Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei urlaubsbedingter Abwesenheit eines GmbH-Geschäftsführers
Leitsatz (NV)
Der Grundsatz, daß derjenige, der eine ständige Wohnung innehat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, für die Zeit seiner urlaubsbedingten Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen hat, gilt - zumindest, wenn ihr weiteres Personal zur Verfügung steht - nicht für eine GmbH, deren Geschäftsführer wegen Urlaubs abwesend ist.
Normenkette
AO 1977 §§ 110, 122; GG Art. 103
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betrieb ein Unternehmen der . . . Ihre Betriebsstätte befand sich seit September 1985 in . . . Die betrieblichen Steuererklärungen einschließlich der Steueranmeldungen wurden vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erstellt, der im übrigen ihre sämtlichen steuerlichen Angelegenheiten bearbeitete.
Bei den Veranlagungen zur Körperschaftsteuer 1984 und 1985 wich der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) von den erklärten Besteuerungsgrundlagen ab. Die Abweichungen wurden in einer Anlage zum jeweiligen Bescheid erläutert. Die Bescheide vom 21. Juli 1988 gingen am gleichen Tage zur Post und waren ordnungsgemäß mit der Geschäftsadresse der Klägerin versehen.
Mit am 26. August 1988 beim FA eingegangenem Schreiben vom 25. August 1988 legte die Klägerin gegen die ergangenen Bescheide Einspruch ein und führte aus, wegen Urlaubs ihres Geschäftsführers bis zum 24. August 1988 sei ein früherer Einspruch nicht möglich gewesen. Auf Hinweis des FA beantragte die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie führte aus, der Geschäftsführer sei für die Dauer von fünf Wochen in Urlaub gewesen. Der Betrieb sei während des Urlaubs des Geschäftsführers nicht geschlossen gewesen; Vorkehrungen zur Einhaltung von Ausschlußfristen seien nicht getroffen worden, weil mit dem Ergehen von Steuerbescheiden nicht gerechnet worden sei. Der Geschäftsführer habe deshalb nicht mehr für den noch rechtzeitigen Eingang des Einspruchs beim FA sorgen können, weil die Steuerbescheide an die Geschäftsadresse gerichtet gewesen seien, er jedoch aus dem Urlaub in sein Privathaus zurückgekehrt sei. Die Eingangspost sei während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Geschäftsführers ungeöffnet liegengeblieben. Dieser habe keinerlei Anweisungen erteilt, wie im Betrieb mit der Eingangspost des FA während seines Urlaubs zu verfahren sei.
Das FA versagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf den Einspruch als unzulässig. Die auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung des § 110 der Abgabenordnung (AO 1977).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Klägerin hat die Frist für die Einlegung des Einspruchs gegen die Körperschaftsteuerbescheide für 1984 und 1985 versäumt. Gemäß § 355 Abs. 1 AO 1977 sind Rechtsbehelfe gegen einen Verwaltungsakt innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die angefochtenen Bescheide gelten gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post, also am 24. Juli 1988, als bekanntgegeben. Es ist unerheblich, daß dieser Tag ein Sonntag war, da § 108 Abs. 3 AO 1977 insoweit nicht anwendbar ist. Die Rechtsbehelfsfrist war am 24. August 1988 (einem Mittwoch) abgelaufen. Die erst zwei Tage danach eingegangenen Einsprüche sind somit verspätet eingelegt worden.
Das FA hat die Bescheide auch zutreffend der Klägerin bekannt gegeben und damit die Einspruchsfrist ordnungsgemäß in Lauf gesetzt. Der ordnungsmäßigen Bekanntgabe an die Klägerin steht nicht entgegen, daß diese durch einen Steuerberater vertreten war (§ 80 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 kann ein Steuerbescheid zwar (auch) gegenüber dem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden. Eine Verpflichtung dazu besteht jedoch in der Regel nicht, wenn weder eine schriftliche Vollmacht des Bevollmächtigten zur Entgegennahme von Steuerbescheiden vorlag noch der Steuerpflichtige auf andere Weise zu erkennen gab, daß er eine Bekanntgabe an den Berater wünscht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Juli 1980 I R 148/79, BFHE 131, 270, BStBl II 1981, 3). Im Streitfall ist nicht festgestellt, daß die Klägerin dem FA eine schriftliche Empfangsvollmacht ihres Steuerberaters vorgelegt oder auf andere Weise zu erkennen gegeben hatte, daß sie eine Bekanntgabe an den Berater wünschte. Sie hatte ihn zwar in ihren Körperschaftsteuererklärungen für die Streitjahre als Mitwirkenden angegeben, ihn aber nicht an der dafür vorgesehenen Stelle des Erklärungsvordrucks als Empfangsbevollmächtigten angegeben.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Einspruchsfrist ist - wie das FG zutreffend entschieden hat - nicht zu gewähren. Nach § 110 AO 1977 ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, d. h., wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Das Verschulden eines Vertreters ist gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 dem Vertretenen zuzurechnen.
Die von der Klägerin angegriffene Entscheidung des FA über die Wiedereinsetzung ist Bestandteil der mit der Klage angefochtenen Einspruchsentscheidung und vom FG zu Recht uneingeschränkt überprüft worden (z. B. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1989 IV R 82/88, BFHE 159, 103, BStBl II 1990, 277).
a) In den Fällen, in denen ein außergerichtliches Vorverfahren den ersten Zugang zum Gericht ermöglicht (vgl. § 44 Abs. 1 FGO), ist das Recht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantie zu sehen. Deshalb dürfen in solchen Fällen - ebenso wie in den Fällen des ersten Zugangs zum Gericht - bei der Auslegung und Anwendung der für die Wiedereinsetzung maßgeblichen Vorschriften keine überhöhten Anforderungen an den Betroffenen gestellt werden (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -, z. B. Beschluß vom 11. Februar 1976 2 BvR 849/75, BVerfGE 41, 332, 334 f.). Für die Fristversäumnis infolge Urlaubs hat das BVerfG für den Bereich des Bußgeld- und Strafbefehlverfahrens wiederholt ausgesprochen, daß derjenige, der eine ständige Wohnung innehat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, für die Zeit seiner urlaubsbedingten Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellung zu treffen hat (BVerfG in BVerfGE 41, 332, 335, 336).
b) Die vorstehend dargelegten Grundsätze können jedoch nicht ohne weiteres auf die urlaubsbedingte Abwesenheit des Geschäftsführers einer GmbH von deren Geschäftslokal übertragen werden.
Der Geschäftsführer einer GmbH ist deren gesetzlicher Vertreter (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Dessen Verschulden ist der GmbH - im Streitfall der Klägerin - gleich dem Verschulden eines rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters (insbesondere eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters) selbst dann zuzurechnen, wenn der Geschäftsführer schuldhaft seine ihm gegenüber dem Vertretenen obliegenden Pflichten verletzt hat (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977; vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 1. Oktober 1986 IV a ZB 7/86, Versicherungsrecht - VersR - 1986, 1214).
Maßstab für die Pflichterfüllung des Geschäftsführers ist gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG im Interesse des Vertretenen und des Rechtsverkehrs die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes. Da der Geschäftsführer einer GmbH in verantwortlich leitender Stellung fremdes Vermögen verwaltet, hat er insoweit eine höhere Sorgfalt aufzuwenden, als wenn er seine eigenen steuerlichen Pflichten erfüllt. Der zu beachtende Standard wird bestimmt durch Art und Größe des vertretenen Unternehmens und durch Gewicht und Umfang der zu erfüllenden Pflichten.
Davon ausgehend verletzte der Geschäftsführer der Klägerin im Streitfall schuldhaft seine ihm obliegenden Pflichten, weil er nicht für eine sachgerechte Wahrung eiliger Terminsachen während seiner Urlaubsabwesenheit Sorge getragen hatte (vgl. BFH-Beschluß vom 4. August 1970 II R 48/70, BFHE 99, 355, BStBl II 1970, 666). Dazu gehört die Erledigung eingehender FA-Post. Der Geschäftsführer erteilte dazu nach Einlassung der Klägerin keinerlei Anweisungen, wie damit im Betrieb während seines Urlaubs zu verfahren sei. Dies wertet das FG zu Recht als der Klägerin zuzurechnendes Organisationsverschulden des Geschäftsführers (vgl. BGH-Beschluß vom 20. November 1986 VII ZB 11/86, VersR 1987; 561).
aa) Da der Geschäftsführer seine Abwesenheit infolge Urlaubs voraussehen konnte, war er in der Lage, rechtzeitig Vorsorge zu treffen. Der damit verbundene Aufwand erscheint im Streitfall ohne weiteres zumutbar (vgl. BVerfG in BVerfGE 41, 332, 336), da dafür Personal bei der Klägerin zur Verfügung stand. Nach den Feststellungen des FG beschäftigte die Klägerin (neben dem Geschäftsführer) weitere Arbeitnehmer; der Geschäftsbetrieb der Klägerin blieb auch während der Urlaubsabwesenheit des Geschäftsführers aufrechterhalten. Zur Wahrnehmung eventueller Fristen hätte es ausgereicht, dieses Personal anzuweisen, vom FA eingehende Post unverzüglich dem Steuerberater vorzulegen, der ohnehin sämtliche steuerlichen Angelegenheiten der Klägerin bearbeitete.
Von ihm stammte auch der Einspruch, um dessen fristgemäße Einlegung es im Streitfall geht. Mit dieser Weisung hätte sich auch die Vertraulichkeit der steuerlichen Verhältnisse der Klägerin gegenüber den Angestellten (vgl. BVerfG-Beschluß vom 2. April 1974 2 BvR 784/73, BVerfGE 37, 100, 102) vereinbaren lassen.
Das BVerfG erkennt ebenfalls an, daß von solchen Bekanntgabeempfängern, die aus anderen Gründen (z. B. wegen häufiger Abwesenheit) sowieso Dritte einschalten müssen, besondere Vorkehrungen dafür verlangt werden können, daß sie ,,normalerweise rechtzeitig Kenntnis von Zustellungen erlangen" (BVerfG in BVerfGE 41, 332, 336 f.). Dies muß in gleicher Weise gelten, wenn - wie im Streitfall - beim Bekanntgabeempfänger ohnehin Personal vorhanden und dessen Beauftragung dem Betroffenen zumutbar ist.
bb) Ein sorgfältiger Geschäftsführer mußte ferner für die Dauer eines 5wöchigen Urlaubs mit dem Eingang fristgebundener FA-Post bei der GmbH rechnen. Die Klägerin unterhielt nach den Feststellungen des FG einen ,,Geschäftsbetrieb von nicht unerheblichem Umfange". Allein aufgrund ihrer Verpflichtung zur monatlichen Abgabe von Steueranmeldungen mußte sie der Bekanntgabe von Steuerbescheiden gewärtig sein.
Fundstellen
Haufe-Index 417685 |
BFH/NV 1992, 146 |