Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsakts
Leitsatz (NV)
Bestreitet der Empfänger, einen schrift lichen Verwaltungsakt innerhalb der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erhalten zu haben, so hat er substantiiert Tatsachen vorzutragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, hat das FG den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Steuerpflichtigen aufzuklären und die festgestellten und unstreitigen Umstände gegeneinander abzuwägen.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 2, § 366 S. 2; FGO § 47 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) -- zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute -- erhoben gegen eine Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisions beklagten (Finanzamt -- FA --) Klage, die das Finanzgericht (FG) durch sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 791 veröffentlichtes Urteil wegen Versäumnis der Klagefrist als unzulässig abgewiesen hat. Zur Begründung führte das FG unter anderem aus: Nach den in der Steuerakte enthaltenen Absendevermerken habe das FA die Einspruchsentscheidung am 30. Juni 1994 mit einfachem Brief zur Post gegeben. Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gelte sie am 3. Juli 1994 als zugegangen; daß dieser Tag ein Sonntag sei, sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unerheblich. Der Zugangsvermutung stehe auch nicht entgegen, daß der (im finanzgerichtlichen Verfahren aufgetretene) Bevollmächtigte der Kläger geltend gemacht habe, die sein Büro betreffende Post werde samstags nicht ausgeliefert, sondern erst am jeweils folgenden Montag; insoweit handele es sich um eine private Vereinbarung zwischen diesem Bevollmächtigten und der Post. Im übrigen folge das FG der Auffassung des FA, die Einspruchsentscheidung sei dem damaligen Bevollmächtigten der Kläger bereits am Tage nach der Absendung (d. h. am 1. Juli 1994) zugegangen; letztlich könne dies aber offen bleiben, da die Kläger den Zugang ohnehin nur unsubstantiiert mit Hinweisen auf allgemeine Statistiken zu Postlaufzeiten und -- ohne den Bezug zum Streitfall deutlich zu machen -- auf einen Poststreik bestritten hätten. Die Klagefrist sei damit am 3. August 1994 abgelaufen und die erst am 4. August beim FG eingegangene Klage verspätet.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe seine Entscheidung maßgebend auf den bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung so nicht angesprochenen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt, das zuständige Postamt liefere wegen einer privaten Vereinbarung mit dem damaligen Bevollmächtigten der Kläger die dessen Büro betreffende Post an Samstagen nicht aus. Eine solche Vereinbarung habe es nicht gegeben. Das Urteil der Vorinstanz sei damit eine unter Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör (Verstoß gegen Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) zustande gekommene Überraschungsentscheidung. Außerdem habe das FG diesen Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt und einen Beweisantrag der Kläger übergangen (Verstoß gegen § 76 FGO). Das FG habe schließlich zu Unrecht den Tag der Aufgabe zur Post durch die in der Steuerakte enthaltenen Vermerke als nachgewiesen angesehen und dadurch § 122 Abs. 2 AO 1977 verletzt.
Die Kläger beantragen, das Urteil der Vor instanz aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klage wegen Fristversäumnis unzulässig war.
1. Nach § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Die Entscheidung kann auch durch die Post übermittelt werden (§ 366 Satz 2 AO 1977 i. V. m. § 122 Abs. 2 AO 1977). Sie gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Empfänger, den Verwaltungsakt innerhalb der Dreitagesfrist erhalten zu haben, so hat er substantiiert Tatsachen vorzutragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, hat das FG den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Steuerpflichtigen aufzuklären und die festgestellten und unstreitigen Umstände gegeneinander abzuwägen (z. B. BFH-Beschluß vom 8. Februar 1996 III R 127/93, BFH/NV 1996, 850, m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen hat das FG im Ergebnis zu Recht angenommen, die Einspruchsentscheidung sei dem im finanz gerichtlichen Verfahren aufgetretenen Bevollmächtigten der Kläger innerhalb des Dreitageszeitraumes bekanntgegeben worden. Das FG ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß die Kläger nicht durch substantiierte Darlegungen Zweifel an dem gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 zu vermutenden Zugang der Einspruchsentscheidung innerhalb der Frist von drei Tagen nach der Aufgabe zur Post begründet haben.
2. Das FG ist aufgrund seiner Würdigung der tatsächlichen Umstände des Streitfalles zu der Schlußfolgerung gelangt, das FA habe die Einspruchsentscheidung am 30. Juni 1994 mit einfachem Brief zur Post gegeben. So enthalte nicht nur die Urschrift der Einspruchsentscheidung das mittels Stempel aufgedruckte Datum 30. Juni 1994; darüber hinaus sei in der Akte -- mit einem Namenskürzel -- handschriftlich vermerkt, daß die Einspruchsentscheidung am 30. Juni 1994 zur Post gegeben worden sei. Anhaltspunkte dafür, daß diese Eintragungen falsch seien, seien nicht ersichtlich und würden selbst von den Klägern nicht vorgetragen. Insbesondere hätten diese keine Gesichtspunkte dafür angeführt, daß entgegen dem Vermerk in der Steuerakte eine Aufgabe zur Post an diesem Datum nicht erfolgt sei.
Der Senat ist im Streitfall an diese Feststellungen des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Sie verstoßen weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Für die Bindung des Revisionsgerichts reicht es aus, daß die Schlußfolgerungen tatsächlicher Art des FG möglich sind; sie müssen nicht zwingend sein (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118, Anm. 40, m. w. N.). Zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen die tatsächliche Würdigung des FG haben die Kläger nicht erhoben. Soweit sie mit der Revision nunmehr geltend machen, der Postaufgabevermerk stamme nicht von der Poststelle des FA, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen ist.
3. Die Dreitagesfrist verlängert sich -- wie das FG zutreffend erkannt hat -- auch dann nicht, wenn der letzte Tag ein Sonntag (ohne Postauslieferung) ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 X R 97/95, BFH/NV 1997, 90, m. w. N.). Das FG hat deshalb zu Recht die Auffassung vertreten, der das Datum "04. Juli 1994" (= Montag) ausweisende Eingangsstempel des im finanzgerichtlichen Verfahren aufgetretenen Bevollmächtigten der Kläger auf der ihm übermittelten Einspruchsentscheidung begründe für sich allein noch keine Zweifel am Zugang der Einspruchsentscheidung innerhalb des gesetzlich vermuteten Dreitageszeitraumes. Da die Einspruchsentscheidung -- wie vom FG für den Senat bindend festgestellt -- vom FA am 30. Juni 1994 (einem Donnerstag) zur Post gegeben wurde, hätten die Kläger bei diesen besonderen Verhältnissen auch Tatsachen vortragen müssen, die darauf schließen lassen, daß die Einspruchsentscheidung nicht schon am Freitag bekanntgegeben worden ist. Hierzu hatten sie um so mehr Anlaß, als bereits das FA -- wie später auch das FG -- die Überzeugung geäußert hat, die Einspruchsentscheidung sei dem damaligen Bevollmächtigten der Kläger schon am Freitag (1. Juli 1994) zugegangen. Die allgemeinen Hinweise der Kläger auf eine Statistik über Postlaufzeiten sowie auf Verzögerungen durch einen Poststreik ohne nähere Darlegung, ob und inwieweit davon das für den damaligen Bevollmächtigten der Kläger zuständige Zustellpostamt betroffen war, reichen nicht aus, um Zweifel am Zugang der Einspruchsentscheidung bereits an dem zuvor genannten Freitag zu begründen.
Im Streitfall kann damit offen bleiben, ob die mit der Revision gerügten Verfahrensverstöße vorliegen, die sich nur auf die Frage der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung am Samstag (2. Juli 1994) beziehen. Dahinstehen kann insbesondere, ob überhaupt und -- falls ja -- aus welchem Grund das zuständige Postamt dem Büro des im finanzgerichtlichen Verfahren aufgetretenen Bevollmächtigten der Kläger an Samstagen keine Post auslieferte.
Fundstellen
Haufe-Index 422362 |
BFH/NV 1997, 828 |