Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Übergangszeit zwischen Schule und Zivildienst von mehr als vier Monaten
Leitsatz (NV)
Für ein Kind, das nach Beendigung der Schulzeit insgesamt länger als vier Monate zunächst auf eine Zivildienststelle und sodann auf den Beginn des Zivildienstes wartet, besteht während dieser Zeit grundsätzlich kein Anspruch auf Kindergeld.
Normenkette
EStG 2001 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der 1982 geborene Sohn S des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) beendete im Juni 2001 die Schulausbildung mit dem Abitur. Den Angaben des Klägers zufolge beabsichtigte S, ein Studium aufzunehmen; es sei aber noch nicht klar, ob er zur Bundeswehr müsse. Der Musterungsbescheid, wonach S wehrdienstfähig war, erging am 31. August 2001. S wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und begann im Januar 2002 mit der Ableistung des Zivildienstes.
Der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) bewilligte für S Kindergeld bis zum offiziellen Ende des Schuljahres im Juli 2001 und lehnte den Antrag auf weitere Bewilligung von Kindergeld ab August 2001 ab. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, S sei ohne eigenes Verschulden gehindert gewesen, den Zivildienst innerhalb von vier Monaten nach Beendigung der Schule anzutreten. Durch fachärztliche Untersuchungen, die das Kreiswehrersatzamt veranlasst habe, habe sich der Abschluss des Musterungsverfahrens verzögert. Ihm stehe das Kindergeld mindestens für eine Übergangszeit von vier Monaten zu.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Auf den Streitfall sei § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG) analog anzuwenden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 47 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 32 Abs. 4 Satz 1 EStG).
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Dem Kläger steht von August bis Dezember 2001 für S kein Kindergeld zu.
Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wurde im Streitjahr 2001 gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr ableistete (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). S erfüllte im streitigen Zeitraum keinen dieser Berücksichtigungstatbestände.
1. S wurde zwischen August und Dezember 2001 weder für einen Beruf ausgebildet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), noch leistete er ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG).
2. S befand sich auch nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten.
a) Der Zivildienst ist grundsätzlich kein Ausbildungsabschnitt i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG.
In Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, 92, BStBl II 1999, 701, 703). Der Vorbereitung dienen hierbei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, m.w.N.). Die Ableistung des Zivildienstes ist danach grundsätzlich keine Berufsausbildung, denn sie dient im Regelfall nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf. Die Zivildienstleistenden erfüllen vielmehr gemäß § 1 des Zivildienstgesetzes (ZDG) Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich. Dies schließt nicht aus, dass in Einzelfällen die Ableistung des Zivildienstes der Vorbereitung auf ein konkretes Berufsziel dienen kann (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 92/01, BFH/NV 2004, 173). Nach den vom FG getroffenen Feststellungen sind im Streitfall hierfür sprechende Umstände nicht ersichtlich.
b) Die Anwendung der Vorschrift scheitert außerdem daran, dass sie nur eine Übergangszeit von höchstens vier Monaten begünstigt. Dieser Zeitraum ist hier überschritten. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kommt bei Überschreiten der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für die ersten vier Monate in Betracht. Gegen diese Beschränkung bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Kind nicht mit einem Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten rechnen musste (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841, m.w.N.).
3. S war auch nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen.
Das Warten auf den Beginn des Zivildienstes ist regelmäßig nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG begünstigt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 173). Die Zivildienststelle ist ―wie dargelegt― grundsätzlich kein Ausbildungsplatz, denn der Zivildienst ist grundsätzlich keine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Etwas anderes ergibt sich im Streitfall weder aus den Feststellungen des FG noch aus dem Akteninhalt. Unerheblich ist deshalb auch, ob die Verzögerung auf einem Mangel an Zivildienstplätzen beruhte.
4. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG auch nicht entsprechend auf den Fall anzuwenden, dass ein Kind auf eine Stelle zur Ableistung des Zivildienstes warten muss. Eine Gesetzeslücke besteht insoweit nicht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841, und in BFH/NV 2004, 173; a.A. Greite, Finanz-Rundschau 2003, 1296).
Nichts anderes ergibt sich, wenn man unterstellt, dass die Übergangszeit zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes in der für 2001 geltenden Gesetzesfassung weder in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG noch in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG geregelt war und dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke vorlag. Die Regelungslücke wäre durch eine entsprechende Anwendung von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG zu schließen mit der Folge, dass das Kind nicht berücksichtigt wird, wenn die Übergangszeit mehr als vier Monate beträgt (vgl. Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 32 Rdnr. C 22; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach , Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 32 EStG Anm. 100).
Das entspricht der ab dem Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Rechtslage. Mit dem Zweiten Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I, 2074) hat der Gesetzgeber die Übergangszeiten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes den Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten gleichgestellt und in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG geregelt. Auf diese Weise wird ein Kind, das seine Ausbildung wegen Ableistung des Grundwehrdienstes unterbricht, für jeweils einen Übergangszeitraum von bis zu vier Monaten sowohl vor als auch nach diesem Dienst berücksichtigt (BTDrucks 14/6160, S. 11). Diese Regelung bestätigt die frühere Verwaltungspraxis, wonach u.a. Zwangspausen von höchstens vier Monaten Dauer vor und nach der Ableistung des gesetzlichen Wehr- bzw. Zivildienstes wie Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten berücksichtigt wurden (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand Mai 2000, 63.3.3 Abs. 3, BStBl I 2000, 636, 639, 664, und R 180a der Einkommensteuer-Richtlinien 2001; vgl. Schmidt/ Glanegger, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 32 Rz. 42). Gründe davon abzuweichen, bestehen im Streitfall nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1178761 |
BFH/NV 2004, 1242 |