Leitsatz (amtlich)
Im Sinne des § 19 Abs. 1 BHG 1964 kann als "Anschaffung" von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens eine Lieferung auch dann gelten, wenn die Wirtschaftsgüter zunächst zwar in das Umlaufvermögen gelangen, jedoch aus diesem noch vor Ablauf des Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres in das Anlagevermögen übergeführt werden.
Normenkette
BHG 1964 § 19 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin betreibt in Berlin (West) den Großhandel mit elektronischen Geräten sowie die eigene Herstellung und Entwicklung von elektronischen Erzeugnissen. Im Jahre 1966 erwarb sie mehrere Elektrogeräte, die zum Verkauf bestimmt waren und dementsprechend auf dem Wareneingangskonto erfaßt wurden. Nach ihrem Vortrag entschloß sie sich kurze Zeit nach dem Eingang der Waren, vier Geräte nicht zu verkaufen, sondern für eigene Fertigungs- und Entwicklungszwecke zu verwenden. Dieser innerbetriebliche Vorgang fand in der Buchführung zunächst keinen Niederschlag, da die Klägerin für ihn keinen Eigenbeleg gefertigt hatte. Die Klägerin holte jedoch die Umbuchung vom Wareneingangskonto (Umlaufvermögen) auf die Anlagekonten (Anlagevermögen) im Rahmen des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1966 nach.
Im März 1967 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Inverstitionszulage für die vier Elektrogeräte. Das FA lehnte den Antrag durch Bescheid vom 28. September 1967 ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch zurück.
Das FG gab der Klage mit folgender Begründung statt: Für die Geräte sei gemäß § 19 BHG eine Investitionszulage zu gewähren, weil es sich um neue abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Westberliner Anlagevermögens handele, die nach dem 30. Juni 1962 und vor dem 1. Januar 1970 angeschafft worden seien. Es sei unschädlich, daß sie ursprünglich nicht zum Gebrauch im Betrieb, sondern zur Wiederveräußerung erworben und erst nach der Lieferung (Anschaffung) innerhalb desselben Kalenderjahres unter Änderung ihrer Zweckbestimmung vom Umlaufvermögen in das Anlagevermögen übernommen worden seien. Denn entgegen der Auffassung des FA setze weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des BHG voraus, daß die Wirtschaftsgüter bereits in der Absicht angeschafft worden seien, sie sofort nach der Anschaffung als bewegliches Anlagevermögen zu behandeln. § 19 Abs. 1 Satz 1 BHG 1964 spreche lediglich von "angeschafften" abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Westberliner Anlagevermögens. "Angeschafft" seien aber auch die hier vom Umlaufvermögen in das Anlagevermögen verbrachten Wirtschaftsgüter, selbst wenn der Zeitpunkt der Lieferung (Anschaffung) und der Zeitpunkt der Überführung in das Anlagevermögen - die beide in demselben Kalenderjahr lägen - nicht zusammenfielen. Auch § 19 Abs. 2 Satz 1 BHG 1964 rechtfertige nicht den Schluß des FA, die Wirtschaftsgüter müßten bereits mit der Zweckbestimmung angeschafft worden sein, sie als Anlagevermögen zu nutzen. Das Gesetz lasse sich in Fällen, in denen - wie hier - der Zeitpunkt der Anschaffung (= Lieferung) und der Zeitpunkt des Verbringens der Wirtschaftsgüter in das Westberliner Anlagevermögen zwar nicht identisch seien, aber doch noch in dasselbe Kalenderjahr oder Wirtschaftsjahr fielen, mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar dahin auslegen, daß die neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre "nach ihrer Anschaffung" in einem Westberliner Betrieb oder einer Westberliner Betriebstätte als zum Anlagevermögen gehörig verbleiben müßten, so daß gegebenenfalls die Dreijahresfrist vom Zeitpunkt der Überführung der Wirtschaftsgüter in das Anlagevermögen an rechne. Diese Auslegung verdiene den Vorzug, weil sie dem Sinn und Zweck des BHG, die betriebliche Investitionstätigkeit in Berlin (West) möglichst weitgehend zu fördern, besser entspreche. Auch derjenige Unternehmer stärke durch seine Investitionstätigkeit die Westberliner Wirtschaftskraft, der ursprünglich zur Wiederveräußerung erworbene neue bewegliche Wirtschaftsgüter seines Umlaufvermögens in das Anlagevermögen eines Westberliner Betriebes oder seiner Westberliner Betriebstätte verbringe. Das Urteil des BFH IV R 151/66 vom 29. Juli 1966 (BFH 87, 188, BStBl III 1967, 62), auf das das FA die Ablehnung des Antrags der Klägerin gestützt habe, besage nichts anderes. Es stelle nur klar, daß als Zeitpunkt der Anschaffung nur ein einziger Zeitpunkt, d. h. regelmäßig der Zeitpunkt der Lieferung, in Betracht komme und - da die Überführung eines bereits zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgutes aus dem Umlaufvermögen in das Anlagevermögen nicht als "Anschaffung" angesehen werden könne - das Verbringen eines Wirtschaftsgutes vom Umlaufvermögen in das Anlagevermögen für sich allein keinen Anspruch auf Gewährung einer Investitionszulage begründe. Die vier Elektrogeräte seien im Zeitpunkt ihrer Überführung in das Anlagevermögen auch "neu" im Sinne des Gesetzes gewesen, da sie, solange sie zum Umlaufvermögen gehört hätten, wirtschaftlich noch nicht genutzt worden seien.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 19 BHG 1964: Das FG habe dieser Vorschrift eine Auslegung gegeben, die weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar sei. Nach dem Wortlaut wie auch nach dem Sinn und Zweck des BHG müßten die Wirtschaftsgüter bereits mit der Bestimmung angeschafft sein, als Anlagevermögen genutzt zu werden. Die gegenteilige Ansicht des FG finde im Gesetz keine Stütze. Das zeige sowohl die wörtliche als auch die sinngemäße Auslegung des § 19 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 BHG 1964. Das Gesetz verlange also, daß die Wirtschaftsgüter von dem Zeitpunkt ihrer Anschaffung zum Anlagevermögen gehörten. Das sei auch ein Gebot der Klarheit, die gerade bei Investitionen zur Verhinderung von Manipulationen verlangt werden müsse. Da die Elektrogeräte zunächst zum Umlaufvermögen gehört hätten, habe ihre spätere Überführung ins Anlagevermögen einen Anspruch auf Gewährung einer Investitionszulage nicht begründen können, wie auch der IV. Senat des BFH im Urteil IV R 151/66 vom 29. Juli 1966 (a. a. O.) entschieden habe. Auf die Frage des Zeitpunktes der Überführung ins Anlagevermögen könne es somit nicht ankommen. Im übrigen fehle im Urteil des FG eine Grundlage für die Feststellung, die Geräte seien bereits im Jahre 1966 in das Anlagevermögen übergeführt worden. Nach dem Inhalt der Akten seien die Elektrogeräte weder im Zeitpunkt des Antrags auf Gewährung einer Investitionszulage vom März 1967 noch bei einer Betriebsnachschau vom September 1967 buchmäßig als Anlagevermögen ausgewiesen gewesen.
Das FA hat beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Beide Verfahrensbeteiligte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die Gewährung einer Investitionszulage an einen Unternehmer, der in Berlin (West) einen Betrieb oder eine Betriebstätte hat, ist nach § 19 Abs. 1 und 2 BHG 1964 davon abhängig, daß der Unternehmer neue abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens seines Betriebes oder seiner Betriebstätte angeschafft oder hergestellt hat und daß diese Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in dem Betrieb oder in der Betriebstätte verbleiben. Als Anschaffung kommt nur die Lieferung der Wirtschaftsgüter an den Unternehmer in Betracht. Die Überführung eines bereits zum Umlaufvermögen gehörenden Wirtschaftsgutes in das Anlagevermögen kann für sich allein nicht als Anschaffung angesehen werden (vgl. Entscheidung des BFH IV R 151/66 vom 29. Juli 1966, a. a. O.). Da der § 19 BHG in der grundlegenden Regelung des Abs. 1 von "angeschafften ... Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens" spricht und im Abs. 2 Satz 1 verlangt, daß die Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen "gehören", liegt es nahe, die Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen als Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung anzusehen und mit dem FA als Anschaffungen nur solche Lieferungen an den Unternehmer anzuerkennen, bei denen die Wirtschaftsgüter ohne Umweg unmittelbar in das Anlagevermögen gelangt sind. Bei der Auslegung des BHG ist jedoch zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz die Produktionskraft der Westberliner Wirtschaft stärken soll (vgl. das Urteil VI R 5/68 vom 17. Mai 1968, BFH 92, 392, BStBl II 1968, 570). Es ist dem FG zuzugeben, daß auch derjenige Unternehmer die Westberliner Wirtschaft durch Investitionen jedenfalls dann stärken kann, der im Rahmen seines Westberliner Betriebes ursprünglich zur Wiederveräußerung erworbene neue bewegliche Wirtschaftsgüter alsbald aus dem Umlaufvermögen in das Anlagevermögen überführt. Deshalb ist es gerechtfertigt, im Sinne des § 19 Abs. 1 BHG 1964 als "Anschaffung" von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens eine Lieferung auch dann gelten zu lassen, wenn die Wirtschaftsgüter zwar in das Umlaufvermögen gelangen, jedoch aus diesem noch vor Ablauf des Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 und 3 BHG) in das Anlagevermögen übergeführt werden.
Im vorliegenden Falle kann der Entschluß der Klägerin, die vier Geräte nicht zu verkaufen, sondern für eigene Fertigungs- und Entwicklungszwecke zu verwenden, für sich allein nicht schon als eine Überführung der Wirtschaftsgüter in das Anlagevermögen angesehen werden. Es kommt vielmehr darauf an, ob und wann die Klägerin diesen Entschluß verwirklicht hat. Das FG hat zwar ausgesprochen, die Klägerin habe die Geräte bereits im Kalenderjahr 1966 in das Anlagevermögen übergeführt; es hat jedoch nicht angegeben, woraus sich eine solche tatsächliche Feststellung ergeben soll. Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung begründet besonders der Umstand, daß die Klägerin einen Übergang der Geräte in das Anlagevermögen erst nach Ablauf des Kalenderjahres 1966 in ihrer Buchführung festgehalten hat. Eine derartige erst nach Ablauf des Jahres 1966 erfolgte Buchung reicht nicht aus, um die in diesem Jahr erforderlich gewesene Maßnahme der Überführung ins Anlagevermögen zu ersetzen.
Das FG-Urteil war somit aufzuheben, damit das FG gemäß § 76 FGO ermittelt, ob die Klägerin die vier Geräte noch im Kalenderjahr 1966 aus dem Umlaufvermögen in das Anlagevermögen übergeführt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 69354 |
BStBl II 1971, 198 |
BFHE 1971, 195 |