Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält an den Grundsätzen seines Urteils VI R 5/68 vom 17. Mai 1968 (BFH 92, 392, BStBl II 1968, 570) fest, daß bei Kraftfahrzeugen eine Bindung an die Berliner Betriebstätte fortbesteht, wenn sie in jedem der drei Bindungsjahre überwiegend im Verkehr von und nach Berlin eingesetzt werden.
2. Ob der Einsatz im Berlinverkehr überwiegt, muß nach dem Gesamtbild des Einsatzes beurteilt werden. Es genügt dabei nicht, daß allein die im Berlineinsatz gefahrenen Kilometer überwiegen.
2. Auch bei einem im Linienverkehr von und nach Berlin eingesetzten Omnibus muß dieser Verkehr den Gelegenheits- und Ausflugsverkehr außerhalb Berlins überwiegen.
Normenkette
BHG 1964 § 19; BHG 1962 § 21
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte, der Mitgesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG) ist, erwarb durch notariellen Vertrag vom 16. Februar 1965 die Firma X., die einen Reisebüro- und Omnibusbetrieb in A. mit einer Betriebstätte in Berlin (West) unterhält. Zum Anlagevermögen der Berliner Betriebstätte gehörte der im Juli 1964 erworbene Autobus mit dem Kennzeichen ... Bei Abschluß des Kaufvertrages befand sich der Autobus noch in der Finanzierung; diese wurde vom Revisionsbeklagten in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen.
Dem Antrag des Revisionsbeklagten auf Gewährung einer Investitionszulage für den Autobus vom 9. März 1965 entsprach das FA erst nach längerem Schriftwechsel und nach Vorlage u. a. des Kaufvertrages, eines Auszuges aus dem Handelsregister, der Rechnung über den Kauf des Autobusses, der Genehmigungsurkunde für den Bus und der Bescheinigung über die Betriebstätte in Berlin mit Bescheid vom 31. Januar 1967. Es gewährte nach § 19 BHG eine Investitionszulage von rund 8 565 DM.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 1968 forderte das FA die Investitionszulage zurück mit der Begründung, daß das Fahrzeug seit seiner Anschaffung nicht mindestens drei Jahre überwiegend im Verkehr von und nach Berlin eingesetzt worden sei. Das FG gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1969 S. 440 (EFG 1969, 440) auszugsweise veröffentlichten Urteil statt und hob den Rückforderungsbescheid ersatzlos auf.
Das FG ließ es dahingestellt, ob das FA die Investitionszulage überhaupt hatte gewähren dürfen, weil der Autobus nicht durch den Revisionsbeklagten, sondern durch dessen Rechtsvorgänger erworben worden und damit nicht neu im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 BHG gewesen sei. Denn insoweit habe das FA nicht "nach der Auszahlung der Investitionszulage" festgestellt, daß die Voraussetzungen für ihre Gewährung nicht vorgelegen hätten. Das FA habe sich mit der Bearbeitung des Antrags auf Investitionszulage fast zwei Jahre Zeit gelassen; ihm hätten alle Unterlagen, die zur Klärung des Sachverhalts erforderlich waren, vorgelegen. Nach der Auszahlung der Investitionszulage habe das FA insoweit keinerlei Feststellungen mehr getroffen.
Das FG hielt den Rückforderungsanspruch auch nicht nach § 19 Abs. 5 Satz 2 BHG für begründet. Hiernach sei die Investitionszulage nur zurückzuzahlen, wenn das begünstigte Wirtschaftsgut nicht mindestens drei Jahre seit der Anschaffung in einem Betrieb (Betriebstätte) in Berlin (West) verblieben sei. Dieser Rückforderungsanspruch entstehe mit dem Ausscheiden des Wirtschaftsgutes aus dem Betrieb in Berlin. Der Autobus sei aber seit der Anschaffung im Juli 1964 bis zum Juni 1967 in der Berliner Betriebstätte verblieben. Bei einem Transportmittel könne dieses Verbleiben notwendigerweise nicht nur einen Einsatz im Raum Berlin bedeuten, da Transportmittel der Überbrückung von Entfernungen dienen sollten. Der Senator für Finanzen Berlin habe es deshalb mit Erlaß vom 21. April 1961 (Steuer- und Zollblatt Berlin 1961 S. 315) genügen lassen, daß eine dauerhafte, zeitliche und räumliche Verbindung solcher Wirtschaftsgüter zu einer Berliner Betriebstätte bestehe. Soweit es nach diesem Erlaß genüge, daß das Fahrzeug in Berlin polizeilich zugelassen sei und hier seinen Standort habe, habe dem der BFH im Urteil VI R 5/68 vom 17. Mai 1968 (BFH 92, 392, BStBl II 1968, 570) zutreffend widersprochen, weil das Fahrzeug tatsächlich der Berliner Wirtschaft dienen müsse. Durch die Investitionszulage solle die Berliner Wirtschaft gestärkt werden; dieses Ziel könne nur dann erreicht werden, wenn das Wirtschaftsgut im Interesse Berlins auch tatsächlich genutzt werde. Ob das der Fall sei, müsse im Einzelfall unter Berücksichtigung der Wesensart und der Zweckbestimmung des Wirtschaftsguts beurteilt werden.
Daß die Berliner Wirtschaft gestärkt werde, habe der BFH in dem angeführten Urteil VI R 5/68 für Lastzüge dann bejaht, wenn diese überwiegend dem Verkehr von und nach Berlin dienten. Daß die Fahrzeuge nur im Verkehr zwischen Berlin und der Bundesrepublik eingesetzt werden dürften, habe der BFH nicht gefordert, weil das den branchebedingten Besonderheiten des Verkehrsgewerbes nicht gerecht würde. Eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung zwinge dazu, auch Zwischenfahrten außerhalb des Berlinverkehrs zuzulassen. Der BFH habe deshalb eine räumliche Bindung des Fahrzeugs zu einem Berliner Betrieb noch als gegeben angesehen, wenn das Fahrzeug überwiegend und regelmäßig, d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechung, Fahrten von und nach Berlin ausführe, die Fahrten innerhalb der Bundesrepublik also nicht überwögen.
Der vom FA aus diesem Urteil hergeleiteten Auffassung, daß der überwiegende Einsatz im Berlinverkehr nur nach den Einsatztagen ermittelt werden könne, folge das FG nicht. Mit einer derartigen einengenden Auslegung werde den Besonderheiten des Verkehrsgewerbes, insbesondere des Reise- und Omnibusverkehrs nicht genügend Rechnung getragen. Der Einsatz dieser Fahrzeuge ergebe sich weniger durch die Einsatztage, sondern mehr durch die Fahrleistungen; denn die Fahrleistung bestimme den wirtschaftlichen Einsatz des Fahrzeugs. Um dem Einzelfall gerecht zu werden, könne auch nicht nur auf die Fahrleistung abgestellt werden; andernfalls brauchte ein Fahrzeug nur in den ersten drei Monaten eines Jahres im Berlinverkehr mit einer Fahrleistung von 30 000 km eingesetzt zu werden und könnte dann in den übrigen neun Monaten anderweitig verwendet werden, wenn es dabei nur unter 30 000 km Fahrleistung bleiben würde. In einem solchen Fall aber könnte von einer dauerhaften zeitlichen und räumlichen Bindung zu einer Berliner Betriebstätte nicht mehr die Rede sein.
Von diesen Grundsätzen ausgehend bejahte das FG die Frage der dreijährigen Bindung: Der Autobus sei ohne große zeitliche Unterbrechungen überwiegend im Berlinverkehr gefahren, und zwar im Jahre 1964/1965 bis auf den Monat November 1964 mit 55 532 km gegenüber 34 796 km außerhalb des Berlinverkehrs; im Jahre 1965/1966 bis auf die Monate Februar und Juni 1966 mit 53 246 km zu 31 673 km und im Jahre 1966/1967 bis auf die Monate Februar mit April 1967 mit 37 023 km zu 24 081 km. Der Autobus habe auch nicht etwa dadurch, daß er von Februar bis April 1967 außerhalb des Berlinverkehrs eingesetzt gewesen sei, seine Bindung zu Berlin verloren. Der Kläger betreibe u. a. einen konzessionierten Linienverkehr zwischen C und Berlin mit wöchentlich zwei Hin- und Rückfahrten. Dieser Linienverkehr könne und werde nicht nur mit einem Autobus betrieben, da ein einziger Autobus bei Inspektion, Reparaturen usw. den Verkehr nicht aufrechterhalten könne. Der Kläger habe aber nur für einen seiner zwei im Linienverkehr eingesetzten Autobusse die Investitionszulage beantragt und erhalten. Durch diese Investitionszulage werde er gegenüber Verkehrsunternehmen in der Bundesrepublik, die keine Betriebstätte in Berlin unterhielten, auch nicht ungerechtfertigt im Wettbewerb bevorzugt, da der Berlinverkehr, insbesondere der Linienverkehr, durch Störungen aus politischen Gegebenheiten auch zu wirtschaftlichen Einbußen führen könne.
Die Revision des FA rügt mangelnde Aufklärung des Sachverhalts und Verletzung materiellen Rechts. Das FA macht geltend: Das FG hätte klären müssen, ob der Autobus während der anderen, d. h. vom FG nicht angesetzten, Zeit im Unternehmen des Revisionsbeklagten, der Y OHG in D, eingesetzt worden sei und ob der Autobus nicht zum Betriebsvermögen der Y OHG gehört habe, weil er ständig durch die OHG gewartet und eingesetzt worden sei. Die Auffassung des FG, die räumliche Bindung des Fahrzeugs sei noch gegeben, wenn die Fahrleistungen im Berlinverkehr diejenigen in der Bundesrepublik erheblich überstiegen, stehe nicht im Einklang mit dem BFH-Urteil VI R 5/68 (a. a. O.), weil dieses von einem Überwiegen der Einsatztage ausgegangen sei. Im Streitfall sei der Autobus im Drittjahr nur an 60 Tagen im Berlinverkehr eingesetzt gewesen. An den weiteren 148 Tagen habe der Revisionsbeklagte einen anderen Bus eingesetzt. In der Zeit vom Februar bis April 1967 sei jedenfalls der Autobus nicht an einem einzigen Tage im Berlinverkehr gefahren. Diese Unterbrechung könne nicht mit dem Erfordernis der Wartung und Inspektion gerechtfertigt werden. Die erheblichen zeitlichen Unterbrechungen könnten auch nicht als durch den Einsatz eines anderen Busses ausgeglichen betrachtet werden. Aus dem BHG lasse sich eine solche Auslegung nicht herleiten. Schließlich habe das FG auch nicht berücksichtigt, daß der Autobus nicht neu gewesen sei und deshalb eine Investitionszulage nicht habe beansprucht werden können.
Der Revisionsbeklagte macht in seiner Stellungnahme geltend, daß das FA im Verfahren vor dem FG niemals bestritten habe, daß der Autobus zum Betriebsvermögen der Berliner Betriebstätte gehört habe. Die Frage des Gesamteinsatzes habe das FG zutreffend beurteilt, da eine Aufteilung nach Tagen den besonderen Verhältnissen im Linienverkehr nicht gerecht werde.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA ist begründet.
Das FG ist allerdings zutreffend von den im Urteil des Senats VI R 5/68 (a. a. O.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen. In diesem Urteil hat der Senat dargelegt, daß das Erfordernis des dauernden - einen Zeitraum von drei Jahren umfassenden - Verbleibens des begünstigten Wirtschaftsgutes in Berlin (West) für Kraftfahrzeuge nicht bedeutet, daß sie in der Betriebstätte selbst verblieben sein müßten. Mit Recht ist in dem Erlaß des Senators für Finanzen in Berlin (a. a. O.) die räumliche Bindung eines Transportmittels an einer Berliner Betriebstätte auch für den Fall bejaht, daß dieses dem Verkehr von und nach Berlin dient. Der Senat hat zwar Zwischenfahrten in der Bundesrepublik als solche nicht als für die räumliche Bindung an Berlin schädlich betrachtet. Er ist dabei aber, wie in der genannten Entscheidung ausdrücklich betont, davon ausgegangen, daß das Fahrzeug überwiegend und regelmäßig, d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechungen, Fahrten von und nach Berlin ausführt. Hieran hält der Senat auch für den Streitfall, der einen Autobus im Linienverkehr betrifft, fest.
Für den Einsatz eines Autobusses im Linienverkehr von und nach Berlin können keine geringeren Anforderungen gestellt werden als im Verkehr mit Lastzügen. Der Senat ist vielmehr der Meinung, daß an den Verkehr mit Omnibussen im Linienverkehr strengere Anforderungen gestellt werden müssen als an den Verkehr mit Schwerstlastzügen. Der Lastzugverkehr ist in der Regel kein Linienverkehr. In einer Vielzahl von Fällen wird eine Rückfracht nicht am Zielort gefunden werden können, sondern an anderen Orten aufgenommen werden müssen. Deshalb hat der Senat - immer vorausgesetzt, daß es sich um einen Einsatz von Berlin aus handelt - auch Zwischenfahrten zu einem dritten Ort für unschädlich gehalten. Für den Linienverkehr treffen derartige Erwägungen nicht zu. Im Linienverkehr mit Omnibussen weiß der Unternehmer und ist es der Zweck, daß am Zielort (oder den übrigen Orten der Route) Fahrgäste für die Rückfahrt nach den für den Linienverkehr gegebenen Bestimmungen aufgenommen werden. Der Bus muß infolgedessen für die Rückfahrt so, wie sie im Fahrplan vorgesehen ist, eingesetzt werden. Läßt der Fahrplan zeitlich einen Einsatz des Autobusses für Zwischenfahrten zu, so wird man zwar nach den Grundsätzen des Urteils VI R 5/68 (a. a. O.) den Einsatz des Autobusses in der Bundesrepublik zu "gewissen" Zwischenfahrten nicht schlechthin für schädlich halten, die räumliche Bindung des Fahrzeugs an die Berliner Betriebstätte also nicht ohne weiteres als aufgehoben ansehen können. Von einem überwiegenden Einsatz des Omnibusses im Berlinverkehr, der die räumliche Bindung an die Berliner Betriebstätte nicht beeinträchtigt, kann aber nur die Rede sein, wenn der Autobus im Auftrag und für Rechnung der Berliner Betriebstätte mit wöchentlich mehr Einsatztagen im Berlinverkehr als mit Zwischenfahrten in der Bundesrepublik beschäftigt ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats wird es gerade den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht gerecht, wenn man die räumliche Bindung an die Berliner Betriebstätte allein deswegen bejaht, weil die im Berlinverkehr gefahrenen Kilometer überwiegen. Die Frage der räumlichen Bindung an die Berliner Betriebstätte muß nach dem Gesamtbild des Fahrzeugeinsatzes beurteilt werden. In der Regel wird es genügen, bei einem Omnibusunternehmen auf die Zahl der Einsatztage abzustellen. In Grenzfällen mag es aber geboten sein, auch die Kilometerleistung der jeweiligen Einsätze mit in die Abgrenzung einzubeziehen.
Das Urteil des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Es war deshalb aufzuheben. Das FG wird bei der erneuten Sachwürdigung für jedes der in Betracht kommenden drei Jahre für die Abgrenzung der räumlichen Bindung an die Berliner Betriebstätte, insbesondere auf die Zahl der jeweiligen Einsatztage im Berlinverkehr und für Fahrten in der Bundesrepublik abzustellen haben. Es wird insbesondere prüfen müssen, ob die Behauptung des FA, das mangelnde Sachaufklärung gerügt hat, zutrifft, daß der zulagebegünstigte Omnibus im Drittjahr nur an 60 Tagen und insbesondere im Drittjahr innerhalb von drei Monaten überhaupt nicht im Berlinverkehr eingesetzt gewesen ist. Stellt sich dabei heraus, daß der zulagebegünstigte Bus innerhalb dieser drei Monate nur für Fahrten in der Bundesrepublik eingesetzt war, so ist damit die räumliche Bindung an die Berliner Betriebstätte nicht mehr gegeben gewesen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Omnibus während dieser Zeit wegen einer umfassenden Reparatur langfristig stillgelegt worden war und erst später wieder im Berlinverkehr verwendet werden konnte und verwendet worden ist.
Nicht mehr gehört werden kann das FA, worauf das FG zutreffend hingewiesen hat, mit dem Einwand, daß für den Omnibus eine Investitionszulage überhaupt nicht hätte bewilligt werden dürfen, weil er bei der Anschaffung nicht mehr neu gewesen ist. Ob der Omnibus zum Betriebsvermögen der in der Bundesrepublik belegenen OHG des Revisionsbeklagten gehört hat, wird das FG auch im Rahmen der erneut zu treffenden Sachfeststellungen zu prüfen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 69401 |
BStBl II 1971, 314 |
BFHE 1971, 459 |