Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinskompensation unschädlich für Zweikontenmodell - Selbständigkeit der Kontokorrentkonten - Finanzierungsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
Leitet ein Steuerpflichtiger planmäßig betriebliche Einnahmen auf ein gesondertes Konto, um von diesem Ausgaben für private Investitionen zu bestreiten, und werden die betrieblichen Aufwendungen ausschließlich von einem getrennten Kontokorrentkonto beglichen, so stellen die für dieses Konto entstehenden Schuldzinsen auch dann Betriebsausgaben dar, wenn mit dem Kreditinstitut für Guthaben und Schulden die gleichen Zinssätze vereinbart sind (Zinskompensation).
Orientierungssatz
1. Zur Frage, ob zwei selbständige Kontokorrentkonten nicht vorliegen mit der Folge, daß nur der Gesamtsaldo der beiden Konten geltend gemacht werden darf.
2. Die Möglichkeit, bei Kontentrennung auf dem Einnahme/Entnahmekonto ein Guthaben zu bilden und mithin die Entscheidung, ob mit den Betriebseinnahmen private oder betriebliche Verbindlichkeiten getilgt werden sollen, hinauszuzögern, ist Konsequenz der dem Steuerpflichtigen zuzubilligenden Finanzierungsfreiheit. Akzeptiert man sie, gibt es keinen Grund, je nach Gestaltung der zwischen dem Steuerpflichtigen und der Bank getroffenen Zinsvereinbarung zu differenzieren. Etwas anders gilt nur dann, wenn auf beiden Konten Debetsalden vorhanden sind und einige davon auf private Anlässe zurückzuführen sind. In einem solchen Fall müssen die Schuldzinsen im Wege der Zinszahlenstaffelmethode oder durch Schätzung aufgeteilt werden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4; HGB § 355
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Erbin und Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes (E.). Dieser betrieb bis zum 30. Juni 1983 eine Arztpraxis. Seinen Gewinn ermittelte er gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben. Bis zum 31. Dezember 1976 unterhielt E. für den laufenden Geschäftsbetrieb bei seiner Bank ein Girokonto, über das sowohl die betrieblichen als auch die privaten Zahlungen abgewickelt wurden. Dieses Konto wies im Verlauf des Jahres sowohl Guthaben als auch Schuldenstände aus.
Ab 1. Januar 1977 richtete er bei der gleichen Bank ein zweites Konto ein. Den Zahlungsverkehr regelte er nun in der Weise, daß auf dem Konto 1 die monatlichen Honorarzahlungen der kassenärztlichen Vereinigung eingingen und neben betrieblichen Zahlungen in geringerem Umfang alle Privatausgaben gezahlt wurden. Nicht benötigte Beträge wurden von Zeit zu Zeit auf das Konto 2 umgebucht, das ausschließlich zur Abwicklung von Praxisausgaben diente. Aufgrund dieser Handhabung wies das Konto 1 mit geringfügigen Ausnahmen immer ein Guthaben aus, das Konto 2 immer eine Schuld. Aufgrund einer besonderen Vereinbarung mit der Bank wurden für beide Konten quartalsweise getrennte Zinsstaffeln erstellt und hieraus die Zinszahlen ermittelt. Diese wurden sodann, da für Guthaben und Schuld die gleichen Zinssätze vereinbart waren, in der Weise kompensiert, daß die Zinszahlen des Kontos 1 gegen die Zinszahlen des Kontos 2 aufgerechnet wurden. Aus den auf dem Konto 2 übrigbleibenden Zinszahlen wurden die Schuldzinsen berechnet und dem Konto 2 belastet. Die angefallenen Schuldzinsen behandelte E. in voller Höhe als Betriebsausgaben.
Bei einer im Jahre 1983 durchgeführten, die Jahre 1976 bis 1981 umfassenden Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, daß die Handhabung des E. eine Steuerumgehung i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) darstelle, um die Aufteilung in privat bzw. betrieblich vereinbarte Schuldzinsen zu vermeiden. Die Schuldzinsen seien daher im Verhältnis der privat veranlaßten zu den betrieblich veranlaßten Zahlungen aufzuteilen. Da die privat veranlaßten Zahlungen insgesamt rund 60 % ausmachten, seien die als Betriebsausgaben angesetzten Schuldzinsen ebenfalls um 60 % zu kürzen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte der Auffassung des Prüfers und änderte die Einkommensteuerbescheide für 1976 bis 1981 entsprechend. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 18. September 1985 führte das FA unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. März 1981 IV R 169/80 (BFHE 133, 383, BStBl II 1983, 721) zur Begründung aus, daß Schuldzinsen bei Konten, die sowohl für betriebliche als auch private Zahlungen benutzt würden, im Verhältnis der Zahlungen aufzuteilen seien. Im Streitfall liege wirtschaftlich betrachtet nur ein Konto vor, da mit der Bank vereinbart sei, daß die Schuldzinsen nur von den saldierten Beträgen beider Konten berechnet werden sollten. Der nach außen angestrebte Zweck, den privaten vom betrieblichen Aufwand zu trennen, sei nicht erreicht worden, da beide Konten tatsächlich wie ein Konto behandelt worden seien.
Mit der hiergegen erhobenen Klage wurde vorgetragen, mit Einrichtung des 2. Konto ab 1977 komme eine Kürzung der als Betriebsausgaben angesetzten Schuldzinsen nicht mehr in Betracht. Denn durch die scharfe Trennung von Praxis- und Privatausgaben seien für Privatausgaben keine Schuldzinsen mehr angefallen, weil die Praxiseinnahmen in allen Jahren höher gewesen seien als die privaten Ausgaben.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die ab Januar 1977 auf dem Konto 2 entstandenen Schuldzinsen in voller Höhe als Betriebsausgaben abgezogen werden können. Leitet nämlich der Steuerpflichtige planmäßig betriebliche Einnahmen auf ein gesondertes Konto, um von diesem Ausgaben für private Investitionen zu bestreiten, und werden die betrieblichen Aufwendungen ausschließlich von einem getrennten Kontokorrentkonto beglichen, so stellen die für dieses Konto entstehenden Schuldzinsen Betriebsausgaben dar. Dieser Grundsatz, der beiläufig bereits im Beschluß des Großen Senats vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88 (BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817) enthalten war, ist durch den Beschluß des Großen Senats vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95 (BFHE 184, 7) ausdrücklich bestätigt worden. Der Senat schließt sich dem aus den vom Großen Senat aufgeführten Gründen an.
2. Im Streitfall war E. ab Januar 1977 in der Weise verfahren, daß auf dem Konto 1 sämtliche Betriebseinnahmen eingingen. Von diesem Konto wurden --von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen-- lediglich Beträge für private Aufwendungen entnommen. Die betrieblichen Aufwendungen wurden dagegen nahezu ausschließlich vom Konto 2 bestritten, das hierdurch stets einen Schuldsaldo auswies. Mithin waren die auf dem Konto 2 entstandenen Schuldzinsen betrieblich veranlaßt.
3. Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des FA nicht aus der von E. mit seinem Kreditinstitut vereinbarten Zinskompensation, also aus der Absprache, daß die Zinsen für das Guthaben auf dem Konto 1 gleich hoch sein sollten wie die für die Schuld auf dem Konto 2.
a) Allerdings hat der Große Senat des BFH in seinem Beschluß in BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817 darauf hingewiesen, daß zwei selbständige Kontokorrentkonten nicht vorliegen, wenn die Auslegung des Parteiwillens ergibt, daß tatsächlich nur der Gesamtsaldo der beiden Konten geltend gemacht werden darf. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 14. Dezember 1951 I ZR 93/50 (Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, --LM--, § 355 HGB Nr. 3) kann für das Vorliegen eines solchen Parteiwillens der Umstand sprechen, daß die Zinssätze für Debet- und Kreditzinsen in gleicher Höhe vereinbart wurden; denn in einem solchen Fall ist es sowohl für die Bank als auch für den Kunden bedeutungslos, wie hoch der Kredit- oder Debetsaldo des einzelnen Kontokorrents war.
Auf der anderen Seite handelt es sich bei einer solchen Zinsvereinbarung --wie auch dem BGH-Urteil in LM § 355 HGB Nr. 3 zu entnehmen ist-- lediglich um ein Indiz, das nicht bereits für sich allein dazu führt, daß nur der Gesamtsaldo der betreffenden Kontokorrentkonten geltend gemacht werden darf. Im Streitfall lagen nach den Feststellungen des FG keine eindeutigen Umstände vor, die den Schluß zuließen, daß E. und die Bank im Innenverhältnis beide Konten als wirtschaftliche Einheit betrachtet haben und sich darüber einig waren, daß jeweils nur der Saldo aus beiden Konten als Grundlage für die gegenseitigen Forderungen dienen sollte. Diese Feststellungen sind ohne Verstoß gegen die Denkgesetze zustande gekommen, so daß sie --mangels der Rüge von Verfahrensfehlern-- für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dabei kann dahinstehen, ob das FG zu Recht angenommen hat, die Verrechnung der Zinszahlen zum jeweiligen Abrechnungszeitpunkt führe zu einem anderen Ergebnis als die Verrechnung der jeweiligen Tagessalden. Maßgebend ist vielmehr, daß kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, daß die Bank oder E. ein Interesse an der Zusammenfassung der beiden Konten hatten. E. konnte ein solches Interesse nicht haben, weil die Schuld auf dem Konto 2 das Guthaben auf dem Konto 1 gewöhnlich überstieg. Dem Sicherheitsbedürfnis der Bank war dadurch Rechnung getragen, daß sie zu den jeweiligen Abrechnungszeitpunkten infolge der übereinstimmenden Fälligkeiten der beiden Kontokorrentforderungen ihre ggf. bestehende Schuld gegen die Forderung des E. gemäß § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aufrechnen konnte. Infolgedessen konnte das FG zu dem Schluß gelangen, daß nach dem Parteiwillen im Zweifel der Grundsatz der Nr. 2 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken in der bis 1993 geltenden Fassung Anwendung finden sollte, demzufolge mehrere Kontokorrentkonten eines Kunden jeweils ein selbständiges Kontokorrent bilden.
b) Der Senat kann sich auch nicht der Auffassung der Finanzverwaltung anschließen, die in zwei Verwaltungsanweisungen darauf hingewiesen hat, daß wirtschaftlich betrachtet im Regelfall von einem einheitlichen Kontokorrentkonto auszugehen sei, wenn der Steuerpflichtige mit seinem Kreditinstitut zum Zwecke der Zinsberechnung eine bankinterne Verrechnung der Salden der getrennten Kontokorrentkonten vereinbart habe (Verfügung der Oberfinanzdirektion --OFD-- Münster vom 17. Februar 1989 S 2144-52- St 11-31, Deutsches Steuerrecht 1989, 216; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. November 1993 IV B 2
-S 2144- 94/93, BStBl I 1993, 930 A. I. 4.).
aa) Für eine derartige Einschränkung der Möglichkeit der Kontentrennung besteht keine Veranlassung. Die Kontentrennung dient der Abgrenzung der betrieblich veranlaßten von den privat veranlaßten Verbindlichkeiten. Sie bedeutet im Prinzip nichts anderes als die rechnerische Führung von Unterkonten im Rahmen eines gemischten Kontokorrentkontos; durch sie werden Steuerpflichtige und FA von dem mit der sog. Zinszahlenstaffelmethode verbundenen erheblichen Arbeitsaufwand entlastet (Beschluß des Großen Senats in BFHE 184, 7). Allein der Umstand, daß für die betroffenen Konten einheitliche Zinssätze vereinbart wurden --darauf läuft die "Zinskompensation" letztlich hinaus-- rechtfertigt es nicht, die Vorteile der eindeutigen Trennbarkeit aufzugeben. Allerdings ist es richtig, daß die Vereinbarung gleich hoher Zinssätze für Kredit- und Debetzinsen den Anreiz, das debitorisch geführte Konto aufzufüllen, mindert. Dies führt indessen nicht zu einer Steuerminderung, weil die betrieblich veranlaßten Sollzinsen in derartigen Fällen in Höhe der auf dem Einnahme/Entnahmekonto entstandenen Habenzinsen ausgeglichen werden.
bb) Die unterschiedliche Entwicklung der Zinszahlen bei der rechnerischen Führung von Unterkonten im Rahmen eines gemischten Kontokorrentkontos einerseits und der Führung zweier oder mehrerer getrennter Konten andererseits beruht darauf, daß nur im letztgenannten Fall auf dem Einnahme/Entnahmekonto Guthaben gebildet werden können, die für spätere Entnahmen zur Verfügung stehen. Bei einem gemischten Konto mit einem lediglich gedachten privaten Unterkonto ist das nicht möglich. Einnahmen müssen in einem solchen Fall stets mit betrieblich veranlaßten Schuldsalden verrechnet werden, wenn privat veranlaßte Verbindlichkeiten nicht vorhanden sind. Hieraus resultieren die in dem vom FA im vorgelegten Beispiel dargestellten Abweichungen. Diese Möglichkeit, bei Kontentrennung auf dem Einnahme/Entnahmekonto ein Guthaben zu bilden und mithin die Entscheidung, ob mit den Betriebseinnahmen private oder betriebliche Verbindlichkeiten getilgt werden sollen, hinauszuzögern, ist indessen Konsequenz der dem Steuerpflichtigen zuzubilligenden Finanzierungsfreiheit. Akzeptiert man sie (Beschluß des Großen Senats in BFHE 184, 7), gibt es keinen Grund, je nach Gestaltung der zwischen dem Steuerpflichtigen und der Bank getroffenen Zinsvereinbarung zu differenzieren.
cc) Etwas anders gilt nur dann, wenn auf beiden Konten Debetsalden vorhanden sind und einige davon auf private Anlässe zurückzuführen sind. In einem solchen Fall müssen die Schuldzinsen im Wege der Zinszahlenstaffelmethode oder durch Schätzung aufgeteilt werden.
4. Die als Betriebsausgaben abziehbaren Zinsen für das Jahr 1976 sind nach der Zinszahlenstaffelmethode berechnet worden. Gegen die vom FG festgestellte Höhe hat das FA keine Einwendungen erhoben. Dasselbe gilt für die Feststellungen des FG bezüglich der Höhe der auf dem Konto 2 angefallenen Zinsen und der Zinsen, die für das Darlehen angefallen sind, das zur Auffüllung des Kontos 2 verwendet wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 67180 |
BFH/NV 1998, 1300 |
BFH/NV 1998, 1300-1302 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 513 |
BFHE 186, 57 |
BFHE 1999, 57 |
BB 1998, 1617 |
BB 1998, 1617-1618 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1998, 1642 |
DStR 1998, 1209 |
DStRE 1998, 618 |
DStRE 1998, 618 (Leitsatz) |
DStZ 1998, 765 |
HFR 1998, 898 |
StE 1998, 498 |