Leitsatz (amtlich)
Für die Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag gelten Gewinnanteile (Dividenden) auch dann erst mit dem im Ausschüttungsbeschluß bestimmten Auszahlungstag als zugeflossen, wenn der Empfänger der Gewinnanteile (Dividenden) der Alleingesellschafter der Kapitalgesellschaft ist.
Orientierungssatz
1. Ausführungen zur Systematik der Regelung in § 44 EStG, zur Maßgeblichkeit des § 11 Abs. 1 EStG bei Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag (Nichtanwendung des BFH-Urteils vom 30.4.1974 VIII R 123/73) und zum Regelungsumfang des § 44 Abs. 4 EStG (vgl. auch BFH-Urteil vom 14.2.1984 VIII R 221/80) im Verhältnis zu den Fällen der Abs. 1 - 3 der Vorschrift (entgegen Literatur und BMF, keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 21.10.1981 I R 230/78).
2. Parallelentscheidung: BFH, 18.12.1985, I R 84/84, NV.
Normenkette
EStG § 44 Abs. 1-4, § 11 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 05.08.1981; Aktenzeichen I 298/79) |
Tatbestand
Alleingesellschafterin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ist die amerikanische Aktiengesellschaft X. Durch Gesellschafterbeschluß vom 28.Dezember 1978 hat die Alleingesellschafterin der Klägerin beschlossen, den Gewinn des Jahres 1977 in Höhe eines Teilbetrages von 1 000 000 DM an sich auszuschütten, und zwar wie folgt:
Am 15.März 1979 250 000 DM
am 15.Juni 1979 250 000 DM
am 15.September 1979 250 000 DM
am 15.Dezember 1979 250 000 DM
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1 000 000 DM.
Über den damals noch nicht angemeldeten und nicht entrichteten Kapitalertragsteuerbetrag von 62 500 DM für den letzten zum 15.Dezember 1979 vorgesehenen Ausschüttungsteilbetrag von 250 000 DM erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin am 11.Oktober 1979 einen Haftungsbescheid.
Die dagegen erhobene Sprungklage sah das Finanzgericht (FG) mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 42 veröffentlichten Urteil als begründet an.
Mit seiner Revision weist das FA darauf hin, daß nach § 44 Abs.2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Gewinnanteile (Dividenden) und andere Kapitalerträge, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen werde, dem Gläubiger der Kapitalerträge an dem Tag zuflössen, der im Beschluß als Tag der Auszahlung bestimmt worden sei. Sinn und Zweck der Vorschrift sowie der Gesetzeszusammenhang ließen eine vom strengen Wortlaut abweichende "Auslegung" zu. Dies ergebe sich daraus, daß bei der Auslegung der § 11 Abs.1 EStG sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung nicht ausgenommen werden könnten. Entscheidend sei demnach, wann der Gläubiger der Kapitalerträge die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Mittel erhalte. Werde die GmbH --wie hier-- von einem Alleingesellschafter beherrscht, seien diesem in der Regel die Gewinnausschüttungen auch dann zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Gewinnverwendung zugeflossen, wenn sie später vorgenommen würden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30.April 1974 VIII R 123/73, BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541). § 44 Abs.2 Satz 2 EStG fingiere als Zeitpunkt des Zufließens den Tag nach der Beschlußfassung, wenn die Ausschüttung nur festgesetzt worden sei, der Zeitpunkt der Auszahlung aber nicht beschlossen worden sei. § 44 Abs.4 EStG regle andererseits den Fall, daß ein Zufluß erst zu einem weit entfernt liegenden Zeitpunkt vereinbart worden sei. Schon aus der Regelung dieser beiden Zeitpunkte für die Bestimmung des Zufließens könne geschlossen werden, daß bei § 44 Abs.2 Satz 1 EStG ein in der Mitte liegender Zeitpunkt geregelt und nicht die unbegrenzte Verlegung der Ausschüttung in die Zukunft gestattet werden sollte, nämlich der Zeitpunkt, zu dem der Tag der Ausschüttung nahe beim Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses liege (Hinweis auf Keßler, Finanzrundschau --FR-- 1978, 504, 505). Im übrigen hätte das FG den Sachverhalt im Hinblick auf die Frage, ob hier ein Mißbrauch im Sinne des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) vorliege, nicht hinreichend aufgeklärt. Daß dieser Punkt im Rechtsstreit entscheidungserheblich werden könnte, hätte nach der bisherigen Rechtsprechung nicht erwartet werden können, so daß insoweit das FA weder weitere Ermittlungen getroffen habe noch Ausführungen zu der Frage des Mißbrauchs bzw. zur Behauptung der Klägerin, sie sei im Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses nur für die Ausschüttung von 200 000 DM, nicht aber für den gesamten Gewinn, liquide gewesen, hätte für erforderlich halten müssen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat den Haftungsbescheid zu Recht aufgehoben. Die Klägerin brauchte im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides am 11.Oktober 1979 die strittige Kapitalertragsteuer nicht einzubehalten und abzuführen.
1. Bei dem Teilbetrag, dessen Ausschüttung für den 15.Dezember 1979 beschlossen wurde, handelt es sich --wie zwischen den Beteiligten unstreitig-- um Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs.1 Nr.1 EStG, für die gemäß § 43 Abs.1 Nr.1 EStG Kapitalertragsteuer erhoben wird. Gemäß § 44 Abs.1 Sätze 2 bis 4 EStG hat der Schuldner der Kapitalerträge --hier die Klägerin-- in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen, den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers der Kapitalertragsteuer zu bewirken und die Steuer bis zum 10. des dem Zufluß folgenden Monats an das für seine Besteuerung zuständige FA abzuführen. Hinsichtlich des Teilbetrages, dessen Ausschüttung für den 15.Dezember 1979 beschlossen war, bestand bei Erlaß des Haftungsbescheids am 11.Oktober 1979 noch keine Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der anfallenden Kapitalertragsteuer. Die Kapitalerträge waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugeflossen, sondern flossen erst am 15.Dezember 1979 zu. Dies ergibt sich aus § 44 Abs.2 Satz 1 EStG. Danach fließen Gewinnanteile (Dividenden) und andere Kapitalerträge, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, dem Gläubiger der Kapitalerträge an dem Tag zu, der im Beschluß als Tag der Ausschüttung bestimmt worden ist. Durch den Gesellschafterbeschluß vom 28.Dezember 1978 hat die Alleingesellschafterin der Klägerin beschlossen, einen Teilbetrag von 250 000 DM am 15.Dezember 1979 an sich auszuschütten. Damit ist der 15.Dezember 1979 --wie zwischen den Beteiligten unstreitig-- als Tag der Auszahlung bestimmt.
2. Demgegenüber kann sich das FA nicht auf das Urteil in BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541 berufen. Danach sind Ausschüttungen an den Alleingesellschafter einer GmbH diesem in der Regel nach § 11 Abs.1 EStG auch dann zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Gewinnausschüttung zugeflossen, wenn die Auszahlung später vorgenommen wird. Die Entscheidung betraf nicht den Steuerabzug von Kapitalertrag, sondern die Erfassung von Kapitalerträgen bei der Veranlagung zur Einkommensteuer und damit die Auslegung des § 11 Abs.1 EStG. In der Entscheidung wurde darauf hingewiesen, daß die Vorschrift des § 6 Abs.2 Satz 1 der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung vom 8.August 1966 --KapStDV 1966-- (BGBl I, 472, BStBl I, 859) --die dem § 44 Abs.2 Satz 1 EStG entspricht-- nur für die Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag gilt und nicht für die Erfassung der Kapitalerträge bei der Veranlagung zur Einkommensteuer.
3. Der Heranziehung des angeführten Urteils widerspricht auch die Systematik der Regelung in § 44 EStG. Der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner der Kapitalerträge den Steuerabzug vorzunehmen hat, wird in den Absätzen 1 bis 4 des § 44 EStG geregelt. Nach § 44 Abs.1 Satz 2 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Nach § 44 Abs.1 Satz 3 EStG hat der Schuldner der Kapitalerträge den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers in diesem Zeitpunkt vorzunehmen. Für bestimmte Kapitalerträge wird der Zeitpunkt des Zuflusses in den Absätzen 2 und 3 des § 44 EStG besonders geregelt. Es mag zutreffen, daß für die Frage, wann die nicht in den Absätzen 2 und 3 des § 44 EStG erwähnten Kapitalerträge zugeflossen sind, auf die zu § 11 Abs.1 EStG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Dies scheidet jedoch aus, soweit für bestimmte Kapitalerträge der Zeitpunkt des Zuflusses abschließend geregelt ist. Eine derartige abschließende Regelung enthält § 44 Abs.2 EStG für die Kapitalerträge, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird. Danach kommt entweder der im Ausschüttungsbeschluß bestimmte Auszahlungstag oder der Tag nach der Beschlußfassung als Zuflußzeitpunkt in Betracht. Der Hinweis auf den "Absatz 1" in dem Klammerzusatz in § 44 Abs.2 Satz 1 EStG zeigt, daß für den Fall, daß der Tag der Auszahlung in dem Ausschüttungsbeschluß bestimmt ist, der als Auszahlungstag bestimmte Tag allein maßgebend ist. Andere Umstände haben danach keinen Einfluß auf den Zuflußzeitpunkt.
4. Die Vorschrift des § 44 Abs.4 EStG kann die Auffassung des FA nicht stützen. Danach ist, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge vor dem Zufließen ausdrücklich Stundung des Kapitalertrags vereinbart haben, weil der Schuldner vorübergehend zur Zahlung nicht in der Lage war, der Steuerabzug erst mit dem Ablauf der Stundungsfrist vorzunehmen. § 44 Abs.4 EStG soll unter bestimmten Voraussetzungen eine Erleichterung für die Fälle schaffen, in denen der Schuldner der Kapitalerträge noch nicht an den Gläubiger gezahlt hat, das Gesetz jedoch bereits von einem Zufluß ausgeht. § 44 Abs.4 EStG kann im Rahmen des § 44 Abs.1 EStG nur in seltenen Fällen zum Zuge kommen, wenn bei der Auslegung des § 44 Abs.1 die zu § 11 Abs.1 Satz 1 EStG entwickelten Grundsätze gelten sollten. Nach der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 14.Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480) ist in den Fällen, in denen der Schuldner der Kapitalerträge nicht zahlungsfähig ist, in der Regel nicht von einem Zufluß auszugehen, selbst wenn im übrigen die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Zufluß ohne Auszahlung angenommen wird. Zur Anwendung kann die Vorschrift des § 44 Abs.4 EStG bei dem in § 44 Abs.2 Satz 2 EStG erwähnten Fall kommen, in dem die Ausschüttung nur festgesetzt, ohne daß über den Zeitpunkt der Auszahlung ein Beschluß gefaßt worden ist. Im Rahmen des § 44 Abs.3 EStG kommt § 44 Abs.4 EStG in Betracht, wenn die Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, für das der Kapitalertrag ausgeschüttet oder gutgeschrieben werden soll, als zugeflossen gelten. Aus § 44 Abs.4 EStG kann --entgegen Keßler (FR 1978, 504)-- im Zusammenhang mit § 44 Abs.2 Satz 2 EStG nicht geschlossen werden, der Zufluß müsse zwischen dem Ausschüttungsbeschluß und der Auszahlung liegen und könne nur berücksichtigt werden, wenn er verhältnismäßig nahe bei dem Tag des Ausschüttungsbeschlusses liege. § 44 Abs.2 Satz 2 EStG fingiert für den Fall, daß der Zeitpunkt der Auszahlung in dem Ausschüttungsbeschluß nicht festgesetzt ist, den Tag nach der Beschlußfassung als Zuflußzeitpunkt. § 44 Abs.4 EStG schafft --wie dargestellt-- unter bestimmten Umständen eine Erleichterung für die Fälle, in denen der Zuflußzeitpunkt vor der tatsächlichen Auszahlung liegt. § 44 Abs.4 EStG mag zwar in dem in § 44 Abs.2 Satz 2 EStG erwähnten Fall unter Umständen in Betracht kommen. Daraus kann jedoch für den Regelfall, in dem der Auszahlungstag in dem Gewinnverteilungsbeschluß bestimmt ist und somit dieser gemäß § 44 Abs.2 Satz 1 EStG als Zuflußzeitpunkt gilt, nicht hergeleitet werden, daß der nach dem Ausschüttungsbeschluß liegende Auszahlungstag nur dann als Zuflußzeitpunkt anzuerkennen ist, wenn er "nahe beim Tag des Beschlusses über die Gewinnverwendung" liegt. Ist bereits aufgrund des § 44 Abs.2 Satz 1 EStG durch die Bestimmung des Auszahlungstages der Zeitpunkt des Zuflusses auf einen nach dem Ausschüttungsbeschluß liegenden Tag hinausgeschoben, bedarf es keiner Heranziehung des § 44 Abs.4 EStG, um zu erreichen, daß der Schuldner der Kapitalerträge den Kapitalertragsteuerabzug nicht bereits zum Zeitpunkt der Beschlußfassung bzw. einen Tag nach der Beschlußfassung vorzunehmen hat.
Der Senat folgt damit nicht der Auffassung, wie sie im Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 2.August 1978 IV B 4 - S 2407 - 3/78 (Der Betrieb --DB-- 1978, 1570) zum Ausdruck kommt.
5. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von dem Urteil vom 21.Oktober 1981 I R 230/78 (BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139) ab; das Urteil betraf einen Fall, auf den § 44 EStG 1977 noch keine Anwendung fand und für den die mit § 44 Abs.2 EStG 1977 übereinstimmende Regelung in § 6 Abs.2 KapStDV 1966 nicht galt.
Für den Streitfall kommt es nicht darauf an, ob die Satzung der Klägerin eine spätere Auszahlung beschlossener Gewinnausschüttungen zuläßt; denn die Gewinnausschüttung wurde von der Alleingesellschafterin der Klägerin beschlossen.
Das FG hat ausdrücklich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 AO 1977 verneint und dabei darauf hingewiesen, daß die Klägerin unwidersprochen vorgetragen habe, für die Festsetzung der Auszahlungszeitpunkte hätten betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte vorgelegen, und daß sie im Zeitpunkt der Beschlußfassung nicht in der Lage gewesen sei, bei rd. 200 000 DM verfügbarer Mittel einen Gewinn von 2 Mio DM auszuschütten. Die insoweit vom FA erhobene Rüge nicht hinreichender Sachaufklärung hält der Senat nicht für durchgreifend (Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in der Fassung vom 4.Juli 1985, BGBl I, 1274).
Die Zahlenangaben wurden geändert.
Fundstellen
Haufe-Index 60754 |
BStBl II 1986, 451 |
BFHE 146, 43 |
BB 1986, 928-929 (ST) |
DB 1986, 1155-1156 (ST) |
DStR 1986, 373-373 (ST) |
HFR 1986, 466-466 (ST) |