Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstmaliges Hochschulstudium einer französischen Grundschullehrerin in Deutschland
Leitsatz (NV)
Die Aufwendungen einer französischen Staatsangehörigen, die in Deutschland lebt und in Frankreich als Grundschullehrerin tätig gewesen ist, für ein erstmaliges Hochschulstudium in Deutschland mit dem Ziel, hier als Lehrerin tätig sein zu können, können nur dann als Fortbildungskosten (Werbungskosten) und nicht als Ausbildungskosten anerkannt werden, wenn ihre Ausbildung zur Grundschullehrerin in Frankreich mit dem Studium an einer deutschen (Fach-)Hochschule vergleichbar war.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist französische Staatsangehörige. Sie leistete nach ihrer Reifeprüfung in der Zeit von September 1971 bis Juni 1973 an katholischen Privatschulen in Frankreich die staatliche geregelte Ausbildung zur Grundschullehrerin ab. Die Ausbildung bestand nach der unbestrittenen Darstellung der Kläger und Revisionskläger (Kläger) in Praktika mit Hospitation, verbunden mit dem Unterricht an drei Privatschulen, und in Seminaren, die ein zur Hochschulausbildung zugelassener Pädagoge zu den erziehungswissenschaftlichen Gebieten abhielt. Nachdem die Klägerin im Mai 1973 vor einem staatlichen Ausschuß die vorgeschriebene Prüfung bestanden hatte, erteilte ihr die staatliche Akademie ... (Frankreich) 1973 das Zeugnis über die pädagogische Befähigung zum Unterricht an Grundschulen. Das zuständige Bistum in Frankreich erkannte ihr im September 1976 die berufliche Qualifikation für den katholischen Schulunterricht zu. Von September 1973 bis Januar 1980 unterrichtete die Klägerin als festangestellte Lehrkraft an einer Privatschule in Frankreich.
Seit ihrer Heirat im Jahre 1980 war die Klägerin bis 1990 als Hausfrau tätig. Ab dem Jahr 1990 bemühte sie sich um eine Übernahme in den Schuldienst des Landes Rheinland-Pfalz. Das Kultusministerium dieses Bundeslandes bescheinigte ihr die allgemeine Hochschulreife. Es teilte ihr mit, daß die Lehrbefähigung an französischen Grundschulen mit einer rheinland-pfälzischen Lehramtsausbildung nicht vergleichbar sei, weil es hier kein Lehramt allein für den Grundschulbereich gebe. Um die Lehrbefähigung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen in Rheinland-Pfalz zu erwerben, müsse sie ein Studium an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz aufnehmen.
Mit Schreiben vom 21. Mai 1992 erkannte das Ministerium für Bildung und Kultur, Landesprüfungsamt für das Lehramt an Schulen, die in Frankreich absolvierten Studien in einem Umfang von einem Semester an. Außerdem wurde die Klägerin davon befreit, die zwei Blockpraktika ableisten zu müssen.
Von April 1991 bis April 1994 studierte die Klägerin sechs Semester Erziehungswissenschaften. Im Mai 1994 bestand sie die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Sie machte ihre Aufwendungen für das Studium im Streitjahr 1992 als vorab entstandene Werbungskosten bei den von ihr angestrebten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte lediglich Berufsausbildungskosten mit dem Höchstbetrag von 900 DM als Sonderausgaben an.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage dem Grunde nach statt. Es entschied, das sechssemestrige Studium der Erziehungswissenschaften habe für die Klägerin eine Berufsfortbildung und keine Berufsausbildung begründet. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 158 veröffentlicht.
Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung des §9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es macht geltend, daß es sich bei dem Studium der Klägerin um ein Erststudium gehandelt habe und deshalb von einer Berufsausbildung auszugehen sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß Aufwendungen für ein Vollstudium an einer (Fach-) Hochschule selbst dann als Werbungskosten i. S. des §9 Abs. 1 Satz 1 EStG anerkannt werden können, wenn es sich um ein Erststudium und nicht um ein zweites Studium handelt.
1. Aufwendungen für ein erstmaliges Hochschulstudium sieht der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich als der allgemeinen Lebensführung zuzurechnende Berufsausbildungskosten an, die als Sonderausgaben gemäß §10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nur mit einem Höchstbetrag abziehbar sind (vgl. Urteile vom 26. April 1989 VI R 95/85, BFHE 156, 494, BStBl II 1989, 616; vom 18. April 1996 VI R 89/93, BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 449). Dagegen können nach der neueren Rechtsprechung die Aufwendungen für ein zweites Hochschulstudium unter die als Werbungskosten nach §9 Abs. 1 EStG abziehbaren Fortbildungskosten fallen, wenn es sich um ein Aufbaustudium handelt, mit dem kein Wechsel in einen anderen Beruf angestrebt wird, sondern die durch das Erststudium erworbenen Kenntnisse ergänzt oder vertieft werden sollen (BFH-Urteile vom 14. Februar 1992 VI R 26/90, BFHE 167, 127, BStBl II 1992, 556; VI R 69/90, BFHE 167, 502, BStBl II 1992, 961; VI R 106/90, BFHE 167, 505, BStBl II 1992, 962; vom 8. Mai 1992 VI R 134/88, BFHE 167, 538, BStBl II 1992, 965; vom 10. Juli 1992 VI R 19/91, BFHE 168, 341, BStBl II 1992, 966; in BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 449).
2. Im Streitfall handelt es sich bei dem sechssemestrigen Vollstudium der Erziehungswissenschaft um ein erstmaliges Hochschulstudium der Klägerin in Deutschland. Dieses erste Hochschulstudium der Klägerin in Deutschland könnte nur dann als Aufbaustudium im vorstehenden Sinne beurteilt werden, wenn die bisherige Ausbildung der Klägerin zur Grundschullehrerin in Frankreich mit dem Studium an einer deutschen (Fach-)Hochschule vergleichbar wäre.
Soweit das FG meint, die Anerkennung der Aufwendungen für das Studium der Klägerin in Deutschland als Werbungskosten setze nicht voraus, daß die Ausbildung in Frankreich als "Studium" zu beurteilen sei, hat es die Ausführungen in dem Senatsurteil in BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 449, 450, linke Spalte, oben, mißverstanden. Die Erläuterung, ein "Aufbaustudium (sei) nicht dadurch gekennzeichnet, daß das Erststudium vorausgesetzt wird", ist ihrem Kontext nach dahin zu verstehen, daß auch ein normales Vollstudium ein Aufbaustudium im steuerrechtlichen Sinne sein kann; erforderlich ist lediglich, daß es das zweite (Fach-) Hochschulstudium des Steuerpflichtigen ist. Dieses Verständnis ergibt sich auch aus der weiteren Ausführung des Senats, "daß mit dem Aufbaustudium die durch das Erststudium erworbenen Kenntnisse ergänzt und vertieft werden" (vgl. BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 449, 450). Danach muß dem Aufbaustudium ein "Erststudium" vorangegangen sein.
Soweit der BFH die Aufwendungen für ein Hochschulstudium als Werbungskosten anerkannt hat, ohne überhaupt zu prüfen, ob der vorhandene Berufsabschluß des Steuerpflichtigen an einer Hochschule erworben worden war oder ein Hochschulstudium vorausgesetzt hat oder nicht (Urteil vom 3. Dezember 1974 VI R 189/73, BFHE 114, 361, BStBl II 1975, 280), handelt es sich um einen Ausnahmefall, der mit dem Streitfall nicht vergleichbar ist. Der dort entschiedene Fall betraf eine im Jahr 1970 durchgeführte Bildungsmaßnahme und damit eine Zeit, in der der Lehrberuf noch von Personen mit sehr unterschiedlicher Ausbildung ausgeübt wurde.
3. Da das FG von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat -- von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht -- keine ausreichenden Feststellungen für die Entscheidung der Frage getroffen, ob die Ausbildung der Klägerin in Frankreich mit einem (Fach-)Hochschulstudium in Deutschland vergleichbar ist. Es wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
Fundstellen
BFH/NV 1998, 844 |
DStRE 1998, 464 |
DStZ 1998, 675 |
HFR 1998, 639 |