Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollschuldnerschaft bei Besitz eingeschmuggelter Waren
Leitsatz (NV)
1. Zu den Anforderungen an eine Revisionsbegründung.
2. Zollschuldner i. S. des Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK kann auch der Fremdbesitzer einer eingeschmuggelten Ware sein. Ein Besitzverhältnis ist aber nur dann anzunehmen, wenn zumindest eine tatsächliche Herrschaft der Person über die Sache besteht und diese von dem Besitzwillen der betreffenden Person getragen ist.
3. Zum Nachweis, daß der Fahrer des auf seine Ehefrau zugelassenen Pkw eine Sachherrschaft an den darin mitgeführten Schmuggelzigaretten hat, wenn bei Sicherstellung der Zigaretten der Mitfahrer angibt, Eigentümer derselben zu sein.
Normenkette
FGO §§ 76, 120 Abs. 2; ZK Art. 202 Abs. 1 S. 1 Buchst. a, Abs. 3 Anstrich 3
Tatbestand
In dem von der Polizei im März 1994 angehaltenen Pkw, der auf die Ehefrau des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) zugelassen war, wurden in Beuteln und Taschen 52 Stangen unverzollte und unversteuerte Zigaretten festgestellt. Fahrer des Fahrzeugs war der Kläger. Außer ihm befanden sich seine Ehefrau, deren zwei Söhne und der weitere vietnamesische Staatsbürger D in dem Fahrzeug. D hat sich im Zeitpunkt seiner Festnahme durch die Polizei als Eigentümer der sichergestellten Zigaretten bekannt. Das später mit der Sache befaßte Zollfahndungsamt hat deshalb die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger und seine Ehefrau angeregt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt -- HZA --) setzte mit Steuerbescheid gegenüber dem Kläger als Gesamtschuldner neben seiner Ehefrau und D Abgaben (Zoll-EURO, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt ... DM fest, weil er davon ausging, daß der Kläger die Zigaretten in Besitz gehabt habe und bei Erwerb oder Erhalt der Ware wußte oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, daß diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden seien. Das Finanzgericht (FG) hob die Verwaltungsentscheidungen des HZA aus den in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1997, 240 veröffentlichten Gründen auf. Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der das HZA geltend macht, daß den Darlegungen des FG dazu, ob die an die Annahme des Besitzes (des Klägers) zu stellenden Beweisanforderungen erfüllt seien, nicht gefolgt werden könne.
Das HZA beanstandet im einzelnen, daß das FG jede Erörterung dazu unterlassen habe, ob nicht aufgrund der besonderen tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt des Aufgriffs vom Bestehen des Besitzes oder des Mitbesitzes des Klägers an den Zigaretten auszugehen gewesen sei. Ferner sei nach den Regeln des Beweises des ersten Anscheins anzunehmen, daß der Kläger im Zeitpunkt des Aufgriffs Besitzer der Zigaretten gewesen sei, weil er den aufgrund des festgestellten Geschehensablaufs hinsichtlich des Besitzes entstandenen Anschein durch sein Vorbringen nicht habe erschüttern können. Schließlich meint das HZA, das FG habe sich zu Unrecht nicht dazu entschließen können, hier einen Fall der Umkehr der Feststellungslast zugunsten des Steuergläubigers anzunehmen.
Das HZA beantragt sinngemäß, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er meint, das FG habe seine Entscheidung wohlausgewogen begründet, sich hierbei im Rahmen der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze gehalten und keine Gesetze verletzt. Die von der Revision gerügten Verfahrensmängel seien unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das FG hat ohne Rechtsfehler erkannt, daß die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben sind.
1. Die Revision ist zulässig. Nach §120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muß die Revision zwar die verletzte Rechtsnorm und soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dazu ist es erforderlich, daß die für verletzt gehaltenen Rechtsnormen genannt werden und ausgeführt wird, ob materielles Recht und/oder Verfahrensrecht als verletzt angesehen wird. An solchen Ausführungen fehlt es in der Revisionsbegründung des HZA. Von den genannten Anforderungen an die Revisionsbegründung kann jedoch abgesehen werden, wenn aus den Ausführungen sonst eindeutig zu entnehmen ist, welche Normen der Revisionskläger für verletzt hält (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Juni 1994 II R 124/90, BFH/NV 1995, 128; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §120 Rz. 31).
Der Revisionsbegründung ist jedenfalls zu entnehmen, daß das HZA rügt, das FG habe ihm zu Unrecht die Feststellungslast hinsichtlich der für die Zollschuldnerschaft nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK --) des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1) entscheidenden Besitzverhältnisse an den Zigaretten auferlegt. Damit wird -- noch -- hinreichend deutlich die Verletzung materiellen Rechts gerügt, so daß die Revision insgesamt zulässig ist.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet, weil die Bedenken des HZA gegen die Vorentscheidung nicht durchgreifen.
a) Unzweifelhaft und im Revisionsverfahren auch nicht streitig ist, daß die Abgabenschuld für die Zigaretten im Streitfall nach Art. 202 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a ZK entstanden ist und im Streitfall eine Zollschuldnerschaft des Klägers nur nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 Alternative 2 ZK in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift sind Zollschuldner auch die Personen, welche die betreffende Ware in Besitz gehabt haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erhalts der Ware wußten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, daß diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war.
b) Das angefochtene Urteil begründet überzeugend, daß nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK Fremdbesitz im Sinne des bürgerlichen Rechts ausreicht, aber auch als Mindesvoraussetzung erforderlich ist, um eine Zollschuldnerschaft des Besitzers zu begründen (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1976 VII R 113/73, BFHE 120, 314, zu §57 des Zollgesetzes). Entscheidend ist, daß ein Besitzverhältnis nur dann anzunehmen ist, wenn zumindest eine tatsächliche Herrschaft der Person über die Sache besteht und diese von dem Besitzwillen der betreffenden Person getragen ist. Gegen diese zutreffende Auslegung der hier maßgebenden Vorschrift wendet sich auch das HZA nicht.
c) Die Feststellung des FG, daß dem Kläger eine Sachherrschaft und damit ein Besitzverhältnis an den unversteuerten Zigaretten nicht nachzuweisen ist, kann der Senat nur daraufhin überprüfen, ob die Beweiswürdigung, die zu dieser Feststellung geführt hat, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, weil das HZA insoweit keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat (§118 Abs. 2 FGO).
aa) Es ist nicht ersichtlich und vom HZA auch nicht vorgetragen worden, daß die Beweiswürdigung des FG gegen Denkgesetze verstößt.
bb) Die Beweiswürdigung des FG verstößt entgegen der Auffassung des HZA auch nicht gegen einen allgemeinen Erfahrungssatz. Sofern überhaupt der Beweis des ersten Anscheins aufgrund eines allgemeinen Erfahrungssatzes dergestalt in Betracht kommt, daß alle Gegenstände, die sich in einem Fahrzeug befinden, i. S. des Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 Alternative 2 ZK dem Fahrzeughalter (oder dem Fahrer) und möglicherweise auch dem Fahrer als Besitzer zuzurechnen sind (vgl. BFH-Beschluß vom 30. August 1994 VII B 71/94, BFH/NV 1996, 375; Urteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534), ist das FG, ohne daß dies im Revisionsverfahren beanstandet werden könnte, zu der Überzeugung gelangt, daß dieser Anscheinsbeweis durch den Vortrag des Klägers erschüttert worden sei.
Unstreitig ist, daß der Beweis des ersten Anscheins durch substantiierte Einwände erschüttert werden kann. Das HZA führt lediglich aus, daß das FG den Anscheinsbeweis im Streitfall zu Unrecht als erschüttert angesehen hat. Denn der Kläger habe dadurch, daß er vorgetragen habe, D im Auto mitgenommen zu haben, der die Zigaretten in seinem Gepäck bei sich gehabt habe und sich später bei der Polizei zu dem Eigentum an diesen Zigaretten bekannt habe, entgegen der Auffassung des FG keinen vom typischen Geschehen in solchen Fällen abweichenden Verlauf plausibel aufgezeigt und nachgewiesen. Diese Meinung des HZA teilt der Senat nicht.
Mit der Behauptung des Klägers, daß er D (als Anhalter) mitgenommen habe und D die Zigaretten in seinem Gepäck bei sich gehabt habe, wird vielmehr plausibel ein abweichender Geschehensablauf aufgezeigt, daß nämlich der Kläger, selbst wenn er der Fahrer des Pkw war, über sie -- unabhängig von deren Menge -- keine Sachherrschaft gehabt hat, sondern sich die Zigaretten im alleinigen Besitz des D befanden.
Auch wenn vietnamesische Zigarettenhändler nach Darstellung des HZA häufig nach dem Muster vorgehen, daß sich nach vorher getroffenen Absprachen jeweils derjenige als Eigentümer der Zigaretten ausgibt, gegen den ein Steuerbescheid am schwierigsten zu erlassen oder durchzusetzen ist, läßt sich daraus nicht der Erfahrungssatz herleiten, daß Aussagen von Vietnamesen über die Eigentums- und Besitzverhältnisse bezüglich bei ihnen aufgegriffener Schmuggelzigaretten grundsätzlich falsch sind. Vielmehr ist die Glaubwürdigkeit solcher Aussagen in jedem Fall zu überprüfen und zu beurteilen, wobei insbesondere den unmittelbar bei Aufgriff der Zigaretten und den im Anschluß daran getroffenen Feststellungen der Ermittlungsbeamten eine erhebliche Bedeutung zukommt.
cc) Soweit das HZA geltend macht, das FG habe jede Erörterung dazu unterlassen, ob nicht aufgrund der besonderen tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt des Aufgriffs vom Bestehen des Besitzes oder Mitbesitzes des Klägers an den Zigaretten auszugehen gewesen sei, könnten darin Verfahrensrügen zu sehen sein, mit denen die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§76 FGO) und/oder die Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§96 FGO) gerügt werden soll. Diese können jedoch nicht durchgreifen, weil sie nicht in der erforderlichen Weise substantiiert worden sind (vgl. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., §120 Rz. 40, 41). Dem Vortrag, daß sich die Zigaretten in Behältnissen befunden hätten, die üblicherweise von Vietnamesen zum Zigarettentransport benutzt würden, und sich diese entweder bereits in dem Pkw befunden hätten, bevor D zugestiegen sei, oder D sie bei seinem Zusteigen eingeladen hätte und der Kläger dabei hätte bemerken müssen, daß es sich bei den zugeladenen Waren um Zigaretten gehandelt habe, die wegen ihrer Menge nicht mehr als Reisegepäck hätten angesehen werden können, läßt sich keiner der genannten Verfahrensfehler schlüssig entnehmen.
d) Da das FG den Besitz des Klägers an den Zigaretten als Voraussetzung für dessen Zollschuldnerschaft als nicht erwiesen erachtet hat und es insoweit von einem "non liquet" ausgegangen ist, hat es seine Entscheidung zutreffend davon abhängig gemacht, welchen der Beteiligten die objektive Feststellungslast hinsichtlich dieser Voraussetzung trifft. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat es dazu ausgeführt, daß es im finanzgerichtlichen Verfahren zwar keine gesetzlich festgelegten Regeln über die Verteilung der objektiven Feststellungslast gibt, aber den Steuergläubiger grundsätzlich die Feststellungslast für die steuerbegründenden Tatsachen trifft. Eine Abkehr von diesem Grundsatz ist danach nur dann geboten, wenn die Nichterweislichkeit sich auf eine Tatsache bezieht, die im alleinigen Willens- und Wissensbereich des Inanspruchgenommenen liegt (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juli 1986 VII R 145/85, BFHE 147, 208, BStBl II 1986, 857; vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760, und vom 26. März 1980 VII R 97/76, BFHE 130, 209). Aus dem Umstand, daß sich die Zigaretten im Streitfall im Kenntnisbereich und in der Einflußsphäre des Klägers befunden haben, hat das FG hier aber mit Recht nicht geschlossen, daß den Kläger die Feststellungslast hinsichtlich der Zuordnung des Eigentums und des sich daraus ergebenden Besitzes trifft. Denn sowohl die Polizeibeamten, die die Zigaretten aufgegriffen haben, als auch das mit der weiteren Ermittlung befaßte Zollfahndungsamt haben D, der sich von Anfang an zum Eigentum an den Zigaretten bekannt hat, als deren Eigentümer angesehen, ohne dessen Angabe in Zweifel zu ziehen und die Sache z. B. hinsichtlich eines eventuellen Mitbesitzes des Klägers weiter aufzuklären. Schon deshalb muß die jetzt fehlende Möglichkeit, die Sache aufzuklären, zu Lasten des HZA gehen.
Zu der Behauptung des HZA, der Kläger, seine Ehefrau und D hätten gezielt eine Situation herbeigeführt, die für die Ermittlungsbeamten unaufklärbar gewesen sei, fehlen finanzgerichtliche Feststellungen, ohne daß das HZA dies mit einer Verfahrensrüge angegriffen hat. Der insoweit neue Tatsachenvortrag des HZA kann daher im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§118 Abs. 2 FGO).
Die nach alledem unbegründete Revision des HZA ist daher gemäß §126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 67264 |
BFH/NV 1998, 893 |
HFR 1998, 575 |