Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Betriebsübernehmers
Leitsatz (NV)
1. Eine Haftung des Betriebsübernehmers nach § 75 AO 1977 kommt auch dann in Betracht, wenn der Erwerber im fremden Sicherungseigentum stehendes Betriebsvermögen übernimmt. Die Ablehnung des Antrags des bisherigen Betriebsinhabers auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse kann zwar ein Indiz dafür sein, daß ein ,,lebendes" Unternehmen nicht mehr vorhanden ist; sie ist aber kein Kriterium, das eine Haftung des Betriebsübernehmers nach § 75 AO 1977 generell ausschließt.
2. Der Bescheid über die Haftung nach § 75 AO 1977 ist jedenfalls dann hinreichend bestimmt, wenn darin der Vermögenswert angegeben wird, auf den die Haftung beschränkt ist.
3. Zwischen den Haftungstatbeständen des § 69 AO 1977 und des § 75 AO 1977 besteht keine Rangordnung, in der Weise, daß grundsätzlich der Haftende nach § 69 AO 1977 vor dem Haftenden nach § 75 AO 1977 in Anspruch zu nehmen ist. Eine besondere Begründung der Ermessensentscheidung erübrigt sich, wenn nur eine Begründung in Betracht kommt und diese Gründe sich den Beteiligten aus der Kenntnis der Umstände des Falles aufdrängen müssen.
Normenkette
AO 1977 §§ 5, 69, 75, 121 Abs. 2 Nr. 2, § 191 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hat die Mutter der Klägerin mit Haftungsbescheid für die Zahlung von insgesamt . . .DM als Betriebsübernehmerin gemäß § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung genommen. Der Haftungsbescheid bezieht sich auf folgende Umsatzsteuerschulden der GmbH:
Umsatzsteuer Juli 1981 . . .DM, Umsatzsteuer August 1981 . . . DM, Umsatzsteuer September 1981 . . . DM, Umsatzsteuer Oktober 1981 . . . DM, Umsatzsteuer November 1981 . . . DM, Umsatzsteuer Dezember 1981 . . . DM (darin enthalten . . .DM aus der Veräußerung an A), Umsatzsteuer März 1982 . . . DM, Umsatzsteuer April 1982 . . . DM, Umsatzsteuer Juni 1982 . . . DM (darin enthalten . . .DM Umsatzsteuer aus der Veräußerung an die Klägerin).
Die GmbH betrieb ihr Unternehmen auf einem gemieteten Grundstück. Gegenstand des Unternehmens war der Transport und die Beförderung von Gütern aller Art, der Betrieb sämtlicher Speditionsgeschäfte und der Betrieb einer Kfz-Werkstätte. Das Unternehmen teilte sich tatsächlich in folgende Bereiche auf: Handel und Reparatur von Spezialfahrzeugen, Erdbau, Fuhrleistungen.
Im Dezember 1980 veräußerte die GmbH den Teilbereich ,,Fuhrleistungen" mit sämtlichen fahrbereiten Fahrzeugen, Kundenstamm und laufenden Aufträgen an A. Von einer Inanspruchnahme der A gemäß § 75 AO 1977 wurde abgesehen, weil ihr bereits sämtliche Fahrzeuge sicherungsübereignet waren.
Die GmbH führte das verbliebene Unternehmen weiter. Da sich die wirtschaftliche Lage der GmbH seit 1981 ständig verschlechterte, erwarb die Mutter der Klägerin am 30. Juni 1982 von der GmbH im einzelnen in der Vorentscheidung aufgeführte Gegenstände im Gesamtwert von . . . DM zuzüglich . . . DM Mehrwertsteuer. Davon waren ihr bereits vorher Wirtschaftsgüter zum Nettobetrag von . . . DM für die Gewährung eines Darlehens sicherungsübereignet worden. Die übrigen Gegenstände bis auf Reifen standen im Sicherungseigentum anderer Gläubiger. Die Mutter der Klägerin bezahlte die sicherungsübereigneten Gegenstände in der Weise, daß sie die Finanzierung dieser Gegenstände bei den Sicherungsnehmern ablöste oder bestehenden Darlehensverträgen als zusätzliche Gesamtschuldnerin beitrat. Die anfallende Umsatzsteuer aus den Rechnungen der GmbH sollte an die GmbH entrichtet werden. Die Mutter der Klägerin kaufte ferner fünf zum Anlagevermögen der GmbH gehörende Lkws von der Bank, die dieser sicherungsübereignet worden waren. Diese Fahrzeuge wurden bereits in der Eröffnungsbilanz der Klägerin zum 30. Juni 1982 als Anlagevermögen ausgewiesen.
Die Mutter der Klägerin trat in bestehende Lieferverträge der GmbH ein und übernahm zumindest einen Teil des Kundenstamms und der Arbeitnehmer der GmbH.
Sie betrieb ab 30. Juni 1982 auf demselben Anwesen wie davor die GmbH ein Unternehmen, das sich auf die Bereiche Kfz-Werkstatt, Containerdienst und Erdbau erstreckte. Nennenswerte Investitionen wurden von ihr nicht vorgenommen. Das Anwesen hatte sie - wie zuvor die GmbH - nur gepachtet.
Der von der GmbH im Juli 1982 gestellte Antrag auf Konkurseröffnung über ihr Vermögen wurde durch Beschluß des Amtsgerichts mangels Masse abgelehnt. Die GmbH wurde aufgelöst und ging in Liquidation.
Das FA nahm die Mutter der Klägerin in Anspruch, weil die GmbH die Zahlungsvereinbarungen betreffend ihrer Steuerrückstände nicht eingehalten hatte und der Antrag auf Konkurseröffnung mangels Masse abgelehnt worden war. Zum Auswahlermessen führte das FA aus, daß die Mutter der Klägerin neben einem anderen Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen gewesen sei, weil die GmbH überschuldet bzw. zahlungsunfähig gewesen sei. Sie sei insbesondere deshalb in Haftung zu nehmen, weil sie als nahestehende Person in einem besonderen Verhältnis zu den Gesellschaftern der GmbH gestanden habe, die Anlagegüter des konkursbedrohten Unternehmens erwarb und die Vorsteuer geltend machte, während die GmbH die Umsatzsteuer aus der Veräußerung nicht mehr zahlen konnte.
Die gegen den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhobene Klage hatte nur teilweise Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) sah die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 als erfüllt an. Es führte im wesentlichen aus, das FA habe die Mutter der Klägerin zu Recht als Haftende für die Umsatzsteuerschulden der GmbH für die Monate März, April und Juni 1982 in Höhe von insgesamt . . . DM in Anspruch genommen. Dieser Betrag sei in dem Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer der GmbH nicht erfaßt worden, weil das FA nicht mehr habe feststellen können, zu welchem Teil die anderen Gläubiger der GmbH während dieses Zeitraums befriedigt worden seien.
Für die Monate Juli bis Dezember 1981 komme jedoch nur eine Inanspruchnahme der Klägerin in Höhe von . . . DM in Betracht, weil die rückständigen Steuerbeträge nur in diesem Umfang dem übereigneten (verkleinerten) Unternehmensteil der GmbH zuzurechnen wären. Dabei ging das FG davon aus, daß von den Umsatzsteuerrückständen 1981 in Höhe von . . . DM ein Betrag von . . . DM abzuziehen sei, weil es sich insoweit um die Mehrwertsteuer für die Veräußerung des Betriebsteils der GmbH an A handele. Der verbleibende Rest entfalle nur zu 50 v.H. auf den an die Mutter der Klägerin veräußerten Teil des Unternehmens, weil dieser im Jahre 1981 schätzungsweise 50 v.H. des Umsatzes des Gesamtunternehmens erbracht habe. Jedoch sei die Inanspruchnahme der Klägerin selbst in Höhe dieses Betrages nicht rechtmäßig, weil die Ermessensentscheidung des FA insoweit wegen nicht ausreichender Begründung fehlerhaft sei.Der Senat hat die Revision der Klägerin und des FA zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Die Revision des FA ist dagegen begründet. Da die Sache insoweit auch spruchreif ist, führt die Revision im Rahmen des Revisionsantrags zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Neufestsetzung des geltend gemachten Haftungsbetrages (§ 126 Abs. 3 Nr.1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der Senat teilt zwar die Auffassung des FG, wonach im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende gemäß § 75 AO 1977 vorliegen. Er vermag jedoch der Vorinstanz nicht darin zu folgen, daß eine Inanspruchnahme der Klägerin hinsichtlich der auf den übernommenen Teilbetrieb für die Voranmeldungszeiträume Juli bis Dezember 1981 entfallenden Umsatzsteuer mangels einer ausreichenden Ermessensbegründung durch das FA nicht rechtmäßig sei.
2. Zwischen den Beteiligten unstreitig und nicht zu beanstanden ist der Ausgangspunkt der Vorinstanz, wonach im vorliegenden Fall nur eine Haftung der Klägerin wegen der Übernahme des nach der Veräußerung an A verbliebenen Teils der GmbH in Betracht kommt. Insoweit liegen aber entgegen der Auffassung der Klägerin die Voraussetzungen nach § 75 AO 1977 vor. Die nach § 75 AO 1977 geforderte Übereignung des Unternehmens bedeutet den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d.h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann (Urteil des Senats vom 18. März 1986 VII R 146/81, BFHE 146, 492, BStBl II 1986, 589, 591).
a) Die Vorinstanz ist auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, und der vorstehenden Rechtsgrundsätze ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin den Haftungstatbestand des § 75 AO 1977 erfüllt hat. Denn die Klägerin hat die wesentlichen Grundlagen des lebenden Unternehmens, das von der GmbH nach Veräußerung des Teilbetriebs ,,Fuhrleistungen" an A fortgeführt wurde, von der GmbH erworben.
Die Haftung der Klägerin erstreckt sich auf die im Betrieb der GmbH - einschließlich der hier streitigen Unternehmensveräußerung an die Klägerin (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Januar 1982 V S 13/81, BFHE 135, 394, BStBl II 1982, 490) - begründeten Umsatzsteuer für März, April und Juni 1982 in Höhe von . . . DM. Sie erstreckt sich ferner jedenfalls auch auf den für Juli bis Dezember 1981 übernommenen Betriebsteil der GmbH entfallenden geschätzten Anteil von 50 v.H. der von der Gesamt-GmbH geschuldeten Umsatzsteuer abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer aus der Veräußerung an A; danach kommt insoweit ein Haftungsbetrag von . . . DM in Betracht. Die Umsatzsteuer, für die die Klägerin als Haftende in Anspruch genommen wird, ist in dem durch § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 festgelegten Haftungszeitraum entstanden. Der Senat nimmt hinsichtlich der Erfüllung des Haftungstatbestandes auf die zutreffenden Ausführungen des FG Bezug.
Das FG hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Klägerin die wesentlichen Grundlagen der GmbH, nämlich das Anlagevermögen (Fuhrpark, Baugeräte, die Werkstatteinrichtung, Geschäftsausstattung), das gemietete Betriebsgelände, von dem aus das Unternehmen betrieben wurde, sowie die Beziehungen zu Kunden und Mitarbeitern übernommen hat.
Soweit die Revision diesbezüglich mangelnde Sachaufklärung durch das FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) rügt, weil die Klägerin entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht in bestehende Mietverträge der GmbH eingetreten sei, nur einen Teil der Arbeitnehmer der GmbH übernommen habe und nur in einen Liefervertrag der GmbH eingetreten sei, ist die Rüge unzulässig. Sie entspricht nicht der in § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO vorgeschriebenen Form. Die Klägerin hat weder ausgeführt, daß von ihr diesbezüglich angebotene Beweismittel nicht erhoben worden sind, noch hat sie vorgetragen, wo Tatsachen benannt worden sind, hinsichtlich derer sich dem Gericht auch ohne Beweisantritt eine Beweiserhebung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 120 Rz.40).
Dem steht nicht entgegen, daß der wesentliche Teil des übernommenen Anlagevermögens im Sicherungseigentum verschiedener Gläubiger (einschließlich der Klägerin) der GmbH stand und daher im strengen zivilrechtlichen Sinne nicht mehr von der GmbH auf die Klägerin übereignet werden konnte. Denn wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 26. März 1985 VII R 147/81, BFH/NV 1986, 64, m.w.N.) kommt es für die Haftung nach § 75 AO 1977 nur darauf an, daß das wirtschaftliche Eigentum, d.h. die Möglichkeit, über den Einsatz der Gegenstände allein entscheiden zu können, von dem bisherigen Unternehmen auf den Erwerber übergeht.
Etwas anderes ergibt sich, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, auch nicht aus den Urteilen des Senats vom 24. Februar 1987 VII R 163/84 (BFH/NV 1987, 750) und vom 19. Januar 1988 VII R 74/85 (BFH/NV 1988, 479). Denn anders als im vorliegenden Fall erwarb der Übernehmer das Eigentum in jenen Fällen jeweils vom Sicherungsnehmer, ohne daß der frühere Betreiber des Unternehmens an dem Geschäft in irgendeiner Weise beteiligt war. Im vorliegenden Fall erwarb die Klägerin das wirtschaftliche Eigentum dagegen von der GmbH, was sich schon allein aus der Tatsache ergibt, daß sie die Umsatzsteuer für das erworbene Anlagevermögen an die GmbH zahlte. Lediglich für die fünf Lkws, die die Klägerin von der Bank erwarb, zahlte sie die Umsatzsteuer unmittelbar an die Bank. Aber auch insoweit ging nach den Feststellungen der Vorinstanz das wirtschaftliche Herrschaftsverhältnis an den Fahrzeugen von der GmbH unmittelbar auf die Klägerin über, was sich daraus ergibt, daß sich die Lkws bis zu ihrer Veräußerung im Anlagevermögen der GmbH befanden und in der Eröffnungsbilanz der Klägerin als deren Anlagevermögen ausgewiesen wurden.
b) Einer Inanspruchnahme der Klägerin nach § 75 AO 1977 steht auch nicht entgegen, daß der Antrag vom Juli 1982 auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt worden ist. Zwar hat der BFH in seinem Urteil vom 8. Juli 1982 V R 138/81 (BFHE 137, 388, BStBl II 1983, 282) ausgeführt, daß ein lebendes Unternehmen i.S. des § 75 AO 1977 jedenfalls dann nicht mehr vorhanden ist, wenn sich die wesentlichen verwertbaren Gegenstände nicht mehr im Eigentum des Unternehmens, sondern im Eigentum Dritter befinden und sich aus dem Fehlen einer die Kosten des Konkursverfahrens deckenden Konkursmasse ergibt, daß der Erwerber einen gleichartigen Betrieb nicht ohne nennenswerte eigene Investition fortsetzen kann. Hierbei handelt es sich dem Wesen nach jedoch nicht um eine den Senat bindende Entscheidung rechtlicher, sondern um eine - von den Umständen des Einzelfalles abhängige - Aussage tatsächlicher Art. Die Ablehnung des Konkursantrags mangels Masse kann zwar Indiz dafür sein, daß kein lebendes Unternehmen mehr vorhanden ist, welches von dem bisherigen Betriebsinhaber auf den neuen übereignet werden könnte (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 75 AO 1977 Tz.4, letzter Absatz). Sie ist aber nicht ein Kriterium, das eine Haftung des Betriebsübernehmers nach § 75 AO 1977 generell ausschließt. Denn schon anders als im vorliegenden Fall hatte der Erwerber in dem dem Urteil in BFHE 137, 388, BStBl II 1983, 282, zugrundeliegenden Fall die Gegenstände von den Sicherungsnehmern ohne Einschaltung des früheren Betriebsinhabers unmittelbar erworben. Außerdem ergibt sich aus den den Senat auch insoweit bindenden Feststellungen der Vorinstanz, daß die Klägerin das von der GmbH übernommene Unternehmen ohne nennenswerte Investitionen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 12. März 1985 VII R 140/81, BFH/NV 1986, 62, und vom 13. Januar 1987 VII R 47/85, BFH/NV 1988, 1) fortführen und sogar für 1982 einen Gewinn erzielen konnte. Daraus hat die Vorinstanz mit Recht den Schluß gezogen, daß die Klägerin von der GmbH ein noch lebendes Unternehmen erworben hat.
Ein Verstoß gegen die Denkgesetze - wie die Klägerin meint - liegt hierin nicht, denn es kommt für die Frage, ob zur Fortführung des Betriebes wesentliche finanzielle Investitionen des Erwerbers erforderlich sind, nicht auf die zum Erwerb des Betriebes gemachten Aufwendungen, sondern darauf an, ob darüber hinaus zusätzliche Aufwendungen des Erwerbers erforderlich waren, um den Betrieb weiterführen zu können. Solche Aufwendungen hat die Klägerin nach den Feststellungen der Vorinstanz jedoch hier nicht in nennenswertem Umfang machen müssen.
c) Die Haftung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist, worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, auf den Bestand des übernommenen Vermögens beschränkt (§ 75 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Daraus folgert die Klägerin, daß im Haftungsbescheid die einzelnen ,,Haftungsgegenstände" genau bezeichnet werden müßten, um dem Bestimmtheitserfordernis des Haftungsbescheids zu genügen (vgl. Kraemer in Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 1992, 373f.). Der Senat hat in einer früheren Entscheidung die Meinung vertreten, daß die Haftungsbeschränkung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 erst im Zwangsvollstreckungsverfahren auf eine entsprechende Einwendung hin relevant wird (Senatsurteil vom 18. März 1986 VII R 146/81, BFHE 146, 492, BStBl II 1986, 589; vgl. zu der ähnlichen Vorschrift des § 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 19. Februar 1976 III ZR 75/74, BGHZ 66, 217, 223f.). In der Rechtsprechung der FG ist dagegen die Auffassung vertreten worden, daß die Haftungsbeschränkung im Haftungsbescheid jedenfalls dann mitgeprüft werden müsse, wenn feststehe, daß kein verwertbares Vermögen übernommen werde (Urteil des FG Düsseldorf vom 17. Januar 1980 VII 491/77 H, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 262; Urteil des FG Hamburg vom 2. Oktober 1980 I 61/79, EFG 1981, 162; Urteil des FG München vom 21. Mai 1985 XI (XIII) 76/80 AO 2, EFG 1985, 587; vgl. dazu auch Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 75 Tz.9; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung, 16. Aufl., § 75 Anm.3e; Tipke / Kruse, a.a.O., § 75 AO 1977 Tz.17). Diese Frage braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden zu werden, weil jedenfalls der streitige Haftungsbescheid den Hinweis auf die Beschränkung der Haftung auf das übernommene Vermögen im Wert von . . . DM enthält und damit das Ausmaß der Haftung der Klägerin ausreichend bestimmt ist. Die von der Klägerin darüber hinaus verlangte genaue Bezeichnung der Haftungsgegenstände kann allenfalls bei der Vollstreckung in diese wegen der Nichtzahlung der Haftungsschulden, nicht aber für die Bestimmtheit des Haftungsbescheids Bedeutung erlangen. Das ergibt sich schon daraus, daß der Haftungsbescheid auch ohne Kenntnis der Haftungsgegenstände vollzogen werden kann.
3. Der Senat vermag der Vorinstanz allerdings insoweit nicht zu folgen, als sie die Inanspruchnahme der Klägerin für die Umsatzsteuerschulden des auf sie übergegangenen Betriebsteils der GmbH für den Zeitraum vom Juli 1981 bis Dezember 1981 in Höhe von . . . DM wegen fehlender Ermessensbegründung für rechtsfehlerhaft hält.
Zutreffend ist zwar, daß auch die Entscheidung über die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende nach § 75 Abs. 1 AO 1977 neben anderen als Gesamtschuldner in Betracht kommenden Haftenden - wie dem Geschäftsführer der GmbH nach § 69 AO 1977 - eine Ermessensentscheidung nach § 191 Abs. 1 i.V.m. § 5 AO 1977 ist, die nach § 102 FGO daraufhin zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Senatsurteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen läßt, muß die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden (vgl. § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr.2 und Abs. 2 AO 1977), andernfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist. Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen - die Abwägung des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners - aus der Entscheidung erkennbar sein (BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493, und Senatsurteil vom 30. April 1987 VII R 48/84, BFHE 149, 511, BStBl II 1988, 170).
Danach muß das FA grundsätzlich zum Ausdruck bringen, warum es den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle einer anderen, ebenfalls für die Haftung in Betracht kommenden Person in Anspruch nimmt.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FA in seiner Einspruchsentscheidung ausreichend begründet, daß es die GmbH selbst wegen ihrer Überschuldungs- bzw. Zahlungsunfähigkeit als Steuerschuldnerin nicht mehr in Anspruch nehmen konnte.
b) Hinsichtlich des neben der Klägerin ebenfalls als Haftenden in Betracht kommenden Geschäftsführers der GmbH hat das FA in der Einspruchsentscheidung mitgeteilt, daß die Klägerin neben einem anderen Haftungsschuldner in Anspruch genommen werde. Diese Mitteilung war unter den gegebenen Umständen - anders als die Vorinstanz meint - ausreichend. Es bedurfte insbesondere keiner Ausführungen darüber, weshalb der Geschäftsführer der GmbH nicht vorrangig vor der Klägerin in Anspruch genommen wurde sowie ob und in welcher Höhe der Haftungsanspruch gegen den Geschäftsführer realisiert werden konnte. Denn der Gesetzgeber schreibt zwischen den Haftungstatbeständen des § 69 und § 75 AO 1977 keine Rangordnung in der Weise vor, daß grundsätzlich der Haftende nach § 69 vor dem nach § 75 AO 1977 Haftenden in Anspruch zu nehmen ist (vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 26. Juli 1988 VII B 82-83/88, BFH/NV 1989, 88 und vom 2. August 1988 VII B 111/87, BFH/NV 1989, 152, 154). Eine solche das Verhältnis der Subsidiarität zueinander begründende Rangordnung der Inanspruchnahme der Haftenden hat der Gesetzgeber nur in § 219 Satz 1 AO 1977 zwischen dem Haftungs- und dem Steuerschuldner vorgeschrieben. Die nach §§ 69, 75 AO 1977 Haftenden stehen dagegen nach § 44 AO 1977 als Gesamtschuldner grundsätzlich gleichrangig nebeneinander.
Etwas anderes könnte sich nur aus der Pflicht zur Ermessensausübung nach § 191 i.V.m. § 5 AO 1977 ergeben. Aber auch insoweit besteht keine Verpflichtung des FA, grundsätzlich den nach § 69 AO 1977 Haftenden wegen seines Verschuldens an dem Steuerausfall vor dem Haftenden nach § 75 AO 1977 in Anspruch zu nehmen. Im Gegenteil kann ein Interesse des FA daran bestehen, gegen beide Haftende gleichzeitig einen Haftungsbescheid zu erlassen, weil die Haftenden unter Umständen beschränkt auf unterschiedliche Beträge haften. Die gleichzeitige Inanspruchnahme der Haftenden nach §§ 69 und 75 AO 1977 kann auch deswegen angezeigt sein, weil es die Höhe des geltend gemachten Haftungsbetrages ungewiß erscheinen läßt, ob einer der Gesamtschuldner allein den vollen Betrag begleichen kann (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1989, 152). So lagen die Verhältnisse offensichtlich im vorliegenden Fall. Wegen der engen verwandtschaftlichen Beziehung (Mutter / Sohn) zwischen den als Haftenden in Anspruch genommenen Personen ist davon auszugehen, daß ihnen gegenseitig ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und die der GmbH im einzelnen genau bekannt waren, so daß das Verlangen nach einer eingehenderen Begründung der mit dem Erlaß des Haftungsbescheids gegen die Klägerin getroffenen Ermessensentscheidung nur auf eine in diesem Fall nicht notwendige Formalität hinauslaufen würde. Die an sich erforderliche Begründung der Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftenden ist jedoch kein Selbstzweck, sondern dient der Überprüfung der Ermessensentscheidung. Gibt es wie im vorliegenden Fall nur eine Begründung, die sich den Beteiligten aus der Kenntnis der Umstände des Falles aufdrängen muß, so kann es nicht rechtsfehlerhaft sein, wenn das FA sie in seinem Bescheid nicht ausführt (§ 121 Abs. 2 Nr.2 AO 1977; vgl. auch Senatsbeschluß vom 9. September 1991 VII B 104/91, BFH/NV 1992, 289).
Da das FG insoweit von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil insoweit aufzuheben.
4. Im Hinblick darauf, daß die Sache sowohl hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin dem Grunde wie der Höhe nach spruchreif ist, wird die Haftungssumme, für die die Klägerin haftet, wie folgt festgesetzt: . . .
Fundstellen
Haufe-Index 418729 |
BFH/NV 1993, 215 |