Leitsatz (amtlich)
Ob der Teil der Beiträge an eine Ärztekammer, der anteilsmäßig von der Kammer alljährlich als Zuschuß an die berufsständische Versorgungskasse gegeben wird, beim einzelnen Steuerpflichtigen Betriebsausgabe oder Sonderausgabe darstellt, hängt von der Zweckbestimmung des Zuschusses und den Rechtsbeziehungen zwischen dem beitragzahlenden Steuerpflichtigen und der Versorgungskasse ab. Erhält die Zuschüsse das Versorgungswerk, bei dem der Steuerpflichtige selbst Mitglied ist und gegen das er Versorgungsansprüche geltend machen kann, so handelt es sich mittelbar um Zahlungen zugunsten der eigenen Versorgung, die nur im Rahmen der Sonderausgaben abzugsfähig sind. Sind hingegen die Zuschüsse für ein (älteres) Versorgungswerk bestimmt, bei dem der Steuerpflichtige nicht Mitglied ist und gegen das ihm auch keinerlei Rechte auf spätere Versorgung zustehen, so ist dieser Teil der Kammerbeiträge eine Betriebsausgabe.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 10 Abs. 1 Nr. 2b
Tatbestand
Der Kläger (Steuerpflichtiger) ist als freipraktizierender Zahnarzt Pflichtmitglied des Altersversorgungswerks (AVW), einer Einrichtung der Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN). Die Mittel des AVW bilden eine selbständige Vermögensmasse und dienen der Versorgung ihrer Mitglieder im Alter und bei Eintritt der Berufsunfähigkeit. Der Kläger hat im Streitjahr Beiträge in Höhe von 1 140 DM an das AVW gezahlt und ferner einen Beitrag von 444 DM an die ZKN entrichtet.
Streitig ist, ob das FA zu Recht 296 DM (2/3) der Kammerbeiträge des Steuerpflichtigen als Sonderausgaben und nicht als Betriebsausgaben behandelt hat.
Das 1963 gegründete AVW erhebt nach § 20 der Alterssicherungsordnung der ZKN (ASO) Beiträge, die nach Alter, Geschlecht und Familienstand der Mitglieder gestaffelt sind und höchstens 160 DM monatlich betragen. Es erhält nach § 21 ASO ferner zur Sicherung a) der sozialen Gestaltung von Beiträgen und Leistungen und b) der Verpflichtungen aus der "alten Last" (der seit 1956 bestehenden freiwilligen früheren Altersversorgung = AV 1956) von der ZKN Zuschüsse. Diese werden von der Kammerversammlung für einen Zeitraum von drei Jahren im voraus beschlossen und dürfen frühestens neun Jahre nach Einrichtung des AVW im Jahre 1963 gekürzt werden. Die Mittel für diese Zuschüsse stammen aus dem Beitragsaufkommen der Kammer. Von den gesamten Aufwendungen der ZKN, die laut Haushaltsplan im Streitjahr 2 170 600 DM betrugen, entfielen 1,2 Millionen DM auf den Zuschuß an das AVW.
Das FA behandelte bei der Einkommensteuerveranlagung 1965 beim Steuerpflichtigen nicht nur die Beiträge an das AVW, sondern auch 2/3 seiner Kammerbeiträge = 296 DM als Sonderausgaben und erkannte nur den restlichen Kammerbeitrag von 148 DM als Betriebsausgaben an, weil die ZKN ca. 2/3 der eingehenden Beiträge für Zwecke des AVW verwandt habe. Infolge Überschreitens des Sonderausgabenhöchstbetrages hat sich der Kammerbeitrag nicht in voller Höhe einkommensmindernd ausgewirkt.
Hiergegen wandte sich der Steuerpflichtige mit der Sprungklage. Er beantragte, die Kammerbeiträge in voller Höhe als Betriebsausgaben abzuziehen, weil diese Beiträge nicht für seine Altersversorgung, sondern zur Erfüllung der Aufgaben der ZKN bestimmt gewesen seien. Er führte aus, auch Zahnärzte, die nicht Mitglieder des AVW seien, hätten den vollen Kammerbeitrag zu entrichten. Diese Personen könnten ihn aber uneingeschränkt als Betriebsausgabe absetzen. Er selbst erlange durch den aus den Kammerbeiträgen bestrittenen Zuschuß der ZKN an das AVW weder Versorgungsansprüche noch Versorgungsleistungen, weil für seine Rente nur die Beiträge an das AVW selbst verwendet würden, während der Zuschuß der ZKN nach einem vorgelegten versicherungsmathematischen Gutachten in den ersten neun Jahren, also auch im Streitjahr, ausschließlich zur Abdeckung des durch die Übernahme der Verpflichtungen der früheren AV 1956 entstandenen Fehlbetrages diene. Die Erfüllung dieser alten Verpflichtungen sei nicht Aufgabe des AVW. Vielmehr handle es sich hierbei um eine Schuld der ZKN selbst, die diese durch das AVW erfüllen lasse.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG, dessen Entscheidung in den EFG 1967, 553 veröffentlicht ist, führte aus, Betriebsausgaben seien nach § 4 Abs. 4 EStG Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt seien. Das treffe für den Kammerbeitrag des Steuerpflichtigen zu. Er müsse ihn an die ZKN zahlen, weil er als Zahnarzt mit eigener Praxis Pflichtmitglied dieser Berufsorganisation sei. Auch Zahnärzte, die nicht dem AVW angehörten, müßten den Kammerbeitrag entrichten. Diese Tatsache unterstreiche, daß diese Beiträge in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen stehe und nicht durch seine privaten Verhältnisse veranlaßt werde. Die Auffassung des FA, die Kammerbeiträge gehörten zu 2/3 der privaten Lebenssphäre des Steuerpflichtigen an, gehe fehl. Eine andere Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn die Kammerbeiträge in Höhe von 2/3 bei der ZKN lediglich durchlaufende Posten wären oder wenn das FA nachgewiesen hätte, daß die Voraussetzungen des § 6 StAnpG vorlägen. Beides treffe aber nicht zu. Nach § 21 ASO stehe zwar von vornherein fest, daß die ZKN mindestens für neun Jahre, also bis einschließlich 1972, an das AVW Zuschüsse zu leisten habe, die aus Kammerbeiträgen aufgebracht würden. Die Gewährung dieser Zuschüsse sei aber eine eigene Rechtsverpflichtung der ZKN. Weder die Mitglieder des AVW noch die sonstigen Kammerangehörigen schuldeten diesen Zuschuß dem AVW. Jeder Angehörige der Kammer habe unabhängig davon, ob er Mitglied des AVW sei, den Kammerbeitrag zu bezahlen. Daraus ergebe sich, daß kein auch nur mittelbarer Zusammenhang zwischen der Beitragszahlung des Steuerpflichtigen an die ZKN und seinem Anspruch auf Gewährung von Versorgungsleistungen als Mitglied des AVW bestehe. Es komme deshalb auf die Frage, ob mit dem Zuschuß in erster Linie die "alte Last" oder auch andere Versorgungsansprüche abgesichert werden sollten, nicht an. Da ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der Beitragsleistung an die ZKN und dem Versorgungsanspruch des Steuerpflichtigen gegenüber dem AVW nicht bestehe, gehe der Hinweis des FA auf die Notwendigkeit einer übereinstimmenden steuerlichen Behandlung aller mittelbar oder unmittelbar für das AVW bestimmten Leistungen fehl.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache hat das FG die Revision zugelassen.
Mit seiner Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage des Steuerpflichtigen als unbegründet zurückzuweisen. Die Begründung der Revision ist im wesentlichen folgende. Die nach § 21 ASO von der ZKN an das AVW zu leistenden erforderlichen Zuschüsse würden nicht nur wegen der Verpflichtung aus der "alten Last", sondern auch zur Sicherung der sozialen Gestaltung bei Beiträgen und Leistungen der AVW 1963 gezahlt. Nach dem Gutachten des mathematischen Sachverständigen seien die Beiträge des AVW aus sozialen Gründen auf monatlich höchstens 160 DM festgesetzt worden. Hierdurch sei nach den Ausführungen des Sachverständigen ein zusätzliches Defizit entstanden. Auch die Abdeckung dieses Fehlbetrags erfolge weitgehend durch die Kammerbeiträge der Mitglieder in Form der Zuschüsse des ZKN. Tatsächlich würden etwa 2/3 der gesamten Kammerbeiträge des ZKN für Versorgungszwecke der Mitglieder des AVW verwendet. Wenn das AVW darauf verzichte, von seinen Mitgliedern einen höheren Beitrag zur Deckung der bisherigen Fehlbeträge zu verlangen und aus dem Gedanken der Solidarität der Berufsgruppe der Zahnärzte ein Zuschuß durch die ZKN an das AVW gewährt werde, so müßten auch die Kammerbeiträge zur ZKN derjenigen Zahnärzte, die auch Mitglieder des AVW seien, in prozentualer Höhe des Zuschusses der ZKN an das AVW als Sonderausgaben angesehen werden. Der Senat hält es für zweckmäßig, gemäß § 90 Abs. 3 FGO zunächst durch Vorbescheid zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Beiträge, die die Angehörigen freier Berufe an ihre Berufsorganisationen leisten, sind grundsätzlich Betriebsausgaben, da sie durch die Berufsausübung bedingt sind. Beiträge hingegen, die solche Steuerpflichtige an ihre berufsständische Versorgungskasse zur Erlangung einer späteren Altersversorgung oder anderer Versorgungsansprüche leisten, stellen als Verwendung von Einkommen für Zwecke der privaten Lebensführung keine Betriebsausgaben, sondern Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG dar. Ob der Teil der Beiträge an die Berufsorganisation - wie im vorliegenden Fall ein Teil der Kammerbeiträge an die ZKN -, der anteilsmäßig von der Berufsorganisation alljährlich als Zuschuß an die Versorgungskasse gegeben wird, bei den Steuerpflichtigen Betriebsausgabe oder Sonderausgabe darstellt, hängt davon ab, für welchen Zweck der Zuschuß bestimmt ist und ob Rechtsbeziehungen zwischen den Beitragszahlern einerseits und der Versorgungskasse andererseits bestehen. Der Senat geht dabei von dem mit der bisherigen Rechtsprechung im Ergebnis übereinstimmenden Standpunkt aus, daß sämtliche Zahlungen und Beiträge der selbständig tätigen Steuerpflichtigen an oder zugunsten ihrer berufsständischen Versorgungskasse, gegen die sie oder ihre Angehörigen einen Anspruch auf Altersversorgung oder eine Anwartschaft auf andere Versorgungsleistungen haben, Verwendung von Einkommen für private Zwecke und damit keine Betriebsausgaben, sondern Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG darstellen (vgl. vor allem Urteile des BFH VI 41/55 U vom 14. März 1958, BFH 66, 666, BStBl III 1958, 256, und IV 298/59 vom 29. Oktober 1962, HFR 1963, 103).
Das FG sah die Kammerbeiträge des Steuerpflichtigen in voller Höhe als Betriebsausgaben und nicht teilweise als Sonderausgaben an, weil weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Zusammenhang zwischen den Kammerbeiträgen einerseits und den privaten Versorgungsansprüchen des Steuerpflichtigen gegen das AVW andererseits bestehe. Für die Vorinstanz war also für den Betriebsausgabencharakter der gesamten Kammerbeiträge entscheidend, daß es für die Versorgungsansprüche des Steuerpflichtigen und seiner Angehörigen gegenüber dem AVW ohne Einfluß war, daß ein erheblicher Teil des Aufkommens an Kammerbeiträgen satzungsgemäß vom ZKN als Zuschuß an das AVW verwendet werden mußte, weil er dadurch keine zusätzlichen Rechte oder Ansprüche auf eine eigene Altersversorgung oder auf eine Versorgung im Falle der Berufsunfähigkeit erlangt hat. Seine Versorgungsansprüche gegen das AVW beruhten allein auf seiner Pflichtmitgliedschaft beim AVW selbst und den darauf beruhenden besonderen Beitragszahlungen an das AVW in Höhe von 1 140 DM im Streitjahr.
Diese Begründung, die von der Begründung des BFH-Urteils VI 41/55 U (a. a. O.) abweicht, hält aber der Senat auf Grund seiner oben dargelegten Auffassung nicht für durchschlagend. Nach ihr ist es vielmehr entscheidend, ob die Zuschüsse der ZKN an das AVW nur zur Bereitstellung der Mittel für die sog. "alte Last", d. h. für die Verpflichtungen aus der Altersversorgung 1956 bestimmt waren und verwendet wurden, wie der Steuerpflichtige behauptet und im einzelnen dargelegt hat, oder auch zur Abdeckung des Fehlbetrages, der durch die Erhebung zu niedriger Beiträge des AVW von ihren Mitgliedern entstanden ist und damit tatsächlich dem AVW zugute gekommen wäre, bei dem der Steuerpflichtige Pflichtmitglied war. Denn in diesem Falle würde es sich bei dem entsprechenden Teil der Beiträge um Zahlungen zugunsten der eigenen Versorgungskasse und damit mittelbar auch der eigenen Versorgung handeln, die nur als Sonderausgaben abzugsfähig wären. Die Altersversorgung 1956 hingegen steht unstreitig mit dem seit 1963 bestehenden Altersversorgungswerk - AVW -, an das allein der Steuerpflichtige als Pflichtmitglied angeschlossen war und gegen das allein er auch Versorgungsansprüche hatte, rechtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Sie wurde vom ZKN dem AVW nur zur Verwaltung übertragen. Demnach stünde auch die Bereitstellung der Mittel ausschließlich für die Altersversorgung 1956 durch das ZKN mit der Altersversorgung des Steuerpflichtigen bzw. seiner Versorgung im Falle seiner Berufsunfähigkeit durch das AVW in keinem möglichen Zusammenhang. Bei dieser rechtlich und tatsächlich klaren Abgrenzbarkeit der Zuschüsse des ZKN vom Vermögen des AVW könnte durch sie der Betriebsausgabencharakter der Kammerbeiträge des Steuerpflichtigen nicht beeinträchtigt werden. Es wäre in diesem Falle nicht vertretbar, die Kammerbeiträge des Steuerpflichtigen anders zu behandeln, als bei einem Kammermitglied, das nicht Mitglied des AVW ist, bei dem also keinerlei Rechtsbeziehungen zum AVW bestehen und deshalb die allein betriebliche Veranlassung der gesamten Kammerbeiträge nicht zweifelhaft ist.
Das FG hat diese Frage offen gelassen, weil es der Meinung war, der nach seiner oben dargelegten Beurteilung festgestellte Charakter der Kammerbeiträge als Betriebsausgaben werde nicht davon berührt, ob Teile davon an das AVW abgeführt werden und auch der privaten Altersversorgung des Steuerpflichtigen evtl. zugute kommen können. Gerade im vorliegenden Fall, dessen Besonderheit darin liegt, daß die Ärztekammer mehr als die Hälfte ihres Beitragsaufkommens nach der Satzung (ASO) an die Versorgungseinrichtungen abführen muß, hält es aber der Senat für entscheidend, für welchen Zweck tatsächlich der Zuschuß der ZKN an das AVW gegeben und wofür er vom AVW tatsächlich verwendet wurde. Man kann hier nicht außer acht lassen, daß die Höhe der Kammerbeiträge zumindest bis einschließlich 1972 ganz erheblich von der Zuschußpflicht der ZKN an das AVW bestimmt wurde, ein Teil der Kammerbeiträge also von vornherein für Versorgungszwecke erhoben wurde. Sind dabei die Zuschüsse in das Vermögen der AVW des Steuerpflichtigen geflossen, so war der entsprechende Teil der Kammerbeiträge des Steuerpflichtigen mittelbar eine Zahlung für seine Versorgungskasse. Sie unterscheidet sich dann im Ergebnis nicht von den unmittelbaren Beiträgen an das AVW.
Da das FG zu dieser entscheidungserheblichen Tatsache keine Feststellung getroffen hat, muß die Vorentscheidung aufgehoben werden. Gemäß § 118 Abs. 2 FGO ist der Senat nicht befugt, eine solche Tatsache selbst festzustellen und durchzuerkennen. Die Sache muß deshalb an das FG zurückverwiesen werden, das nach Vornahme der fehlenden Tatsachenfeststellung erneut zu entscheiden hat. Gemäß § 143 Abs. 2 FGO wird dem FG auch die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 413206 |
BStBl II 1972, 728 |
BFHE 1972, 38 |