Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Vorsteuerabzug bei Vermietungsumsätzen
Leitsatz (NV)
1. Verwendungsabsicht ist nur für die Beurteilung der Frage entscheidend, ob ein Gegenstand für das Unternehmen bezogen ist. Für das Vorliegen der negativen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (§ 15 Abs. 2 UStG) ist die tatsächliche Verwendung maßgebend.
2. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung für Vermietungsumsätze ist im Rahmen des § 15 Abs. 2 UStG auch dann zu berücksichtigen, wenn er erst nach Ablauf des Besteuerungszeitraums erklärt wird.
Normenkette
UStG 1967/1973 § 9; UStG 1967/1973 § 15 Abs. 1; UStG 1967/1973 § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), haben im November 1968 das mit einem viergeschossigen Wohnhaus bebaute Grundstück in S erworben. Bis 1970 war eine Wohnung vermietet.
Im Jahre 1969 begannen die Kläger, das Wohngebäude, das in den Jahren 1972 bis 1974 noch um zwei weitere Etagen aufgestockt wurde, zu renovieren und auszubauen.
Für Renovierung und Erweiterung sind in den Jahren 1969 bis 1975 Aufwendungen nebst Vorsteuern angefallen.
Das Bauvorhaben war im Zeitpunkt einer vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) 1978 durchgeführten Ortsbesichtigung noch nicht fertiggestellt. Innenwände waren nicht vergipst, Fußböden fehlten und mit Ausnahme jeweils einer Seite in zwei Stockwerken waren keine Fenster eingebaut.
Mit Vertrag vom 30. Dezember 1975 vermieteten die Kläger den Rohbau als Lagerraum an die damalige Frau A, jetzige Ehefrau des Klägers, die Anfang 1976 in S einen Lebensmitteleinzelhandel mit Bäckerei eröffnete. Die Miete betrug zunächst monatlich 150 DM, ab 1. Januar 1977 300 DM. Darüber hinaus übernahm die Mieterin die Nebenkosten für Strom, Wasser und Straßenreinigung.
In dem Rohbau waren zur Zeit der Nachschau alte Bäckereimaschinen und -einrichtungsgegenstände sowie Verpackungs- und Altmaterial gelagert. Die beiden obersten Geschosse sowie einige Räume der Untergeschosse waren ungenutzt.
Mit Schreiben vom 29. September 1977 optierten die Kläger rückwirkend ab Januar 1971 nach § 9 i. V. m. § 19 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1967/1973 (UStG) für die Regelbesteuerung. Das FA erkannte zunächst den Verzicht auf die Steuerbefreiung nicht an, weil die Optionsfrist gemäß § 19 Abs. 4 UStG für alle Streitjahre (1971 bis 1975) bereits abgelaufen sei. Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) die Entscheidungen des FA auf und verpflichtete dieses, unter Beachtung des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 1. Februar 1977 (BStBl I 1977, 53) erneut zu entscheiden und bei der Steuerfestsetzung die Option für die Regelbesteuerung zu berücksichtigen. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.
In den daraufhin erlassenen Steuerbescheiden vom 29. Januar 1981 setzte das FA die Umsatzsteuer für die Streitjahre auf 0 DM fest. Ungeachtet der Rechtzeitigkeit der Option ließ es die von den Klägern geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu, weil es sich bei dem Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG um einen Gestaltungsmißbrauch i. S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) handele. Die vorübergehende Vermietung eines Teils des nicht fertiggestellten Wohngebäudes an einen Unternehmer könne unter den vorliegenden Umständen keinen Vorsteuerabzug begründen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, entscheidend für den Vorsteuerabzug sei die tatsächliche Verwendung.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Es ließ die Frage offen, ob der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG als Gestaltungsmißbrauch angesehen werden könne. Voraussetzung für den Vorsteuerabzug sei jedenfalls, daß die Lieferungen oder Leistungen für die Verwendung steuerpflichtiger Umsätze bestimmt gewesen seien. Die Lieferungen und Leistungen, für die die geltend gemachten Vorsteuern in Rechnung gestellt worden seien, seien aber - weil für die Errichtung eines Wohngebäudes bezogen - für steuerfreie Umsätze bestimmt gewesen. Zwar könne auch die Zweckbestimmung eines Gebäudes geändert werden. Eine spätere Änderung der Zweckbestimmung und die nachträglich erklärte Option für vergangene Zeiträume änderten nichts daran, daß die Eingangsleistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze bezogen worden seien.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 15 Abs. 1 UStG.
Sie beantragen, unter Abänderung des Urteils des FG und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 1981 die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung der geltend gemachten Vorsteuern festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen die in Rechnung gestellte Steuer für Lieferungen und Leistungen, die ,,für sein Unternehmen" ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen, sofern er diese Leistungsbezüge nicht i. S. des § 15 Abs. 2 UStG zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, verwendet oder in Anspruch nimmt.
a) Die Kläger waren in den Streitjahren Unternehmer i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 UStG; denn die Vermietung von Grundstücken ist eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG.
In den Jahren 1969 bis 1970 war das Gebäude, für dessen Renovierung und Erweiterung die Lieferungen und sonstigen Leistungen bezogen worden sind, teilweise vermietet. Unerheblich ist, daß die Kläger in den Jahren 1971 bis 1975 keine Mietumsätze erzielt haben. Zur unternehmerischen Tätigkeit gehören auch solche Tätigkeiten, die spätere eigene Umsätze erst ermöglichen sollen; denn sie sind notwendige Voraussetzungen für die Erbringung wirtschaftlicher Leistungen des Unternehmens im gewerblichen oder beruflichen Bereich (Sölch / Ringleb / List, UStG - Mehrwertsteuer, Kommentar, § 2 Anm. 62 und § 15 Anm. 12; Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 15 Anm. 85; vgl. Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 14. Februar 1985 Rs. 268/83, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1985, 199, 201 mit Anmerkung Weiß, S. 201).
Anhaltspunkte dafür, daß die Kläger das Mehrfamilienhaus nach dem Ausbau ausschließlich selbst für eigene Zwecke benutzen wollten und deshalb keine Einnahmeerzielungsabsicht mehr hatten, bestanden nicht.
b) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachstand ist davon auszugehen, daß die Kläger die Lieferungen und Leistungen, für die die umstrittenen Vorsteuern angefallen sind, für ihr Vermietungsunternehmen bezogen haben (§ 15 Abs. 1 UStG).
Im Streitfall kann - weil nicht entscheidungserheblich - dahingestellt bleiben, ob über die Frage der Zuordnung einer Lieferung oder sonstigen Leistung (die anschaffungsbezogenen Merkmale des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 UStG - Bezugsseite -) nur einheitlich entschieden werden kann, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung ,,gemischt", also sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, Verwendung finden soll (so z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350).
Die von den Klägern bezogenen Lieferungen und sonstigen Leistungen, für welche die geltend gemachten Vorsteuern in Rechnung gestellt worden sind, sind zur Renovierung und Erweiterung des Mietshauses bestimmt gewesen. Die Frage, ob sie in einem objektiven und erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit oder für nichtunternehmerische Nutzung bestimmt waren, kann nur danach entschieden werden, wie das Gebäude oder die Gebäudeteile, denen die Lieferungen und sonstigen Leistungen zugeordnet werden können, verwendet werden sollten. Anhaltspunkte dafür, daß die Kläger das Mehrfamilienhaus ganz oder teilweise selbst und damit für private (nichtunternehmerische) Zwecke benutzen wollten, liegen nach den bisherigen Feststellungen des FG nicht vor.
2. Nach § 15 Abs. 2 UStG ist die Steuer für Lieferungen von Gegenständen oder sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet bzw. in Anspruch nimmt, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
a) Entgegen der Auffassung des FG ist für Vorliegen oder Nichtvorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzungen des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 2 UStG - anders als für die Frage der positiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG - nicht von der Verwendungsabsicht, sondern von der tatsächlichen ggf. späteren Verwendung auszugehen (BFH-Urteile in BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350; vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521; vom 31. Juli 1987 V R 148/78, BFHE 150, 473, BStBl II 1987, 754 m.w.N., und vom 12. November 1987 V R 141/83, BFHE 152, 274, BStBl II 1988, 468). Über die im Zusammenhang mit der Renovierung und Erweiterung eines Mehrfamilienhauses angefallenen Vorsteuern aufgrund von Lieferungen oder sonstigen Leistungen kann nur danach entschieden werden, wie die Gebäudeteile oder Räume, denen die Lieferungen oder sonstigen Leistungen zugeordnet werden können, tatsächlich verwendet worden sind. Dies gilt auch dann, wenn die tatsächliche Verwendung erst in einem späteren Zeitraum stattfindet; denn diese Verwendungsvoraussetzungen sind nicht abschnittsgebunden (BFH-Urteil vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394).
Die Verwendungsabsicht ist nur für die Frage entscheidend, ob ein Gegenstand, der z. B. nach seiner Beschaffenheit für unternehmerische wie für nichtunternehmerische Zwecke genutzt werden kann und soll, für das Unternehmen oder für nichtunternehmerische Zwecke bezogen worden ist (vgl. z. B. BFH-Urteil in BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350).
b) Soweit eine für das Unternehmen angeschaffte Leistung oder ihr Gegenstand nicht im Besteuerungszeitraum des Bezugs der Leistungen zur Ausführung von steuerpflichtigen oder steuerfreien Umsätzen verwendet worden ist, kann noch nicht abschließend über die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entschieden werden (BFH-Urteile in BFHE 152, 274, BStBl II 1988, 468; in BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521). Dies kann erst nach der tatsächlichen Verwendung geschehen. Allerdings kann anhand der durch objektive Nachweismöglichkeiten schlüssig dargelegten Verwendungsabsicht entweder durch einen vorläufigen (§ 165 AO 1977) oder unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) erlassenen Steuerbescheid oder durch einen ggf. nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 bei anderer Verwendung änderbaren vorbehaltlosen Steuerbescheid entschieden werden (BFH-Urteil in BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521).
c) Ohne Bedeutung ist für die abschließende Beurteilung der Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 UStG, daß die Kläger erst nach Ablauf der jeweiligen Besteuerungszeiträume des Bezugs der Leistungen durch Verzicht auf die Steuerbefreiung (§ 9 UStG) und Option für die Regelbesteuerung (§ 19 Abs. 4 UStG) die negativen Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 UStG erfüllt haben.
aa) Der Verzicht auf Steuerbefreiung nach § 9 UStG ist an eine bestimmte Frist nicht gebunden. Er ist deshalb möglich, solange die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar geworden ist. Sind die negativen Merkmale des Vorsteuerabzugs (§ 15 Abs. 2 UStG - hier Steuerpflicht der Vermietungsumsätze -) nicht abschnittsbezogen, so ist auch der nach Ablauf des jeweiligen Besteuerungszeitraums erklärte Verzicht auf die Steuerbefreiung insoweit zu berücksichtigen (vgl. Sölch / Ringleb / List, a.a.O., § 9 Anm. 46).
bb) Nichts anderes gilt für die Option für die Regelbesteuerung bei Kleinunternehmern nach § 19 Abs. 4 UStG. Nach der im Streitfall geltenden Fassung des § 19 Abs. 4 UStG war zwar - anders als nach der Neufassung durch Art. 17 Nr. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) - die Option für die Regelbesteuerung nur bis zum 10. Tage nach Ablauf des ersten Voranmeldungszeitraums eines Kalenderjahres möglich. Entscheidend ist jedoch hier, daß das FA die Rechtzeitigkeit der Option nach § 19 Abs. 4 UStG aufgrund des vorausgehenden, insoweit bindenden FG-Urteils anerkannt hat.
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsansicht ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat - von seiner Rechtsauffassung ausgehend zu Recht - keine tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Umfangs der tatsächlichen Verwendung zu steuerpflichtigen Umsätzen getroffen. Das FG wird die noch erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Dabei wird es folgendes zu beachten haben:
a) Stehen Räume leer und sind sie weder an einen Unternehmer noch an einen Nichtunternehmer vermietet, fehlt es insoweit an einer i. S. des § 15 Abs. 2 UStG relevanten Verwendung (Urteil in BFHE 152, 274, BStBl II 1988, 468).
b) Das FG wird ferner zu prüfen haben, ob dem zwischen den Klägern und der jetzigen Ehefrau des Klägers geschlossenen Mietvertrag eine wirtschaftliche Leistung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) zugrunde liegt bzw. ob der steuerlichen Berücksichtigung des Mietvertrages § 42 AO 1977 entgegenstehen könnte. Darüber hinaus wird es ggf. noch tatsächliche Feststellungen darüber treffen, ob sich der Mietvertrag auch auf die leerstehenden Gebäudeteile bezogen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 415964 |
BFH/NV 1989, 673 |