Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung künstlerischer von gewerblicher Tätigkeit
Leitsatz (NV)
Ein Fakir (Artist) ist nicht künstlerisch, sondern gewerblich tätig.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) trat in den Streitjahren öffentlich als Fakir und Hypnotiseur auf. Bei seinen Vorstellungen arbeitete er als Feuerschlucker; ferner demonstrierte der Kläger seine Fähigkeiten, sich auf ein Nagelbrett zu legen und durch Glasscherben zu laufen, ohne dabei Verletzungen zu erleiden. Zum Programm gehörte es schließlich, einen Zuschauer so zu hypnotisieren, daß dieser auf Glasscherben stehen konnte, ohne sich zu verletzen.
In der Einkommensteuererklärung für 1983 und 1984 behandelte der Kläger seine Einnahmen aus dieser Tätigkeit als solche aus selbständiger Arbeit i.S. des § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Gewerbesteuererklärungen gab er nicht ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beurteilte die Tätigkeit des Klägers als gewerblich und setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr 1984 ent- sprechend fest. Ferner erließ es für die Streitjahre 1983 und 1984 Gewerbesteuermeßbescheide.
Die hiergegen eingelegten Einsprüche und die Klage blieben ohne Erfolg.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 15 Abs. 2, 18 Abs. 1 Nr.1 EStG, § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und die Verletzung der Aufklärungspflicht durch das Finanzgericht (FG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Aufklärungsrüge ist unzulässig erhoben. Der Senat verzichtet insoweit gemäß Art. 1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) auf eine Begründung.
2. Die Tätigkeit des Klägers ist - wie das FG zutreffend erkannt hat - gewerblich (§ 15 Abs. 2 EStG, § 2 Abs. 1 GewStG) und nicht künstlerisch i.S. des § 18 Abs. 1 Nr.1 EStG.
Eine künstlerische Tätigkeit übt ein Steuerpflichtiger nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur dann aus, wenn er - neben anderen Voraussetzungen - eine eigenschöpferische Leistung vollbringt, in der seine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft zum Ausdruck kommt (z.B. BFH-Urteile vom 11.Juli 1991 IV R 33/90, BFHE 165, 362, BStBl II 1992, 353, und vom 22.März 1990 IV R 145/88, BFHE 160, 253, BStBl II 1990, 643). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht das Wesentliche der künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (Entscheidungen vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188, und vom 17. Juli 1984 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213).
Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall abhängig, die das FG nach seiner freien Überzeugung zu beurteilen hat (vgl. BFH-Urteile vom 20. Juni 1962 IV 208/60 U, BFHE 75, 332, BStBl III 1962, 385; vom 3. Februar 1977 IV R 112/72, BFHE 121, 429, BStBl II 1977, 459, und vom 27. Juni 1985 I R 22/81, BFH/NV 1985, 17). Für die insoweit zu treffende Entscheidung ist der allgemeinen Verkehrsauffassung besonderes Gewicht beizulegen (BFH-Urteil vom 14. August 1980 IV R 9/77, BFHE 131, 365, BStBl II 1981, 21). Hierbei ist zu berücksichtigen, daß für den Kunstbegriff in den jeweiligen Gesellschaften und Epochen unterschiedliche, von den jeweiligen historischen Bedingungen abhängige Maßstäbe gelten (BFH-Urteil vom 19. August 1982 IV R 64/79, BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7).
Davon ausgehend hat das FG die auf Gewinnerzielung gerichtete öffentliche Darbietung eines Fakirs und Hypnotiseurs zutreffend als gewerblich und nicht künstlerisch i.S. des § 18 Abs. 1 Nr.1 EStG beurteilt. Dies entspricht der Verkehrsanschauung zum Begriff der künstlerischen Tätigkeit. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat mangels erfolgreicher Verfahrensrüge gebunden ist, besteht die Tätigkeit des Klägers darin, sich als Feuerschlucker zu betätigen, sich auf ein Nagelbrett zu legen und über Glasscherben zu laufen, jeweils ohne erkennbare Verletzungen zu erleiden, ferner, Zuschauer zu hypnotisieren, damit diese unverletzt auf Glasscherben stehen können. Diese Tätigkeit zielt darauf ab, durch ungewöhnliche körperliche und geistige Fähigkeiten zu beeindrucken und damit das Publikum in Erstaunen und Verwunderung zu versetzen. Die Tätigkeit erschöpft sich somit - vergleichbar einem Zauberkünstler - in der Unterhaltung (vgl. BFH-Urteil vom 2. August 1989 I R 72/87, BFH/NV 1990, 146), die im Streitfall auf einem zusätzlichen exotischen Reiz beruht. Die auf Körperbeherrschung beruhenden Vorführungen des Klägers waren artistische Tätigkeiten, denen von ,,Schlangenmenschen", Jongleuren und Zauberkünstlern vergleichbar (s. auch BFH-Urteile vom 16. März 1951 IV 197/50 U, BFHE 55, 255, BStBl III 1951, 97, und vom 17. Februar 1955 IV 77/53 S, BFHE 60, 257, BStBl III 1955, 100). Von der darstellenden künstlerischen Tätigkeit z.B. eines Ballettänzers, die auch eine besondere Körperbeherrschung voraussetzt und Unterhaltungswert haben kann, unterscheiden sich die bloß artistischen Tätigkeiten dadurch, daß sie keine über die Anschauung der artistisch und optisch ansprechenden Leistung hinausgehenden geistigen oder seelischen Eindrücke vermitteln. Mit der Tätigkeit des Klägers werden - wie das FG zutreffend hervorgehoben hat - keine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht, insbesondere weil sie zu einem wesentlichen Teil im statischen, beherrschten Ertragen einer außergewöhnlichen Belastung des Körpers besteht.
An der vom Kläger gerügten Verletzung des Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil die Tätigkeit nach den dargelegten Voraussetzungen der Rechtsprechung das BVerfG nicht als künstlerische anzusehen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 419087 |
BFH/NV 1993, 716 |