Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die in ihrer Höhe von gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen abhängige Jahreseinkommensteuer durch Steuerbescheid festgesetzt werden darf, wenn ein Feststellungsbescheid noch nicht ergangen ist.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2; AO §§ 100, 213, 215 Abs. 2, § 218 Abs. 2, 4, § 242 Abs. 2 S. 2; AO 1977 § 157 Abs. 2, §§ 164-165, 175 Nr. 1, § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 182 Abs. 1, § 361 Abs. 2 S. 2; EStG bis 1974 § 2 Abs. 1-2, § 15 Nr. 2, § 25; EStG 1975 § 2 Abs. 4-6, 7 Sätze 1-2, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 25 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist an einer GmbH & Co. KG beteiligt; er hat seine Kommanditeinlage und ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von je 25 000 DM geleistet. Aus Anlaß der Einkommensteuerveranlagung 1973 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) einen vom Kläger erklärten Verlust in Höhe von 40 300 DM aus der Beteiligung an der GmbH & Co. KG nicht; der Verlustanteil war noch nicht durch das Betriebs-FA einheitlich und gesondert festgestellt. Andere - einheitlich und gesondert festgestellte - Verlustanteile hat das FA bei der gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) für vorläufig erklärten Steuerfestsetzung berücksichtigt.
Zugleich mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 beantragte der Kläger, die Vollziehung dieses Bescheides insoweit auszusetzen, als die Einkommensteuer aufgrund der Nichtberücksichtigung des Verlustanteiles höher festgesetzt worden war. Den Antrag, die Vollziehung auszusetzen, lehnte das FA mit der Begründung ab, ihm liege eine Mitteilung des Betriebs-FA über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung betreffend die GmbH & Co. KG nicht vor. Hiervon abgesehen sei der Verlustanteil nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Die Oberfinanzdirektion (OFD) hat die Beschwerde zurückgewiesen. Über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 ist noch nicht entschieden.
Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) das beklagte FA verpflichtet, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1973 vom 6. Februar 1976 in dem beantragten Umfange bis zur Entscheidung über den Einspruch ohne Sicherheitsleistung auszusetzen (Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 375 - EFG 1977, 375 -).
Mit der Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Behörde rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides könne ein Verlust, über dessen Vorliegen im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung noch nicht entschieden sei, nicht berücksichtigt werden, weil dies die - provisorische - Vollziehung eines noch nicht erlassenen Grundlagenbescheides über Verlustanteile bedeuten würde (Hinweis auf den nicht veröffentlichten Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. September 1976 I B 21/76). Ein Gewinn- oder Verlustanteil könne nach der Systematik sowie dem Sinn und dem Zweck des Gesetzes nur im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung festgestellt werden (BFH-Beschluß vom 1. August 1973 I B 29/73, BFHE 110, 177, BStBl II 1973, 854; Urteil des FG Münster vom 27. Juli 1976 VI-II 2201/75 E, EFG 1976, 565). Recht und Billigkeit könnten eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen, da die Möglichkeit einer Stundung gemäß § 127 AO, § 222 der Abgabenordnung (AO 1977) verbleibe, wenn aufgrund noch nicht festgestellter, aber glaubhaft gemachter Verlustanteile wahrscheinlich mit einer niedrigeren Steuerfestsetzung zu rechnen sei.
Der dem Verfahren gemäß § 122 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) geht davon aus, daß die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung (§§ 213 Abs. 2, 215 AO) Voraussetzung für die Durchführung der Veranlagung sei. Das Wohnsitz-FA müsse jedoch - insbesondere, wenn sich der Erlaß des Feststellungsbescheides verzögere, der Erlaß des Einkommensteuerbescheides aber aus Gründen dringlich werde, die sowohl bei der Verwaltung als auch beim Steuerpflichtigen liegen könnten - nicht stets solange untätig bleiben, bis der Feststellungsbescheid vorliege. Die Rechtsprechung (z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 26. August 1931 VI A 1565/30, RFHE 29, 297, RStBl 1932, 10, dort nur Leitsatz; BFH-Urteil vom 20. April 1977 I R 147/76, Der Betriebs-Berater 1977 S. 935 [BB 1977, 935] - amtlich nicht veröffentlicht -, und BFH-Beschluß vom 29. Juli 1976 VIII B 6/75, BFHE 120, 9, BStBl II 1977, 119) sei der Ansicht, daß eine Einkommensteuerveranlagung nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil der Grundlagenbescheid noch ausstehe. Für diese Auffassung seien vor allem zwei Gesichtspunkte maßgebend: Das Wohnsitz-FA befinde sich in einer Entscheidungssituation, die der dem § 100 Abs. 1 AO zugrundeliegenden Regelung vergleichbar sei (RFH-Urteil vom 4. Juni 1930 VI A 424/29, RStBl 1931, 101). § 218 Abs. 4 AO lasse nach ständiger Rechtsprechung eine Folgeänderung zu, wenn der Grundlagenbescheid erstmals nach der Einkommensteuerveranlagung ergehe. Diese Rechtsprechung beruhe gedanklich auf der grundsätzlichen Möglichkeit der Veranlagung vor Ergehen des Grundlagenbescheides. Dies allein entspreche einem geordneten Besteuerungsverfahren als dem Ausdruck der Interessenabwägung zwischen den Beteiligten. Die neue Abgabenordnung stelle dementsprechend klar, daß ein Folgebescheid vor dem Grundlagenbescheid erlassen werden könne. Aus § 175 Nr. 1 AO 1977, wonach u. a. ein Steuerbescheid zu ändern ist, soweit ein Grundlagenbescheid erlassen wird, ergebe sich dies; die amtliche Begründung bestätige diese Auffassung (Bundestags[BT]-Drucksache VI/1982 zu § 156, S. 154 f.; BT-Drucksache 7/79). Der Grundsatz, daß der Grundlagenbescheid zeitlich immer Verfahrensvoraussetzung des Folgebescheides sei, könne also durchbrochen werden.
Von diesem Ausgangspunkt aus sei noch zu klären, unter welchen Voraussetzungen das Wohnsitz-FA welche Veranlagungsentscheidung treffen könne. Seine Entscheidung müsse sich auf das gesamte Einkommen beziehen und deshalb eine Aussage zu den noch nicht festgestellten Einkünften enthalten, die allerdings eine insoweit vorläufige Steuerfestsetzung oder eine Aussetzung der Steuerfestsetzung zum Inhalt haben könne. Vorher müsse geprüft werden, ob und inwieweit die Voraussetzungen für das Entstehen der Steuerschuld - hier also bezüglich der noch festzustellenden Besteuerungsgrundlagen - ungewiß seien. Für die Prüfung komme es nicht darauf an, ob die erklärten Einkünfte entstanden seien, sondern nur darauf, ob sie im Hinblick auf die Einbeziehung als rechnerische Größe in die Veranlagung als mit einiger Wahrscheinlichkeit entstanden bzw. als nicht oder zumindest nicht im erklärten Umfange entstanden anzusehen seien. Dies sei qualitativ etwas anderes als die Ermittlung der Beteiligteneinkünfte; somit werde die Kompetenz des Betriebs-FA durch diese Feststellungen nicht berührt. Es würden lediglich vorläufig Konsequenzen aus der einstweiligen Ungewißheit gezogen. Insoweit habe die Entscheidung des FA auch keine bindende Feststellungswirkung, sondern nur eine vorläufige; diese Wirkungen seien im Einkommensteuerbescheid ohne weitere Sachprüfung in dem Umfang zu korrigieren, in dem der nachfolgende Grundlagenbescheid eine abweichende Feststellung enthalte.
Die Entscheidung, ob und inwieweit die noch nicht festgestellten Einkünfte bei der Veranlagung zu berücksichtigen seien, könne nur nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen und auch nur in Beziehung auf die Ausübung des Ermessens überprüft werden. Der sachliche Umfang der Ermessensprüfung des Wohnsitz-FA reiche von der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalles überhaupt etwas berücksichtigt werden dürfe, bis hin zu der Frage, ob alles berücksichtigt werden müsse. Die Finanzverwaltung habe sich in Verwaltungsanweisungen zu einigen Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer Verlustzuweisungsgesellschaft geäußert (vgl. Schreiben des BdF vom 10. April 1975, BStBl I 1975, 515, und vom 14. Mai 1976, BStBl I 1976, 320). Diese Verwaltungsanweisungen seien auch von den Wohnsitz-FÄ bei der Veranlagungsentscheidung und bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zu beachten. Die nach den bezeichneten Schreiben zu beachtenden Gesichtspunkte seien nicht rechts- oder ermessensfehlerhaft; sie stellten auch keine abschließende Verwaltungsregelung dar. Es sei beabsichtigt, in einer weiteren Verwaltungsregelung klarzustellen, daß von dem Steuerpflichtigen erklärte Verluste aus der Beteiligung an einer Verlustzuweisungsgesellschaft oder Bauherrengemeinschaft vom Wohnsitz-FA auch ohne Mitteilung des Betriebs-FA über den festgestellten Gewinn bzw. Verlust im Veranlagungsverfahren angesetzt werden könnten, wenn sie dem Betriebs-FA glaubhaft gemacht seien.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA durch Berichtigungsbescheid vom 11. Januar 1978, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, den ursprünglich umstrittenen, gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufigen Einkommensteuerbescheid vom 6. Februar 1976 geändert. Die Änderung beruhte auf dem Erlaß eines Grundlagenbescheides, durch den ein Verlust festgestellt worden war; der umstrittene Verlust aus der Beteiligung an der GmbH & Co. KG wird dadurch nicht berührt. Der Kläger hat den Berichtigungsbescheid mit Einspruch angefochten; über diesen ist noch nicht entschieden. Noch vor Durchführung der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt, den Berichtigungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1971 IV R 242/70, BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218, und BFH-Beschluß vom 29. September 1976 I B 15/76, BFHE 120, 139, BStBl II 1977, 37).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Aufgrund des Antrages des Revisionsbeklagten ist Gegenstand des Verfahrens im Hinblick auf die Aussetzung der Vollziehung der oben erwähnte Änderungsbescheid geworden.
I.
Das FG hat die beklagte Behörde zu Recht verpflichtet, die Vollziehung des umstrittenen Einkommensteuerbescheides auszusetzen. Da nur das FA Revision eingelegt hat, ist nicht zu prüfen, ob das FG die Behörde in weiterem Umfange zur Aussetzung der Vollziehung hätte verpflichten können. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der mit Einspruch angefochtene Einkommensteuerbescheid ergehen durfte, solange der Bescheid über die Feststellung der von dem Kläger behaupteten Verluste aus Gewerbebetrieb, den das beklagte FA dem gegen den Kläger zu erlassenden Einkommensteuerbescheid für 1973 hätte zugrunde legen können (§ 218 Abs. 2 AO; § 182 AO 1977), noch nicht vorlag.
Ernstliche Zweifel i. S. des - soweit hier von Interesse - mit § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO wortgleichen § 242 Abs. 2 Satz 2 AO und des § 361 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, und vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533). Solche gewichtigen Umstände liegen im Streitfalle vor.
Im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung von Einkommensteuerbescheiden kann die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide überschlägig nur in dem Umfange geprüft werden, in dem die Prüfung im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Verwaltungsakt selbst statthaft wäre (BFH-Beschlüsse vom 5. März 1970 IV B 14/69, BFHE 98, 458, BStBl II 1970, 461; I B 29/73, und zuletzt vom 10. November 1977 IV B 33-34/76, BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15). Dies schließt es aus, im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides diesen Bescheid insoweit auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, als ihm - gegen den Steuerpflichtigen - gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt worden sind (§ 218 Abs. 2 und 4 AO; § 182 AO 1977). Andererseits ist es statthaft, in einem derartigen Verfahren zu prüfen, ob ein Einkommensteuerbescheid rechtmäßig ist, dem vor Ergehen des Feststellungsbescheides gesondert festzustellende Einkünfte zugrunde gelegt worden sind. In einem solchen Fall kann vorläufiger Rechtsschutz nur insoweit gewährt werden, als ein im Einkommensteuerbescheid enthaltener Vorgriff auf das Ergebnis einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung vorläufig wieder beseitigt wird (BFH-Beschlüsse I B 29/73 und vom 11. Mai 1976 VIII B 54/75, BFHE 119, 22, BStBl II 1976, 596). Das setzt die Prüfung voraus, ob ein solcher Vorgriff rechtlich zulässig ist. Dies ist jedoch ernstlich zweifelhaft i. S. des § 242 Abs. 2 Satz 2 AO, § 361 Abs. 2 Satz 2 AO 1977.
II.
Die Rechtsprechung des RFH und die bisherige Rechtsprechung des BFH zu der für den vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Streitfrage sind nicht einheitlich.
1. Der RFH (Urteile vom 22. Februar 1928 VI A 479/27, RStBl 1928, 177, Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1925, § 65, Rechtsspruch 5, und vom 3. Dezember 1931 VI A 2075/31, Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1925, § 65, Rechtsspruch 56) hat den Gewinnfeststellungsbescheid als Verfahrensvoraussetzung für den Einkommensteuerbescheid in dem Sinne angesehen, daß vor Erteilung eines Feststellungsbescheides, wenn im übrigen die Voraussetzungen für seine Erteilung gegeben waren, eine wesentliche Grundlage der Veranlagung fehle und der gleichwohl ergangene Einkommensteuerbescheid aufzuheben sei. Aufbauend auf dieser Meinung hat der RFH in den Urteilen vom 4. Juni 1930 VI A 424/29 (RStBl 1931, 101) und vom 15. Januar 1931 VI A 2058/30 (RStBl 1931, 267) das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung für den Fall bejaht, daß es an einer einheitlichen Gewinnfeststellung überhaupt fehle, nicht aber dann, wenn ein solcher Bescheid zwar ergangen, aber die nach dem RFH-Urteil vom 4. Juni 1930 VI A 852/28 (RFHE 27, 67, RStBl 1930, 676 - dort nur Leitsatz -) gebotene Aufteilung des Geschäftsgewinns auf die einzelnen Gesellschafter unterblieben oder der Bescheid fehlerhaft zugestellt worden war; in diesem Fall hielt der RFH eine vorläufige Veranlagung für zulässig. Im Urteil vom 15. Januar 1930 VI A 1152/28 (Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1925, § 65, Rechtsspruch 18) hatte der RFH für den Fall, daß zweifelhaft war, ob eine einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung durchzuführen war oder wenn sich die einheitliche Gewinnfeststellung verzögerte, die vorläufige Veranlagung des Pflichtigen wegen der übrigen Einkünfte in entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 1 AO 1919 (§ 100 Abs. 1 AO 1931) zugelassen. Die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung war geboten, weil nach der ursprünglichen Rechtsprechung des RFH (Urteil vom 12. Juni 1929 VI A 357/29, Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1925, § 65, Rechtsspruch 15) ein unanfechtbar gewordener Steuerbescheid aufgrund einer nach Eintritt der Unanfechtbarkeit ergangenen einheitlichen Gewinnfeststellung nur geändert werden durfte, wenn zugleich die Voraussetzungen des § 212 AO 1919 (§ 222 AO 1931) vorlagen. Diese Auffassung hat der RFH im Urteil VI A 1565/30 im Hinblick auf das bereits erwähnte Urteil VI A 852/28 aufgegeben und die Änderung des unanfechtbar gewordenen Steuerbescheides aufgrund des nachträglich ergangenen Gewinnfeststellungsbescheides auch ohne das Vorliegen neuer Tatsachen zugelassen. In der Folgezeit hat der RFH (Urteil vom 24. Februar 1932 VI A 172 und 173/32, RStBl 1932, 282) den Vorrang des Verfahrens der einheitlichen Gewinnfeststellung mit den Worten umschrieben:
"Über die die einheitliche Gewinnfeststellung betreffenden Streitfragen kann nur einmal im Verfahren über diese Feststellung und nicht daneben im Verfahren zur Einkommensteuerveranlagung der Teilhaber in weiteren Entscheidungen über die gleichen Fragen entschieden werden."
Im Einklang hiermit hat er im Urteil vom 17. Juli 1935 VI A 483/35 (RStBl 1935, 1192) ausgesprochen, daß die Entscheidung der Frage, ob der Steuerpflichtige Mitunternehmer geworden sei, im Verfahren betreffend die Einkommensteuer und Vermögensteuer des Steuerpflichtigen gegen das Gesetz verstoße; hierüber sei im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden (vgl. auch RFH-Urteil vom 11. Mai 1939 III 67/38, RStBl 1939, 805).
2. In der Rechtsprechung des BFH ist entschieden worden, daß die einheitliche Gewinnfeststellung eine für die Durchführung des Einzelveranlagungsverfahrens unabdingbare Verfahrensvoraussetzung sei (Urteil vom 26. Juni 1958 IV 39/58 U, BFHE 67, 237, BStBl III 1958, 364). Von diesem Standpunkt ausgehend hat der BFH Entscheidungen aufgehoben, in denen unbeachtet geblieben war, daß über die Frage, ob ein Gemeinschafts- oder Gesellschaftsverhältnis besteht, im Verfahren über die einheitliche Gewinnfeststellung zu entscheiden ist (Urteile vom 6. August 1959 IV 127/58 U, BFHE 69, 395, BStBl III 1959, 408; vom 12. Januar 1961 IV 289/58, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 8 - HFR 1962, 8 -, und vom 11. März 1966 VI 161/63, BFHE 86, 50, BStBl III 1966, 389). Im Urteil vom 10. September 1964 IV 395/60 (HFR 1965, 229) hat der BFH erkannt, das Wohnsitz-FA sei im allgemeinen nicht gehindert, schon vor Erlaß eines Gewinnfeststellungsbescheides bei der Einkommensteuerveranlagung gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen zu berücksichtigen, müsse jedoch den Gewinnfeststellungsbescheid abwarten, wenn Streit über diese Besteuerungsgrundlagen entstehe; es müsse dann auch mit der Einziehung des umstrittenen Steuerbetrages solange warten. Im Urteil vom 25. Juni 1970 IV 190/65 (BFHE 99, 513, BStBl II 1970, 730) wird gesagt, daß bei Streit über die Höhe eines Gewinns, an dem mehrere beteiligt sind, das einheitliche Gewinnfeststellungsverfahren notwendige Verfahrensvoraussetzung für das Einzelveranlagungsverfahren sei, in dem dieser Streit nicht ausgetragen werden könne (vgl. auch BFH-Beschluß vom 23. Juni 1971 I B 16/71, BFHE 103, 24, BStBl II 1971, 730). Schließlich hat der VIII. Senat des BFH in den nicht veröffentlichten Urteilen vom 28. September 1971 VIII R 61/70 und vom 28. Februar 1974 VIII R 10/69 unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil IV 39/58 U ausgesprochen, daß die einheitliche Gewinnfeststellung in der Regel eine unabdingbare Verfahrensvoraussetzung für die Vornahme der Einkommensteuerveranlagung sei; der Senat hielt es für richtig, daß in Fällen, in denen die Beteiligung mehrerer an Einkünften noch vor dem Ergehen einer Rechtsbehelfsentscheidung geltend gemacht wird, die Durchführung des Verfahrens betreffend die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung abgewartet wird.
Andererseits hat der BFH im Urteil vom 3. Juli 1956 I 221/55 U (BFHE 63, 288, BStBl III 1956, 308) unter Berufung auf die RFH-Urteile VI A 424/29 und VI A 1565/30 ausgesprochen, das Wohnsitz-FA habe nicht bis zum Ergehen einer einheitlichen Gewinnfeststellung zuzuwarten, wenn es sich um die Beteiligung an einer Personengesellschaft handele, und hat das Urteil des FG, das eine solche Entscheidung im Hinblick auf die Beteiligung an der Personengesellschaft abgelehnt hatte, unter Zurückverweisung der Sache an das FA aufgehoben. Das Wohnsitz-FA müsse "nach Recht und Billigkeit eine der Sachlage entsprechende vorläufige Veranlagung" im Hinblick auf die von dem Steuerpflichtigen behauptete Existenz einer Personengesellschaft durchführen. Sei mit einer baldigen Entscheidung des Betriebs-FA zu rechnen, könne es für das Wohnsitz-FA zweckmäßig sein, das Verfahren bis zum Ergehen des Feststellungsbescheides auszusetzen.
3. Im Hinblick auf die Aussetzung der Vollziehung von Einkommensteuerbescheiden hat sich die neuere Rechtsprechung - die vorwiegend zur Frage der Berücksichtigung noch nicht gesondert festgestellter Verlustanteile ergangen ist - auf den Standpunkt gestellt, daß zwar der Einspruch gegen einen Steuerbescheid nicht schon deshalb unzulässig ist, weil er auf Gründe gestützt wird, über die verbindlich nur im Verfahren der gesonderten Feststellung zu entscheiden ist (BFH-Beschlüsse vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24, und I B 29/73); jedoch ist die Möglichkeit, die Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides wegen solcher Einwendungen auszusetzen, über die im Verfahren der gesonderten Feststellung zu entscheiden ist, grundsätzlich verneint worden (BFH-Beschlüsse IV B 14/69 und I B 29/73; BFH-Urteil I R 147/76; Bedenken hiergegen - allerdings nicht entscheidungserheblich - im BFH-Beschluß vom 29. Juli 1976 VIII B 6/75, BFHE 120, 9, BStBl II 1977, 119). Die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides komme hingegen in Betracht, um einen in diesem Bescheid enthaltenen Vorgriff auf das Ergebnis eines einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheides wieder zu beseitigen (BFH-Beschluß I B 29/73); ferner sei die Vollziehung eines angefochtenen Einkommensteuerbescheides auszusetzen, wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob das zuständige FA es zu Recht abgelehnt hat, einen positiven einheitlichen Feststellungsbescheid zu erlassen (BFH-Beschluß VIII B 54/75).
III.
In der Rechtsprechung des FG und im Schrifttum (vgl. die Nachweise bei Pelka, Steuer und Wirtschaft -StuW - 1977 Sp. 334 ff.) sind Einwendungen gegen die Auffassung des BFH erhoben worden, daß die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides nur in dem Umfange in Betracht komme, in dem der Bescheid im Hinblick auf ihm zugrundegelegte Besteuerungsgrundlagen auf seine Rechtmäßigkeit geprüft werden kann. Diese Bedenken sind im Ergebnis gewichtig. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Auffassung zutrifft, daß ein Einkommensteuerbescheid erlassen werden darf, wenn gesondert festzustellende Einkünfte noch nicht gesondert festgestellt sind.
1. für die Ansicht, nach der die Einkommensteuer nicht durch Steuerbescheid festgesetzt werden darf, solange der Steuerfestsetzung zugrunde zu legende gesondert festzustellende Einkünfte nicht festgestellt sind, sprechen gewichtige, aus dem Gesetz abzuleitende Gründe.
a) Gemäß § 213 Abs. 1 AO, § 157 Abs. 2 AO 1977 bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen - als Grundlage für die Steuerfestsetzung (§§ 210 Abs. 1, 210 b, 211 AO; §§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 1 AO 1977) - einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheides. Gesondert sind u. a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb festzustellen (§§ 213 Abs. 2 Satz 1, 215 Abs. 2 Nr. 2 AO; § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 - RGBl I, 11 -; §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). Diese gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen sind in das Verfahren der Festsetzung der Einkommensteuer insoweit nicht einbezogen, als das zur Steuerfestsetzung berufene FA sie nicht selbst ermitteln und aufgrund seiner Ermittlungen wie nicht gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen (unselbständig - § 213 Abs. 1 AO; § 157 Abs. 2 AO 1977) feststellen darf. Zur Ermittlung und Feststellung gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen ist in einem besonderen Verfahren ein FA berufen, das nicht das zur Steuerfestsetzung auch nur für einen der beteiligten Steuerpflichtigen zuständige Wohnsitz-FA sein muß. Die Kompetenz zur Feststellung der der Festsetzung der Einkommensteuer zugrunde zu legenden Besteuerungsgrundlagen erstreckt sich in solchen Fällen nicht auf die Feststellung gesondert festzustellender Einkünfte (vgl. § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977).
Dem entspricht die gesetzliche Regelung im Hinblick auf die im gesonderten Feststellungsverfahren ergehenden Verwaltungsakte, auf deren Auswirkung und auf das Verfahren der Rechtsbehelfe über diese Verwaltungsakte. Aufgrund der Erklärung über die gesondert festzustellenden Einkünfte (§§ 58 bis 60 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -; § 166 Abs. 1 AO; § 181 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) ergeht der Feststellungsbescheid (§ 213 Abs. 2 AO, § 179 AO 1977); er ist für andere Feststellungsbescheide, Meßbescheide und Steuerbescheide bindend (§ 218 Abs. 2 und 4 AO; § 182 AO 1977) und selbständig anfechtbar (§ 213 Abs. 2 Satz 3 AO; §§ 157 Abs. 2, 181 Abs. 1 Satz 1, 182 Abs. 1 AO 1977).
b) Die Abtrennung der Feststellung bestimmter Besteuerungsgrundlagen vom Verfahren der Steuerfestsetzung bewirkt notwendig eine Kompetenzverteilung. Soweit Existenz und Höhe gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen in Betracht zu ziehen sind, ist nur das für eine solche Feststellung zuständige FA befugt, - positiv oder negativ - über die betreffenden Besteuerungsgrundlagen zu entscheiden. Bei diesem FA liegt die alleinige Zuständigkeit zur Entscheidung der Frage, ob gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen vorliegen oder nicht. Auf dieser Erwägung beruht letztlich die Rechtsprechung, die für Zweifelsfälle die vorgängige Durchführung des Feststellungsverfahrens verlangt (vgl. z. B. RFH-Urteil vom 9. Juni 1931 VI A 833/31, RStBl 1931, 965; BFH-Urteil IV 190/65; BFH-Beschluß I B 16/71). Nach dieser Rechtsprechung muß das Wohnsitz-FA, sobald Tatsachen bekannt sind, aufgrund deren eine gesonderte Feststellung in Betracht zu ziehen ist, die Sache an das für den Erlaß des Feststellungsbescheides zuständige FA abgeben. Dies ist die Folge des durch das Gesetz vorgeschriebenen Ausscheidens bestimmter Besteuerungsgrundlagen aus dem Verfahren der Steuerfestsetzung mit Inzidentfeststellung (§ 213 Abs. 1 AO; § 157 Abs. 2 AO 1977).
Folglich muß es als ernstlich zweifelhaft angesehen werden, ob das Wohnsitz-FA gesondert festzustellende Einkünfte der Steuerfestsetzung zugrunde legen darf, solange nicht durch Feststellungsbescheid über sie entschieden ist. Ist dies mangels Kompetenz des Wohnsitz-FA der Fall, so ist es auch ernstlich zweifelhaft, ob eine solche Steuerfestsetzung entweder vorläufig (§ 100 Abs. 1 und 2 AO, § 165 AO 1977) oder unter Vorbehalt (§ 164 AO 1977) - jeweils unter Einbeziehung noch gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen - statthaft ist. Die Anwendung jeder der genannten Vorschriften setzt voraus, daß das Wohnsitz-FA zur Prüfung und Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständig ist. Diese Zuständigkeit kommt jedoch nur dem Betriebs-FA zu.
c) Die Frage, ob im Falle eines noch ausstehenden Feststellungsbescheides die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung gesondert festzustellender Einkünfte festgesetzt werden oder der Steuerbescheid erst nach Vorliegen des Feststellungsbescheides ergehen darf, ist in der Abgabenordnung nicht geregelt. Sie wird insbesondere für den ab 1. Januar 1977 (§ 415 Abs. 1 AO 1977, Art. 97 § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -) geltenden Rechtszustand nicht durch § 175 Nr. 1 AO 1977 beantwortet; nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Durch diese Gesetzesfassung wird die schon nach dem RFH-Urteil VI A 1565/30 (vgl. oben II., 1.) für das Einkommensteuergesetz (EStG) 1925 und nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 4. Dezember 1969 IV 120/64, BFHE 98, 310, BStBl II 1970, 778) für die Reichsabgabenordnung bestehende Rechtslage ausdrücklich im Gesetz geregelt. Diese Rechtsprechung betrifft nur den Fall der Änderung eines Steuerbescheides, wenn entgegen dem regelmäßigen Verfahrensablauf der Feststellungsbescheid erst nach Unanfechtbarkeit der Einzelveranlagung des Beteiligten ergeht (BFH-Urteil vom 12. Januar 1968 VI R 206/66, BFHE 91, 406 [409], BStBl II 1968, 396); sie bezieht sich nicht auf die Frage, ob ein Steuerbescheid ergehen darf, wenn dem für dessen Erlaß zuständigen FA bekannt ist, daß über gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen noch nicht durch Feststellungsbescheid entschieden ist.
Wortlautgemäß regelt § 175 Nr. 1 AO 1977 nur den Erlaß, die Aufhebung oder die Änderung eines Steuerbescheides nach Ergehen des Grundlagenbescheides. Das Ergebnis der Wortauslegung wird bestätigt durch den Sinnzusammenhang, in den die Vorschrift gestellt ist; sie ist Bestandteil der Regelung der Abgabenordnung über die Bestandskraft von Verwaltungsakten (Vierter Teil, Dritter Abschnitt, 1. Unterabschnitt: Steuerfestsetzung, III. Bestandskraft) und damit der Regelung über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden. Eine weitergehende Aussage läßt sich auch nicht mit Hilfe der Entstehungsgeschichte gewinnen (vgl. BT-Drucksache VI/1982, S. 154 zu § 156 - Abs. 1 Satz 3 der Begründung); in diesem Zusammenhang kann davon abgesehen werden, daß der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zukommt, als sie die Richtigkeit einer Auslegung nach Maßgabe des Wortlauts, des Sinnzusammenhanges und des Zwecks bestätigt oder Zweifel behebt, die nach den genannten Auslegungsmitteln nicht allein ausgeräumt werden können (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1969 II 210/65, BFHE 97, 147 [149], BStBl II 1969, 736).
d) Es ist jedoch ernstlich zu erwägen, ob es nicht Vorschriften des Einkommensteuergesetzes gibt, die es verbieten, die Einkommensteuer festzusetzen, wenn dem Wohnsitz-FA bekannt ist, daß Besteuerungsgrundlagen gesondert festzustellen sind und der Feststellungsbescheid noch nicht ergangen ist.
§ 2 Abs. 1 EStG i. d. F. vor dem Einkommensteuergesetz 1975 schreibt vor, daß sich die Einkommensteuer nach dem Einkommen bemißt, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat. Gemäß § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG 1975 ist die Einkommensteuer eine Jahressteuer, deren Grundlagen für die Festsetzung jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln sind. Nach § 2 Abs. 5 EStG 1975 ist das zu versteuernde Einkommen die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer; diese, vermindert um die Steuerermäßigungen, ist die festzusetzende Einkommensteuer (§ 2 Abs. 6 EStG). Ferner wird gemäß § 25 Abs. 1 EStG (soweit hier von Interesse seit dem Einkommensteuergesetz 1934 unverändert) die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat.
Diese Vorschriften ergeben, daß der Einkommensteuerfestsetzung das Einkommen zugrunde zu legen ist, das dem Steuerpflichtigen für den Veranlagungszeitraum zuzurechnen ist. Die Festsetzung der - kraft Gesetzes entstandenen (§ 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 38 AO 1977, § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c StAnpG i. d. F. des Art. 19 Nr. 1 des Steueränderungsgesetzes 1961 - StÄndG 1961 - vom 13. Juli 1961, BGBl I, 981, § 36 Abs. 1 EStG 1975) - Einkommensteuerschuld durch den Steuerbescheid muß sich auf das ganze, dem Steuerpflichtigen für den betreffenden Veranlagungszeitraum zuzurechnende Einkommen beziehen. Der Steuerfestsetzung sind - von gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen (z. B. § 131 AO, § 163 AO 1977) abgesehen - alle Einkünfte zugrunde zu legen, die die Grundlage für die Berechnung des nach dem Gesetz zu versteuernden Einkommens (§ 2 Abs. 2 EStG bis 1974; § 2 Abs. 4 und § 5 EStG 1975) und damit für die Einkommensteuerschuld bilden (§ 2 Abs. 1 EStG bis 1974, § 2 Abs. 5 Halbsatz 2, Abs. 6 und 7 EStG 1975). Diese Aussage des Einkommensteuergesetzes ist unabhängig von der Frage, wie dieses Einkommen verfahrensmäßig festzustellen ist. Die genannten Vorschriften sprechen jedoch dafür, daß die Steuer für den betreffenden Veranlagungszeitraum erst festgesetzt werden darf, wenn die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen festgestellt sind, weil bis zu dieser Feststellung eine der Grundlagen für die Feststellung der kraft Gesetzes entstandenen Jahressteuerschuld fehlt, das für die Steuerfestsetzung zuständige Wohnsitz-FA aber nicht befugt ist, die fehlenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln und (unselbständig) festzustellen. Die Zulässigkeit eines Einkommensteuerbescheides, der nur einen Teil der für die Bemessung der Steuerschuld erheblichen Besteuerungsgrundlagen umfaßt und sich daher nicht auf das gesamte Jahreseinkommen bezieht, ist weder dem Einkommensteuergesetz noch für den Bereich dieses Gesetzes - von den hier nicht einschlägigen §§ 100 Abs. 1 u. 2, 131 AO, §§ 163 bis 165 AO 1977 abgesehen - der Abgabenordnung zu entnehmen.
2. Diese Rechtsauffassung bewirkt nicht, daß der an einer Personengesellschaft beteiligte Steuerpflichtige, der einen seine Einkommensteuerbelastung mindernden Verlustanteil geltend machen möchte und mit einer Erstattung für den Veranlagungszeitraum geleisteter Vorauszahlungen rechnet, keinen vorläufigen Rechtsschutz erlangen kann, weil das Betriebs-FA es abgelehnt hat, einen Feststellungsbescheid zu erlassen oder einen Verlust festzustellen oder weil es den Feststellungsbescheid noch nicht erlassen hat. Im Beschluß IV B 33-34/76 hat der BFH entschieden, daß in Fällen, in denen Besteuerungsgrundlagen selbständig festzustellen sind, vorläufiger Rechtsschutz nicht erst im Rahmen des Einkommensteuerfestsetzungs- oder Einkommensteuererhebungsverfahrens für die einzelnen Personen, die von dem negativen Gewinnfeststellungsbescheid betroffen sind, zu gewähren ist, sondern in einem einheitlichen Verfahren, in dem als Antragsgegner das für den Erlaß des Feststellungsbescheides zuständige Betriebs-FA beteiligt ist. Nur auf diese Weise lasse sich vermeiden, daß in einer Vielzahl von Verfahren mit jeweils anderen Verfahrensbeteiligten geprüft und entschieden werden müsse, ob die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (z. B. Wahrscheinlichkeit von Verlusten aus Gewerbebetrieb in bestimmter Höhe und steuerrechtliche Verteilung dieser Verluste auf mehrere Personen) vorlägen, und daß diese Frage dann in einer Vielzahl von Verfahren unterschiedlich beantwortet werde.
3. Der Senat hat auch erwogen, ob seine Rechtsauffassung - während einer Übergangszeit - für die Praxis der Finanzverwaltung unzumutbare Schwierigkeiten mit sich bringt. Solche Schwierigkeiten können durch entsprechende organisatorische Maßnahmen weitgehend vermieden werden. Die §§ 162, 164 und 165 AO 1977 gelten für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sinngemäß (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Unter Berücksichtigung dieser Vorschriften kann die Finanzverwaltung erreichen, daß die Feststellungsbescheide in einem Zeitraum erlassen werden, der nicht zu einer untragbaren Verzögerung der Steuerfestsetzungen führt. Nur auf diese Weise kann der im BFH-Beschluß IV B 33-34/76 (BFHE 123, 419) erwähnten Gefahr begegnet werden, daß in einer Vielzahl von Verfahren, die bei verschiedenen FÄ und FG anhängig gemacht werden, über Fragen mit unterschiedlichen Ergebnissen entschieden wird, über die - angesichts des Vorrangs des Feststellungsverfahrens - in diesen Verfahren nicht abschließend entschieden werden kann. Diese Gefahr besteht nicht, wenn der Feststellungsbescheid erlassen wird, weil in dem auf ihn bezogenen Rechtsbehelfsverfahren Rechtsschutz - auch vorläufiger - in einem Verfahren mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten gewährt wird.
4. Der in der mündlichen Verhandlung angekündigte Erlaß des BdF über die Berücksichtigung von Verlustanteilen bei der Einkommensteuerveranlagung, auf den sich der Vertreter des BdF bezogen hat, kann für die Entscheidung des Senats schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er seinem vollen Inhalt nach nicht allen Verfahrensbeteiligten bekannt war.
IV.
Im Hinblick auf mögliche Abweichungen, die zur Anrufung des Großen Senats gemäß § 11 Abs. 3 FGO hätten führen müssen, hat der erkennende Senat Anfragen an den III., IV., VI. und VIII. Senat gerichtet.
1. Der III. und VI. Senat haben mitgeteilt, Entscheidungen dieser Senate, von denen das Urteil des I. Senats abweichen würde, seien nicht ergangen.
2. Der VIII. Senat hat mitgeteilt, daß das Urteil des erkennenden Senats von dem Beschluß vom 11. Mai 1976 VIII B 54/75 abweiche, der Abweichung jedoch zugestimmt werde. Der erkennende Senat braucht daher nicht zu prüfen, ob seiner Ansicht nach eine Abweichung in Betracht kommt.
3. Der IV. Senat hat mitgeteilt, die Entscheidung weiche von den Urteilen IV 120/64, vom 29. Oktober 1970 IV 247/64 (BFHE 101, 34, BStBl II 1971, 150) und von dem nicht veröffentlichten Urteil vom 20. April 1978 IV 83/74 ab. In diesen Urteilen habe der Senat entschieden, ein bestandskräftiger Folgebescheid könne bei nachfolgendem Erlaß eines Grundlagenbescheids auch dann geändert werden, wenn das FA bei Erlaß des Folgebescheids die Notwendigkeit eines noch nicht ergangenen Grundlagenbescheids gekannt habe; die rechtliche Zulässigkeit einer derartigen Änderung setze die rechtliche Zulässigkeit des Erlasses eines Folgebescheides vor Ergehen des Grundlagenbescheides wertungslogisch notwendig voraus.
Der Abweichung werde nicht zugestimmt.
Der Ansicht des IV. Senats kann nicht gefolgt werden. Die Entscheidung des Senats weicht von den oben genannten Urteilen des IV. Senats schon deshalb nicht ab, weil es an der Identität der Rechtsfrage fehlt. Im Streitfall ist im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nur darüber zu entscheiden, ob es ernstlich zweifelhaft ist, daß ein Steuerbescheid ergehen darf, solange ein der Besteuerung zugrunde zu legender Feststellungsbescheid noch nicht ergangen ist. Der IV. Senat hatte hingegen im Verfahren über die Hauptsache über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten zu entscheiden, durch die unanfechtbar gewordene Folgebescheide geändert wurden, weil nach Eintritt der Unanfechtbarkeit erstmals Feststellungsbescheide ergangen waren.
An einer Abweichung fehlt es, weil es für die Entscheidung des Senats nur darauf ankommt, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, während der IV. Senat unmittelbar über die Rechtmäßigkeit angefochtener Verwaltungsakte zu entscheiden hatte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 27. Juni 1968 V R 128/66, BFHE 92, 144 [147 f.], BStBl II 1968, 488). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich der Senat der Ansicht anschließen könnte, daß den vom IV. Senat genannten Urteilen - die im Ergebnis mit der Rechtsprechung anderer Senate, auch der des erkennenden Senats, übereinstimmen (vgl. z. B. Urteil des BFH VI R 206/66 mit Nachw.) - eine Rechtsauffassung zugrunde liege, die die rechtliche Zulässigkeit des Erlasses eines Folgebescheides vor Ergehen des Grundlagenbescheides notwendig einschließe.
1) Anmerkung des BMF: Zur Anwendung des Urteils werden noch Verwaltungsanweisungen ergehen.
Fundstellen
Haufe-Index 72837 |
BStBl II 1978, 579 |
BFHE 1979, 423 |