Leitsatz (amtlich)
1. Rückstellungen für Verbindlichkeiten wegen Verletzung fremder Patentrechte sind zu bilden, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, daß der Steuerpflichtige in Anspruch genommen werden wird (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1969 I R 81/66, BFHE 96, 510, BStBl II 1970, 15).
2. Eine Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen ist auch dann noch wahrscheinlich, wenn seit der Patentverletzung bereits mehrere Jahre vergangen sind und der Patentinhaber von der Verletzung seiner Patentrechte möglicherweise noch keine Kenntnis erlangt hat.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bildete in den Bilanzen für die Streitjahre 1971 bis 1973 Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus der Verletzung fremder Patentrechte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer die Rückstellungen nicht an.
Die Sprungklage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah die Rückstellung in Höhe von 10 v. H. des patentverletzenden Umsatzes für zulässig an. Die Klägerin habe - was auch das FA nicht bestreite - durch die Herstellung und den Vertrieb von Vorrichtungen das Patent Nr.... der Firma C, USA, verletzt. Sie müsse darum als ordentlicher Kaufmann damit rechnen, von der Patentinhaberin wegen Schadensersatz bzw. ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch genommen zu werden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich das FA mit seiner Revision. Es hält die Rückstellungen für unzulässig, weil neben der objektiven Patentverletzung keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß der Patentinhaber von der Verletzung seiner Patentrechte erfahren und deshalb die Absicht habe, seine Ansprüche gegenüber der Klägerin geltend zu machen. In der Regel könne davon ausgegangen werden, daß ein Patentinhaber spätestens innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der Patentverletzung den Verletzer in Anspruch nehme.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin durfte in den Streitjahren in der vom FG angenommenen Höhe Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus der Verletzung fremder Patentrechte bilden.
Nach der Vorschrift des § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes 1965, die insoweit einen für alle Kaufleute geltenden Grundsatz ordnungsmäßiger Bilanzierung enthält (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Oktober 1977 I R 148/75, BFHE 123, 547, BStBl II 1978, 97), können u. a. für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen gebildet werden. Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 16. Juli 1969 I R 81/66 (BFHE 96, 510, BStBl II 1970, 15) entschieden hat, ist Voraussetzung für den Ansatz von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten aus der Verletzung fremder Patentrechte, daß mit einiger Wahrscheinlichkeit die Verbindlichkeiten bestehen und der Steuerpflichtige in Anspruch genommen werden wird.
Das FG hat festgestellt, daß die Klägerin in den Streitjahren das Patent Nr.... der Firma C verletzt hat. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der erkennende Senat gebunden, da insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG geht auch zu Recht davon aus, daß die Klägerin mit einiger Wahrscheinlichkeit mit der Inanspruchnahme durch die Firma C rechnen mußte. Wenn - wie im Streitfall - eine Verbindlichkeit wegen Patentverletzungen dem Grunde nach besteht, so darf im allgemeinen unter Kaufleuten davon ausgegangen werden, daß die Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger auch wahrscheinlich ist. Stellt ein Unternehmer fest, daß er ein fremdes Patent verletzt hat, muß er dieser Tatsache bei der Aufstellung seiner Bilanz durch die Bildung einer Rückstellung Rechnung tragen. Ansonsten würde er seine Vermögenslage günstiger darstellen, als sie es in Wirklichkeit ist.
Entgegen der Auffassung des FA kommt es für die Zulässigkeit der Rückstellung nicht darauf an, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Patentinhaberin von der Verletzung ihrer Patentrechte bereits erfahren hat. Der Grund dafür liegt in der besonders günstigen Rechtsstellung, die ein Patentinhaber bei der Verfolgung seiner Ansprüche aus einer Patentverletzung innehat.
Nach § 48 Abs. 1 des Patentgesetzes verjähren die Ansprüche wegen Verletzung des Patentrechts in drei Jahren von dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Berechtigten; ohne Rücksicht auf die Kenntnis in 30 Jahren. Da Kenntniserlangung i. S. des § 48 Abs. 1 des Patentgesetzes die Kenntnis des Berechtigten voraussetzt, hat dieser die Möglichkeit, die Geltendmachung seines Anspruchs auf den für ihn günstigsten Zeitpunkt zu verschieben, ohne daß er eine Verjährung seiner Ansprüche befürchten muß. Denn der Verpflichtete wird die Kenntnis des Berechtigten von der Patentverletzung in der Regel nicht nachweisen können. Ein Interesse, den Verletzungsprozeß hinauszuschieben, kann der Patentinhaber z. B. deshalb haben, weil er über die Schadensersatzforderung einen Anteil am (sich im Laufe der Zeit erhöhenden) Gewinn erlangen will, den der Patentverletzer in seinem Absatzgebiet erzielt hat, oder weil er einen Verletzungsprozeß nicht während der Zeit einer Hochkonjunktur, sondern in konjunkturschwachen Zeiten führen will, um so einen neuen Absatzbereich zu erlangen (vgl. dazu BFHE 96, 510, 512, BStBl II 1970, 15, 17).
Besteht aber die Möglichkeit, daß der Verletzte selbst ein Interesse daran hat, die Inanspruchnahme des Verletzers um Jahre hinauszuschieben, so darf aus der Tatsache, daß mehrere Jahre nach der Patentverletzung eine Inanspruchnahme noch nicht angekündigt oder erfolgt ist, auch nicht geschlossen werden, daß dies nicht mehr geschehen werde. Der Verletzer eines Patents muß vielmehr, falls er die Kenntnis des Patentinhabers von der Patentverletzung nicht nachweisen kann, während der gesamten achtzehnjährigen Schutzdauer eines Patentes (§ 10 Abs. 1 des Patentgesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung) mit der Inanspruchnahme durch den Verletzten rechnen.
Fundstellen
Haufe-Index 74386 |
BStBl II 1982, 748 |
BFHE 1981, 432 |