Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abgrenzung von Scheingeschäft und Mißbrauch
Leitsatz (NV)
Regeln die Beteiligten ihre Beziehungen durch einen atypischen Vertrag, dessen Rechtsfolgen aber ihren Vorstellungen entsprechen, so sind die Rechtsbeziehungen zwar nicht als Scheingeschäft, aber mög licherweise als Umgehung des Steuergesetzes durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts zu beurteilen.
Normenkette
AO 1977 §§ 41-42
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit 1966 als Viehhändler tätig; seit April 1984 betrieb er einen Viehgroßhandel. Den größten Teil des Schlachtviehs verkaufte der Kläger an die Fa. N-GmbH, mit deren Geschäftsführer W er gut bekannt war. Ab Mai 1984 war der Kläger häufig mit W unterwegs, um diesen beim Viehkauf zu unterstützen. Zu seiner Entlohnung vereinbarte er mit W, daß er von der N-GmbH Vieh kaufen und es mit einem ca. 1 %igen Aufschlag wieder zurückverkaufen sollte. Der Kläger stellte die Einkaufs- und Verkaufsrechnungen selbst aus; sie wurden von W unterschrieben. Hierdurch kamen Rechnungsbeträge in Höhe von ... DM zustande. Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung machte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den Abzug der Vorsteuern rückgängig und setzte Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 fest. Im Klageverfahren legte der Kläger eine Stellungnahme des Vieh- und Fleischhandelsverbandes vor, nach der im Nutzviehgeschäft auch Gegenseitigkeitsgeschäfte und Quasitauschgeschäfte durchaus an der Tagesordnung seien. Auch diese Geschäfte würden in der Regel als Kauf und Verkauf der einen bzw. der anderen Ware abgerechnet. Demgegenüber hob das FA folgende Gesichtspunkte hervor: Bei echten Verkäufen auch an die N-GmbH sei genau vermerkt worden, woher die Tiere gekommen seien und um welche Tierart es sich gehandelt habe. Bei den vom FA als Scheingeschäfte behandelten An- und Verkäufen sei lediglich vermerkt worden " ... Stück Vieh". Echte An- und Verkäufe, auch soweit es sich um Geschäfte mit der N-GmbH gehandelt habe, habe der Kläger in einem Notizbuch genau nach Art, Gewicht und Lieferanten notiert. Die hier streitigen Geschäfte erschienen dagegen nicht in dem Notizbuch. Das angebliche Vieh sei am gleichen Tag und in der gleichen Anzahl gekauft und wieder verkauft worden, ohne daß irgendwelche wirtschaftlich vernünftigen Gründe außer der Provision für den Kläger ersichtlich seien.
Die Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Auch das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß es sich um Scheingeschäfte gehandelt habe. Dem Kläger sei keine Ver fügungsmacht verschafft worden; es fehle bereits an der Konkretisierung der "an- und verkauften" Viehbestände.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 3 Abs. 1, 14 Abs. 3 UStG 1980. Das FG verkenne, daß er -- wenn auch häufig nur kurzfristig -- Ver fügungsmacht kraft Eigentumserwerbs erworben habe. Es handele sich nicht um Scheingeschäfte. In diesem Zusammenhang sei unerheblich, daß Art und Gewicht des Viehs nicht vermerkt worden seien, da Stückzahl und auch die Art der Tiere festgestanden hätten und der Kaufpreis dementsprechend vereinbart worden sei. Im übrigen sei im Hinblick auf die Wechselwirkung von Umsatzsteuer und Vorsteuer eine betragsmäßige Begrenzung der Steuern nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 vorzunehmen.
Der Kläger beantragt, den Umsatzsteuer bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung sowie das angefochtene Urteil, soweit es die Klage abgewiesen habe, aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zu Unrecht sind FA und FG davon ausgegangen, daß der Kauf und der Wiederverkauf des Viehs als Scheingeschäft i. S. des § 41 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu beurteilen sind. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Lieferungen sind Leistungen, durch die ein Unternehmer einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht; § 3 Abs. 1 UStG 1980). Nach § 41 Abs. 2 AO 1977 sind Scheingeschäfte für die Besteuerung unerheblich.
Scheingeschäften ist eigentümlich, daß sie nicht ernstlich gemeint sind und einen Tatbestand vorspiegeln sollen, der in Wirklichkeit weder gewollt ist noch tatsächlich besteht. Die Parteien wollen einverständlich nur den äußeren Schein eines Rechts geschäfts hervorrufen, dagegen die mit dem betreffenden Rechtsgeschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht eintreten lassen (vgl. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 41 AO 1977, Rz. 153). Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Der äußere Tatbestand der abgegebenen Willenserklärungen und der Wille der Vertragsparteien, die diesem Tatbestand entsprechenden Rechtsfolgen eintreten zu lassen, decken sich. Der Kläger und die N-GmbH haben diese Konstruktion gewählt, um dem Kläger eine 1 %ige Verkaufsprovision zu verschaffen. Die Beteiligten hätten sicherlich auch eine andere Regelung treffen können, um den gewünschten Rechtserfolg herbeizuführen. Daß ein einfacherer Weg als der gewählte möglich ist, führt aber nicht zur Annahme eines Scheingeschäftes. Entgegen der Ansicht des FA ist auch nicht deshalb ein Scheingeschäft gegeben, weil der Kläger die An- und Verkäufe weder in seinem Notizbuch erfaßte noch den an- und wiederverkauften Viehbestand auf den Rechnungen näher spezifizierte. Angesichts des kurzfristigen Umschlags des jeweiligen Viehbestandes war eine konkretere Bezeichnung nicht notwendig, zumal die Beteiligten offenbar wußten, welche Stücke Vieh Gegenstand ihrer Abmachungen waren.
2. Eine andere Frage ist indes, ob die von den Beteiligten gewählte Konstruktion als Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i. S. des § 42 Satz 1 AO 1977 anzusehen ist (dazu vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs vom 4. Mai 1994 XI R 67/93, BStBl II 1994, 879; ferner Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 42 AO 1977, Rz. 191). Die Beteiligten sind auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt bisher nicht eingegangen. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG daher zu prüfen haben, welche Überlegungen und Motive für den Abschluß der Verträge und deren Abwicklung bestimmend waren und ob der Kläger oder die N-GmbH durch diese Konstruktion Steuergesetze umgangen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 420378 |
BFH/NV 1995, 659 |