Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbungskostenpauschbetrag bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung: Zum Merkmal „Wohnzwecken dienen“
Leitsatz (NV)
Ein Gebäude, das nach den Regelungen des Mietvertrages als Gemeinschaftsunterkunft zur fremdbestimmten Unterbringung von Personen zur Verfügung gestellt wird und keine eigenständige Haushaltsführung zulässt, dient nicht Wohnzwecken im Sinne des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.
Normenkette
EStG § 9a S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (EFG 2001, 1367) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind als Mitglieder der Grundstücksgemeinschaft X (Gemeinschaft) Miteigentümer eines ehemaligen Sanatoriums, das im Streitjahr (1996) an den Landkreis zum Zwecke der Unterbringung der dem Landkreis zur Aufnahme zugewiesenen Flüchtlinge vermietet war; weitere Leistungen an die Asylbewerber erbrachten die Kläger nicht. Nach den Regelungen des Mietvertrages trug der Landkreis aufgrund eigener Vertragsbeziehungen mit den Leistungserbringern die Betriebskosten.
Den in der Feststellungserklärung der Gemeinschaft für das Streitjahr geltend gemachten Werbungskosten-Pauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 1996 (EStG) berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) nicht.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1367 veröffentlichten Urteil die Auffassung, dass das Gebäude nicht i.S. des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG Wohnzwecken diene.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG. Das Tatbestandsmerkmal "Wohnzwecken dienen" sei ―anders als bei §§ 7c, 10e EStG― rein funktional dahin auszulegen, dass es alle Räume erfasse, die unabhängig von ihrer tatsächlichen Nutzung objektiv geeignet seien, Wohnzwecken zu dienen. Diese Auffassung entspreche R 42a der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Anwendung des Einkommensteuerrechts (Einkommensteuer-Richtlinien 1996; BStBl I 1997, Sondernummer 1, S. 58 ―EStR 1996―) und dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 23. September 1997 (BStBl I 1997, 895). Eine andere Auslegung verkompliziere das Veranlagungsverfahren und verstoße gegen die gängige Verwaltungspraxis.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben sowie den Bescheid des FA über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung und die Förderung des Wohneigentums für 1996 in Gestalt des Änderungsbescheides dahin gehend zu ändern, dass Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von … DM gesondert und einheitlich festgestellt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass das zur Unterbringung von Flüchtlingen an den Landkreis vermietete Gebäude nicht Wohnzwecken i.S. des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG dient.
1. Nach § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG konnte im Streitjahr von den Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung von Gebäuden, soweit sie Wohnzwecken dienen, für Werbungskosten ein Pauschbetrag von 42 DM pro Quadratmeter Wohnfläche abgezogen werden. Ein Gebäude, das nach den Regelungen des Mietvertrages als Gemeinschaftsunterkunft zur fremdbestimmten Unterbringung von Personen zur Verfügung gestellt wird, dient nicht Wohnzwecken i.S. des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 3. Juni 1997 IX R 24/96, BFH/NV 1998, 155; BFH-Beschluss vom 5. Oktober 1998 IX B 93/98, BFH/NV 1999, 310, Leitsatz, juris-Dokument Nr. STRE985108960; jeweils zu § 7c Abs. 4 EStG).
a) Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den er hineingestellt ist (ständige Rechtsprechung: Urteil des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312; BFH-Urteil vom 29. März 2001 IV R 49/99, BFHE 195, 257, BStBl II 2001, 437, m.w.N.). Der die Vorschrift prägende Regelungszweck ist dabei Maßstab der teleologischen Auslegung (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 155, unter a).
b) Ein Gebäude dient danach Wohnzwecken i.S. des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG, wenn es dazu geeignet und bestimmt ist, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen (vgl. BFH-Urteile vom 14. März 2000 IX R 8/97, BFHE 191, 502, BStBl II 2001, 66, unter II. 1. a, zu § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG 1990; vom 4. September 2000 IX R 75/99, BFH/NV 2001, 429, unter II. 1. a, zu § 82b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ―EStDV―; zur hiervon abweichenden Definition in § 5 des Grundsteuergesetzes vgl. BFH-Urteile vom 15. März 2001 II R 38/99, BFH/NV 2001, 1449, unter II. 3.; vom 21. April 1999 II R 5/97, BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496). Das Merkmal umschreibt einen durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gekennzeichneten Lebenssachverhalt (BFH-Beschluss vom 28. Mai 2002 IX B 208/01, BFH/NV 2002, 1284, unter II. 2. a; BFH-Urteil vom 23. Juli 1997 X R 143/94, BFH/NV 1998, 160). Dabei ist auf die (beabsichtigte) Nutzung des Gebäudes bzw. Gebäudeteils abzustellen (vgl. BFH-Urteile vom 21. August 2001 IX R 52/98, BFH/NV 2002, 325, unter II. 1. b; vom 31. März 1998 IX R 18/96, BFHE 185, 471, BStBl II 1998, 386, unter 2. c; vom 30. Juni 1995 VI R 39/94, BFHE 178, 80, BStBl II 1995, 598). Das Merkmal "Wohnzwecken dienen" i.S. des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG setzt entgegen der Auffassung der Revision nicht nur die (abstrakte) Eignung, sondern auch die (konkrete) Bestimmung des Gebäudes (durch den Vermieter) voraus, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen; es liegt dabei in der Hand des Vermieters, zu welchen Zwecken er sein Gebäude vermietet (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 429, unter II. 1. a).
Diese Auslegung ergibt sich aus dem der Vorschrift nach dem Willen des historischen Gesetzgebers zugrunde liegenden Regelungszweck. Der Gesetzgeber wollte den Pauschbetrag für die Vermietung von Wohngebäuden des Privatvermögens gewähren, soweit Einnahmen aus der Vermietung zu Wohnzwecken erzielt werden (BTDrucks 13/901, S. 132 zu Nr. 11); dabei sollte das häusliche Arbeitszimmer aus Vereinfachungsgründen ―wie bei § 7 EStG (vgl. dazu R 42a Abs. 3 Satz 2 EStR 1996)― den Wohnzwecken dienenden Räumen zugerechnet werden, obgleich es nicht Wohnzwecken dient (BFH-Urteile in BFHE 178, 80, BStBl II 1995, 598, zu § 7 Abs. 5 EStG; vom 27. September 2001 X R 92/98, BFHE 197, 40, BStBl II 2002, 51, zu § 10e EStG). Dies ist nur erklärlich, wenn der Gesetzgeber auf die konkret vereinbarte Nutzungsüberlassung abstellen wollte und von der durch Rechtsprechung und Verwaltung entwickelten allgemeinen Definition des Merkmals "Wohnzwecken dienen" ausgegangen ist. Das FG hat daher zutreffend angenommen, dass das Merkmal "Wohnzwecken dienen" in § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG wie in anderen Vorschriften des EStG, beispielsweise in § 7 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 3, § 7c Abs. 4, § 10e Abs. 1 Satz 2 oder § 21 Abs. 2 EStG auszulegen ist (zur einheitlichen Auslegung dieses Merkmals vgl. BFH-Urteile in BFHE 191, 502, BStBl II 2001, 66, zu § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG 1990; in BFH/NV 2001, 429, zu § 82b EStDV; vgl. BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587, zu § 4 des Eigenheimzulagengesetzes; siehe auch Urteil des FG Berlin vom 19. März 2001 9 K 9154/00, EFG 2001, 814; Urban, Finanz-Rundschau 1996, 1, 2; zur Auslegung gleichlautender Gesetzesbegriffe allgemein Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Tz. 264 f., m.w.N.).
c) Die gegen eine einheitliche Auslegung erhobenen Einwände der Revision greifen nicht durch.
Zwar unterscheidet, worauf die Kläger zutreffend hinweisen, § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG ―anders als §§ 7c, 10e EStG― nicht zwischen eigenen oder fremden Wohnzwecken. Dies gilt allerdings beispielsweise ebenso für § 7 Abs. 4 Nr. 1 und § 7 Abs. 5 Nr. 3 EStG, bei denen das Merkmal "Wohnzwecken dienen" in gleicher Weise ausgelegt wird.
Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht der Gesichtspunkt, dass der Werbungskosten-Pauschbetrag des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG als Maßnahme zur Steuervereinfachung eingeführt worden ist (BTDrucks 13/901, S. 126, 3. Spiegelstrich; BTDrucks 13/1558, S. 125, 9. Spiegelstrich). Der Gesetzgeber hat diesen Zweck nicht umfassend umgesetzt, sondern den Pauschbetrag ohne Begründung auf Gebäude im Privatvermögen, die Wohnzwecken dienen, beschränkt; sei es, weil er für andere Fälle kein Vereinfachungsbedürfnis sah (Prinz in Herrmann/Heuer/ Raupach ―HHR―, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 9a EStG Anm. 45), sei es, weil er davon ausging, dass sich in anderen Fällen die Werbungskosten einer Typisierung entziehen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 2002 IX R 72/99, BFHE 200, 516, BStBl II 2003, 399, unter II. 2. a, m.w.N. bzgl. § 9a Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG).
Eine andere Auslegung ist im Streitfall auch nicht durch Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geboten (zu Art. 3 Abs. 1 GG und R 42a EStR vgl. BFH-Urteil in BFHE 178, 80, BStBl II 1995, 598). Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich weder aus R 42a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EStR 1996 noch aus dem BMF-Schreiben vom 23. September 1997 IV B 3 -S 2214- 40/97 (BStBl I 1997, 895, 896 Tz. 1.1.2.) eine abweichende Praxis der Finanzverwaltung. Auch diese stellt ―wie die Rechtsprechung― auf die Nutzung des Gebäudes ab (BMF-Schreiben in BStBl I 1997, 895 Tz. 1.1.2., 1. Spiegelstrich), nur wenn das Gebäude dazu geeignet und bestimmt sei, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen, diene es Wohnzwecken (R 42a Abs. 1 Satz 1 EStR 1996).
2. Hiernach ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass das vermietete Gebäude nicht Wohnzwecken dient. Im Streitfall fehlt es sowohl an der Eignung wie auch an der Bestimmung des Gebäudes, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu gewähren. Gegenstand des Mietvertrages der Kläger mit dem Landkreis sind nicht einzelne Wohnungen, die bestimmten Personen auf Dauer zur Nutzung überlassen werden, sondern das gesamte ehemalige Sanatorium als Gemeinschaftsunterkunft. Zwar haben die Kläger nach den bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) tatsächlichen Feststellungen des FG daneben keine weiteren Leistungen erbracht, allerdings ließ die Gemeinschaftsunterkunft für ca. 80 Personen bereits eine eigenständige Haushaltsführung der Bewohner nicht zu; ihr Aufenthalt war zudem nicht freiwillig.
Fundstellen
Haufe-Index 1003402 |
BFH/NV 2003, 1551 |