Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aufnahme eines weiteren Vorläufigkeitsvermerks nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache
Leitsatz (amtlich)
Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache kann ein weiterer Vorläufigkeitsvermerk in den Bescheid, den das Finanzamt seiner vor dem Finanzgericht gegebenen Zusage entsprechend erlässt, nicht mehr aufgenommen werden.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1, § 175 Abs. 1, § 351 Abs. 1; FGO § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) nach vereinbarungsgemäßer Änderung angefochtener Steuerbescheide einen Anspruch auf vorläufige Steuerfestsetzung hinsichtlich anderer, bis dahin nicht streitiger Punkte haben.
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 1996 und 1997 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Unter dem 22. April 1998 erging erstmals ein Einkommensteuerbescheid für 1996, der hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge und der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen einen Vorläufigkeitsvermerk trug. Die Einkommensteuer für 1997 wurde erstmals mit Einkommensteuerbescheid vom 17. Juni 1999, der hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen und der Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer vorläufig erging, festgesetzt.
Nachdem die gegen beide Bescheide eingelegten Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom 18. August 1999 bzw. 22. November 1999 zurückgewiesen worden waren, hatten die Kläger Klagen wegen der anzuerkennenden Werbungskosten für ein Arbeitszimmer und der Berücksichtigung eines Darlehens zwischen ihnen erhoben. Im Rahmen eines für beide Verfahren am 15. September 2000 vor dem Finanzgericht (FG) anberaumten Erörterungstermins sagte die Vertreterin des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ―FA―) zu, den Klagen in den beiden Streitpunkten weitgehend abzuhelfen. Die Beteiligten erklärten daraufhin für beide Streitfälle den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.
Das FA änderte die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre entsprechend seiner Zusage mit Bescheiden vom 27. Oktober 2000; die Steuerfestsetzung ist in beiden Bescheiden lediglich noch hinsichtlich der Anwendung des § 32c des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorläufig. Die Kläger legten am 14. November 2000 gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 Einsprüche ein, die sie damit begründeten, dass bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) drei Verfahren zu Fragen der Rentenbesteuerung anhängig seien, die auch die Frage beträfen, ob die als Sonderausgaben geltend gemachten Ausgaben im vollem Umfang den Gesamtbetrag der Einkünfte minderten. Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2000 zurück.
Mit der Klage begehrten die Kläger die vorläufige Steuerfestsetzung, soweit Vorsorgeaufwendungen nur begrenzt abzugsfähig seien. Das FG gab der Klage statt; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1494 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA geltend:
1. Entgegen der Auffassung des FG erfasse § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) im Zusammenwirken mit § 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht nur Anfechtungsklagen, sondern auch Verpflichtungsklagen.
2. § 351 AO 1977 regele die Bindungswirkung bestimmter Verwaltungsakte. Es gebe keinen Grund die Bindungswirkung und die Rechtsbehelfsbefugnis von der Unterschiedlichkeit der Verfahrenswege abhängig zu machen.
3. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Januar 2002 III R 49/00 (BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408) führe zu keiner anderen Beurteilung. Der Wechsel der Veranlagungsart werde durch § 351 Abs. 1 AO 1977 nicht begrenzt; er löse nur die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG aus. Im Gegensatz dazu berühre die Erweiterung der Vorläufigkeit als Änderung den Inhalt einer bereits vorhandenen Steuerfestsetzung (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Bindungswirkung sei auf den Teil begrenzt, über den das FG entschieden habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG hatten die Kläger keinen Anspruch darauf, dass die nach Erledigung der Hauptsache ergangenen Bescheide vom 27. Oktober 2000 um einen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Abziehbarkeit von Versicherungsbeiträgen ergänzt werden.
1. Die Beteiligten haben mit der Erklärung vom 15. September 2000 die Rechtsstreite in den Einkommensteuersachen 1996 und 1997 für erledigt erklärt. Durch diese übereinstimmenden Erklärungen wurden die Steuerfestsetzungen unanfechtbar (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697, unter II. 1. e; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 138 FGO Rz. 11). Die Erledigungserklärung ist eine prozessuale Bewirkungshandlung, die den Rechtsstreit in gleicher Weise wie ein ―eine Steuerfestsetzung abänderndes― Urteil beendet, wenn sie in Übereinstimmung mit dem Gegner abgegeben wird. Die Prozesslage wird durch diese übereinstimmenden Erklärungen abschließend gestaltet (BFH-Urteil in BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697).
2. Der Senat kann offen lassen, ob eine Änderung, die in Vollzug einer Einigung und Hauptsacheerledigung während eines Klageverfahrens vorgenommen wird und die festgesetzte Steuer zugunsten des Klägers herabsetzt, lediglich ―ohne ein selbständiger Verwaltungsakt zu sein― einen der Erledigungserklärung entsprechenden Zustand herstellt und eine weitere Änderungs- und Anfechtungsmöglichkeit schon aus diesem Grund nicht mehr besteht oder ob die Änderung als Steuerbescheid wiederum anfechtbar ist. Selbst wenn man diese Alternative bejaht (so BFH-Urteil in BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408), scheitert die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks in die Änderungsbescheide an § 351 Abs. 1 AO 1977.
3. Danach können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt. Die erstmalige Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks in einen Steuerbescheid, der einen durch Erledigung der Hauptsache unanfechtbar gewordenen Bescheid ändert, ist danach unzulässig, wenn der Änderungsbescheid ―wie im Regelfall― die bisher festgesetzte Steuer herabsetzt. Für eine weiter gehende Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen besteht nach § 351 Abs. 1 AO 1977 kein Anfechtungsraum.
4. Eine zusätzliche Erweiterung der Bescheide um einen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Abziehbarkeit von Versicherungsbeiträgen konnten die Kläger auch nicht gemäß § 172 ff. AO 1977 erwirken.
Die Kläger hatten keinen Anspruch auf die von ihnen begehrte Vorläufigkeitserklärung. Diese Vorläufigkeitserklärung stellt ―wohl entgegen der Auffassung des FG― eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide dar (BFH-Urteil vom 11. Februar 1994 III R 117/93, BFHE 173, 390, BStBl II 1994, 380). Als Rechtsgrundlagen für eine derartige Änderung kommen im Streitfall nur § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 in Betracht. Die Voraussetzungen beider Bestimmungen liegen nicht vor; weder waren Tatsachen nachträglich gekannt geworden, noch war ein rückwirkendes Ereignis eingetreten (BFH-Urteil in BFHE 173, 390, BStBl II 1994, 380).
Fundstellen
Haufe-Index 974098 |
BFH/NV 2003, 1355 |
BStBl II 2003, 888 |
BFHE 1974, 228 |
BFHE 2004, 228 |
BFHE 202, 228 |
BB 2003, 2052 |
DB 2003, 2049 |
DStRE 2003, 1188 |
HFR 2003, 1025 |