Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Verjährungsfrist bei den Steuern vom Einkommen
Leitsatz (NV)
Die in § 145 Abs. 2 Nr. 1 RAO in Klammern gesetzten Worte ,,mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden" erstrecken sich nur auf die Fälle, in denen eine Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 1 und 2 EStG nicht vorzunehmen ist, in denen es also um die Verjährung der Lohnsteuer für ein bestimmtes Kalenderjahr geht.
Normenkette
EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1; AO § 145 Abs. 2 Nr. 1, § 144 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1970 bei der X AG angestellt.
Die X AG war an der Y AG beteiligt. Die Y AG verkaufte im Einvernehmen mit der X AG am . . . 1970 mit notariell beurkundetem Vertrag ein Einfamilienhaus in A für 69 800 DM an den Kläger, der dieses Haus 1971 bezog.
Am . . . 1974 wurde bei der Y AG mit einer Lohnsteuer-Außenprüfung begonnen. Gegenstand dieser Prüfung war u. a. der Grundstücksverkauf der Y AG an den Kläger. Das Finanzbauamt B erstellte am 8. Dezember 1976 ein Gutachten, in dem es den Verkehrswert des Grundstücks zum Veräußerungszeitpunkt mit 128 000 DM ermittelte. Die Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat daher den Standpunkt, daß dem Kläger in Höhe der Differenz zwischen dem vom Finanzbauamt B ermittelten Verkehrswert des Grundstücks von 128 000 DM und dem Kaufpreis von 69 800 DM ein steuerpflichtiger geldwerter Vorteil von 58 200 DM als Ausfluß seiner bei der X AG ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit zugeflossen sei. Die Außenprüfung sah auch die Differenz zwischen einer vom Kläger im ersten Halbjahr 1970 angeblich gezahlten Miete und dem ortsüblichen Mietwert in Höhe von 1 041,42 DM als steuerpflichtigen geldwerten Vorteil an. Die Lohnsteuer-Außenprüfung sandte daraufhin am 3. März 1977 eine entsprechende Kontrollmitteilung an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -).
Beim FA waren der Kläger und seine später verstorbene Ehefrau erst ab 1971 steuerlich erfaßt worden. Das FA forderte den Kläger daher zur Abgabe einer Steuererklärung für das Streitjahr 1970 auf. Die Einkommensteuererklärung für 1970 wurde am 29. September 1977 eingereicht. Das FA rechnete im Einkommensteuerbescheid für 1970 vom 3. März 1978 dem Bruttoarbeitslohn des Klägers in Höhe von 31 606,27 DM, den Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung folgend, Sachbezüge in Höhe von 58 200 DM + 1 041 DM = 59 241 DM hinzu.
Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hob den Einkommensteuerbescheid für 1970 vom 3. März 1978 und die Einspruchsentscheidung vom 27. September 1978 auf. Das FG führte aus, das FA habe für das Streitjahr 1970 im Jahre 1978 keine Veranlagung mehr durchführen dürfen, da der Steueranspruch gemäß Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977), § 145 Abs. 1, § 144 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) verjährt gewesen sei. Die fünfjährige Verjährungsfrist des § 144 Abs. 1 AO habe gemäß § 145 Abs. 1 AO mit dem Ende des Streitjahres 1970 begonnen. Denn gemäß § 145 Abs. 1 AO beginne die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstehe. Der Anspruch sei im Zeitpunkt des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte entstanden, also im Jahr 1970 (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 a des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -).
Der Verjährungsbeginn werde nicht dadurch gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO hinausgeschoben, daß bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit eine Veranlagung durchzuführen gewesen sei (Hinweis auf Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 145 Anm. 3; Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 38 EStG Anm. 32 d). Denn auch dann, wenn eine Veranlagung durchzuführen sei, würden die Steuern für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Abzugsverfahren erhoben (§ 38 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Die daher mit Ablauf des Jahres 1975 eingetretene Verjährung sei nicht nach § 146 a Abs. 3 AO durch die bei der Y AG im Jahre 1974 durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung gehemmt worden.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da der Einkommensteueranspruch im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids für 1970 nicht verjährt war und das FG keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger infolge des Hauserwerbs dem Grunde und ggf. der Höhe nach einen geldwerten Vorteil erlangt hat.
Hinsichtlich der Verjährung dieses Anspruchs sind maßgebend die §§ 144 ff. AO. Denn gemäß Art. 97 § 10 Abs. 1 EGAO 1977 gelten für einen vor dem 1. Januar 1977 entstandenen Steueranspruch die Vorschriften der AO über die Verjährung weiter, soweit sie für die Festsetzung einer Steuer sowie für die Aufhebung oder Änderung einer solchen Festsetzung von Bedeutung sind. Der Einkommensteueranspruch 1970 war ein solcher vor dem 1. Januar 1977 entstandener Steueranspruch, da er mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1970 entstanden war.
Gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1, § 144 Abs. 1 AO war der Anspruch des FA auf die Einkommensteuer 1970 noch nicht verjährt. Nach diesen Bestimmungen beginnt die Verjährungsfrist von fünf Jahren bei den Steuern vom Einkommen ,,(mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden)" mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum abgegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs folgt. Da der Kläger seine Einkommensteuererklärung für 1970 erst am 29. September 1977 abgegeben hat, begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs im Jahre 1970 folgte, also mit Ablauf des Jahres 1973. Im Hinblick auf die fünfjährige Verjährungsfrist des § 144 Abs. 1 AO trat die Verjährung des Steueranspruchs damit mit Ablauf des Jahres 1978 ein. Der Anspruch aus dem am 3. März 1978 ergangenen Einkommensteuerbescheid war demnach beim Erlaß dieses Bescheides noch nicht verjährt.
Die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer des Klägers bezüglich seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit begann nicht etwa mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden war, also nicht im Jahre 1970. Denn im Streitfall liegt der Ausnahmefall der ,,Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden" i. S. des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht vor.
Wie der Senat bereits im Urteil vom 8. Juli 1988 VI R 32/88, (BFH/NV 1989, 11) entschieden hat, erstrecken sich die in § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO in Klammern gesetzten Worte ,,mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden" nur auf die Fälle, in denen - anders als im Streitfall - eine Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 1 und 2 EStG nicht vorzunehmen ist, in denen es also um die Verjährung der Lohnsteuer für ein bestimmtes Kalenderjahr geht. Der Senat hat hierbei maßgeblich auf das Verhältnis zwischen der Einkommensteuerveranlagung und dem Lohnsteuerabzugsverfahren abgestellt und ausgeführt, daß erst durch die Einkommensteuerveranlagung über den gesamten Einkommensteueranspruch und damit auch über die der Lohnsteuer unterliegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit endgültig entschieden wird (siehe Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, 212 linke Spalte zu Abschn. C III 2 b Absatz 2 der Entscheidungsgründe). Er hat darauf verwiesen, daß nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die durch einen Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommensteuerschuld die durch den Steuerabzug einbehaltene Lohnsteuer anzurechnen ist, soweit sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfällt. Der Senat hat seine Ansicht auch auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 und 2 EStG gestützt, da eine Anwendung dieser Bestimmung zwecks Durchführung von Einkommensteuerveranlagungen ins Leere gehen würde, wenn hiervon Arbeitnehmereinkünfte betroffen würden, bei denen bereits eine Verjährung eingetreten ist.
Der Senat hält an diesen Grundsätzen fest.
Da demnach dem Erlaß des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für 1970 keine Verjährung entgegenstand, kommt es darauf, ob eine Ablaufhemmung der Verjährung nach § 146 a Abs. 3 AO eingetreten ist, nicht an.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, da es noch keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger durch den Erwerb des Hauses einen geldwerten Vorteil und ggf. in welcher Höhe erlangt hat. Gegebenenfalls wird auch zu prüfen sein, ob eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG in Betracht kommt.
Fundstellen
Haufe-Index 416221 |
BFH/NV 1989, 686 |