Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG 1951.
Die Zeitcharter ist kein Miet- oder Pachtvertrag im Sinne des § 8 Ziff. 8 GewStG.
Normenkette
GewStG § 8 Ziff. 8, § 8/7
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine Reederei, hat von anderen inländischen Reedereien Schiffe gechartert. Für das Schiff "I" hat sie im Jahre 1951 ein Chartergeld von 318.750 DM gezahlt. In einem gemäß § 222 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigten Gewerbesteuer-Meßbescheid rechnete das Finanzamt die Hälfte dieses Betrages (159.375 DM) gemäß § 8 Ziff. 8 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1951 zur Ermittlung des Gewerbeertrags dem Gewinn der Bfin. wieder zu. Für das Schiff "I" bestand ein sogenannter Zeit-Frachtvertrag (Zeitcharter) nach dem Muster des Deuzeit-Vertrages. Die Bfin. bestreitet, daß Zeit-Frachtverträge dieser Art Miet- oder Pachtverträge im Sinne des § 8 Ziff. 8 GewStG seien; sie hält diese Verträge für Raumfracht-Verträge (Beförderungsverträge). Im übrigen ist sie der Auffassung, daß die Berichtigung des Gewerbesteuer-Meßbescheids 1951 unzulässig gewesen sei, weil keine neuen Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO vorgelegen hätten. Sie hält auch die Anwendung des § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG für das Streitjahr 1951 deshalb für unzulässig, weil diese Bestimmung erst durch das Gesetz vom 27. Dezember 1951 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I S. 996, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 I S. 2) in das Gewerbesteuerrecht eingefügt worden sei. Das Gesetz führe, wenn es bereits für 1951 angewendet werde, zu einer verfassungswidrigen Rückwirkung zu Lasten der betroffenen Steuerpflichtigen.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Auf Ersuchen des Senats ist der Bundesminister der Finanzen dem Verfahren beigetreten und hat insbesondere zu der Frage der Rechtsnatur des Zeit-Frachtvertrages Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Der Senat tritt dem Finanzgericht darin bei, daß die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO vorlagen und das Finanzamt deshalb den ursprünglichen rechtskräftig gewordenen Gewerbesteuer-Meßbescheid 1951 ändern konnte.
Das Finanzgericht hält den von der Bfin. erhobenen Einwand, daß § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG eine dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) widersprechende verbösernde Gesetzesrückwirkung enthalte und deshalb für 1951 nicht angewendet werden dürfe, für unbegründet. Es beruft sich für seine Auffassung auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteile III 117/50 S vom 16. November 1950 - Slg. Bd. 55 S. 11, BStBl 1951 III S. 5; III 81/50 S vom 19. Juni 1951 - Slg. Bd. 56 S. 59, BStBl 1952 III S. 25; V 84/51 S vom 30. April 1953 - Slg. Bd. 57 S. 473, BStBl 1953 III S. 183; I 34/53 S vom 9. Juni 1953 - Slg. Bd. 57 S. 654, BStBl 1953 III S. 250 -). Der Senat braucht zu dieser Frage nicht abschließend Stellung zu nehmen. Denn auch wenn man die Rechtsgültigkeit der Bestimmung bejaht, muß die Rechtsbeschwerde Erfolg haben, weil das Chartergeld nicht als "Miet- oder Pachtzins" im Sinne des § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG 1951 angesehen werden kann.
Das Finanzgericht führt aus, die Begriffe Miet- und Pachtzinsen in § 8 Ziff. 8 GewStG müßten wirtschaftlich ausgelegt werden; die bürgerlich-rechtliche Begriffsbestimmung sei nicht maßgebend. Entsprechend dem Wesen der Gewerbesteuer als Realsteuer müßten Verträge, die wirtschaftlich den gleichen Effekt wie Miet- und Pachtverträge hätten, auch als solche behandelt werden. Die Zeit-Frachtverträge der hier streitigen Art seien keine Beförderungsverträge; sie seien vielmehr vorwiegend Mietverträge über den Schiffsraum, weil der Charterer das Schiff benutzen könne, wie er wolle.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber, wenn er in § 8 Ziff. 8 GewStG die Begriffe "Miete" und "Pacht" verwendet, damit an das bürgerliche Recht anknüpfen will, das diese Rechtsbegriffe geprägt und ihnen einen festen Inhalt gegeben hat (§§ 535 ff., 581 ff. BGB). Richtig ist, daß die wirtschaftliche Betrachtungsweise, die das Ertragsteuerrecht beherrscht, auch bei der Auslegung von Begriffen, die der Steuergesetzgeber aus dem bürgerlichen Recht übernimmt, beachtet werden muß. Das kann aber nicht dazu führen, den rechtlichen Inhalt solcher Begriffe völlig abweichend vom bürgerlichen Recht zu bestimmen. Das Steuerrecht ist ein Bestandteil der allgemeinen Rechtsordnung; der Inhalt seiner Rechtsbegriffe muß sich deshalb, soweit nicht das Gesetz erkennbar etwas anderes bestimmt, mit dem auch sonst üblichen Inhalt dieser Rechtsbegriffe decken. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise führt allerdings dazu, einen wirtschaftlichen Vorgang rechtlich einheitlich zu würdigen. Ist ein Vertrag seinem wesentlichen rechtlichen Gehalt nach ein Mietvertrag, so wird er steuerlich ganz als solcher gewürdigt, auch wenn er gewisse Nebenleistungen enthält, die dem Vertragstyp "Miete" oder "Pacht" nicht entsprechen. Ebenso müssen, wenn ein Vertrag seiner Art nach kein Miet- oder Pachtvertrag ist, die in ihm etwa enthaltenen Elemente von Miete und Pacht außer Betracht bleiben. Es kommt also für die Anwendung des § 8 Ziff. 8 GewStG darauf an, ob die streitigen Zeit-Frachtverträge ihrem wesentlichen rechtlichen Gehalt nach Miet- oder Pachtverträge sind. Ist das nicht der Fall, so entfällt die Zurechnung des Chartergeldes.
Die Auffassungen über die Rechtsnatur der Zeit-Frachtverträge sind nicht einheitlich. Die Bfin. und die in dem vorliegenden Verfahren erstatteten Rechtsgutachten von Prof. Dr. K. und Dr. R. betrachten diese Verträge als Werkverträge (Beförderungsverträge). Der Bundesminister der Finanzen hält sie in übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum, vor allem unter Berufung auf Lindenmaier ("Verkehrsrechtliche Rundschau" 1938 S. 48 ff.) für gemischte Verträge, in denen Elemente eines Mietvertrages und eines Werkvertrages gleichwertig nebeneinander stünden; die Miete beziehe sich auf den Schiffsraum, der Werkvertrag auf die Gestellung, Unterhaltung und disziplinäre Beaufsichtigung der Schiffsmannschaft. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs hat in der Entscheidung V 41/56 U vom 30. August 1956 (Slg. Bd. 63 S. 299, BStBl 1956 III S. 311), ohne zu der bürgerlich-rechtlichen Streitfrage abschließend Stellung zu nehmen, den Zeit-Frachtvertrag ebenfalls als gemischten Vertrag angesehen, der auch Bestandteile eines Frachtvertrages enthalte.
Der erkennende Senat kann auf eine abschließende Beurteilung der bürgerlich-rechtlichen Struktur der Zeit-Frachtverträge verzichten. Denn jedenfalls sind sie nicht Mietverträge im Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern Verträge eigener Art, die wesentliche einem Mietvertrag fremde Bestandteile enthalten. Das gilt insbesondere von der Gestellung der Schiffsmannschaft, die dem Vercharterer obliegt. Hierbei handelt es sich nicht um eine Nebenleistung zur Raumvermietung des Schiffs, sondern um eine Leistung, die das Wesen des ganzen Vertrages entscheidend beeinflußt.
Sind demnach die Zeit-Frachtverträge nicht Miet- oder Pachtverträge im Sinne des § 8 Ziff. 8 GewStG, so kann das Chartergeld nicht dem Gewinn zugerechnet werden. Der Vorschlag des Bundesministers der Finanzen, den Chartervertrag zu zerlegen und den auf die Schiffsraummiete schätzungsweise entfallenden Teil des Chartergeldes nach § 8 Ziff. 8 GewStG dem Gewinn zuzurechnen, findet im Gesetz keine Stütze. Wie bereits ausgeführt, entspricht es auch der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, einen wirtschaftlich einheitlichen Vorgang steuerlich einheitlich zu würdigen. Eine Zerlegung würde überdies, da geeignete Zerlegungsmaßstäbe fehlen, oft Schwierigkeiten machen und zu Auseinandersetzungen der Steuerpflichtigen mit dem Finanzamt führen. Gegen die vom Bundesminister der Finanzen vorgeschlagene Zerlegung, die das Anwendungsgebiet des § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG erweitern würde, sprechen auch die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Vorschrift. Sie hat Ausnahmecharakter. Gewöhnlich findet die Zurechnung von Miet- oder Pachtzinsen beim Mieter oder Pächter nicht statt, wenn der Verpächter im Inland gewerbesteuerpflichtig ist. Auf Grund des im Jahre 1951 geschaffenen § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG wird eine Ausnahme gemacht, wenn die Miet- oder Pachtzinsen 250.000 DM übersteigen. In diesem Fall werden die Miet- oder Pachtzinsen bei der Ermittlung des Gewerbeertrags des Pächters zugerechnet, beim Verpächter aber nach § 9 Ziff. 4 GewStG vom Gewinn abgerechnet, weil der in den Miet- oder Pachtzinsen steckende Teil des Gewerbeertrags nur einmal der Gewerbesteuer unterliegen soll. Diese Regelung, die dem interkommunalen Finanzausgleich in Sonderfällen dient, darf nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgedehnt werden. Denn sie bedeutet eine Durchbrechung des Grundsatzes, der sonst im allgemeinen im Gewerbesteuerrecht angewendet wird, daß nämlich grundsätzlich derjenige den Gewerbeertrag versteuert, der ihn im Inland erzielt hat. Dieser Grundsatz, der auch wirtschaftlich sinnvoll ist, darf nicht stärker eingeschränkt werden, als es dem erkennbaren Willen des Gesetzes entspricht.
Wollte man die Chartergelder aus Zeit-Frachtverträgen ganz oder teilweise als Miet- oder Pachtzinsen im Sinne des § 8 Ziff. 8 GewStG ansehen, so würden, worauf die Bfin. hingewiesen hat, die Charterer unter Umständen gezwungen, ohne wirtschaftlich vernünftige Gründe aus steuerlichen überlegungen im Laufe eines Jahres ihre Vercharterer und die gecharterten Schiffe zu wechseln, um die Grenze von 250.000 DM nicht zu überschreiten. Ein solches Ergebnis würde der wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Steuerrecht widersprechen.
Die Vorentscheidung ist demnach wegen unrichtiger Anwendung des § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG 1951 aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, damit es unter Beachtung der vorstehenden Rechtsgrundsätze den einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrag 1951 anderweit feststellt.
Fundstellen
Haufe-Index 408825 |
BStBl III 1957, 306 |
BFHE 1958, 189 |
BFHE 65, 189 |