Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung von §§ 218 Abs. 4, 222 Abs. 1 Ziff. 2 und 234 AO.
Stellt sich bei einer Betriebsprüfung heraus, daß dem Sohn des Betriebsinhabers zu Unrecht ein "Gehalt" bezahlt wurde und hatte der Steuerpflichtige es wegen der angeblichen Gehaltsnachzahlung unterlassen, bei seiner Einkommensteuerveranlagung einen Kinderfreibetrag zu beantragen, so ist die Aufdeckung der zu Unrecht verbuchten Gehaltszahlung keine Aufdeckung einer neuen Tatsache zugunsten des Steuerpflichtigen im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO. Stellt der Steuerpflichtige nachträglich den Antrag auf den Kinderfreibetrag, so fällt damit auch nicht rückwirkend ein bisheriges Besteuerungsmerkmal weg.
Normenkette
AO § 218 Abs. 4, § 222 Abs. 1 Nr. 2, §§ 234, 232 Abs. 1; StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) bezieht als Komplementärin einer KG Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Auf Grund der Feststellungen einer Betriebsprüfung bei der KG wurden die einheitlichen Gewinnfeststellungen 1959 und 1960 berichtigt. Bei der Betriebsprüfung wurde auch festgestellt, daß der Sohn der Stpfl., der in den Jahren 1957 und 1958 in dem Betrieb der KG mitgearbeitet hatte, in den Jahren 1959 und 1960 weiter Gehalt bezogen hatte, obwohl seine Tätigkeit, um sein Studium wieder aufzunehmen, Ende 1958 eingestellt hatte. Das Finanzamt (FA) erkannte die in den Jahren 1959 und 1960 an den Sohn geleisteten Zahlungen nicht als Betriebsausgaben an und erhöhte die Gewinnanteile der Stpfl. entsprechend.
Auf Grund der Berichtigung der einheitlichen Gewinnfeststellungen wurden auch die rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagungen 1959 und 1960 berichtigt. Auf den Einspruch der Stpfl., die nunmehr für den Sohn einen Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 2 Ziff. 2 EStG) und eine Steuerermäßigung wegen auswärtiger Unterbringung (§ 33 a Abs. 2 EStG) sowie die Anwendung des Splitting-Tarifs beantragte, änderte das FA die berichtigten Einkommensteuerbescheide dahin, daß wieder die ursprünglichen Steuerbeträge festgesetzt wurden. Der hiergegen von neuem eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung hatte ebenfalls keinen Erfolg: Der von der Stpfl. erstmals mit dem Einspruch gestellte Antrag auf einen Kinderfreibetrag in Verbindung mit der Anwendung des Splitting- Tarifs (§§ 32 Abs. 2 Ziff. 2, 32 a Abs. 3 Ziff. 2 EStG) und der Gewährung eines Freibetrags wegen auswärtiger Unterbringung des Sohnes (§ 33 a Abs. 2 EStG) hätte zwar dazu geführt, daß die Steuerschuld wieder auf den Betrag der ursprünglichen Steuerbescheide herabgesetzt worden sei. Die Herabsetzung der Steuerschuld unter den früheren Betrag sei aber nicht möglich, weil nach § 234 AO a. F. (§ 232 Abs. 1 AO n. F.) ein rechtskräftiger Steuerbescheid, wenn er später berichtigt werde, nur in Höhe der Berichtigung angefochten werden könne. Daß früher die Gewinnfeststellungen 1959 und 1960 nur vorläufig gewesen seien, spiele keine Rolle; denn die Vorläufigkeit eines Grundlagenbescheids erstrecke sich nicht notwendig auf die auf ihm beruhenden Einkommensteuerbescheide (Folgebescheide). Das FA hätte trotz der Vorläufigkeit der Feststellungsbescheide die Veranlagungen zur Einkommensteuer 1959 und 1960 endgültig durchführen können. Selbst wenn man mit der Stpfl. davon ausginge, daß sich die Betriebsprüfung nicht nur auf ihre Mitunternehmerschaft am Betrieb der KG bezogen habe, sondern auf ihre gesamten steuerlichen Verhältnisse, könne der frühere Steuerbetrag nicht unterschritten werden. Eine "neue" Tatsache sei dann allenfalls die Feststellung, daß der Sohn in den Streitjahren kein eigenes Einkommen und Vermögen gehabt habe. Das allein reiche aber nicht aus, um als "neue Tatsache" im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO die in den §§ 32, 32 a und 33 a EStG vorgesehenen Steuerermäßigungen auszulösen; denn es sei darüber hinaus ein entsprechender Antrag der Stpfl. erforderlich gewesen, den die Stpfl. bei den ursprünglichen Veranlagungen nicht gestellt habe. Die Stpfl. habe es bei den ursprünglichen Veranlagungen in der Hand gehabt, durch eine richtige Sachdarstellung und einen entsprechenden Antrag die für sie steuerlich günstigere Steuerberechnung zu erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision, mit der die Stpfl. unrichtige Anwendung der §§ 222 Abs. 1 Ziff. 2 und 234 AO a. F. sowie des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG rügt, kann keinen Erfolg haben.
Wie das FG zutreffend darlegt, konnte das FA die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide 1959 und 1960 zu Recht als endgültige Bescheide erlassen. Die Vorläufigkeit der ursprünglichen einheitlichen Feststellungsbescheide 1959 und 1960 erstreckte sich nicht ohne weiteres auch auf die Einkommensteuerbescheide, wenngleich diese auf den Feststellungsbescheiden beruhten. Das ein Bescheid auf einem anderen Bescheid beruht (§ 212 b Abs. 2 und § 218 Abs. 2 AO), hat zwar zur Folge, daß die änderung des Grundlagenbescheids auch zur änderung eines auf ihm beruhenden Bescheids führt (§§ 212 b Abs. 3 und 218 Abs. 4 AO). Aber es handelt sich doch um zwei selbständige Bescheide, die nach den für sie geltenden Verfahrensvorschriften abzuwickeln sind.
Zuzustimmen ist dem FG auch darin, daß die änderung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide eine sogenannte Folgewirkung war. Die änderung der vorläufigen Feststellungsbescheide als Grundlagebescheide zog nach § 218 Abs. 4 AO die änderung der auf ihnen beruhenden Einkommensteuerbescheide nach sich. Derartige änderungen führen nicht zu einer Wiederaufrollung des Steuerfalles im ganzen, sondern nur zur änderung in den Punkten, die der Grundlagenbescheid behandelt (Urteil des BFH I 258/62 vom 9. März 1965, HFR 1965 S. 490).
Wenn § 234 AO a. F. (jetzt § 232 Abs. 1 AO n. F.) bei der änderung unanfechtbarer Verfügungen diese nur hinsichtlich der änderung als angreifbar bezeichnet, so kann der Stpfl. zwar den geänderten Bescheid auch mit solchen Einwendungen angreifen, die er gegen den ursprünglichen Bescheid hätte vorbringen können. Er kann aber, wenn der ursprüngliche Bescheid nur zu seinen Ungunsten geändert werden darf, nicht mehr erreichen, als daß der geänderte Steuerbetrag wieder auf den ursprünglichen Steuerbetrag herabgesetzt wird (Urteil des Senats VI 327/59 vom 15. November 1962, HFR 1963 S. 345).
Im Streitfall beruhte die änderung der ursprünglichen Steuerbescheide, wie dargelegt, auf § 218 Abs. 4 AO, so daß nicht der gesamte Steuerfall wieder aufgerollt wurde, sondern eine änderung der unanfechtbaren Bescheide nur möglich war, soweit der Grundlagenbescheid geändert war (Urteil des Senats VI 128/65 U vom 24. November 1965, BFH 84, 365, BStBl III 1966, 131). Ob die Stpfl. unter diesen Umständen einen in dem früheren Verfahren nicht gestellten Antrag auf den Kinderfreibetrag usw. noch nachholen konnte oder ob sie nicht lediglich zum "Nachschieben" von bisher nicht vorgetragenen "Tatsachen" berechtigt war, kann hier dahingestellt bleiben, weil das FA die Nachholung des Antrags zugelassen hat und eine Verböserung der Steuerfestsetzung im Revisionsverfahren im Streitfall nicht möglich ist. Weil die änderung der Gewinnfeststellungsbescheide nur zu einer Erhöhung des Gewinnanteils der Stpfl., also zu ihren Ungunsten ergangen war, durfte jedenfalls die in den ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden festgesetzte Steuerschuld nicht unterschritten werden.
Die Stpfl. kann sich, wie das FG zutreffend darlegt, auch nicht auf § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO berufen. Inwieweit sich eine Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft auch mit Fragen befassen kann, die die Gesellschafter persönlich betreffen, braucht hier nicht entschieden zu werden; denn auch bei einem Einzelkaufmann würde die Aufdeckung der Tatsache, daß er seinem Sohn zu Unrecht ein Gehalt gezahlt hat, nur zu der Feststellung führen, daß er einen Antrag auf Kinderermäßigung hätte stellen können. Diese Feststellung wäre aber, was die fehlende Antragstellung angeht, nur die Aufdeckung eines Fehlers des Stpfl., nicht aber die Aufdeckung einer dem FA neuen Tatsache (Urteil VI 161/59 vom 13. Mai 1960, Der Betrieb 1961 S. 119).
Der Stpfl. ist zuzugeben, daß sie den Antrag auf einen Kinderfreibetrag nicht hätte stellen können, wenn ihr Sohn wie früher das Gehalt bezogen hätte. Es kann dahingestellt bleiben, wie es zu der Gehaltszahlung kam, obwohl der Sohn nicht mehr im Betrieb tätig war. Jedenfalls kann die Stpfl., da sie im ursprünglichen Verfahren keinen Antrag auf einen Kinderfreibetrag gestellt hat, nicht anders stehen als ein Steuerpflichtiger, der aus irgendwelchen Gründen "Vergünstigungen" nicht beantragt hat und diesen Fehler erst erkannt hat, nachdem seine Veranlagungen unanfechtbar geworden sind. Von einer ungleichmäßigen Behandlung kann demnach keine Rede sein. Es widerspricht auch nicht dem Grundsatz der Gleichbehandlung, daß unanfechtbare Veranlagungen nur unter bestimmten Voraussetzungen geändert werden können (Urteil des BFH I 213/64 vom 23. März 1965, HFR 1966 S. 82). Die von der Stpfl. gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 234 AO erhobenen Bedenken greifen deshalb nicht durch.
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG sind nicht erfüllt. Wie das FG zutreffend darlegt, sind im Streitfall keine Tatbestandsmerkmale mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen. Daß für den Sohn steuerlich kein Gehalt mehr anerkannt wird, beruht nicht darauf, daß das FA aus Rechtsgründen die Gehaltszahlung nicht mehr anerkennt, sondern nur auf der Tatsache, daß die tatsächliche Voraussetzung für eine "Gehaltszahlung", nämlich die Mitarbeit im Betrieb, von vornherein fehlte.
Fundstellen
Haufe-Index 412409 |
BStBl III 1967, 271 |
BFHE 1967, 595 |
BFHE 87, 559 |