Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Ein Verzicht auf mündliche Verhandlung im Sinne von § 90 Abs. 2 FGO liegt nicht vor, wenn ein Kläger nur erklärt, das FG dürfe ohne mündliche Verhandlung entscheiden, sofern er Recht bekomme.
2. Eine finanzgerichtliche Entscheidung gewährt kein rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO), wenn ein Urteil ohne mündliche Verhandlung ergeht, ohne daß ein wirksamer Verzicht auf sie erklärt wurde.
Normenkette
FGO § 90 Abs. 2
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ohne mündliche Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Nach dem Tatbestand des Urteils haben die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet. Den Antrag der Kläger auf Berichtigung und Ergänzung des FG-Urteils hat das FG mit Beschluß vom 15. April 1983 II 45/82 zurückgewiesen.
Mit der Revision rügen die Kläger unter Bezugnahme auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde u.a., sie hätten nicht uneingeschränkt auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Die Kläger haben im Schriftsatz vom 5. März 1982 erklärt: ,,Über die Frage, ob die Klagen aus formellen Gründen Erfolg haben, möge das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden." Im Schriftsatz vom 17. März 1982 wird dieser Erklärungsinhalt wiederholt: ,,Das Gericht möge die angefochtenen Bescheide aus formalen Gründen ohne mündliche Verhandlung aufheben und die beklagte Behörde verurteilen, im Rahmen der Zusammenveranlagung von Ehegatten (§ 26b EStG) den einheitlichen Steuerbescheid durch einen einheitlichen Widerspruchsbescheid (§ 44 Abs. 2 FGO) zu ergänzen und diesen schlüssig zu begründen." Der Schriftsatz vom 28. Juni 1982 enthält schließlich die Aussage: ,,Für die Entscheidung der richterlich zu beurteilenden Rechtsfrage, ob der Ausschluß gemäß § 23 Abs. 3 EStG unwirksam ist, wird auf eine mündliche Verhandlung verzichtet." Ferner enthält dieser Schriftsatz als letzten Absatz die Worte: ,,Es verbleibt deshalb bei allen Erklärungen der Kläger gemäß Schriftsatz vom 17. 3. 82."
Die Kläger beantragen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid vom 11. Mai 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 4. Januar und 3. März 1982 dahingehend zu ändern, daß die Einkommensteuer unter Wegfall eines Spekulationsgewinns in Höhe von . . . DM entsprechend niedriger festgesetzt wird, hilfsweise, die Einspruchsentscheidungen vom 4. Januar und 3. März 1982 aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt - FA -) zu verpflichten, erneut über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom 11. Mai 1981 zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2).
Die Bezugnahme der Kläger auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde war zulässig; denn sie haben darin einen Verfahrensmangel gerügt, die Begründung genügte ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision und der Senat hat aufgrund der Beschwerdebegründung in seinem die Revision zulassenden Beschluß das Vorliegen des Verfahrensfehlers bejaht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. März 1981 I R 102/77, BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578).
Die Kläger haben mit ihren Erklärungen gegenüber dem FG nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet, sondern zum Ausdruck gebracht, daß sie mit dem Ergehen eines zu ihren Gunsten ausfallenden Urteils unter bestimmten Voraussetzungen einverstanden sind.
Die Erklärung vom 5. März 1982 stellt entgegen der Beurteilung durch die Vorinstanz keinen Verzicht auf mündliche Verhandlung dar. Denn die Kläger wollten eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung aus formellen Gründen erreichen und haben für diesen Fall ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Gleiches gilt für die Erklärungen in den Schriftsätzen vom 17. März 1982 und vom 28. Juni 1982. Sämtliche Erklärungen enthalten im Kern allenfalls die Aussage, daß das FG ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfe, sofern die Kläger recht bekommen.
Die Vorinstanz, die diesen Erklärungsinhalt verkannte, hat durch den Erlaß eines Urteils ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Klägern das rechtliche Gehör versagt (§ 119 Nr. 3 FGO). Ein Urteil, das unter Verletzung des rechtlichen Gehörs eines Beteiligten ergeht, ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 3 FGO). Die Sache muß daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413738 |
BFH/NV 1985, 87 |