Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Abgabe medizinischer Gutachten als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 5, § 34/4
Tatbestand
Streitig ist der Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist als leitender Arzt in einem Krankenhaus für Hirn- und Nervenschäden angestellt und hat im Jahre 1949 an Einkünften bezogen:
aus unselbständiger Tätigkeit ------------- 9.856,00 DM
für 310 abgegebene Gutachten -------------- 6.998,00 DM.
Bei den Gutachten handelt es sich um sogenannte Obergutachten, die über bereits vorliegende Gutachten von der Landesversicherungsanstalt und von Oberversicherungsämtern angefordert werden. Außerdem wurden auch auf Anfordern der Gerichte im Rahmen des § 51 des Strafgesetzbuches (StGB) Gutachten erstattet.
Die vom Bf. für die Einkünfte zu b) begehrte Vergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG hat das Finanzamt versagt. Es ist ebenso wie die befragte Oberfinanzdirektion der Ansicht, daß im Sinne der vorgenannten Bestimmung eine wissenschaftliche Tätigkeit nicht vorliegt. Nur wer forsche oder die Ergebnisse seiner Forschung oder die Früchte seiner wissenschaftlichen Erfahrungen in Form von Büchern, Abhandlungen, Vorträgen oder Gutachten über bestimmte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung bekanntgebe, erfülle den Tatbestand der Gesetzesvorschrift. Durch die wissenschaftliche Arbeit müßten neuartige Erkenntnisse gewonnen werden. Aus der Zahl der erstatteten Gutachten sei zu folgern, daß es sich um bloße Routinegutachten handele.
Das Finanzgericht hat im Ergebnis ebenfalls die Anwendung des § 34 Abs. 5 EStG verneint. Die Bestimmung bezwecke, einen Anreiz für eine wissenschaftliche usw. Tätigkeit neben der eigentlichen Berufsarbeit zu geben und die Hemmungen, die die heutige Höhe der steuerlichen Belastung für jede schöpferische Betätigung mit nur geringen materiellen Erfolgen bedeutet, zu mildern. Aus dem Kreis der wissenschaftlichen Arbeiten habe jede Betätigung auszuscheiden, die auf die praktischen Erfordernisse des Tages abgestellt sei, solchen Bedürfnissen unmittelbar diene und deshalb auch im allgemeinen noch ein angemessenes Entgelt erziele. Wissenschaftlich arbeite nur, wer die Summe der Erfahrungen, Kenntnisse und Einsichten in den einzelnen Disziplinen der Wissenschaft erweitere oder bereichere und zu seinem Tun wesentlich von dem Willen nach Erkenntnis an sich bestimmt werde, wobei allerdings die Absicht, die gewonnenen Ergebnisse später praktisch zum Nutzen der Allgemeinheit anzuwenden oder zu verwerten, den wissenschaftlichen Charakter einer Betätigung nicht auszuschließen vermöge. Es sei demgemäß zwar zu eng, nur in der Forschertätigkeit ein wissenschaftliches Arbeiten zu sehen, andererseits könne es aber auch mit geistiger Arbeit nicht gleichgesetzt werden. Es hätten daher die akademischen Berufe, soweit es sich unmittelbar mit den das Gemeinschaftsleben täglich mit sich bringenden Aufgaben befaßten, auszuscheiden. Der Arzt, der Anwalt, der Richter, die unter Heranziehung der neuesten Ergebnisse der Wissenschaft ihren Beruf ausübten, leisteten im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG keine wissenschaftliche Arbeit, weil ihre Tätigkeit auf den einzelnen Fall abgestellt sei und letztlich hinsichtlich ihres Umfanges, ihrer Dauer und ihrer Quantität von den Bedürfnissen der Praxis und nicht den der Wissenschaft bestimmt werde. Hierbei sei nicht übersehen, daß die praktische Berufsarbeit des Akademikers vielfach eine mit einem hohen Maß von Wissen und Erfahrung gepaarte besondere Spannkraft, hohe geistige Leistung und Konzentration erfordere, und daß die Ergebnisse dieser Tätigkeit zu neuen Ideen anregen, Probleme zur Erörterung stellen und dadurch die Wissenschaft selbst wieder befruchten könnten. Bei Anlegung dieses Maßstabs müsse der Gutachtertätigkeit ganz offensichtlich das Merkmal einer wissenschaftlichen Betätigung abgesprochen werden; sie stehe nicht im Dienst des Erkenntnisstrebens, es würden keine die medizinische Wissenschaft interessierenden Probleme mit der der wissenschaftlichen Arbeitsweise eigenen Gründlichkeit und Exaktheit erörtert, es handele sich vielmehr um die Erledigung einer überaus großen Zahl von Rentenprozessen. Es gehe im wesentlichen neben der Stellung der Diagnose um die Feststellung, in welchem Umfang die Erwerbstätigkeit eines Patienten gemindert, und worauf sein Leiden zurückzuführen sei, Fragen, die für die medizinische Wissenschaft kaum etwas bedeuteten. Unzweifelhaft seien die Gutachten nach Umfang und Qualität von praktischen Bedürfnissen bestimmt und nicht geeignet, die wissenschaftliche Erkenntnis allgemein zu erweitern. Diese Folgerung müsse sowohl aus der Zahl der Fälle gezogen werden wie aus der Tatsache, daß die Gutachten in der Fachpresse und Fachwelt weder besprochen noch anderen medizinischen Experten zugänglich gemacht würden. Es könne wohl ohne weiteres unterstellt werden, daß die Gutachten nur für den einzelnen Rentenfall bestimmt seien, möglicherweise für andere Fälle verwertet werden könnten, darüber hinaus aber auf die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft keinen Einfluß hätten. Daß es sich um Obergutachten handele, sei ohne Belang, da sich diese lediglich auf Grund der besonderen Spezialkenntnisse und Erfahrungen des Bf. hinsichtlich ihrer Qualität, nicht aber in ihrer auf Erledigung von Rentenstreitigkeiten gerichteten Zielsetzung von sonstigen für die anfordernden Stellen abgegebenen Gutachten unterschieden. Es sei daher auch nicht angängig, einzelne besonders umfangreiche und schwierige Fragen behandelnde Gutachten herauszugreifen und diesen den wissenschaftlichen Charakter zuzuerkennen.
Demgegenüber hat der Bf. darauf hingewiesen, daß die Abgabe von Gutachten auf dem Gebiete der Hirn- und Nervenschäden zu den besonders schwierigen Aufgaben gehöre, mit denen sich nur wenig geschulte Fachleute beschäftigten, weil dazu eine spezielle wissenschaftliche Vorbildung notwendig sei. Der Bf. arbeite mit den Universitätskliniken zusammen, die Untersuchungsstelle sei diesen angeschlossen, die Gutachten würden unter Mitarbeit der verschiedenen Universitätskliniken erstattet. Er sei außerdem im wissenschaftlichen Beirat des Bundes hirnverletzter Kriegs- und Arbeitsopfer und als Sachverständiger zu den Beratungen des Deutschen Bundestages über das neue Versorgungsgesetz zugezogen. Obergutachten über bereits vorliegende Vorgutachten von Vertragsärzten der Versicherungsträger oder von Amtsärzten erforderten im besonderen Masse wissenschaftliche Spezialerfahrungen. Aus der Untersuchung und Beobachtung der unterbreiteten Fälle würden laufend neue Erfahrungen gesammelt, die zu wissenschaftlichen Erkenntnissen führten, sie seien Objekte weiterer Forschungen auf einem noch wenig erschlossenem Gebiet der Medizin. Jeder schwierige Fall fördere zwangsläufig diesen Zweig der medizinischen Wissenschaft. Das ergebe sich auch aus der Gebührenberechnung, die nach Ziff. 15 f der Preußischen Gebühren-Ordnung erfolge. Diese Honorierung setze wissenschaftlich begründete Gutachten voraus. Es handelt sich keineswegs um Routine- oder formularmäßig abgegebene Gutachten. Auch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs habe in der Erteilung von Gutachten eine wissenschaftliche Tätigkeit gesehen (Urteile des Reichsfinanzhofs V 218/40 vom 9. Mai 1941, Slg. Bd. 50 S. 180; V 201/38 vom 18. Januar 1939, Slg. Bd. 46 S. 41; V A 749/27 vom 1. Dezember 1927, Slg. Bd. 22 S. 201).
Gegenüber den Ausführungen des Finanzgerichts bemängelt der Bf. in der Rechtsbeschwerde (Rb.) den von diesem zu eng umrissenen Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit. Dem Zweck der hier in Betracht kommenden Vorschrift werde nur eine Auslegung gerecht, die neben der forschenden Tätigkeit, die die Gewinnung neuer Erkenntnisse zum Ziel habe, auch die Tätigkeiten begünstige, die darin bestünden, den Schatz wissenschaftlicher Erkenntnisse andern zu vermitteln oder andere in das Wesen wissenschaftlichen Arbeitens einzuführen und wissenschaftliche Erkenntnisse der täglichen Berufsarbeit dienstbar zu machen. Das Gesetz wolle die neben der eigentlichen zusätzlich geleistete wissenschaftliche usw. Betätigung bevorzugt behandeln, die in dem Schreiben wissenschaftlicher Aufsätze, Halten von Vorträgen oder Abfassen von Gutachten zum Ausdruck käme. Das könne in der Weise geschehen, daß die sich aus der täglichen Berufsarbeit ergebenden Probleme aufgezeigt und zur Diskussion gestellt würden, oder auch, daß die Ergebnisse der Bemühung um ein Wissensgebiet in einem auf den Einzelfall angewandten wissenschaftlichen Gutachten ihren Niederschlag fänden. Es sei unzutreffend, in dem Obergutachten nur eine auf den Einzelfall und die praktischen Ergebnisse des Tages abgestellte Arbeit und die Erledigung von Rentenprozessen zu sehen, an der die medizinische Wissenschaft nicht interessiert sei; die Gutachtertätigkeit diene vielmehr der ärztlichen wissenschaftlichen Beratung der Spruchbehörden nicht nur in dem Einzelfalle, sondern allgemein, wenn naturgemäß auch die wissenschaftlichen Ergebnisse, Erfahrungen und Grundsätze an Hand eines Einzelfalles dargelegt werden müßten. Das Wesen des Gutachtens bestehe ja gerade darin, daß ein Krankheitsfall wissenschaftlich geklärt werde, so daß daraus wissenschaftliche, im allgemeinen Interesse liegende Schlüsse gezogen werden könnten. Wenn im Abschn. 223 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) II/1948 und 1949 von wissenschaftlichen Gutachten die Rede sei, so könne nur der allgemein übliche Begriff zugrunde gelegt werden. Es gehe nicht an, für das Steuerrecht einen neuen, enger umgrenzten Begriff einzuführen. Im übrigen habe es das Finanzgericht unterlassen, sich durch Vorlage einzelner Gutachten ein Urteil über sie zu bilden oder Sachverständige zuzuziehen, was der Vertreter des Bf. dem Berichterstatter mündlich nahegelegt habe. Es liege daher insoweit mangelnde Sachaufklärung vor, um so mehr, als das Finanzgericht aus der Zahl der Gutachten deren wissenschaftliche Qualität in Zweifel ziehe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Wenn das Finanzgericht davon spricht, der Gutachtertätigkeit fehle "ganz offensichtlich" das Merkmal einer wissenschaftlichen Betätigung, so ist nicht erkennbar, worauf es diese Auffassung stützt. Hierzu konnte es nur kommen, wenn es sich durch Einsichtnahme von der Qualität der Gutachten selbst oder durch Zuziehung geeigneter Sachverständiger ein Urteil gebildet hätte. Gerade angesichts der in der Vorentscheidung vertretenen Ansicht wären nähere Feststellungen geboten gewesen. Auf die hierin liegende und vom Bf. zutreffend gerügte unvollständige Tatbestandsfeststellung braucht jedoch nicht näher eingegangen zu werden, da sowohl Finanzamt wie Finanzgericht den Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG unrichtig ausgelegt haben. Zu dieser Frage wie auch zu dem mit der Gesetzesvorschrift beabsichtigten Zweck hat der Senat in dem Urteil IV 73/52 vom 30. April 1952 (Bundessteuerblatt - BStBl. - III 1952 S. 165, Steuerrechtskartei - StRK -, EStG § 34 Abs. 5 Rechtsspr. 2) Stellung genommen. Danach ist eine wissenschaftliche Tätigkeit dann gegeben, wenn eine schwierige Frage (Aufgabe) auf Grund wissenschaftlicher Kenntnisse und Erkenntnisse nach wissenschaftlichen Grundsätzen gelöst wird. Selbst wenn man in diesem Rechtssatz keine alle Möglichkeiten umfassende Begriffsbestimmung sieht, die auch - wie in der Entscheidung hervorgehoben - im Schrifttum nicht genau abgegrenzt wird, so enthält er doch die wesentlichsten Merkmale, die bei der Anwendung der Gesetzesvorschrift zu beachten sind. Wissenschaftlich tätig ist nicht nur, wer schöpferische Arbeit leistet, d. h. methodisch neue Ziele, Mittel und Wege weist (Forschung), sondern auch der, der das aus der Forschertätigkeit hervorgehende Wissen und Erkennen auf abstrakte oder konkrete Vorgänge anwendet. Gegenüber jeder sonstigen Betätigung kann von wissenschaftlichem Arbeiten nur gesprochen werden, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Fälle systematisch in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden. Einer sich lediglich auf Tatsachendarstellung beschränkenden Tätigkeit wird regelmäßig der Charakter wissenschaftlichen Arbeitens nicht zugesprochen werden können, werden jedoch Vorgänge methodisch, d. h. in der wissenschaftlichen Arbeitsweise eigenen Gründlichkeit und Exaktheit, nach Ursache und Grund untersucht und in einen verständnisvollen Zusammenhang gebracht, so genügt das für die Annahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG, und zwar auch dann, wenn es sich um einen einzelnen Vorgang handelt. Es ist dabei ohne Belang, ob eine solche Betätigung im Rahmen der täglichen Berufsarbeit geschieht. Die wissenschaftliche Methode wissenschaftliche Tätigkeit besteht eben darin, den zu erkennenden Gegenstand in einen Ursachen- und Begründungszusammenhang hineinzustellen, der eine Zurückführung auf letzte Ursachen und Gründe gestattet. Je nachdem bei einem wissenschaftlichen Arbeiten mehr schöpferische Erkenntnis oder ihre Anwendung in Betracht kommt, unterscheidet man reine und angewandte Wissenschaft. Die Vorinstanzen sind der Meinung, daß nur eine Beschäftigung mit der sogenannten reinen Wissenschaft zur Anwendung des § 34 Abs. 5 EStG berechtigt. Ihnen hat dabei anscheinend die früher im Reichsbewertungsgesetz für 1925 (ß 26 Abs. 1) und 1931 (ß 44 Abs. 1 Nr. 2) und jetzt noch im § 47 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz (BewDV) enthaltene Regelung für der reinen Kunst oder der reinen Wissenschaft dienende Berufstätigkeit vorgeschwebt. Hierunter war nach den Durchführungsbestimmungen ein Beruf zu verstehen, der sich auf schöpferische oder forschende Tätigkeit, Lehr-, Vortrags- und Prüfungstätigkeit sowie auf schriftstellerische Tätigkeit beschränkt (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs III A 62/28 vom 20. März 1930, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1930 S. 399; V A 643/32 vom 19. Mai 1933, Slg. Bd. 33 S. 158). Diese Unterscheidung von reiner und angewandter Kunst und Wissenschaft wurde vom Einkommensteuergesetz nicht übernommen. Das Finanzgericht hat daher bereits mit Recht die vom Finanzamt als allein maßgebend bezeichnete Forschertätigkeit als unzureichend abgelehnt. Aber auch seine eigene Ansicht, die nur eine die wissenschaftlichen Erkenntnisse erweiternde oder bereichernde Tätigkeit als wissenschaftliche Tätigkeit gelten lassen will, entspricht nicht dem Gesetz. Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist vielmehr auch dann gegeben, wenn ein bestimmter Vorgang nach wissenschaftlicher Methode behandelt wird, d. h. es muß, wie es im Urteil IV 73/52 heißt, eine Aufgabe nach streng sachlichen oder objektiven Gesichtspunkten zu lösen versucht werden. Hieraus ergibt sich bereits, daß es nicht richtig sein kann, wenn dem Arzt, Anwalt und Richter allgemein ein wissenschaftliches Arbeiten abgesprochen wird. Eine wissenschaftliche Tätigkeit kann auch in einer berufsmäßigen Wirksamkeit bestehen, die die Anwendung der Lehren und Grundsätze einer Wissenschaft auf konkrete Verhältnisse zum Gegenstande hat. Nur steuerlich ist die Behandlung eine andere. Wird die Tätigkeit in einem Beamten-, Angestellten- oder Arbeitsverhältnis oder hauptberuflich als freier Beruf ausgeübt, so fällt sie unter § 18 und § 19 EStG und wird nach Massgabe dieser Vorschriften steuerlich erfaßt. Diese Regelung besagt aber an sich nicht ohne weiteres, daß ein unter diese Bestimmungen fallender Aufgabenbereich keine wissenschaftliche Tätigkeit darstellt. Diese erfährt, wenn sie nebenberuflich ausgeübt wird, im Rahmen des § 34 Abs. 5 EStG nur eine besondere steuerliche Behandlung. Der Senat hat deshalb in IV 73/52 auch betont, daß sowohl einer unterrichtenden wie Gutachtertätigkeit die Steuervergünstigung zugute kommt, wenn sie nach wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführt wird mit der Maßgabe, daß sich das nicht etwa nur auf die Behandlung abstrakter Fragen bezieht, sondern auch auf Gutachten, die konkrete Fälle behandeln. Es wäre auch nicht richtig, wenn die Vorinstanz der Meinung sein sollte, was aus der Betonung des Akademikers entnommen werden könnte, daß nur dieser Personenkreis wissenschaftlich tätig sein kann. Auch die, die nicht über eine akademische Bildung verfügen, können durchaus wissenschaftlich arbeiten.
Bei diesem Ergebnis wird, angesichts der nicht widerlegten Darlegungen des Bf., in der Abgabe seiner Obergutachten eine wissenschaftliche Betätigung gesehen werden müssen. Dafür spricht schon, daß die Abgabe eines Obergutachtens an sich bereits eine wissenschaftliche Durchdringung des zu beurteilenden Falles erforderlich macht; hinzu kommt die enge Verbindung mit den Universitätskliniken, deren Mitarbeit und die Tatsache, daß die Honorierung nach den für wissenschaftliche Gutachten vorgesehenen Sätzen stattfindet. Diese dürfen sich nicht in der Mitteilung des Ergebnisses der rein technisch-medizinischen Beurteilung erschöpfen, sie müssen vielmehr neben der erschöpfenden Feststellung und Würdigung des Sachverhalts diesen exakt wissenschaftlich medizinisch-kritisch behandeln und ein Schlußergebnis enthalten, das dem neuesten Stande der Wissenschaft auf dem Gebiet der Hirn- und Nervenkrankheiten entspricht. Es liegen keine Tatsachen dafür vor, daß die Gutachten diesen Anforderungen nicht genügen. Diese Beurteilung kann nicht durch die Zahl der Gutachten beeinflußt werden. Bereits grundsätzlich wird zu sagen sein, daß die Frage, ob wissenschaftliche Tätigkeit vorliegt, nicht entscheidend von ihrem Umfange abhängt. Wollte man das tun, dann würde einem Steuerpflichtigen (Stpfl.), der wissenschaftlich tätig ist, deshalb die steuerliche Vergünstigung nicht gewährt werden dürfen, weil er z. B. dauernd über den gleichen Gegenstand Vorträge hält. Ob jemand in einer Woche drei oder fünf Gutachten abgibt, besagt nichts über ihren wissenschaftlichen Wert. Es ist durchaus möglich, daß es sich bei einem Teil der Obergutachten um gleiche oder doch ähnlich gelagerte Fälle handelt, zu deren Abgabe kein besonders großer Zeitraum erforderlich war. Das besagt aber nicht, daß nicht doch in jedem einzelnen Falle eine genaue Untersuchung stattgefunden hat. Wenn sich dann im Ergebnis die Gleichartigkeit einer Reihe von Fällen herausstellt und in dem Obergutachten die Erkenntnisse dieser Fälle verwertet werden, so kann deshalb diesem Gutachten die steuerliche Vergünstigung nicht versagt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob allgemein die wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG einheitlich zu beurteilen, oder auch eine Aufspaltung möglich ist. Im vorliegenden Falle bietet der Tatbestand jedenfalls keinen Anlaß, einen Teil der Obergutachten nicht als wissenschaftlich begründet in dem dargestellten Sinne anzusehen. Es ist deshalb die vom Bf. ausgeübte Gutachtertätigkeit als Ganzes zu würdigen. Es könnte höchstens zweifelhaft sein, ob die Zahl der Gutachten nicht die Annahme einer zweiten Haupttätigkeit rechtfertigt. Diese ursprünglich mit Billigung der Oberfinanzdirektion vertretene Ansicht hat das Finanzamt aber mit Recht nicht mehr aufrechterhalten. Der Senat hat auch bereits in der Entscheidung IV 193/50 vom 6. April 1951 (BStBl. III 1951 S. 106, StRK, EStG § 34 Abs. 5 Rechtsspr. 1) ausgesprochen, daß Einkünfte aus einer Haupttätigkeit, die neben der nichtselbständigen Arbeit oder der Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ausgeübt wird, zu den steuerbegünstigten Einkünften im Sinne des § 34 Abs. 5 a. a. O. gehören.
Die Vorentscheidung sowie der Steuerbescheid des Finanzamts vom 5. Juni 1951, soweit er das Jahr 1949 betrifft, waren daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit betragen 6.998 DM. Nach Abs. 5 letzter Satz § 34 EStG sind diese jedoch nur insoweit vergünstigt, als sie 50 v. H. der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht übersteigen. Diese sind mit 9.856 DM veranlagt. Der ermäßigte Steuersatz kommt daher nur für 9.856 DM : 2 = 4.928 DM in Betracht. Dieser Betrag ist nach Abschn. 223 Abs. 4 EStR II/1948 und 1949 mit 15 % heranzuziehen, der überschießende Betrag von 6.998 - 4.928 DM = 2.070 DM ist mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach dem allgemeinen Tarif zu versteuern. Es ergibt sich daher für 1949 nachstehende Berechnung:
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ---------------------------------- = 9.856 DM, + überschießender Betrag aus den Nebeneinkünften ------------------------- = 2.070 DM, ------------------------------------------ 11.926 DM, - Sonderausgabe und überbelastungs- betrag ---------------------------------- = 3.887 DM, bleiben ----------------------------------- 8.039 DM. Steuer nach Steuerklasse III/3 hierfür -- = 1.206 DM, + 15 v. H. von 4.928 DM ----------------- = 739 DM, daher Einkommensteuer für 1949 - ohne Anrechnung der Steuerabzugs- beträge - ------------------------------- = 1.945 DM.In dieser Höhe war die Einkommensteuer für das Streitjahr festzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 407527 |
BStBl III 1953, 33 |
BFHE 1954, 83 |
BFHE 57, 83 |
StRK, EStG:34/5 R 4 |
NJW 1953, 958 |