Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträglicher Ausfall einer Forderung des Erblassers bei der Erbschaftsteuer kein rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (NV)
Der Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung aufgrund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, stellt erbschaftsteuerrechtlich kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 dar.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; ErbStG §§ 9, 11
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind neben ihrer Mutter (M) Miterbinnen zu je einem Viertel nach ihrem am 19. März 1989 verstorbenen Vater V.
V hatte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. Dezember 1988 GmbH-Geschäftsanteile und einen Kommanditanteil für … DM an Herrn K veräußert. Zwei Teilbeträge des Kaufpreises in Höhe von jeweils … DM waren bis zum 31. Januar 1989 sowie nach Vorlage der geprüften Jahresabschlüsse der Beteiligungsunternehmen auf den 31. Dezember 1988 zu zahlen. Der verbleibende Betrag war in verzinslichen Raten von … DM jährlich nachträglich, erstmals am 31. Dezember 1989, zu entrichten. Für den Fall, dass das in den Bilanzen der Unternehmen zum 31. Dezember 1988 ausgewiesene Eigenkapital insgesamt einen Betrag von … DM nicht erreichte, war eine entsprechende Ermäßigung des Kaufpreises vorgesehen.
M, die von V als Testamentsvollstreckerin eingesetzt worden war, setzte die Kaufpreisrestforderung gegen K in Höhe von … DM in der Erbschaftsteuererklärung im Hinblick auf einen von K geltend gemachten Teilwertabschlag von … DM mit lediglich … DM an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) folgte dem in Erbschaftsteuerbescheiden vom 30. August 1989, die u.a. hinsichtlich der Kaufpreisrestforderung vorläufig i.S. von § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergingen.
Durch eine Zusatzvereinbarung vom 11. August 1989 legten M und K den im Vertrag vom 7. Dezember 1988 vereinbarten Kaufpreis auf … DM fest. Das FA erließ, nachdem es von dieser Vereinbarung Kenntnis erhalten hatte, geänderte Erbschaftsteuerbescheide vom 23. Oktober 1989, in denen es die Kaufpreisrestforderung nur noch mit einem Betrag in Höhe von … DM ansetzte. Die Bescheide wurden insoweit für endgültig erklärt.
Die am … 1991 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen der Unternehmen, deren Anteile K erworben hatte, wurden am … 1991 mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse eingestellt. K geriet ebenfalls in Vermögensverfall. Die Kaufpreisrestforderung, auf die K weder Zinsen noch Tilgungen leisten konnte, belief sich auf … DM. Den unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 (BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) gestellten Antrag der Klägerinnen, den Ausfall der Forderung wertmindernd zu berücksichtigen und die Erbschaftsteuerbescheide gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 entsprechend zu ändern, lehnte das FA durch Bescheide vom 8. Februar 1994 ab.
Einsprüche und Klagen blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1554 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision machen die Klägerinnen Verletzung materiellen Rechts geltend.
Sie beantragen sinngemäß, das Urteil des FG Köln vom 16. Juni 1998 9 K 2667/95, die ablehnenden Bescheide vom 8. Februar 1994 sowie die Einspruchsentscheidung vom 5. April 1995 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die geänderten Erbschaftsteuerbescheide vom 5. April 1995 dahin zu ändern, dass die Erbschaftsteuer jeweils nach einem um … DM geringeren steuerpflichtigen Erwerb festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zutreffend erkannt, dass der Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung aufgrund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, erbschaftsteuerrechtlich kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 darstellt.
Ein Steuerbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Erforderlich ist damit zunächst, dass das spätere Ereignis den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muss sich darüber hinaus steuerlich in der Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts diese Bedeutung zukommt, ob sie mit anderen Worten dazu führt, dass bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BFH-Beschluss in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. b u. c).
a) Die Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) lassen es nicht zu, den Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung aufgrund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, nachträglich zu berücksichtigen. Die Erbschaftsteuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Sie stellt damit eine Momentaufnahme dar und nicht das Ergebnis einer dynamischen Betrachtung, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs erfassen ließe. Dies schließt es aus, nachträglich eingetretene, d.h. am Bewertungsstichtag noch nicht vorhandene Umstände auf diesen Zeitpunkt zurückzubeziehen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 13. Mai 1998 II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376, und vom 22. September 1999 II B 130/97, BFH/NV 2000, 320, jeweils m.w.N.). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist deshalb im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber ―wie in den Fällen des § 29 Abs. 1 ErbStG― vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt.
b) Nach den von den Klägerinnen nicht angegriffenen und daher nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG sind die Umstände, die zum Vermögensverfall des K und damit zum Ausfall der Restkaufpreisforderung geführt haben, erst nach dem Tod des V eingetreten. Das FG hat deshalb einen Anspruch der Klägerinnen auf Änderung der Erbschaftsteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 rechtsfehlerfrei verneint. Ein Anspruch auf Änderung der Erbschaftsteuerbescheide ergibt sich auch nicht aus § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Voraussetzung dafür wäre u.a., dass die Tatsachen, auf die der Änderungsantrag gestützt wird, im Zeitpunkt der Steuerentstehung bereits vorhanden und nur noch nicht bekannt waren. Hierfür ergibt sich nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt kein Anhaltspunkt.
Fundstellen
Haufe-Index 519075 |
BFH/NV 2001, 420 |