Leitsatz (amtlich)
Die öffentliche Zustellung als letztes Mittel der Bekanntgabe ist nur zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Bevor durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt wird, ist mit Sorgfalt zu prüfen, ob der Aufenthaltsort des Empfängers allgemein unbekannt ist.
Normenkette
AO a.F. § 90; VwZG § 15
Tatbestand
Der Steuerfahndungsdienst kam nach eingehenden Ermittlungen zu dem Ergebnis, daß der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) in erheblichem Umfang illegale Buntmetall-Lieferungen getätigt habe. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) schätzte die Besteuerungsgrundlagen entsprechend dem Fahndungsbericht vom Februar 1952 und setzte die Steuer für 1950 nach einem Umsatz von 1 500 000 DM auf 45 000 DM fest. Der gegen den Steuerpflichtigen ergangene Umsatzsteuerbescheid wurde zusammen mit dem Einkommensteuerbescheid 1950 am 3. März 1952 als eingeschriebener Brief, gerichtet an "Herrn und Frau E B" (Steuerpflichtiger und Ehefrau), zur Post gegeben. Der Brief kam ungeöffnet zurück mit dem Vermerk des Postbediensteten "Eheleute geschieden! Wer von beiden soll Empfänger sein?". Am 29. Februar 1952 war vom FA u. a. folgendes festgestellt und verfügt worden:
"Vermerk: Betrifft E B;
Lt. vorgelegtem Scheidungsurteil (vorgelegt durch die geschiedene Ehefrau) wurde die Ehe des Steuerpflichtigen im November 1950 geschieden.
Der Pfl. ist im Juni 1950 in die Ostzone geflohen. Für das Kalenderjahr 1950 findet Zusammenveranlagung statt. Die Voraussetzungen des § 26 EStG dürften erfüllt sein.
Ehefrau: Keine Einkünfte.
Gemäß § 7 (Abs. 2) StAnpG sind die geschiedenen Ehegatten für 1950 Gesamtschuldner.
Der Einkommensteuerbescheid 1950 ist der geschiedenen Ehefrau zuzustellen.
Die Zustellung des Umsatzsteuerbescheides 1950 hat gemäß § 90 AO zu erfolgen (Aushängen am schwarzen Brett)...."
Der Umsatzsteuerbescheid 1950 wurde daraufhin durch Aushang einer Benachrichtigung am schwarzen Brett des FA in der Zeit vom 10. bis 24. März 1952 bekanntgegeben, ohne daß er abgeholt worden ist. Nachdem der Steuerpflichtige sich am 24. März 1952 den Behörden in X gestellt hatte, aufgrund eines Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen und nach L überführt worden war, wiesen ihn Beamte des Steuerfahndungsdienstes, die die Höhe der Besteuerungsgrundlagen feststellen wollten, bei einer Vernehmung am 28. Mai 1952 darauf hin, daß die Umsatzsteuer 1950 nach einem geschätzten Umsatz von 1 500 000 DM festgesetzt, der entsprechende Bescheid durch Aushang zugestellt und inzwischen unanfechtbar geworden sei. Dazu hat der Steuerpflichtige nach der von ihm unterschriebenen Vernehmungsniederschrift erklärt, er erhebe keine Einwendungen gegen die Umsatzsteuerfestsetzung für 1950.
Durch Schreiben vom 6. Mai 1955 legte der Steuerpflichtige gegen den Umsatzsteuerbescheid 1950 Einspruch ein mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nach § 90 AO a. F. hätten nicht vorgelegen, außerdem sei er nicht Unternehmer gewesen, sondern habe bei allen Geschäften im Auftrage seiner Arbeitgeberin, der H in L, gehandelt.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.
Die Berufung (Klage), mit der der Steuerpflichtige sein Vorbringen im Rechtsbehelfsverfahren wiederholte und ergänzte, blieb erfolglos. Das FG hat im wesentlichen ausgeführt, daß unter den gegebenen besonderen Umständen die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach dem damals noch anzuwendenden § 90 AO a. F. zulässig gewesen, der Einspruch demzufolge verspätet eingelegt worden sei und daß - abgesehen davon - die Klage auch in der Sache unbegründet gewesen wäre.
Mit der Revision beantragt der Steuerpflichtige, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Umsatzsteuerbescheid für 1950 aufzuheben. Er rügt, soweit es sich um die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung handelt, die Verletzung des § 90 AO a. F. und wegen der materiell-rechtlichen Entscheidung einen Verstoß gegen allgemeine Auslegungs- oder Erfahrungsgrundsätze bei der Beweiswürdigung. Zur Rüge, § 90 AO a. F. sei verletzt, trägt er inhaltlich vor: Das FA habe sich nicht damit begnügen dürfen, lediglich die geschiedene Ehefrau nach seiner Anschrift zu befragen. Es hätte vielmehr durch Nachfragen bei seinen Eltern, Verwandten und insbesondere den bisherigen Vertretern versuchen müssen, seinen Aufenthaltsort zu ermitteln. Dem Rechtsanwalt Dr. K, der ihn im Arrestverfahren sowie in einer Devisenstrafsache vertreten habe, sei seine damalige Anschrift bekannt gewesen. Darauf habe seine geschiedene Ehefrau das FA bei der Rückgabe des Einkommensteuerbescheides 1950 im Schreiben vom 4. September 1951 ausdrücklich hingewiesen, so daß das FA sich mit diesem hätte in Verbindung setzen müssen. Daher habe das FA nicht alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um seine Anschrift oder einen Zustellungsbevollmächtigten festzustellen. Die öffentliche Zustellung sei nicht wirksam gewesen und somit die Einspruchsfrist nicht versäumt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen kann keinen Erfolg haben.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß für die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung im März 1952, also vor dem Inkrafttreten des VwZG vom 3. Juli 1952 (BGBl I 1952, 379), § 90 AO a. F. anzuwenden war. Es hat auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung und das Schrifttum ohne Rechtsirrtum ausgeführt, eine öffentliche Zustellung als letztes Mittel der Bekanntgabe sei erst dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft seien, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Nach dem von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt waren die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung zur Zeit des Aushangs der Benachrichtigung aufgrund der Verfügung vom 1. März 1952 gegeben.
Zwar ist der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers nicht schon deshalb unbekannt, weil die Behörde die Anschrift im Zeitpunkt der beabsichtigten Bekanntgabe nicht kennt. Der Aufenthaltsort des Empfängers muß vielmehr allgemein unbekannt sein. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist im Einzelfall mit Sorgfalt zu prüfen. Das FA hat in dieser Beziehung alle nach der damaligen Sachlage möglichen und gebotenen Ermittlungen angestellt und erst dann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung verfügt. Aus dem Fahndungsbericht vom Februar 1952, der dem FA zur steuerlichen Auswertung zugeleitet worden war und dessen Ergebnis den Steuerfestsetzungen zugrunde gelegt wurde, war dem FA bekannt, daß sich der Steuerpflichtige, nachdem gegen ihn ein Haftbefehl ergangen war, seit Juni 1950 ohne polizeiliche Abmeldung außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland aufhielt und daß es dem Fahndungsdienst nicht möglich gewesen ist, dessen Aufenthaltsort oder genaue Anschrift zu ermitteln. Wenn das FA, wie der Verfügung vom 29. Februar 1952 in Verbindung mit der Aussage der geschiedenen Ehefrau am 15. Dezember 1966 vor dem FG zu entnehmen ist, zusätzlich zu dem ihm bekannten Ermittlungsergebnis diese nach dem damaligen Aufenthaltsort des Steuerpflichtigen befragte, hat es alle gebotenen Möglichkeiten erschöpft. Anfragen bei den dem FA unbekannten Eltern oder sonstigen Verwandten waren unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar und erforderlich. Dazu hat das FG übereinstimmend mit den tatsächlichen Feststellungen dargelegt, daß der Steuerpflichtige, um sich einer Strafverfolgung zu entziehen, aus dem Gebiet der Bundesrepublik geflohen ist und gerade daran interessiert war, den dortigen Behörden seinen Aufenthaltsort nicht bekanntzugeben. Bei einer solchen, auf Verheimlichung des Wohnsitzes gerichteten Handlungsweise eines Steuerpflichtigen erscheint es unbillig und ungerechtfertigt, besonders eingehende Ermittlungen des FA zu fordern, die im Regelfall notwendig sein werden. Es oblag vielmehr dem Steuerpflichtigen, der aufgrund der ihm bekannten Nachforschungen des Steuerfahndungsdienstes mit Steuerfestsetzungen rechnen mußte, dem FA entweder seinen Aufenthaltsort mitzuteilen oder jemanden zu benennen, der ermächtigt war, für ihn Steuerbescheide in Empfang zu nehmen.
Wie die Vorinstanz in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt festgestellt hat, befindet sich in den Steuerakten keine Vollmacht für Rechtsanwalt Dr. K. Das FA konnte auch nicht davon ausgehen, daß Rechtsanwalt Dr. K vom Steuerpflichtigen in der Umsatzsteuersache 1950 bevollmächtigt war, nur weil er ihn in anderen Verfahren vertreten hat. Das Arrestverfahren war bereits durch das Urteil des FG vom November 1950 abgeschlossen worden, das Strafverfahren wurde bei der Staatsanwaltschaft D geführt. Es gibt keinen Erfahrungssatz, nach dem unterstellt werden muß, daß ein Rechtsanwalt, der einmal einen Bürger vertreten hat, diesen in allen zukünftigen Verfahren ebenfalls vertreten wird, insbesondere wenn dieser Anwalt in der Zwischenzeit als Vertreter eines Prozeßgegners des Steuerpflichtigen (Vertreter der Ehefrau in der Scheidungssache) aufgetreten ist.
Der Steuerpflichtige irrt, wenn er annimmt, seine geschiedene Ehefrau habe dem FA "bei der Rückgabe des ESt-Bescheides 1950 mit Schreiben vom 4.9.1951 mitgeteilt", nähere Auskünfte über seinen Aufenthalt könnten bei Rechtsanwalt Dr. K eingeholt werden. Ein solches Schreiben befindet sich nicht in den Steuerakten und kann auch logischerweise dort nicht zu finden sein, da ein Steuerbescheid, der im März 1952 zur Post gegeben wurde, nicht im September des Vorjahres zurückgegeben worden sein konnte. Richtig ist, daß die geschiedene Ehefrau des Steuerpflichtigen das FA mit Schreiben vom August 1952 gebeten hat, sich bei allen Angelegenheiten, die ihren geschiedenen Ehemann betreffen, an die Rechtsanwälte Dr. S, Dr. K zu wenden. Zu dieser Zeit wie auch am 7. April 1952, als Rechtsanwalt Dr. K Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid einlegte, war die Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheides 1950 durch öffentliche Zustellung gemäß § 90 AO a. F. bereits in gesetzlich zulässiger Weise vollzogen. Wenn die öffentliche Zustellung in vielen Fällen tatsächlich keine Bekanntgabe bewirkt, so wird diese doch rechtlich fingiert; die öffentliche Zustellung ist deshalb ordnungsgemäß. Das bedeutet, daß der durch Aushang einer Benachrichtigung vom 10. bis 24. März 1952 zugestellte Umsatzsteuerbescheid 1950 nach § 90 Satz 2 AO a. F. als am 24. März 1952 bekanntgegeben gilt. Die Einspruchsfrist war demnach am 24. April 1952 abgelaufen. Der Einspruch vom 6. Mai 1955 ist verspätet eingelegt worden, so daß das FA ihn zu Recht als unzulässig verworfen hat.
Fundstellen
BStBl II 1971, 555 |
BFHE 1971, 20 |