Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Verjährungsfrist nach der Reichsabgabenordnung bei der Einkommensteuer und Lohnsteuer
Leitsatz (NV)
Der in § 145 Abs. 2 Nr. 1 RAO enthaltene Klammerzusatz ,,mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden" erfaßt nur diejenigen Fälle, in denen eine Einkommensteuerveranlagung nicht in Betracht kommt, in denen es also um die Verjährung der Lohnsteuer für ein bestimmtes Kalenderjahr geht (Bestätigung von BFH/NV 1989, 11 und BFH/NV 1989, 686).
Normenkette
EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1; AO § 145 Abs. 2 Nr. 1, § 144 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ehemaliger Arbeitnehmer der Firma X-AG in Y.
Der Kläger und seine Ehefrau erwarben im Streitjahr 1974 gemeinsam von der X-AG das Hausgrundstück . . . zum Kaufpreis von . . . DM.
In den Jahren 1975 und 1976 führte das zuständige Betriebsfinanzamt eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Hierbei gelangten die Prüfer zu der Auffassung, dem Kläger sei aus dem Erwerb des Baugrundstücks ein als Arbeitslohn zu erfassender geldwerter Vorteil in Höhe von 17 402 DM zugeflossen.
Der Kläger und seine Ehefrau hatten ihre gemeinsame Einkommensteuererklärung 1974 im Jahre 1975 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingereicht. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 4. September 1975 hatte das FA die Einkommensteuer 1974 auf . . . DM festgesetzt.
Den Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfer folgend erließ das FA am 12. Dezember 1980 einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnug (AO 1977) gestützten Einkommensteuer-Änderungsbescheid, in dem die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um den Betrag von 17 402 DM erhöht wurden.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Erfassung des streitigen geldwerten Vorteils dem Grunde und der Höhe nach und brachte darüber hinaus vor, der Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids stehe entgegen, daß das FA seine Ermittlungspflicht verletzt und den streitigen Steueranspruch verwirkt habe.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den angefochtenen Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Es führte im wesentlichen aus:
Der streitige Steueranspruch sei nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften der Reichsabgabenordnung - AO - (vgl. Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -) im Jahre 1980 bereits verjährt gewesen. Die Verjährung des Einkommensteueranspruchs 1974 habe mit Ablauf des Kalenderjahres 1974 begonnen. Gemäß § 145 Abs. 1 AO beginne die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Steueranspruch entstanden sei. Bei der hier in Frage stehenden im Abzugsweg zu erhebenden Einkommensteuer sei der Steueranspruch gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) im Zeitpunkt des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte (des geldwerten Vorteils) entstanden.
Der Verjährungsbeginn bestimme sich auch dann nach der Grundvorschrift des § 145 Abs. 1 AO, wenn bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit eine Veranlagung durchzuführen sei (Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 145 AO Tz. 3). Der Auffassung, wonach in einem solchen Fall der Verjährungsbeginn nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO hinausgeschoben werde (vgl. v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 145 AO Anm. 4), sei nicht zu folgen, da sie sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes widerspreche. Damit sei aber die hier geltende fünfjährige Verjährungsfrist des § 144 Abs. 1 AO mit dem 31. Dezember 1979 abgelaufen.
Die in den Jahren 1975 und 1976 durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung habe den Ablauf der Verjährungsfrist gemäß § 146a Abs. 3 AO nicht hemmen können. Zweifelhaft sei bereits, ob eine Lohnsteuer-Außenprüfung überhaupt einer ,,Betriebsprüfung" i. S. des § 146a Abs. 3 AO gleichgesetzt werden könne. Entgegen der im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 1975 VI R 90/73 (BFHE 116, 568, BStBl II 1976, 3) vertretenen Auffassung hemme eine beim Arbeitgeber durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung grundsätzlich nicht die Verjährung der Einkommensteueransprüche gegen die Arbeitnehmer. Das Gericht schließe sich insoweit den Urteilen des Schleswig-Holsteinischen FG vom 28. Februar 1984 V 81/83 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 477) und des FG Köln vom 18. April 1986 V K 483/85 (EFG 1986, 431) an und nehme Bezug auf die dort gegebenen Begründungen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 146a Abs. 3 AO.
Zu Unrecht habe das FG angenommen, daß der streitige Einkommensteueranspruch im Jahre 1980 bereits verjährt gewesen sei. Wie der BFH in BFHE 116, 568, BStBl II 1976, 3 zutreffend entschieden habe, werde durch die beim Arbeitgeber durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung gemäß § 146a Abs. 3 AO auch die Verjährung der Einkommensteueransprüche gegen die Arbeitnehmer gehemmt.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zu Unrecht hat das FG angenommen, daß der durch den Berichtigungsbescheid vom 12. Dezember 1980 geltend gemachte Einkommensteueranspruch 1974 bereits verjährt gewesen sei.
Nach § 145 Abs. 1 AO beginnt die Verjährung grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Davon abweichend beginnt aber gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO die Verjährungsfrist ,,bei den Steuern vom Einkommen (mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden) . . . mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum abgegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs folgt; . . .".
Da der Kläger und seine Ehefrau ihre Einkommensteuererklärung 1974 im Jahr 1975 beim FA eingereicht hatten, begann die Verjährungsfrist demnach mit Ablauf des Jahres 1975 und endete - nach fünf Jahren (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO) - mit Ablauf des Jahres 1980. Bei Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheids vom 12. Dezember 1980 war daher der Einkommensteueranspruch 1974 entgegen der Annahme des FG noch nicht verjährt. Rechtsirrtümlich hat das FG angenommen, daß die Verjährungsfrist in bezug auf den Einkommensteueranspruch 1974, soweit dieser auf den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit beruhte, wegen des Klammerzusatzes in § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO bereits mit Ablauf des Jahres 1974 zu laufen begonnen habe. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. Urteile vom 8. Juli 1988 VI R 32/88, BFH/NV 1989, 11, und vom 20. Januar 1989 VI R 78/85, BFH/NV 1989, 686), erstrecken sich die in § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO in Klammern gesetzten Worte ,,mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden", nur auf die Fälle, in denen - anders als im Streitfall - eine Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorzunehmen ist, in denen es also um die Verjährung der Lohnsteuer für ein bestimmtes Kalenderjahr geht.
An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zitierten Urteile in BFH/NV 1989, 11 und in BFH/NV 1989, 686 Bezug genommen.
Da folglich dem Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheids die Verjährung nicht entgegenstand, kommt es nicht darauf an, ob die in den Jahren 1975 und 1976 durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung zu einer Ablaufhemmung der Verjährung führen konnte.
2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, weil es - aus seiner Sicht zu Recht - noch keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob die verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 für eine Berichtigung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids vom 4. September 1975 vorlagen, insbesondere darüber,
a) ob der Kläger durch den Erwerb des Hauses einen steuerpflichtigen geldwerten Vorteil und ggf. in welcher Höhe erlangt hat;
b) ob die Feststellung des geltwerten Vorteils, sofern er anzunehmen sein sollte, auf ,,neuen", dem FA erst nach Erlaß des ursprünglichen Bescheids bekanntgewordenen Tatsachen beruhte und ob ggf. - wie der Kläger meint - diese Tatsachen deswegen nicht als ,,neue" gelten konnten, weil sie dem FA bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären, sofern die Steuerpflichtigen ihrerseits ihrer Mitwirkungspflicht genügt haben (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241; vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585);
c) ob der vom Kläger erhobene Einwand der Verwirkung durchgreift.
Dahingehende Feststellungen wird das FG nachzuholen haben. Darüber hinaus wird es ggf. prüfen müssen, ob § 34 Abs. 3 EStG in Betracht kommt.
Fundstellen
Haufe-Index 416971 |
BFH/NV 1990, 685 |