Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Eigentümers nach § 74 AO 1977
Leitsatz (NV)
Der Inanspruchnahme des Eigentümers eines betrieblich genutzten Gegenstandes (Grundstücks) als Haftungsschuldner (§ 74 AO 1977) steht es nicht entgegen, daß der Gegenstand (das Grundstück) nicht nur im Betrieb des Eigentümers, sondern auch von einem Dritten mitgenutzt wird.
Normenkette
AO 1977 § 74
Tatbestand
Die Klägerin war an einer GmbH & Co. KG (KG), die im Mai 1976 aufgelöst wurde, als Kommanditistin beteiligt. Außerdem war sie Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH. Die KG betrieb ihr Unternehmen auf dem angemieteten Grundstück X-Straße in R. Seit Januar 1971 ist die Klägerin Eigentümerin dieses Grundstücks. In den Mietvertrag mit der KG war sie aufgrund vertraglicher Vereinbarungen bereits im Jahre 1969 als Vermieterin eingetreten.
Im Mai 1970 schlossen die J-GmbH, deren Stammanteile sich im Besitz der Klägerin befinden, und die KG einen Vertrag, demzufolge die KG die J-GmbH in die ihr zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten vorübergehend aufnahm. In einer ,,ergänzenden Vereinbarung" unter denselben Vertragspartnern vom selben Tag wurden folgende Bestimmungen getroffen:
,,1. Das zwischen Firma J-GmbH und Frau H bestehende Mietverhältnis über die Benutzung von Räumlichkeiten und Grundstücksteilen auf dem Anwesen in R, Y-Str. . . . wird künftig in der Weise ausgeübt, daß die Firma J-GmbH entsprechend der Nutzung einen Teil der aufzubringenden Gesamtmiete übernimmt.
. . .
5. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Firma J-GmbH nach wie vor nach ihrem Bedarf sämtliche Räumlichkeiten und Grundstücksteile mitbenutzen darf. Soweit bleibt das Mietverhältnis der Firma J mit Frau H aufrechterhalten."
In einer weiteren Vereinbarung vom Oktober 1970 zwischen der Klägerin und der KG heißt es:
,,Zur Klarstellung wird festgelegt, daß sich die mietvertraglichen Vereinbarungen zwischen Frau H und der KG beziehen auf den Grundbesitz X-Str., . . ."
Aufgrund einer Vereinbarung vom Juli 1975 trat die J-GmbH anstelle der KG unmittelbar als Mieterin in das Mietverhältnis mit der Klägerin ein.
Nachdem das Amtsgericht im Juli 1976 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Konkursmasse abgelehnt hatte, erließ das FA im Juli 1980 wegen rückständiger Umsatzsteuer 1974 in Höhe von . . . DM an die Klägerin einen Haftungsbescheid. Die Haftung ist gegenständlich beschränkt auf das im Grundbuch von R. eingetragene ,,Geschäftsgrundstück mit den Geschäftsgebäuden mit den Geschäftsgebäuden Y-Str. / X-Str. in R.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das FG abgewiesen.
Es hat ausgeführt:
Bei dem Grundstück, mit dem die Klägerin zur Haftung nach § 115 AO herangezogen worden sei, handele es sich um das Objekt in R., X-Straße. Dieses Grundstück sei auch Gegenstand der zahlreichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Gesellschaften gewesen. Zwar sei in diesen Vereinbarungen das Objekt - meistenteils zusätzlich zu der Hauptanschrift (X-Straße), zuweilen aber auch isoliert, auch unter der Adresse ,,Y-Straße" benannt gewesen. Unter diese Bezeichnung falle - ausweislich des amtlichen Lageplans - aber lediglich ein Gebäude auf dem Eckgrundstück X-Straße. Die an den Vereinbarungen beteiligten Gesellschaften hätten jedoch - unabhängig von der unterschiedlich gewählten Bezeichnung - stets das Grundstück X-Straße im Auge gehabt, und darauf komme es entscheidend an.Aus den im Jahre 1970 abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen der KG und der J-GmbH (insbesondere den Abmachungen vom Mai 1970 und vom Oktober 1970) ergebe sich, daß Vertragspartner der Klägerin (als der Eigentümerin des Grundstücks), also deren Mieter, die KG gewesen sei. Die Nutzungsbefugnis der J-GmbH habe die letztere nicht unmittelbar von der Klägerin selbst abgeleitet, sondern beruhe auf einem Untermietverhältnis mit der KG.
Dieses Untermietverhältnis beziehe sich auf die Nutzung des gesamten Grundstücks und nicht etwa nur auf einen flächenmäßig abgrenzbaren Teil desselben. Von einer lediglich auf eine Teilfläche bezogenen und begrenzten Nutzung durch die J-GmbH und durch die KG könne daher keine Rede sein. Durch die Mitbenutzung des Grundstücks seitens der J-GmbH habe das Grundstück seine Eigenschaft als wesentliche Betriebsgrundlage der KG nicht eingebüßt.
Da die Klägerin am Gesellschaftsvermögen der KG als Kommanditistin beteiligt gewesen sei und die KG das Grundstück, unbeschadet des Untermietverhältnisses mit der J-GmbH, unstreitig für ihre eigenen Zwecke in vollem Umfang genutzt habe, sei die auf das Grundstück bezogene Haftung wegen der Umsatzsteuerrückstände 1974 der KG gemäß § 115 AO rechtlich nicht zu beanstanden.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren, die Aufhebung des Haftungsbescheids, weiter. Sie rügt unrichtige Anwendung von § 115 AO.
Die Entscheidung des FG sei, so wird ausgeführt, dadurch unzutreffend beeinflußt, daß das FG hinsichtlich des unter den Adressen X-Straße und Y-Straße bezeichneten Objekts von zwei Nachbargrundstücken ausgegangen sei.
Tatsächlich handele es sich um ein und das gleiche Grundstück, nämlich um das Grundstück X-Straße. Es sei dieses ein Eckgrundstück, welches sowohl an die X-Straße wie an die Y-Straße angrenze. Dies habe das FG verkannt.
Im übrigen habe das FG nicht hinreichend gewürdigt, daß das fragliche Grundstück nicht von der KG allein, sondern gleichzeitig von der J-GmbH genutzt worden sei. Es habe daher nicht nur ,,einem" gewerblichen Unternehmen (vgl. § 115 Abs. 1 AO) gedient, sondern mehreren. Dieser Fall sei nicht vergleichbar mit dem mit Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Februar 1961 IV 395/58 U (BFHE 72, 592, BStBl II 1961, 216) entschiedenen Fall, wonach bei Betreiben eines Gewerbebetriebs auf der Teilfläche eines größeren Grundstücks nur die tatsächlich genutzte Teilfläche als Haftungsgegenstand i. S. von § 115 AO in Frage komme, nicht aber das gesamte Grundstück als solches. Bei einem Gegenstand, der - wie im Streitfalle - von zwei Unternehmen gemeinsam genutzt werde, sei dagegen die Zwangsvollstreckung in diesen Gegenstand - und damit seine Haftung nach § 115 AO - deswegen nicht möglich, weil das andere Unternehmen (hier die J-GmbH) hieran entsprechende Besitzrechte habe.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. Die von der Revision beanstandeten Ausführungen des FG über die Bezeichnung des als Haftungsgegenstand (§ 115 AO i. V. m. Art. 97 § 11 EGAO 1977) in Frage stehenden Grundstücks könnten sich revisionsrechtlich nur dann zu Lasten der Klägerin auswirken, wenn sie entweder wegen unzureichender Sachaufklärung und damit Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 76 FGO) oder wegen unzutreffender rechtlicher Beurteilung entscheidungserheblich wären (vgl. § 118 FGO). Dies ist indessen nicht der Fall. Denn das FG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß es sich um das Grundstück ,,X-Straße" handelt, das mit dem in den Vereinbarungen der beteiligten Gesellschaften zuweilen genannten Grundstück ,,Y-Straße" identisch ist, weil es sich um ein an die X- wie an die Y-Straße angrenzendes Eckgrundstück handelt, das postalisch unter jeder der beiden Straßenbezeichnungen geführt wird. Die Bezeichnung des Grundstücks im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung mit ,,X-Straße / Y-Straße in R" ist also richtig, wovon im übrigen auch die Klägerin im Verwaltungsverfahren wie im Verfahren vor dem FG ohne jede Einschränkung ausgegangen ist.
2. Dieses Grundstück, das sich seit Anfang 1971 im Eigentum der Klägerin befand, wurde von der KG, an der die Klägerin im Haftungszeitraum (dem Jahr 1974) als Kommanditistin beteiligt war, als Betriebsgrundstück genutzt. Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin mit dem Grundstück als Haftungsgegenstand (§ 115 AO) zunächst mit der Erwägung, daß das Objekt im Haftungszeitraum zufolge den zwischen der KG und der J-GmbH getroffenen Vereinbarungen gleichzeitig auch von der J-GmbH mitgenutzt worden ist.
Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. § 115 AO setzt, übrigens ebenso wie die Nachfolgevorschrift des § 74 AO 1977, nicht voraus, daß der Haftungsgegenstand ausschließlich (und lediglich) dem gewerblichen Unternehmen des an diesem beteiligten Eigentümers gedient haben muß.
Eine derartige Einschränkung ist dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift nicht zu entnehmen. Es genügt, wenn das in Frage stehende Objekt dem Unternehmen, wenn auch unter Mitbenutzung anderer, im Haftungszeitraum gedient hat, von diesem also für betriebliche Zwecke verwendet worden ist. Das ist hier nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) der Fall gewesen, und zwar unabhängig davon, ob die Mitbenutzung durch die J-GmbH dieser von der KG, wie vom FG angenommen, aufgrund eines Unterpachtverhältnisses oder einer schlichten Nutzungseinräumung gestattet war.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, ihrer auf das Grundstück bezogenen Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin stehe entgegen, daß wegen der Besitzrechte der J-GmbH eine Zwangsvollstreckung in das Grundstück nicht möglich sei, trifft nicht zu. Denn durch die Besitzrechte der J-GmbH ist das FA nicht gehindert, die Immobiliarvollstreckung gegen die Klägerin als Grundstückseigentümerin zu betreiben (vgl. § 57 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung - ZVG -; Zeller / Stöber, ZVG, 12. Aufl., Anm. 1 zu § 57 und Anm. 2, 6 zu § 93). Aus dem Urteil des BFH in BFHE 72, 592, BStBl III 1961, 216 kann, entgegen der Ansicht der Klägerin, auch mittelbar nichts Gegenteiliges hergeleitet werden, weil der dort zur Entscheidung anstehende Sachverhalt schon im Ausgangspunkt anders gelagert war.
Da sich die Entscheidung des FG nach den vorstehenden Ausführungen somit als zutreffend erweist, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415634 |
BFH/NV 1988, 617 |