluß an BFH-Urteil vom 29.November 1978 I R 148/76, BFHE 128, 1, BStBl II 1979, 587).
2. Sind die Zahlungsempfänger zwar nicht im einzelnen benannt, aber nach den Gesamtumständen in ihrer Zusammensetzung bekannt, so sind ihre Einkommensverhältnisse bei der Höhe des nach § 160 Ao 1977 nicht abziehbaren Betrages zu berücksichtigen. Dabei gehen Unsicherheiten über die genauen Einkommensverhältnisse der Zahlungsempfänger zu Lasten des Steuerpflichtigen (Anschluß an BFH-Urteil vom 30.März 1983 I R 228/78, BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654).
Orientierungssatz
1. Das Verfahren nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 (Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern) vollzieht sich in zwei Stufen (vgl. BFH-Rechtsprechung). Zunächst entscheidet das FA nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob ein Benennungsverlangen an den Steuerpflichtigen geboten ist. Auf der zweiten Stufe ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und inwieweit die in § 160 AO 1977 genannten Ausgaben, bei denen die Empfänger nicht genau bezeichnet sind, zum Abzug zugelassen werden.
2. Für die bei Inkrafttreten des EGAO 1977 bereits anhängigen Verfahren sind die Vorschriften der AO 1977 anzuwenden, soweit das EGAO 1977 keine entgegenstehenden Regelungen enthält. Das ist nicht der Fall, soweit es um die Anwendung des § 160 AO 1977 (Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern) geht.
Normenkette
AO 1977 § 160 Abs. 1 S. 1; EGAO 1977 Art. 97 § 1 Abs. 1; AO 1977 § 5
Verfahrensgang
FG Berlin (Entscheidung vom 03.02.1986; Aktenzeichen VIII 377/84) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft. Sie betrieb in den Streitjahren 1972 bis 1978 ein Bestattungsunternehmen. Zum Ende dieses Zeitraums verfügte sie über zahlreiche Geschäftsstellen im Bundesgebiet und in Berlin.
In den Streitjahren zahlte die Klägerin für die Vermittlung von Bestattungsaufträgen an nicht benannte Empfänger jährlich steigende Provisionen in Höhe von insgesamt 430 878 DM. Die Provisionen betrugen nach ihren Angaben für den einzelnen vermittelten Bestattungsauftrag 50 DM bis 80 DM. Sie seien hauptsächlich an Krankenhausbedienstete gezahlt worden, die frühzeitig über Todesfälle unterrichtet waren.
Im Anschluß an eine im Jahre 1982 durchgeführte Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) am 9.Dezember 1983 und am 12.März 1984 geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1972 bis 1978. Darin ließ es die --zwischen den Beteiligten unstreitigen-- Provisionszahlungen nicht zum Abzug zu, da die Klägerin sich weigerte, die Empfänger der Zahlungen zu benennen. Weiterer Streitpunkt zwischen den Beteiligten war die Behandlung von Rentenzahlungen, die die Klägerin als Versorgungsrenten behandelt hatte, während das FA betriebliche Veräußerungsrenten annahm.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 476 veröffentlichten Urteil der Klage teilweise statt.
Es bestätigte die Auffassung des FA zur steuerlichen Behandlung der Rentenzahlungen, kürzte jedoch den Betrag der vom FA dem Gewinn zugerechneten Provisionszahlungen. Zwar sei das FA berechtigt gewesen, von der Klägerin zu verlangen, die Provisionsempfänger zu benennen. Es sei auch berechtigt gewesen, Provisionen vom Abzug auszuschließen. Es sei jedoch ermessensfehlerhaft gewesen, für alle Zahlungen den Betriebsausgabenabzug zu versagen. Sinn der Regelung des § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) sei die Verhinderung von Steuerausfällen. Im Streitfall sei davon auszugehen, daß die in Betracht kommenden Provisionsempfänger allenfalls mittlere Einkommen erzielten. Der für die Klägerin geltende Steuersatz werde von diesen Personen in aller Regel nicht erreicht. Unter Berücksichtigung einer Steuerbelastung der Klägerin von mindestens 56 v.H. (Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer) und einer durchschnittlichen Steuerbelastung der mutmaßlichen Empfänger von höchstens 45 v.H. seien zusätzliche Betriebsausgaben anzuerkennen.
Das FA greift mit seiner Revision das Urteil des FG an, soweit dieses Teile der Provisionszahlungen als Betriebsausgaben zugelassen hat. Das FA rügt Verletzung des § 160 AO 1977.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Entscheidung des FG zur Teil-Abziehbarkeit der Provisionszahlungen entspricht dem geltenden Recht.
a) Auf den Streitfall ist § 160 AO 1977 anzuwenden. Die angefochtenen Änderungsbescheide ergingen im Jahre 1983 im Anschluß an die Außenprüfung. Es kann dahingestellt bleiben, ob über die vorläufigen Steuerbescheide für die Jahre 1972 bis 1975 ein Verwaltungsverfahren im Sinne des Art.97 § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14.Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341) "anhängig" war. Auch für die bei Inkrafttreten des EGAO 1977 bereits anhängigen Verfahren sind die Vorschriften der AO 1977 anzuwenden, soweit das EGAO 1977 keine entgegenstehenden Regelungen enthält. Das ist nicht der Fall, soweit es um die Anwendung des § 160 AO 1977 geht.
b) Nach § 160 Abs.1 AO 1977 sind Betriebsausgaben steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Empfänger genau zu benennen. Das Verfahren nach § 160 Abs.1 Satz 1 AO 1977 vollzieht sich in zwei Stufen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30.März 1983 I R 228/78, BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654; vom 12.September 1985 VIII R 371/83, BFHE 146, 99, BStBl II 1986, 537; vom 9.April 1987 IV R 142/85, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Abgabenordnung, § 160, Rechtsspruch 7). Zunächst entscheidet das FA nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO 1977) darüber, ob ein Benennungsverlangen an den Steuerpflichtigen geboten ist. Auf der zweiten Stufe ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und inwieweit die in § 160 AO 1977 genannten Ausgaben, bei denen der Empfänger nicht genau bezeichnet ist, zum Abzug zugelassen werden.
aa) Das FG hat im Streitfall zutreffend bejaht, daß das FA die Ermessensentscheidung erster Stufe in rechtlich einwandfreier Weise getroffen hat.
Ein Benennungsverlangen ist grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn die Vermutung nahe liegt, daß der Zahlungsempfänger den Bezug zu Unrecht nicht versteuert hat (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 160 AO 1977 Tz.8; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 160 AO 1977 Anm.4). Allerdings ist das Benennungsverlangen in besonderem Maße auf seine Zumutbarkeit zu überprüfen (vgl. BFH-Urteile vom 2.März 1967 IV 309/64, BFHE 88, 287, BStBl III 1967, 396; vom 25.November 1986 VIII R 350/82, BFHE 148, 406, BStBl II 1987, 286). Das Verlangen war im Streitfall zumutbar. Zwar ist nicht auszuschließen, daß einzelne der von der Klägerin als Gruppe benannten Empfänger Verschwiegenheitspflichten verletzt haben, die ihnen als Bedienstete öffentlich-rechtlicher Körperschaften auferlegt waren. Abgesehen von steuerlichen Belastungen waren für die Empfänger jedoch keine Unannehmlichkeiten zu erwarten, da ihre Wohnsitz-FÄ an das Steuergeheimnis gebunden waren und den Arbeitgebern keine Mitteilung machen durften. Die Voraussetzungen zulässiger Offenbarung nach § 30 Abs.4 Nrn.4 und 5 AO 1977 lagen nicht vor. Im übrigen rechtfertigte auch der Gesamtbetrag der Zahlungen ein Benennungsverlangen. Auch wenn die an den einzelnen Provisionsempfänger geleisteten Zahlungen wahrscheinlich nicht bedeutend waren, so ist die Gesamtheit der streitigen Zahlungen mit 430 878 DM so hoch, daß mögliche Steuerverkürzungen in dieser Höhe gewichtiger zu bewerten sind als der Arbeitsaufwand der Klägerin bei Benennung der Empfänger und als das Interesse der Empfänger, ihre Wohnsitz-FÄ nicht zu unterrichten.
Da die Zahlungsempfänger nach Angaben der Klägerin im Inland wohnen, ist das Benennungsverlangen auch nicht etwa deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Empfänger der deutschen Besteuerung überhaupt nicht unterlagen (BFH-Urteil vom 13.März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318; Tipke/Kruse, a.a.O., § 160 AO 1977 Tz.10; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, Kommentar, § 160 Tz.4).
Das Benennungsverlangen war im Streitfall auch nicht etwa deshalb ungerechtfertigt, weil die Betriebsausgaben dem Kläger nach den Feststellungen des FG mit Sicherheit entstanden sind. Durch § 160 AO 1977 sollen diejenigen Fälle erfaßt werden, in denen nach der Lebenserfahrung der Verdacht besteht, daß die Nichtbenennung des Empfängers diesem die Nichtversteuerung ermöglichen soll (BFH-Urteil vom 29.November 1978 I R 148/76, BFHE 128, 1, BStBl II 1979, 587).
bb) Die Korrektur der Entscheidung zweiter Stufe durch das FG entsprach dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift.
Nach § 160 Abs.1 Satz 1 AO 1977 ist der Abzug der Ausgaben bei Nichtbenennung der Empfänger "regelmäßig" zu versagen. Von diesem Regelfall des umfaßenden Abzugsverbots ist zwar nur in besonderen Ausnahmefällen abzuweichen. Der Streitfall unterscheidet sich jedoch von der Mehrzahl der Anwendungsfälle des § 160 AO 1977; nach den Feststellungen des FG ist es auszuschließen, daß die Zahlungen wirtschaftlich beim Zahlenden selbst oder ihm nahestehenden Personen verblieben sind. Auch ist der Kreis der möglichen Zahlungsempfänger überschaubar. Das FG hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs.2 FGO), daß die Klägerin tatsächlich bare Provisionszahlungen für die Vermittlung von Bestattungsaufträgen an Dritte geleistet hat. Nach den Feststellungen des FG handelt es sich um Krankenhauspersonal, Angestellte der Feuerwehr und evt. noch um Polizeibeamte. In einem solchen Fall ist bei der Ermessensentscheidung zweiter Stufe zu berücksichtigen, daß die Vorschrift Steuerausfälle verhindern soll, die dadurch eintreten können, daß der Empfänger geltend gemachter Betriebsausgaben die Einnahmen bei sich nicht steuererhöhend erfaßt. Der Steuerpflichtige wird gleichsam als Haftender in Anspruch genommen (BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654).
Ist der Kreis der im einzelnen nicht benannten Zahlungsempfänger nach den Gesamtumständen in seiner Zusammensetzung bekannt, so sind ihre Einkommensverhältnisse bei der Höhe des nach § 160 AO 1977 nicht abziehbaren Betrages zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 22.Mai 1968 I 59/65, BFHE 93, 118, BStBl II 1968, 727; in BFHE 128, 1, BStBl II 1979, 587; in BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654; Tipke/Kruse, a.a.O., § 160 AO 1977 Tz.14).
Das FG hat zutreffend berücksichtigt, daß die in Betracht kommenden Empfänger der Zahlungen in aller Regel nicht verpflichtet gewesen wären, die Provisionen zum Spitzensteuersatz zu versteuern. Die Angestellten der Krankenhäuser und der Feuerwehr unterliegen in aller Regel nur einer Besteuerung im Bereich der Proportionalzone oder der unteren Progressionszone. Allerdings müssen Ungewißheiten, die sich daraus ergeben, daß der einzelne Zahlungsempfänger nicht bekannt ist, zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen (Urteil in BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654). Mit der Annahme eines durchschnittlichen Marginalsteuersatzes von 45 v.H. hat das FG ohne Verstoß gegen die Denkgesetze zutreffend den wahrscheinlichen Steuersatz der Empfänger zugrunde gelegt. Der vom FG angenommene Marginalsteuersatz dürfte eher im oberen denkbaren Bereich liegen. Dadurch sind Ungewißheiten über die Einkommensverhältnisse einzelner Empfänger angemessen berücksichtigt.
Das FG hat die von ihm annäherungsweise errechnete geringere Steuerbelastung der Zahlungsempfänger zutreffend durch die Anerkennung zusätzlicher Betriebsausgaben von rd. 84 635 DM bei der Klägerin berücksichtigt. Dabei war nicht erforderlich, daß die im Ergebnis nicht anerkannten Betriebsausgaben bei der Klägerin zu einem Steuerbetrag führten, der genau dem errechneten möglichen Steuerausfall bei den Zahlungsempfängern entspricht. Im Rahmen der Ermessensentscheidung zweiter Stufe sind pauschale Berechnungen ohne Ermessensfehler möglich. Ebenso wie wegen der bestehenden Unsicherheiten die marginale, individuelle Steuerbelastung der Empfänger nur pauschal unter Anwendung eines Sicherheitszuschlags ermittelt werden kann, kann auch die steuerliche Auswirkung höherer Betriebsausgaben beim Zahlenden annäherungsweise ermittelt werden. Die Ermessensentscheidung der zweiten Stufe erfordert nur eine angemessene Berücksichtigung der niedrigeren Steuerbelastung eines feststehenden Empfängerkreises beim höher besteuerten Zahler. Sowohl die Steuerbelastung der Empfänger als auch die steuerliche Auswirkung beim Zahlenden kann dabei mit Hilfe von Näherungswerten ermittelt werden.
Das FA vertritt zu Unrecht die Auffassung, das FG habe übersehen, daß manche Empfänger die Provisionszahlungen überhaupt nicht versteuert hätten. Vielmehr hat das FG gerade diese Möglichkeit seiner Berechnung zugrunde gelegt. Es hat nur diejenigen Ausgaben zum Abzug zugelassen, die der Differenz zwischen der annähernden Steuerbelastung der Klägerin und der wahrscheinlichen Steuerbelastung der Empfänger entsprach. Es ist damit bereits davon ausgegangen, daß die Empfänger die erhaltenen Zahlungen nicht der Besteuerung unterworfen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 62762 |
BFH/NV 1989, 49 |
BStBl II 1989, 995 |
BFHE 158, 7 |
BFHE 1990, 7 |
BB 1990, 339 |
BB 1990, 339-341 (LT1-2) |
DB 1990, 24-25 (LT) |
DStR 1989, 742 (KT) |
HFR 1990, 61 (LT) |