Leitsatz (amtlich)
1. Erhalten Eltern für ein ständig hilfloses körperbehindertes Kind, das nicht ohne fremde Wartung und Pflege sein kann, den entsprechenden Pauschsatz nach § 65 Abs. 1 EStDV, so können sie nicht daneben die Kosten der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt nach § 33 Abs. 1 EStG gesondert geltend machen.
2. Zur Rechtsgültigkeit der Übertragung der Pauschsätze, die einem körperbehinderten Kind zustehen, auf die Eltern gemäß §§ 65 Abs. 5, 84 Abs. 10 EStDV 1965 und Abschn. 194 Abs. 16 EStR 1965.
Normenkette
EStG 1963 § 33 Abs. 1, § 33a Abs. 6; EStDV 1965 § 65 Abs. 1, 5, § 84 Abs. 10; AO § 131 Abs. 2
Tatbestand
Ein Sohn des Steuerpflichtigen leidet an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit Epilepsie und hochgradigem Entwicklungsrückstand. Er ist in einer Heil- und Pflegeanstalt untergebracht. Für das Streitjahr 1963 gewährte das FA dem Steuerpflichtigen für das kranke Kind einen Pauschbetrag nach § 65 EStDV. Es lehnte es aber ab, darüber hinaus die Kosten der Unterbringung in der Anstalt und die Kosten für Besuchsfahrten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen, weil diese Kosten in dem gewährten Pauschbetrag abgegolten seien.
Das FG gab der Klage statt und berücksichtigte die geltend gemachten Kosten - nach Abzug einer Haushaltsersparnis von 1 200 DM - mit 3 215 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG. Es führte aus, aus §§ 33 und 33a EStG sei nicht abzuleiten, daß mit den Pauschbeträgen für Körperbehinderte gemäß § 33a Abs. 6 EStG alle durch die Körperbehinderung verursachten Aufwendungen abgegolten sein sollten. Nach den Urteilen des BFH VI 297/65 U vom 17. Dezember 1965 (BFH 84, 574, BStBl III 1966, 208) und VI 332/65 vom 13. Mai 1966 (BFH 86, 361, BStBl III 1966, 506) würden mit den Pauschbeträgen nur zusätzliche Aufwendungen für Wäsche, Hilfeleistung, Medikamente usw. bei allen Arten von Körperbehinderungen berücksichtigt. Weitere Aufwendungen, z. B. für Kfz-Kosten, orthopädisches Schuhwerk, Heilgymnastik usw. könnten daneben nach § 33 EStG angesetzt werden. Zu diesen besonders berücksichtigungsfähigen Aufwendungen gehörten auch die Kosten, die durch die Unterbringung des Sohnes in der Heilanstalt entstanden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision, mit der das FA Verletzung von Bundesrecht rügt, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 33a Abs. 6 EStG in Verbindung mit § 65 Abs. 1 EStDV 1963 können Körperbehinderte, deren Erwerbsfähigkeit in bestimmtem Umfang gemindert ist, wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die ihnen durch die Körperbehinderung erwachsen, einen nach dem Grad der Erwerbsminderung gestaffelten Pauschbetrag erhalten. Die Pauschsätze gelten grundsätzlich alle Aufwendungen ab, die dem Steuerpflichtigen durch die Körperbehinderung entstehen und ihrer Art nach außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 EStG sind. Die Vorschrift dient der Vereinfachung, indem sie es den Steuerpflichtigen erspart, ihre oft schwer nachweisbaren Aufwendungen dem FA im einzelnen darzutun und zugleich das FA davon befreit, die meist schwer nachprüfbaren Aufwendungen im einzelnen festzustellen. Es steht aber den Steuerpflichtigen frei, den Pauschbetrag nicht in Anspruch zu nehmen und zur Erlangung einer Steuerermäßigung nach § 33 Abs. 1 EStG ihre Aufwendungen im einzelnen nachzuweisen. Nach den Urteilen des Senats VI 297/65 U und VI 332/65 (a. a. O.) können allerdings neben dem Pauschsatz solche außergewöhnlichen Aufwendungen nach § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt werden, die nicht in einem unmittelbaren und typischen Zusammenhang mit der Körperbehinderung stehen, wie z. B. akute Krankheitskosten sowie Kosten, die offensichtlich bei der Festsetzung der Pauschsätze nicht berücksichtigt worden sind, wie z. B. Kosten bei Gehbehinderten. Die höchsten Pauschsätze werden nach § 65 Abs. 1 EStDV 1963 solchen Personen gewährt, die infolge der Körperbehinderung ständig hilflos sind und ohne fremde Wartung und Pflege nicht sein können. Der Pauschsatz für diese Personengruppe betrug für das Streitjahr 1963 3 900 DM und wurde ab 1965 auf 4 800 DM erhöht. Der Sohn des Steuerpflichtigen gehört zu dieser Gruppe von Körperbehinderten. Die Aufwendungen für seine Krankheit bestehen besonders in den Kosten für die Unterbringung in der Anstalt. Entgegen der Auffassung des FG werden mit dem hohen Pauschsatz gerade auch die Kosten für Wartung und Pflege bei hilflosen Personen abgegolten. Es ist darum nicht gerechtfertigt, diese Kosten neben dem Pauschsatz noch gesondert nach § 33 EStG zu berücksichtigen. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben.
Der Senat hat geprüft, ob der Steuerpflichtige seine Aufwendungen für den Sohn nach § 33a Abs. 6 EStG, § 65 EStDV mit einem Pauschsatz geltend machen kann oder ob für ihn nicht überhaupt nur die allgemeine Regelung des § 33 Abs. 1 EStG in Betracht kommt. Keiner der beiden zusammenveranlagten Eheleute ist nämlich selbst körperbehindert, so daß ihnen selbst nicht unmittelbar ein Pauschbetrag nach § 33a Abs. 6 EStG und § 65 Abs. 1 EStDV wegen Erwerbsminderung zusteht. Bis zur Nichtigerklärung des § 27 EStG, wonach die Einkünfte eines Kindes mit denen seiner Eltern zusammenzurechnen waren, konnte ohne weiteres ein dem Kind zustehender Pauschbetrag bei der Veranlagung der Haushaltsgemeinschaft berücksichtigt werden. Nachdem Eltern und Kinder nicht mehr zusammenveranlagt werden, kann der einem Kind zustehende Pauschbetrag nicht mehr wie früher unmittelbar bei der Veranlagung der Eltern angesetzt werden, wie der Senat im Urteil VI 215/63 U vom 4. Dezember 1964 (BFH 81, 467, BStBl III 1965, 169) ausgeführt hat. Das FA hat im Streitfall auf Grund von §§ 65 Abs. 5, 84 Abs. 10 EStDV 1965 und Abschn. 194 Abs. 16 EStR 1965 den dem Kind zustehenden Pauschbetrag des § 65 Abs. 1 EStDV bei der Veranlagung der Eltern angesetzt. Wenn auch diese von der Bundesregierung getroffene Regelung im EStG selbst keine Rechtsgrundlage hat, so hält der Senat sie doch für rechtswirksam, weil sie als Maßnahme der sog. Gruppenbilligkeit nach § 131 Abs. 2 AO anerkannt werden kann. Es würde allgemein eine sachliche Härte bedeuten und darum unbillig sein, Eltern, die durch eine schwere Krankheit ihrer Kinder belastet sind, die Anwendung des Pauschsatzes zu versagen, wenn er sich bei dem Einkommen des Kindes nicht unmittelbar auswirken kann. Die Nichtigerklärung des § 27 EStG sollte eine verfassungswidrige steuerliche Mehrbelastung der Haushaltsgemeinschaft von Eltern und Kindern ausschließen. Es lag aber im Ermessensbereich der obersten Verwaltungsbehörden, unerwünschte und unbillige Nebenwirkungen der Nichtigerklärung von § 27 EStG durch geeignete Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 Abs. 2 EStG auszuschließen. Der Senat hat auch keine Bedenken, daß die Regelung des Abschn. 194 Abs. 16 EStR 1965 auf alle Veranlagungszeiträume ab der Nichtigerklärung des § 27 EStG als sog. Anpassungsregelung zurückbezogen worden ist (vgl. z. B. Urteile des Senats VI 20/63 U vom 28. Februar 1964, BFH 79, 34, BStBl III 1964, 245).
Das FA hat geprüft, ob, da die Steuerpflichtigen höhere Aufwendungen als den Pauschbetrag geltend gemacht hatten, der § 33 Abs. 1 EStG anzuwenden war. Da aber bei der Anwendung des § 33 Abs. 1 EStG die sog. zumutbare Eigenbelastung gemäß § 64 EStDV abzusetzen war, war die Anwendung des Pauschsatzes für den Steuerpflichtigen günstiger.
Da nach allem der Steuerbescheid mit dem geltenden Recht in Einklang steht, war die Klage des Steuerpflichtigen abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68115 |
BStBl II 1968, 647 |
BFHE 1968, 553 |