Leitsatz (amtlich)
Das an einen ehemaligen Minister auf Grund landesrechtlicher Bestimmungen gezahlte Übergangsgeld ist nicht nach § 3 Nr. 10 EStG 1957 steuerfrei, da es nicht in enger Beziehung zum sozialen Kündigungsschutz steht.
Normenkette
EStG 1957 § 3 Nrn. 9-10; Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Landesregierung vom 1. April 1953 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1953 S. 27) § 9; Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung vom 17. Juni 1953 (BGBl I 1953, 407) § 14
Tatbestand
Der Stpfl. war Minister des Landes Niedersachsen. Er wurde bei einer Koalitionskrise entlassen und erhielt eine vom Ministerpräsidenten unterschriebene Entlassungsurkunde. Er bezog auf Grund landesgesetzlicher Bestimmung für drei Monate ein Übergangsgeld in Höhe seines Ministergehalts und für weitere 28 Monate in Höhe des halben Ministergehalts.
Das FA sah das Übergangsgeld bei der Einkommensteuerveranlagung als steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit an. Der Stpfl. meint hingegen, die Bezüge seien nach § 3 Nr. 10 EStG 1957 steuerfrei, da sie auf Grund gesetzlicher Vorschriften wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis gezahlt würden. Er habe in einem Dienstverhältnis, nämlich in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Land Niedersachsen, gestanden. Die Übergangsgelder seien Versorgungsbezüge, weil er aus diesem Amtsverhältnis entlassen worden sei. Sie beruhten auf arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Erwägungen, da sie einem ausscheidenden Minister die Wiedereingliederung in den Wirtschaftsprozeß ermöglichen sollten.
Der Einspruch und die Berufung hatten keinen Erfolg. Das FG führte in dem in EFG 1965, 128 veröffentlichten Urteil aus: Das dem Stpfl. gezahlte Übergangsgeld erfülle nicht die Voraussetzungen des § 3 Nr. 10 EStG 1957. Diese Vorschrift begünstige ebenso wie § 3 Nr. 9 EStG 1957 nicht jede Zahlung beim Ausscheiden aus einem Dienstverhältnis, sondern nur Abfindungen und Entschädigungen zur Abgeltung von sozialen Härten. Ein Minister gehöre nicht zu dem in § 3 Nr. 9 und 10 EStG 1957 begünstigten Personenkreis. Ebenso wie die leitenden Angestellten der gewerblichen Wirtschaft bedürfe er keines sozialen Kündigungsschutzes. Dem Stpfl. sei auch kein Schaden entstanden, da das Übergangsgeld insgesamt dem Gehalt entsprochen habe, das der Stpfl. als Minister bis zum Ende der Legislaturperiode des Landtags bezogen hätte. Das Übergangsgeld unterliege auch nicht dem begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG; denn es handle sich nicht um eine einmalige Zahlung und auch nicht um eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG.
Der Stpfl. rügt mit der Rb., die ab 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln ist, Verfahrensmängel und unrichtige Anwendung von Bundesrecht. Er beantragt, das Übergangsgeld von 3 196 DM steuerfrei zu lassen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1957 gehören zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit auch die Bezüge aus einem früheren Dienstverhältnis. Sie sind nur steuerfrei, wenn sie Entschädigungen auf Grund arbeitsrechtlicher Vorschriften wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis im Sinne des § 3 Nr. 9 EStG 1957 oder Übergangsgelder oder Übergangsbeihilfen auf Grund gesetzlicher Vorschriften wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis im Sinne des § 3 Nr. 10 EStG 1957 darstellen. Wie das FG zu Recht hervorhebt, stehen beide Vorschriften in einem engen Zusammenhang. Nach dem Urteil des BFH IV 26/54 U vom 28. Juli 1955 (BFH 61, 256, BStBl III 1955, 296) und der Begründung zum Einkommensteuer- und Körperschaftsteueränderungsgesetz vom 29. April 1950 stellt § 3 Nr. 10 EStG nur eine Ergänzung des § 3 Nr. 9 EStG dar, da die in § 3 Nr. 9 EStG nicht erfaßten Übergangsgelder und Übergangsbeihilfen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften an die nicht den arbeitsrechtlichen Vorschriften unterliegenden öffentlich Bediensteten gezahlt werden, sich ihrem Wesen nach nicht von den Entlassungsentschädigungen im Sinne des § 3 Nr. 9 EStG unterscheiden. Die enge Verbundenheit dieser Vorschriften und der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen zwingt dazu, § 3 Nr. 10 EStG 1957 im gleichen Sinne auszulegen wie § 3 Nr. 9 EStG. Übergangsgelder und Übergangsbeihilfen können daher nicht in einem größeren Umfang steuerfrei sein als Entschädigungen auf Grund arbeitsrechtlicher Vorschriften. Diese sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. Urteil IV 205/51 U vom 17. Juli 1952, BFH 56, 560, BStBl III 1952, 217) nur steuerbegünstigt, wenn sie auf dem sozialen Kündigungsschutz beruhen, d. h. wenn sie dem Arbeitnehmer nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes vom 10. August 1951 - KSchG - (BGBl I 1951, 499) gezahlt werden, weil die Kündigung des Arbeitgebers sozial ungerechtfertigt und damit rechtlich unwirksam ist, dem Arbeitnehmer aber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten oder eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus Gründen, die zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt hatten, nicht zu erwarten ist (§§ 1, 7 KSchG). Entschädigungen nach dem KSchG sind mithin nur steuerfrei, wenn der Arbeitnehmer bei einer sozial ungerechtfertigten Kündigung auf seinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung verzichtet. Diese Grundsätze des sozialen Kündigungsschutzes sind gemäß den BFH-Urteilen IV 26/54 U (a. a. O.), IV 486/55 U vom 2. August 1956 (BFH 63, 250, BStBl III 1956, 292) und VI 257/64 U vom 8. Oktober 1965 (BFH 84, 283, BStBl III 1966, 102) zur Wahrung einer einheitlichen und gleichmäßigen Besteuerung bei Übergangsgeldern und Übergangsbeihilfen im Sinne des § 3 Nr. 10 EStG entsprechend zu berücksichtigen.
Von diesen Erwägungen ist das FG auch im Streitfall ausgegangen. Es hat ohne Rechtsverstoß die Übergangsgelder als steuerpflichtige Bezüge aus einem früheren öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1957 angesehen, weil die Zahlungen nicht in einer engen Beziehung zum sozialen Kündigungsschutz gestanden haben. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, unterlag der Stpfl. als Minister des Landes Niedersachsen überhaupt keinem Kündigungsschutz, da er jederzeit vom Ministerpräsidenten mit Zustimmung des Landtages ohne Angabe von Gründen seines Amts enthoben werden konnte. Seine Entlassung konnte nicht sozial ungerechtfertigt sein, weil er von Anfang an damit rechnen mußte, daß seine Tätigkeit jederzeit enden konnte. Das an den Stpfl. gezahlte Übergangsgeld entspricht daher nicht den Abfindungen nach dem KSchG. Mit diesen Bezügen wurde nicht wie bei anderen Arbeitnehmern ein Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung abgegolten, weil dem Stpfl. ein solcher Anspruch nicht zustand.
Wie das FG zu Recht hervorgehoben hat, gehört der Stpfl. auch nicht zu dem in § 3 Nrn. 9 und 10 EStG 1957 begünstigten Personenkreis. Abfindungen an leitende Angestellte der gewerblichen Wirtschaft, wie Vorstandsmitglieder juristischer Personen und Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Persönlichkeiten, die zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern befugt sind, sind nach § 3 Nr. 9 EStG 1957 nicht steuerfrei, da diese Personen nicht dem KSchG unterliegen (§ 12 KSchG; BFH-Urteil VI 24/61 U vom 20. Dezember 1961, BFH 74, 188, BStBl III 1962, 71). Dies muß erst recht für das Übergangsgeld eines entlassenen Ministers gelten, der in seinem Amtsbereich in der Regel eine größere Machtstellung hat als die meisten leitenden Angestellten der gewerblichen Wirtschaft.
Es ist dem Stpfl. zuzugeben, daß das in § 9 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Landesregierung vom 1. April 1953 (Niedersächsisches GVBl 1953 S. 27) in Verbindung mit § 14 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung vom 17. Juni 1953 (BGBl I 1953, 407) vorgesehene Übergangsgeld auf sozialpolitischen Erwägungen beruht. Es soll einem entlassenen Minister die Wiedereingliederung in den Wirtschaftsprozeß ermöglichen, zumal es dem Minister grundsätzlich untersagt ist, neben dem Ministeramt ein anderes besoldetes Amt, ein Gewerbe oder einen Beruf auszuüben oder der Leitung oder dem Aufsichtsrat eines Erwerbsunternehmens anzugehören (§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Landesregierung, a. a. O.). Der soziale Charakter dieser Zahlung rechtfertigt es aber noch nicht, das Übergangsgeld steuerlich zu begünstigen. Die Bezüge unterscheiden sich nicht wesentlich von den steuerpflichtigen Abfindungen an leitende Angestellte der gewerblichen Wirtschaft, da deren Abfindungen meistens auf ähnlichen Erwägungen beruhen. Würde man das Übergangsgeld eines ehemaligen Ministers steuerfrei lassen, so würde dies zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung dieser Angestellten und damit zu einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG führen.
Da die Revision aus diesen Gründen nicht zum Erfolg führen konnte, braucht der Senat auf die übrigen Erwägungen des FG nicht einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 412568 |
BStBl II 1968, 2 |
BFHE 1968, 108 |