Leitsatz (amtlich)
Schuldzinsen für einen Kredit, der im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolgeregelung zur Abfindung (Gleichstellung) der anderen Miterbberechtigten für die Überlassung eines Grundstücks aufgenommen wird, sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar.
Orientierungssatz
1. Derjenige, der eine ihm vom Eigentümer unentgeltlich zur Nutzung überlassene Wohnung aufgrund einer gesicherten Rechtsposition innehat, hat nach § 21 Abs.2 2. Alternative EStG den Nutzungswert der Wohnung zu versteuern. Insoweit erfüllt der Überlassende nicht den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Deshalb kann er Aufwendungen, die mit der unentgeltlich überlassenen Wohnung zusammenhängen, nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt auch für Schuldzinsen (Abweichung von BFH-Urteil vom 29.11.1983 VIII R 184/83).
2. Weicht der erkennende Senat in einer Rechtsfrage von der Auffassung eines anderen Senats ab, so bedarf es einer Anrufung des Großen Senats des BFH nicht, wenn die Zuständigkeit des anderen Senats nunmehr auf den erkennenden Senat übergegangen ist.
Normenkette
EStG § 21 Abs. 2 Alt. 2, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, S. 1; FGO § 11 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt durch notariell beurkundeten Vertrag vom 4.Februar 1975 von seinem Vater im Wege vorweggenommener Erbfolge ein bebautes Grundstück in A übertragen. In dem Übergabevertrag verpflichtete sich der Kläger zu folgenden Leistungen:
1. Übernahme sämtlicher auf dem übertragenen Grundstück ruhenden Belastungen und --soweit es sich um Hypotheken bzw. Grundschulden handelt-- der persönlichen Haftung;
2. Einräumung eines dinglich gesicherten lebenslänglichen Wohnrechts zugunsten des Vaters;
3. Einräumung eines dinglich gesicherten Wohnrechts zugunsten seiner Schwester B nach dem Tode des Vaters;
4. Zahlung eines Betrags in Höhe von 10 000 DM an seine Schwester C. Frau C hatte bereits insgesamt 40 000 DM erhalten, die durch Eintragung im Grundbuch gesichert waren und die der Kläger insoweit persönlich und dinglich übernommen hat;
5. Zahlung von jeweils 50 000 DM an seine Brüder D und E.
Für die Erfüllung der vertraglich auferlegten Zahlungspflichten nahm der Kläger Kredite auf. Er machte die für diese Kredite aufgewendeten Schuldzinsen von 9 600 DM im Streitjahr 1975 als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Nach einer Betriebsprüfung ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Zinsen nicht mehr zum Abzug als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu, da die Abfindung der Geschwister allein die private Sphäre des Klägers berühre. Durch endgültigen Bescheid vom 18.August 1978 änderte es den nach § 100 Abs.2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufig ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1975 entsprechend. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er habe das Grundstück im Wege des Kaufs entgeltlich von seinem Vater erworben. Die übernommenen Verpflichtungen seien mit 505 000 DM zu bewerten, während der Verkehrswert 500 000 DM betrage.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte aus: Der Kläger habe das Grundstück nicht entgeltlich erworben; denn bei der im Streitfall vorliegenden vorweggenommenen Erbfolgeregelung mit Zahlung von Gleichstellungsgeldern, Übernahme der Verbindlichkeiten und Einräumung eines dinglich gesicherten Wohnrechts handele es sich um eine Schenkung unter Auflage (§ 525 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), die in vollem Umfang als Schenkung zu beurteilen sei. Die vorweggenommene Erbfolgeregelung mit Zahlung von Gleichstellungsgeldern sei auch steuerrechtlich als Schenkung unter Auflage ein voll unentgeltlicher Erwerb (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.August 1962 I 82/60 U, BFHE 76, 482, BStBl III 1963, 178). Zinsen für ein Darlehen zur Finanzierung der Gleichstellungsgelder seien keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, weil die eingegangenen Darlehensverpflichtungen nicht im Zusammenhang mit der Sicherung und Erhaltung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ständen, sondern der Erfüllung von Ansprüchen dienten, die im Erbrecht begründet seien.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß Verletzung des § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Er macht geltend: Zu Unrecht habe das FG eine Schenkung unter Auflage angenommen. Eine Auflage stelle eine Einschränkung der Leistung dar, die aus deren Erträgen bewirkt werden solle. Er hingegen habe eine Gegenleistung erbracht, die dem Wert des Grundstücks entspreche. Leistung und Gegenleistung seien gleichwertig. Er verweise insoweit auf das BFH-Urteil vom 24.Oktober 1978 VIII R 172/75 (BFHE 126, 282, BStBl II 1979, 135). Der Erwerb des Grundstücks sei eine Anschaffung i.S. des § 6 EStG. Er habe die Aufwendungen alleine deshalb getätigt, um durch den Erwerb einer Einkunftsquelle Einkünfte zu erzielen. Die Zinsen ständen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den erzielbaren Einnahmen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1975 vom 18.August 1978 weitere Werbungskosten von 9 600 DM bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es trägt vor: Im Streitfall seien Leistung und Gegenleistung nicht gegeneinander ausgewogen gewesen. Die Behauptung des Klägers lasse außer Betracht, daß die übernommenen Belastungen nach seinem eigenen Vortrag nur zum Teil valutiert gewesen seien. Die Zinsen für ein Darlehen, das aufgenommen werde, um Gleichstellungsgelder bezahlen zu können, ständen nicht im Zusammenhang mit der Sicherung und Erhaltung der Einnahmen aus dem übertragenen Vermögen, weil die Gleichstellungsgelder wie andere Auflagen behandelt werden müßten, die aus dem zugewendeten Vermögen zu erfüllen seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Zu Unrecht hat das FG die Darlehenszinsen dem Grunde nach nicht als Werbungskosten anerkannt.
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs.1 Satz 1 und 2 EStG). Werbungskosten sind nach § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.1 EStG auch Schuldzinsen, soweit sie mit einer Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser ist in der Regel dann als gegeben anzusehen, wenn die Darlehensschuld zur Anschaffung oder Herstellung eines Grundstücks verwendet wird, durch das Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt werden (sollen). Die einzelnen Zinsaufwendungen sind sonach dann Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wenn sie für eine Schuld geleistet werden, deren Gegenwert die Vermietung oder Verpachtung dieses Grundstücks ermöglicht oder fördert (vgl. BFH-Urteil vom 18.November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, BStBl II 1981, 510).
Aber auch wenn man mit der Vorentscheidung davon ausgeht, daß im vorliegenden Fall die Valuta nicht zur Finanzierung der Anschaffungskosten des Grundstücks diente, weil der Erwerb unentgeltlich war, sind die vom Kläger gezahlten Kreditzinsen dem Grunde nach Werbungskosten.
Eine Kreditaufnahme zum Zwecke der Zahlung der Gleichstellungsgelder ist zwar durch die der Vermögenssphäre zuzurechnende vorweggenommene Erbfolgeregelung ausgelöst und wäre ohne diese nicht erforderlich gewesen. Sie ist aber durch die Erlangung des Grundstücks ersichtlich und unmittelbar darauf gerichtet, dem Kläger die Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu ermöglichen. Sie steht damit --final betrachtet-- in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit künftigen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (vgl. auch BFH- Urteil vom 19.Mai 1983 IV R 138/79, BFHE 138, 248, BStBl II 1983, 390).
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausging, war aufzuheben. Der Senat kann mangels Feststellungen des FG dazu, in welchem Umfang der Kläger in Bezug auf das auf ihn übertragene Grundstück den Tatbestand der Einkünfteerzielung erfüllt, nicht abschließend entscheiden. Nach dem Übergabevertrag ist zunächst dem Vater und nach dessen Tod einer Schwester des Klägers ein lebenslängliches dinglich gesichertes Wohnrecht eingeräumt. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat (Urteil vom 16.Oktober 1984 IX R 81/82, BFHE 143, 310, BStBl II 1985, 390), hat derjenige, der eine ihm vom Eigentümer unentgeltlich zur Nutzung überlassene Wohnung auf Grund einer gesicherten Rechtsposition innehat, nach § 21 Abs.2 2.Alternative EStG den Nutzungswert der Wohnung zu versteuern (BFH-Urteil vom 29.November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366). Insoweit erfüllt der Überlassende nicht den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Deshalb kann er entgegen der im Urteil vom 29.November 1983 VIII R 184/83 (BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371) vertretenen Auffassung, Aufwendungen, die mit der unentgeltlich überlassenen Wohnung zusammenhängen, nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt auch für die Schuldzinsen.
Der Senat weicht damit von der Auffassung des Urteils in BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371 ab. Einer Anrufung des Großen Senats des BFH nach § 11 Abs.3 FGO bedarf es indessen nicht, weil die Zuständigkeit des VIII. Senats nunmehr auf den erkennenden Senat übergegangen ist.
Die Streitsache wird zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen an das FG zurückverwiesen.
Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von dem Urteil des VIII. Senats vom 9.August 1983 VIII R 35/80 (BFHE 139, 253, BStBl II 1984, 27) ab, wonach Schuldzinsen für einen Kredit zur Finanzierung der Schenkungsteuer nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar sind. Die Erwägung des VIII. Senats unter 5., für den Abzug der Schuldzinsen als Werbungskosten müsse bürgerlich-rechtlich ein entgeltlicher Erwerb gegeben sein, war für die Entscheidung nicht tragend. Davon abgesehen sind die Aufwendungen für die Schenkungsteuer mit den Aufwendungen für die Erfüllung einer Auflage im Rahmen der Schenkung nicht vergleichbar. Die Erfüllung einer Auflage stellt zwar keine Gegenleistung für die Übertragung des Grundstücks dar. Sie ist jedoch eine Leistung, auf die der Schenker einen Rechtsanspruch hat (§ 525 Abs.1 BGB) und die, obgleich sie erst nach Vollzug der Schenkung zu erfüllen ist, die Vermietung und Verpachtung des geschenkten Grundstücks ermöglicht; denn unterbleibt die Vollziehung der Auflage, so kann der Schenker die Herausgabe des Geschenkten verlangen (§ 527 Abs.1 BGB).
Fundstellen
Haufe-Index 60743 |
BStBl II 1985, 720 |
BFHE 144, 362 |
BFHE 1986, 362 |
BB 1986, 49-49 (ST) |
DB 1986, 2655-2655 (ST) |
DStR 1986, 50-51 (ST) |
DStZ, Beihefter zu Nr 79/1986 (S) |
HFR 1986, 129-129 (ST) |