Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelmäßig Veranlassung der Auflösung eines Dienstverhältnisses durch den Arbeitgeber im Falle der Zahlung einer Abfindung
Leitsatz (amtlich)
Die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen veranlasst, der sie betreibt. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung veranlasst hat.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 9
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) gezahlte Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei ist.
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist gelernter Elektriker und war ab dem Jahre 1985 bei der Firma A-KG (nachfolgend: Arbeitgeber) als Kundendienstmonteur beschäftigt. Nach einjähriger Einarbeitung war er dort u.a. für die Wartung von Gasthermen zuständig. Im Rahmen eines Kundendiensteinsatzes am 5. Januar 1995 hatte er den Auftrag, eine möglicherweise defekte Gastherme auf austretendes Gas hin zu überprüfen. Der Kläger ging nach seiner Darstellung von einem nur schwierig zu erkennenden winzigen Defekt aus und setzte deshalb zur Suche des Lecks sein Feuerzeug ein. Daraufhin trat eine kleinere Stichflamme hervor, welche durch einen Riss hinter dem Schalter der Therme verursacht wurde. Mangels vorhandener Ersatzteile wurde eine sofortige Reparatur nicht vorgenommen. Die Kundin wandte sich an die Stadtwerke, die wiederum den Arbeitgeber des Klägers von dem Vorfall in Kenntnis setzten. Nach Darstellung des Arbeitgebers haben die Stadtwerke umgehend die Gasversorgung des betreffenden Haushalts abgestellt und ihm wegen des Vorfalls mit dem Entzug der Konzession für die Wartung von Gasanlagen gedroht. Mit Schreiben vom 6. Januar 1995 erklärte der Arbeitgeber wegen des Vorfalls die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Im Gütetermin vom 9. Februar 1995 wurde der Rechtsstreit mit einem Vergleich beendet, der u.a. die folgenden Regelungen enthielt:
"1) Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund fristgemäßer, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 28. Februar 1995 endet.
2) Der Kläger wird bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung (4.000,― DM brutto) sowie unter Anrechnung auf den ihm noch zustehenden Erholungsurlaub von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
3) Der Beklagte zahlt dem Kläger eine Abfindung nach § 3 Nr. 9 Einkommensteuergesetz von 11.000,― DM …".
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung des Arbeitgebers vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Abfindung nicht gemäß § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei sei, da der Kläger die entscheidende Ursache für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesetzt habe. Nach Eingang einer entsprechenden Kontrollmitteilung beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) und Anhörung des Klägers wurde die Einkommensteuer für 1995 entsprechend festgesetzt. Hiergegen erhoben die Kläger Einspruch, der zurückgewiesen wurde.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 EStG lägen nicht vor. Entscheidend sei darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer bei vernünftiger Bewertung seines Verhaltens ernsthaft habe damit rechnen müssen, dass dieses vom Arbeitgeber zum Anlass einer nicht offensichtlich rechtswidrigen Kündigung genommen werde. Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten zurechnen lassen müsse. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1676 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Die vom FG vertretene Auslegung des § 3 Nr. 9 EStG sei rechtsirrig. Dadurch würde die Prüfung des arbeitsrechtlichen Vorgangs auf die FG verlagert. Habe das Arbeitsgericht die Kündigung noch als ungerechtfertigt angesehen, komme das FG nun zu der Auffassung, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt gewesen sei. Abzustellen sei auf die letzte Ursache, die zur Auflösung des Dienstverhältnisses geführt habe. Kein Arbeitgeber zahle freiwillig eine Abfindung, wenn er in einem Kündigungsschutzprozess obsiegen würde.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Bescheides vom 27. Juni 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. April 2002 bei der Festsetzung der Einkommensteuer die Abfindung in Höhe von 11 000 DM steuerfrei zu belassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Stattgabe der Klage. Der vom FG vorgenommenen Auslegung des § 3 Nr. 9 EStG ist nicht zu folgen.
1. Nach § 3 Nr. 9 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, seinerzeit höchstens 24 000 DM, steuerfrei.
§ 3 Nr. 9 EStG wurde durch das Einkommensteuerreformgesetz 1974 vom 5. August 1974 neu gefasst und erweitert; die Steuerfreiheit sollte nicht mehr davon abhängig sein, dass die Voraussetzungen der §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) oder des § 113 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerfG) erfüllt seien. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer steuerfreien Abfindung wurden von den arbeitsrechtlichen Voraussetzungen des KSchG (sozialwidrige bzw. unwirksame außerordentliche Kündigung) und des BetrVerfG (Interessenausgleich, Sozialplan, Nachteilsausgleich) gelöst (Offerhaus, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1981, 445, 446; von Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 9 Rdnr. B 9/8).
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Auflösung eines Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber veranlasst, wenn der Arbeitgeber die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat (vgl. z.B. Urteile vom 6. März 2002 XI R 51/00, BFHE 198, 468, BStBl II 2002, 516; vom 28. November 1991 XI R 7/90, BFH/NV 1992, 305; vom 18. Dezember 1981 III R 133/78, BFHE 135, 66, BStBl II 1982, 305; vom 11. Januar 1980 VI R 165/77, BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205). Die entscheidende Ursache für die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen gesetzt, der die Auflösung "betrieben" hat (vgl. BFH in BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205; BFH-Urteil vom 13. Oktober 1978 VI R 91/77, BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; zum Betreiben durch einen Arbeitnehmer vgl. BFH in BFH/NV 1992, 305). Für die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG ist nicht die arbeitsrechtliche Beurteilung der Auflösung maßgeblich, sondern allein der Umstand, von wem die Beendigung des Dienstverhältnisses ausgegangen ist, wer also die Beendigung des Dienstverhältnisses gewollt hat. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung gewollt und damit auch veranlasst hat; denn anderenfalls wäre er kaum bereit gewesen, eine Abfindung zu zahlen (vgl. von Beckerath, a.a.O., Rdnr. B 9/55; Bergkemper, in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 3 Nr. 9 EStG Anm. 16).
Diese Auslegung des § 3 Nr. 9 EStG deckt sich mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 9 EStG von den arbeitsrechtlichen Voraussetzungen abzukoppeln. Nach der Gesetzesbegründung sollte die bisher in § 3 Nr. 9 EStG auf arbeitsrechtlich eng abgegrenzte Entschädigungen beschränkte Steuerbefreiung erweitert und dem Grunde nach auf sämtliche Abfindungen ausgedehnt werden, die "wegen Entlassung eines Arbeitnehmers aus einem Dienstverhältnis" gewährt werden (BTDrucks 7/1470, S. 242). § 3 Nr. 9 EStG bezweckt, Abfindungen, die in Zusammenhang mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, in bestimmtem Umfang von der Steuer zu befreien (von Beckerath, a.a.O., Rdnr. B 9/28). Diesem Zweck entspricht es, die Steuerbefreiung auch demjenigen zu gewähren, der wegen einer Pflichtverletzung zum unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes beigetragen hat.
Soweit der VI. Senat in dem Urteil vom 17. Mai 1977 VI R 150/76 (BFHE 122, 478, BStBl II 1977, 735) ausgesprochen hat, dass die Auflösung bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer veranlasst ist, wenn sich dieser vertragswidrig verhalten hat, folgt der erkennende Senat dieser Beurteilung daher nicht. Eine Anfrage wegen dieser Abweichung beim VI. Senat bedarf es nicht, da der Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan für Abfindungen wegen Auflösung des Dienstverhältnisses (§ 3 Nr. 9 EStG) allein zuständig ist.
2. Im Streitfall hat der Kläger möglicherweise durch sein Verhalten zu der Kündigung des Dienstverhältnisses beigetragen. Entscheidend ist jedoch, dass der Arbeitgeber die Kündigung betrieben hat und dass keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Kläger nicht an der Fortsetzung des Dienstverhältnisses festhalten wollte. Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber bereit war, eine Abfindung zu zahlen, spricht dafür, dass der Arbeitgeber kein Interesse an der Fortsetzung des Dienstverhältnisses hatte und dass daher von ihm die entscheidenden Ursachen für die Beendigung des Dienstverhältnisses ausgegangen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 1279387 |
BFH/NV 2005, 296 |
BStBl II 2005, 181 |
BFHE 2005, 336 |
BFHE 207, 336 |
BB 2005, 1606 |
DB 2005, 87 |
DStR 2005, 102 |
DStRE 2005, 182 |
DStZ 2005, 58 |
DStZ 2005, 82 |
HFR 2005, 210 |