Entscheidungsstichwort (Thema)
Pauschalierungsantrag im Klageverfahren gegen LSt-Haftungsbescheid
Leitsatz (NV)
1. Ist die Lohnzahlung vor dem 1. 1. 1983 erfolgt, der LSt-Pauschalierungsbescheid aber nach dem 31. 12. 1982 ergangen, so ist bei der Pauschalierung ein Bruttosteuersatz anzuwenden (Bestätigung von BFHE 155, 64, BStBl II 1989, 304).
2. Der Antrag auf LSt-Pauschalierung kann noch im Klageverfahren gegen einen entsprechenden LSt-Haftungsbescheid gestellt werden. Besteht Anlaß zu der Annahme, daß der Kläger einen Pauschalierungsantrag stellen möchte, so hat das FG das Klageverfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, seinen Antrag zu stellen. Das Klageverfahren kann ggf. erst fortgesetzt werden, wenn das durch den Pauschalierungsantrag in Gang gesetzte Verfahren abgeschlossen ist.
Normenkette
FGO § 74; EStG § 3b Abs. 1 S. 2, § 40 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei der Klägerin, Revisionsbeklagten und Anschlußrevisionsklägerin (Klägerin) wurde für die Zeit vom 1. Januar 1980 bis 31. August 1982 eine Lohnsteuer-Außenprüfung durchgeführt. Dabei stellte der Prüfer fest, daß die Klägerin vom 1. Januar 1980 bis 31. August 1982 an Arbeitnehmer, die in ihren Werken X und Y beschäftigt waren, tariflich vereinbarte Zuschläge ,,für Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist" in Höhe von 9 553,94 DM steuerfrei ausgezahlt hatte.
In § 6 des für diesen Zeitraum geltenden Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer von . . . Genossenschaften waren folgende Zuschläge zum Grundlohn vorgesehen:
1. Zuschlag für Mehrarbeit 25 v. H.
2. Zuschlag für Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist 60 v. H.
3. Zuschlag für Nachtarbeit 15 v. H.
4. Zuschlag für Arbeit an Sonntagen 70 v. H.
5. Zuschlag für Arbeit an gesetzlichen Feiertagen,
auch wenn diese auf einen Sonntag fallen 150 v. H.
Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge war nur der jeweils höhere zu zahlen.
Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah den Zuschlag von 60 v. H. als Mischzuschlag an und hielt ihn nur in Höhe des reinen Nachtzuschlags von 15 v. H. für steuerfrei. Da sich die Klägerin bereit erklärt hatte, die Lohnsteuer zu übernehmen, erhob das FA Lohnsteuer zu einem Netto-Steuersatz von 28,5 v. H. auf 75 % der gesamten gezahlten Zuschläge. Das FA nahm deshalb die Klägerin durch Haftungsbescheid vom 15. Oktober 1982 für Lohnsteuer in Höhe von 2 042,15 DM in Anspruch.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Anders als im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Juni 1978 VI R 33/76 (BFHE 125, 383, BStBl II 1978, 574) handele es sich hier um einen Mischzuschlag. Denn der im Tarifvertrag vorgesehene Zuschlag für Nachtarbeit von 15 v. H. solle anscheinend sowohl regelmäßige Nachtarbeit (von Pförtnern, Bewachungspersonal und Schichtarbeitern) als auch gelegentliche Nachtarbeit (im Rahmen der 40-Stunden-Woche) abgelten.
Der Senat folge jedoch nicht der Auffassung des FA, der streitige Zuschlag könne nur in Höhe des reinen Nachtzuschlags steuerfrei bleiben. Denn die tarifvertragliche Vereinbarung, die eine Aufteilung nicht ausdrücklich vorgesehen habe, sei auslegungsfähig. Da die Überlegungen der Tarifpartner nicht niedergelegt worden seien, sei der Mischzuschlag mangels näherer Anhaltspunkte im Tarifvertrag selbst oder einer Anlage dazu in dem Verhältnis aufzuteilen, in dem die entsprechenden ,,reinen" Zuschläge für Nachtarbeit und Mehrarbeit zu zahlen seien. Danach entfalle auf die Nachtarbeit ein Zuschlg von 22,5 v. H., denn die reinen Zuschläge für Nachtarbeit und Mehrarbeit stünden im Verhältnis von 3/8 zu 5/8.
Der nachzuversteuernde Betrag von 5 971,21 DM (5/8 von 9 553,94 DM) sei nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal mit einem Bruttosteuersatz von 22 v. H. nachzuversteuern. Zwar habe die Klägerin ursprünglich keinen Antrag auf Pauschalierung gestellt, wahrscheinlich aber nur deshalb, weil sie die Steuerpflicht dem Grunde nach bestreite oder nicht darauf hingewiesen worden sei. Im Parallelverfahren IX 6/83 habe die dortige Klägerin - ebenfalls ein . . . Werk, das denselben Prozeßbevollmächtigten gehabt habe - den Antrag auf Pauschalierung am letzten Prüfungstag gestellt. Jedenfalls reiche es aus, daß der Prozeßbevollmächtigte im vorliegenden Verfahren sich in der mündlichen Verhandlung mit der Pauschalierung einverstanden erklärt habe. Deshalb sei wegen der geschuldeten Lohnsteuer ein Nachforderungsbetrag festzusetzen.
Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts rügt. Es führt im wesentlichen aus:
Die Aufteilung des Mischzuschlags durch das FG stehe im Widerspruch zum BFH-Urteil vom 23. Januar 1981 VI R 190/77 (BFHE 132, 446, BStBl II 1981, 371). Danach seien Mischzuschläge nur in Höhe des im Tarifvertrag festgesetzten Zuschlagsatzes für reine Nachtarbeit steuerfrei, wenn sich aus dem Tarifvertrag keine Aufteilung des Mischzuschlags für Nachtarbeit und Mehrarbeit ergebe.
Zu widersprechen sei auch der Auffassung des FG, daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen Antrag auf Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG gestellt habe. Im Protokoll werde ein derartiger Vorgang nicht erwähnt. Der Sitzungsvertreter des FA habe auch in keinem Zeitpunkt Anlaß zu der Annahme gehabt, die Klägerin könne einen Antrag auf Pauschalierung an ihn gerichtet haben. Folglich habe er auch keine Erklärung abgegeben, die als Genehmigung einer Pauschalierung aufgefaßt werden könnte.
Der angefochtene Haftungsbescheid sei insoweit auch nicht deshalb zu beanstanden, weil der Haftungsbetrag nach Durchschnittsätzen errechnet worden sei (Hinweis auf BFH-Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164). Auch einer Darstellung der Ermessenserwägungen bedürfe es nicht, wenn - wie hier - der Arbeitgeber von Anfang an erklärt habe, die nachzuentrichtende Lohnsteuer den Arbeitnehmern nicht weiter zu belasten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision des FA zurückzuweisen.
Sie hat Anschlußrevision eingelegt, mit der sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Entscheidungsgründe
Die - unselbständige - Anschlußrevision der Klägerin ist unzulässig, da sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung des FA eingelegt worden ist (BFH-Urteil vom 8. April 1981 II R 4/78, BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534). Die Revisionsbegründung ist am 4. August 1986 (Tag der Aufgabe zur Post) mit einfachem Brief vom BFH an die Klägerin abgesandt worden. Die Anschlußrevision der Klägerin ist am 2. Oktober 1986, mithin verspätet, beim BFH eingegangen.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit diese die Revision des FA betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Zwar ist die Rechtsauffassung des FG in der Sache nicht zu beanstanden. Wie der Senat durch das Urteil vom 13. Oktober 1989 VI R 79/86 I, BFHE 159, 308 entschieden hat, setzt § 3 b Abs. 1 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung nicht voraus, daß der steuerfreie Zuschlag ausdrücklich betragsmäßig festgelegt ist. Vielmehr genügt es, daß im Tarifvertrag ausreichend bestimmte Angaben enthalten sind, aus denen der Zuschlag für den steuerfreien Erschwernisgrund dem Grunde und der Höhe nach abgeleitet werden kann. Wie der Senat in dem vorerwähnten Urteil weiter ausgeführt hat, bedeutet dies, daß ein tarifvertraglicher Mischzuschlag, der sowohl Nachtarbeit als auch Mehrarbeit abgelten soll, im Verhältnis der in demselben Tarifvertrag für reine Nachtarbeit und reine Mehrarbeit vereinbarten Zuschlagsätze aufgeteilt werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in VI R 79/86 verwiesen.
Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, daß in Fällen der hier vorliegenden Art, in denen die Lohnzahlung vor dem 1. Januar 1983 erfolgt ist, der Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheid aber erst nach dem 31. Dezember 1982 ergangen ist, bei der Pauschalierung ein Bruttosteuersatz anzuwenden ist. An dieser Rechtsauffassung, die im einzelnen im Urteil vom 26. August 1988 VI R 50/87 (BFHE 155, 64, BStBl II 1989, 304) begründet worden ist, hält der Senat fest.
Zu beanstanden ist jedoch die verfahrensrechtliche Behandlung der Sache durch das FG. Denn da das FA einen Haftungsbescheid erlassen hatte, durfte das FG nicht diesen Bescheid aufheben und statt dessen einen (niedrigeren) Nachforderungsbetrag festsetzen.
Zwar kann der Antrag auf Pauschalierung noch im Klageverfahren gestellt werden (BFH-Urteil vom 25. Mai 1984 VI R 223/80, BFHE 141, 54, 57 f., BStBl II 1984, 569). Wird der Antrag gestellt, so hat das dafür zuständige BetriebsstättenFA darüber zu entscheiden (§ 40 Abs. 1 EStG). Wird ein Pauschalierungsbescheid erlassen, muß der damit in Widerspruch stehende Haftungsbescheid aufgehoben werden (vgl. auch Thomas in Littmann /Bitz / Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 40 Rn. 67).
Besteht - wie hier aus den vom FG angeführten Gründen - Anlaß zu der Annahme, daß die Klägerin noch einen Pauschalierungsantrag stellen möchte, hat das FG das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihren Antrag zu stellen, und dem Betriebsstätten-FA die Möglichkeit einzuräumen, darüber zu entscheiden. Das weitere gegen den Haftungsbescheid gerichtete Klageverfahren kann ggf. nicht fortgesetzt werden, bevor das durch den Pauschalierungsantrag in Gang gesetzte Verfahren durch Erlaß eines antragsgemäßen Pauschalierungsbescheids oder in anderer Weise rechtskräftig abgeschlossen ist.
Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Da die Sache insoweit nicht spruchreif ist, ist sie an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 417030 |
BFH/NV 1990, 639 |