Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezeichnung des Streitgegenstandes durch Vorlage von Steuererklärungen in der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Der Streitgegenstand kann bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung durch Bezugnahme auf dem Gericht vorliegende Steuererklärungen bezeichnet werden.
2. Die nach § 65 Abs. 2 FGO vom Vorsitzenden zu setzende Frist zur Ergänzung einer nicht den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO entsprechenden Klageschrift ist keine Ausschlußfrist.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Auf die von ihm als vorläufig bezeichneten Einkommensteuererklärungen veranlagte ihn der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) mit Einkommensteuerbescheiden vom . . .
Die hiergegen gerichteten Einsprüche wurden vom Kläger trotz Erinnerung nicht begründet und blieben ohne Erfolg.
Trotz mehrmaliger Aufforderung des Finanzgerichts (FG) reichte der Kläger für seine Klage keine Begründung ein. In der mündlichen Verhandlung legte er dem FG lediglich einen Schriftsatz vor, mit dem er um Terminverschiebung bat uund auf sein früheres Schreiben an das FA verwies, an das er die vervollständigten Einkommensteuererklärungen mit verschiedenen Anlagen geschickt habe. Daraufhin vertagte das FG die Sache und gab dem Kläger auf, die entsprechenden Unterlagen rechtzeitig beizubringen. Am Tag vor dem Termin gegen 15.30 Uhr gab der Kläger beim FA zwei Schriftsätze sowie teilweise vervollständigte Steuererklärungen mit Belegen ab. Dem FA war in der Kürze der Zeit eine Bearbeitung bis zum FG-Termin, in dem der Kläger dieselben Unterlagen vorlegte, nicht möglich.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Die Klage entspreche nicht den Mindestanforderungen des § 65 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da der Kläger den Streitgegenstand nicht bezeichnet habe. Er habe nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die angefochtenen Verwaltungsakte rechtswidrig seien und ihn in seinen Rechten verletzten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. 11. 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99). Sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung müsse auch unter Achtung des Amtsermittlungsgrundsatzes als verspätet zurückgewiesen werden. Das späte Vorbringen stelle einen offenbaren Rechtsmißbrauch zum Zwecke der Prozeßverschleppung dar, zumal auch die vom Kläger zuletzt vorgelegten Unterlagen nicht vollzählig gewesen seien. Es sei nicht davon auszugehen gewesen, daß der Kläger nach einem weiteren Zuwarten alle erforderlichen Unterlagen beigebracht hätte.
Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, das FG habe zu Unrecht durch Prozeßurteil entschieden. Es habe dem Kläger das rechtliche Gehör versagt, da es seinen entscheidungserheblichen Vortrag nicht berücksichtigt und den Regelungsgehalt des § 65 FGO und des Art.3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) verkannt habe. Der Kläger habe den Streitgegenstand ausreichend bezeichnet, zumal es dem FG möglich gewesen sei, den Streitwert der Klage zu beziffern. Wenn das FG dennoch der Auffassung gewesen sei, die Klage entspreche nicht den Erfordernissen des § 65 Abs. 1 FGO, so hätte der Vorsitzende ihn - den Kläger - nach § 65 Abs. 2 FGO zu den erforderlichen Ergänzungen innerhalb einer bestimmten Frist auffordern müssen. Für eine rechtmäßige Zurückweisung seines Vorbringens hätte es zudem nach Art.3 § 3 VGFGEntlG der Aufforderung des Klägers zur Klärung konkreter Einzelfragen sowie der Fristsetzung mit der ausdrücklichen Belehrung über die Folgen einer Fristversäumnis bedurft.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Das FG hat § 65 Abs. 1 und Abs. 2 FGO nicht zutreffend ausgelegt. Der Kläger hat den Streitgegenstand ausreichend bezeichnet. Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren ist nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids (BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99). Im Hinblick darauf, daß das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), obliegt es dem Kläger, den Umfang des begehrten Rechtsschutzes zu bestimmen. Dem Gericht muß daher das Ziel der Klage durch eine ausreichende Bezeichnung des Streitgegenstandes erkennbar sein.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung durch die Vorlage ergänzter Steuererklärungen und die Bezugnahme darauf den Streitgegenstand ausreichend und auch rechtzeitig bezeichnet (BFH-Urteil vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895).
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, sofern nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt. In der Regel reicht es deshalb aus, daß eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die bei Klageerhebung noch nicht erfüllt war, bis zum Ende der mündlichen Verhandlung eintritt (BFH-Urteil vom 17. 10. 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242). Das FG war verpflichtet, die Klagebegründung und die vom Kläger vorgelegten Nachweise entgegenzunehmen und rechtlich zu würdigen (BFH-Urteil vom 10. 6. 1980 VIII R 128/77, BFHE 131, 178, BStBl II 1980, 696). Dabei ist angesichts der mangelhaften Mitwirkung des Klägers nicht davon auszugehen, daß das FG verpflichtet war, eine weitere Frist zur Klagebegründung einzuräumen, und gehindert gewesen war, zur Sache zu entscheiden. Eine Ausschlußfrist nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG hat das FG auch nicht gesetzt. Eine solche Frist dürfte im übrigen zur Bezeichnung des Streitgegenstands als Sachurteilsvoraussetzung nicht gesetzt werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242).
Fundstellen
Haufe-Index 418598 |
BFH/NV 1993, 38 |