Leitsatz (amtlich)
Ob die verarbeitende gewerbliche Tätigkeit in einem gemischten Betrieb überwiegt, kann nur nach den Verhältnissen des einzelnen Falles entschieden werden. Dabei können als Abgrenzungsmerkmale der Umsatz, das investierte Kapital, die Arbeitslöhne oder eine Kombination dieser Merkmale in Betracht kommen.
Normenkette
BerlinFG § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt in Berlin (West) einen wissenschaftlichen Buchverlag mit jeweils nur geringer Auflagenhöhe. Um die Kosten niedrig zu halten, ging er nach und nach dazu über, in seinen Betrieb auch Arbeiten aufzunehmen, die sonst Drukkereien erledigen. So erwarb er im Jahre 1965 eine elektrische Schreibmaschine mit Randausgleich und im Jahre 1968 einen IBM-Composer, die es ihm ermöglichten, Druckvorlagen selbst herzustellen. Im September/November 1969 erwarb der Kläger zu dem Composer eine Schreibkopfausstattung sowie ein Offset-Belichtungsgerät und eine Repro-Kamera, mit denen er nunmehr in der Lage ist, auch die fertigen Druckplatten für seine Bücher herzustellen. Satz, Korrektur, Umbruch, Montage und Plattenherstellung erfolgen nunmehr im eigenen Betrieb. Lediglich der Druck und das Buchbinden werden im Werklohn an andere Unternehmer vergeben.
Für die im Jahre 1969 angeschafften Anlagegüter gewährte der Beklagte und Revisionskläger (FA) dem Kläger eine Investitionszulage von 10 v. H. der Anschaffungskosten. Die erhöhte Zulage von 25 v. H. lehnte das FA mit der Begründung ab, daß der Betrieb des Klägers nicht dem verarbeitenden Gewerbe, sondern dem Dienstleistungsgewerbe (Nr. 70 800 des Systematischen Verzeichnissses der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts - Buchverlag -) angehöre. Demgegenüber ist der Kläger der Meinung, daß sein Betrieb teilweise, und zwar überwiegend auch dem verarbeitenden Gewerbe (Nr. 2 680 des statistischen Verzeichnisses - Druckerei -) angehöre und daß ihm deshalb die erhöhte Investitionszulage zustehe.
Das FG gab im ersten Rechtsgang der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, daß es bei einem gemischten Betrieb nicht darauf ankomme, welcher Bereich überwiege. Entscheidend sei allein, daß die angeschafften Wirtschaftsgüter im Fertigungsbereich eingesetzt seien.
Auf die Revision des FA hob der BFH im Urteil vom 27. März 1973 VIII R 118/72 die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Er verwies auf sein Urteil vom gleichen Tag VIII R 130/70 (BFHE 109, 202, BStBl II 1973, 554) und führte aus, daß ein "Betrieb des verarbeitenden Gewerbes" (§ 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG) bei einem gemischten Betrieb nur angenommen werden könne, wenn der verarbeitende Betriebsbereich überwiege. Dem FG wurde aufgegeben, zu prüfen, welcher Tätigkeitsbereich im Betrieb des Klägers im Anschaffungsjahr überwogen habe.
Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang erneut statt. Als Abgrenzungsmerkmal wählte es die Arbeitslöhne und führte aus: Während in dem auf das Anschaffungsjahr 1969 folgenden Jahr 1970 die Arbeitslöhne im Druckereibereich die Löhne im Verlagsbereich eindeutig überstiegen hätten, sei dies für das Jahr 1969 zweifelhaft. Für dieses Jahr habe der Kläger die Löhne der mit der Herstellung der Druckplatten beschäftigten Arbeitskräfte auf 52 v. H. der gesamten Lohnsumme geschätzt, während das FA nur auf einen Prozentsatz von rd. 46 v. H. gekommen sei. Auf die in den Grenzwerten nicht eindeutig mögliche Zuordnung des Lohnaufwands komme es aber nicht entscheidend an. Denn im zweiten Rechtsgang habe sich ergeben, daß sich der Betrieb des Klägers seinerzeit in einem Entwicklungsprozeß befunden habe. Durch die im Jahre 1969 angeschafften Wirtschaftsgüter habe der Kläger immer mehr der sonst von Druckereien ausgeführten Arbeiten auf sein Verlagsunternehmen übernommen. Allerdings hätte mit den neuen Geräten erst ein Lern- und Erprobungsprozeß durchlaufen werden müssen. So seien die Maschinen erst in den letzten sechs Wochen des Jahres 1969 voll in den Einsatz gekommen. Für diesen Zeitraum hätten dann die Arbeitslöhne im Druckereibereich bereits überwogen. Unter diesen besonderen Umständen sei es notwendig, nicht die durchschnittlichen Löhne des Jahres 1969, sondern die Löhne von Ende 1969 und die des Jahres 1970 der Beurteilung zugrunde zu legen.
Dagegen macht das FA mit der Revision geltend:
Entgegen der Anweisung in dem zurückverweisenden Urteil habe das FG nicht die Verhältnisse im Anschaffungsjahr, sondern diejenigen in den letzten sechs Wochen des Jahres 1969 und die des Jahres 1970 zugrunde gelegt. Bei einem Verlag könnten auch die Arbeitslöhne nicht der allein ausschlaggebende Abgrenzungsfaktor sein. Es sei vielmehr auf den gesamten Aufwand abzustellen. Dazu gehörten auch die Autorenhonorare. Insofern habe das FG den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Auch habe es ihm eine Erklärungsfrist zu einer Aufstellung versagt, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung über die von ihm im Jahre 1969 gezahlten Löhne dem Gericht überreicht habe.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach dem zurückverweisenden Urteil vom 27. März 1973 VIII R 118/72, an das die Vorinstanz (§ 126 Abs. 5 FGO) und der erkennende Senat (Urteil vom 19. November 1970 IV 150/65, BFHE 101, 36, BStBl II 1971, 209) gebunden sind, kommt es für die Entscheidung darauf an, ob der Herstellungsbereich im Betrieb des Klägers den Verlagsbereich im Anschaffungsjahr 1969 überwogen hat.
Die Frage, nach welchen Abgrenzungsmerkmalen zu entscheiden ist, welcher Betriebsbereich bei gemischten Betrieben wirtschaftlich überwiegt, kann nicht allgemein beantwortet werden. Dafür ist die Struktur dieser Betriebe zu uneinheitlich, und die jedem Gewerbezweig anhaftenden Besonderheiten sind zu groß. Der Senat teilt deshalb die Auffassung des FG, daß diese Frage nur anhand des einzelnen Falles entschieden werden kann. Als Abgrenzungsmaßstäbe können dafür der Umsatz, das investierte Kapital oder die Arbeitslöhne in Betracht kommen. Auch eine Kombination dieser Merkmale ist denkbar. Um den richtigen Aufteilungsmaßstab zu finden, müssen die Besonderheiten des jeweiligen Betriebes herausgefunden und berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich um eine Frage, welche die Tatsacheninstanz anhand der gegebenen Verhältnisse und unter Würdigung aller Umstände zu treffen hat (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der BFH als Revisionsgericht kann in die Rechtsfindung nur eingreifen, wenn Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze gerügt werden (vgl. Urteil vom 1. September 1959 I 48/59 U, BFHE 70, 93, BStBl III 1960, 35).
2. Der von der Vorinstanz verwendete Abgrenzungsmaßstab der Arbeitslöhne ist unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Die Umsätze schieden nach der zutreffenden Begründung des FG für eine Abgrenzung aus. Die Unkosten, denen das FA gern den Vorzug gegeben hätte, wären jedenfalls unter Einschluß der Autorenhonorare als Abgrenzungsmerkmal ungeeignet gewesen. Denn die Autorenhonorare haben unmittelbar mit dem Betrieb als wirtschaftlichen Organismus nichts zu tun. Gegen die Arbeitslöhne als Beurteilungsmaßstab können somit Bedenken nicht erhoben werden.
3. Es liegt auch im Rahmen der von der Tatsacheninstanz vorzunehmenden Würdigung, wenn das FG unter den besonderen Verhältnissen des vorliegenden Falles nicht auf die Arbeitslöhne im Durchschnitt des Jahres 1969, sondern auf die Löhne gegen Ende 1969 und die des Jahres 1970 abgestellt hat. Ein Widerspruch zu dem zurückverweisenden Urteil liegt darin nicht. Denn das FG hat im zweiten Rechtsgang festgestellt, daß sich der Betrieb des Klägers in einem Strukturwandel befand, was im ersten Rechtsgang nicht bekannt war (Hinweis auf BFH-Urteil vom 11. September 1968 I 92/65, BFHE 94, 197, BStBl II 1969, 194, und Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 126 FGO Anm. 20). Zwar ist grundsätzlich daran festzuhalten, daß für die Frage, welcher Betriebsbereich in einem gemischten Betrieb wirtschaftlich überwiegt, die Verhältnisse im Anschaffungs- bzw. Herstellungsjahr maßgebend sind. Im Urteil vom 3. April 1973 VIII R 31/71 (BFHE 109, 292, BStBl II 1973, 578) hat der BFH aber bereits anerkannt, daß es ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, das nächste Jahr in die Beurteilung miteinzubeziehen, wenn beispielsweise eine Maschine noch im alten Jahr angeschafft worden ist, die Produktion aber aus Gründen, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat (langwierige Inbetriebnahme einer Maschine, unvorhergesehene Fehler einer Maschine, Fehlen von Aufträgen) erst im nächsten Jahr aufgenommen werden kann. Diese Entscheidung ist entgegen der Annahme des FA nicht nur anwendbar, wenn ein verarbeitendes Gewerbe erstmals aufgenommen wird, sondern auch dann, wenn - wie hier - sich ein Unternehmen im Strukturwandel befindet. Andernfalls würde man den Unternehmer zwingen, eine Investition am Jahresende zu unterlassen und sie auf das nächste Jahr zu verschieben. Es kann nicht der Sinn einer Gesetzesauslegung sein, auf solche Weise in die unternehmerische Planung einzugreifen.
4. Die Anlagegüter, um deren erhöhte Investitionszulage hier gestritten wird, sind zwar bereits im September/November 1969 angeschafft worden. Das FG hat jedoch unwidersprochen festgestellt, daß das Personal im Betrieb des Klägers erst lernen mußte, mit den neuen Geräten umzugehen, so daß diese erst in den letzten sechs Wochen des Jahres 1969 im Produktionsprozeß voll eingesetzt werden konnten. Wenn das FG unter diesen Umständen die Arbeitslöhne erst ab diesem Zeitpunkt seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, so ist dies nicht zu beanstanden. Damit geht auch die Rüge des FA, das FG habe ihm in der mündlichen Verhandlung durch die Versagung einer Nachfrist das rechtliche Gehör versagt, fehl; denn auf die Arbeitslöhne des ganzen Jahres 1969 kam es für die Entscheidung nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 71970 |
BStBl II 1976, 705 |
BFHE 1977, 549 |