Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für Frischzellenbehandlung und nicht rezeptpflichtige Medikamente als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (NV)
1. Aufwendungen für eine Frischzellenbehandlung können nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn die medizinische Indizierung dieser Behandlung im Einzelfall durch ein vor ihrem Beginn erstelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen ist (Anschluß an BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711).
2. Auch nicht rezeptpflichtige Medikamente und allgemeine Stärkungsmittel können als Krankheitskosten gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen sein, wenn sie - nach Gegenstand und Menge spezifiziert - schriftlich ärztlich verordnet sind.
3. Zur Sachaufklärung des Finanzamts, wenn Zweifel am Vorliegen einer ,,echten" Krankheit oder an der Notwendigkeit der konkreten ärztlichen Verordnung bestehen.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
In ihrem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1984 (Streitjahr) machten die Kläger und Revisionskläger (Kläger) Krankenbehandlungskosten in Höhe von insgesamt . . . DM als außergewöhnliche Belastung geltend. In diesem Betrag waren enthalten . . . DM als Kosten für zelltherapeutische Behandlungen, . . . DM für den Kauf von Medikamenten, 723,35 DM Eigenanteil für den Kauf von Brillen sowie 160 DM als sonstige Krankheitskosten (Eigenanteil für Krankenhausaufenthalt und Krankenfahrten sowie Rezeptanteile).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte diese Aufwendungen bei der durchzuführenden Einkommensteuerveranlagung nicht, da die Kläger angeforderte Belege nicht vorlegten. Auch der Einspruch blieb insoweit erfolglos. Das FA war lediglich bereit, die vorerwähnten Aufwendungen von 160 DM und 727,35 DM als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen; der sich dabei ergebende Betrag lag jedoch unter der zumutbaren Belastung der Kläger.
Die Klage, mit der die Kläger ihr Begehren weiterverfolgten, wies das Finanzgericht (FG) ab. Es vertrat die Auffassung, daß Kosten für die Durchführung einer Frischzellenbehandlung nur dann abziehbar seien, wenn die Erforderlichkeit dieser Behandlungsmethode durch ein amtsärztliches Attest belegt werde, das vor Durchführung der Zelltherapie eingeholt worden sei. Daran fehle es hier, da die Kläger lediglich eine entsprechende Bescheinigung ihrer Hausärztin eingereicht hätten.
Auch die Aufwendungen für den Kauf von Medikamenten, die von der Krankenkasse nicht erstattet worden seien, könnten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Ausweislich der vorgelegten Rezepte der Hausärztin handele es sich um Kräutertinkturen, Bronchialtee, Kräuteröle, Harntee, Kwai-Dragees, Schwedenkräutertee, Hansaplast, Cissanpuder und allgemeine Stärkungsmittel Dabei handele es sich ganz allgemein um Präparate, die ein großer Kreis von Steuerpflichtigen zu kaufen pflege, ohne daß diese Artikel ärztlich verschrieben würden. Deshalb seien die insoweit geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnlich anzusehen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger.
Sie machen geltend, zu Unrecht habe das FG sich für seine Auffassung, die Aufwendungen für die Zelltherapie könnten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juli 1981 VI R 77/78 (BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711) bezogen. Dort habe der BFH zwar grundsätzlich die Vorlage eines vor Beginn der Therapie ausgestellten amtsärztlichen Zeugnisses gefordert. Im damaligen Streitfall habe er jedoch ein nachträglich erstelltes Attest mit der Begründung genügen lassen, ein solches Attest könne möglicherweise aufgrund von Unterlagen und Stellungnahmen der Ärzte, die die Behandlung vor der Frischzellentherapie durchgeführt hätten, erstellt werden. Diese Möglichkeit hätten auch sie, die Kläger, haben müssen. Sache des FG wäre es gewesen, sie darauf hinzuweisen.
Auch die Aufwendungen für die Medikamente seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Das FG sei insoweit bewußt von der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 5. Dezember 1968 IV 79/65, BFHE 94, 580, BStBl II 1969, 260) abgewichen. Im übrigen sei auch die Annahme des FG, daß die Ärzte Medikamente der hier streitigen Art verhältnismäßig großzügig verschreiben würden, unzutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet.
1. Zu Recht hat das FG allerdings die Aufwendungen für die Frischzellenkur nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen erwachsen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, daß Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen. Eine derartig typisierende Behandlung der Krankheitskosten hält die Rechtsprechung zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre für geboten. Berücksichtigungsfähig sind allerdings nur solche Kosten, die zum Zwecke der Heilung oder mit dem Ziel aufgewendet werden, die Krankheit erträglich zu machen. Nicht zu den Krankheitskosten gehören deshalb vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit ganz allgemein dienen. Zu Maßnahmen dieser Art gehören in der Regel z. B. Erholungsreisen und auch Frischzellenbehandlungen. Die Rechtsprechung hat jedoch anerkannt, daß Frischzellenbehandlungen ebenso wie Erholungsreisen (Kuren) unter bestimmten Umständen auch als Maßnahmen der Heilung bzw. Linderung einer Krankheit in Betracht kommen können.
Als zwangsläufig i. S. des § 33 Abs. 1 und Abs. 2 EStG können diese Maßnahmen aber nur angesehen werden, wenn ihre medizinische Notwendigkeit feststeht. Aus diesen Gründen, aber auch, weil Frischzellenbehandlungen als Heilmaßnahmen generell nicht unumstritten sind, hat es der VI. Senat des BFH für geboten gehalten, entsprechende Aufwendungen nur dann als zwangsläufig i. S. des § 33 Abs. 1 und 2 EStG anzuerkennen, wenn die medizinische Indizierung einer solchen Behandlungsart im Einzelfall - wie bei einer Kurreise - durch ein vor Beginn der Behandlung erstelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen ist (Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711). Dieser Rechtsprechung, die auch in der Literatur allgemein auf Zustimmung gestoßen ist (z. B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 33 Anm. 8 Stichwort Krankheitskosten; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 33 EStG Anm. 300 ,,Frischzellenbehandlung"; Borggreve in Littmann / Bitz /Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 33 Anm. 61; Fitsch in Lademann / Söffing / Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 78), schließt sich der erkennende Senat an.
Im Streitfall haben die Kläger nach den Feststellungen des FG keine amtsärztlichen Atteste vorgelegt. Bei den FG-Akten befinden sich zwei ärztliche Bescheinigungen der Hausärztin der Kläger vom . . . 1987, die beiden Klägern die Notwendigkeit der in der Praxis der Hausärztin durchgeführten zelltherapeutischen Behandlungen attestieren. Derartige, noch dazu nachträglich erstellte, Atteste reichen nach den obigen Ausführungen nicht aus, um die Zwangsläufigkeit der entsprechenden Aufwendungen nachzuweisen. Zu Unrecht meinen die Kläger deshalb in diesem Zusammenhang auch, das FG habe sie auf das Erfordernis eines amtsärztlichen Attestes hinweisen müssen. Ein solcher Hinweis war schon deshalb nicht erforderlich, weil eine nachträgliche Erstellung derartiger Bescheinigungen den Klägern nicht zum Erfolg verholfen hätte. Daß der BFH im Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 für den damaligen Streitfall auch eine evtl. nachträgliche Erstellung einer amtsärztlichen Bescheinigung als ausreichend erachtet hat, beruhte ausschließlich auf der Erwägung, daß entsprechende Aufwendungen vor dieser Entscheidung ohne derartige Bescheinigungen als außergewöhnliche Belastungen anerkannt worden waren. Hieraus können die Kläger keine für sie günstigen Folgerungen herleiten.
2. Zu Unrecht hat das FG aber die geltend gemachten Aufwendungen für die Arzneimittel mit der Begründung nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt, es handle sich um Präparate, die ein großer Kreis von Steuerpflichtigen zu kaufen pflege, ohne daß diese Mittel ärztlicherseits verschrieben würden. Ob die Präparate im Streitfall durch die Hausärztin verordnet waren, hat das FG unter ausdrücklicher Abweichung vom Urteil in BFHE 94, 580, BStBl II 1969, 260 für unerheblich erklärt.
Mit dem Urteil in BFHE 94, 580, BStBl II 1969, 260 hat sich der Senat in seinem Urteil vom 6. April 1990 III R 60/88 (BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958) eingehend beschäftigt und die dort aufgestellten Grundsätze, die auch im Schrifttum weitgehend gebilligt worden sind, bestätigt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958 Bezug genommen. Wie im vorliegenden Streitfall ging es im Urteil in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958 um Arzneimittel, die nicht rezeptpflichtig sind; der Senat hat insoweit darauf hingewiesen, daß eine schriftliche ärztliche Verordnung gerade in diesen Fällen zur Trennung ,,echter" Arzneimittel von anderen Aufwendungen erforderlich sei.
Daraus folgt einmal, daß auch - nach Gegenstand und Menge spezifiziert verordnete - nicht rezeptpflichtige Medikamente und allgemeine Stärkungsmittel (Urteil in BFHE 94, 580, BStBl II 1969, 260) als Krankheitskosten in Betracht kommen, die im Rahmen des § 33 EStG berücksichtigt werden können. Schon begrifflich ist dabei allerdings vorausgesetzt, daß der Steuerpflichtige an einer Krankheit (bzw. Verletzung) leidet und nicht an einer den Krankheitsbegriff nicht erfüllenden bloßen Störung des Allgemeinbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit, wie sie bei einer Vielzahl von Steuerpflichtigen im täglichen Leben vorkommen. Die Beurteilung, ob es sich um eine Krankheit handelt, obliegt grundsätzlich dem behandelnden Arzt, wobei es dem FA unbenommen bleibt, bei begründeten Zweifeln in dieser Hinsicht weitere fachkundige Auskunft (z. B. eine amtsärztliche Stellungnahme) einzuholen. Entsprechendes gilt, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, die erhebliche Zweifel an der Notwendigkeit der konkreten ärztlichen Verordnung begründen, z. B. weil das verordnete Medikament zur Behandlung der festgestellten Krankheit bzw. der Linderung der damit verbundenen Schmerzen ungeeignet erscheint oder die verordnete Menge in einem auffälligen Mißverhältnis zu der konkreten Erkrankung steht.
Die Vorentscheidung ist insoweit aufzuheben, da sie der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht. Die Sache, die nicht spruchreif ist, ist gemäß § 126 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen. Dieses wird festzustellen haben, in welchem Umfang die Kläger im Streitjahr Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel zur Behandlung ,,echter" Krankheiten gemacht haben.
Fundstellen
Haufe-Index 417548 |
BFH/NV 1991, 386 |