Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, wann ein Zuschuß als Entgelt anzusehen ist.
2. Das FA braucht sich im Rahmen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht die Kenntnis eines Mitarbeiters zurechnen zu lassen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Klägerin, Revisionsklägerin) betreibt den Großhandel mit Zündhölzern. Sie vertrieb ab 1959 auch Zündhölzer, deren Schachteln von der Deutschen Zündwarenmonopolgesellschaft (DZMG) mit Werbeetiketten beklebt waren (ZMR-Ware). Die DZMG hatte die Werbeetiketten von der Fa. X erhalten. Die Steuerpflichtige hatte sich gegenüber der Fa. X verpflichtet, im Rahmen ihrer Absatzmöglichkeiten ZMR-Waren von der DZMG abzunehmen und abzusetzen. Die Fa. X zahlte der Steuerpflichtigen "für je ... vertriebene ZMR-Schachteln einen Vertriebskostenzuschuß von ... DM". Die Steuerpflichtige war gehalten, die "angenommenen Verteilungsaufgaben fristgerecht im Sinne der Auftraggeber durchzuführen" und von dem erhaltenen Vertriebskostenzuschuß "dem Groß- und Einzelhandel einen angemessenen Anteil weiterzugeben, der gewährleistet, daß das Interesse dieser beiden Gruppen an dem Vertrieb von ZMR-Ware erhalten bzw. gefördert wird". Die Steuerpflichtige, die der DZMG auch für ZMR-Ware den Listenpreis zahlen mußte, veräußerte diese unter dem Einstandslistenpreis und erzielte nur mit Hilfe der von der Fa. X gezahlten Beträge einen Überschuß, der allerdings höher war als der Aufschlag bei sonstigen Verkäufen.
Die Steuerpflichtige, die die Zuschüsse als nichtsteuerbare Einkaufsverbilligungen ansieht, unterließ es, diese in den Umsatzsteuererklärungen anzugeben. Sie wurde dementsprechend veranlagt. Das FA (Beklagter, Revisionsbeklagter) unterwarf die Beträge nach einer Betriebsprüfung in Berichtigungsbescheiden für 1959 bis 1963 der Umsatzsteuer mit 4 v. H. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage hinsichtlich des Veranlagungszeitraumes 1959 statt, weil es insoweit keine gewichtige neue Tatsache im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO für gegeben erachtete, und wies die Klage für die Veranlagungszeiträume 1960 bis 1963 aus folgenden Erwägungen ab: Die Zuschüsse seien Entgelt für sonstige Leistungen der Steuerpflichtigen gegenüber der Fa. X. Die Leistungen der Steuerpflichtigen hätten darin bestanden, daß sie "an Stelle der üblichen Welthölzer die ZMR-Ware eingekauft und ihre Abnehmer veranlaßt habe, ZMR-Ware an Stelle der sonst üblichen Ware zu kaufen". Indem sie die Werbeleistungen der Fa. X unterstützt habe, habe sie selbst "Werbeleistungen" erbracht. Das Urteil des BFH V 223/58 U vom 16. November 1961 (BFH 74, 156, BStBl III 1962, 59, betreffend Zuschüsse zu Eingangsfrachten) sei nicht einschlägig, da hier ein unmittelbarer Leistungsaustausch mit dem Zuschußgeber gegeben sei. Die Berichtigungsveranlagungen seien zulässig. Dem FA sei der Sachverhalt erst durch die Betriebsprüfung bekanntgeworden. Wenn der Gesellschafter N dem Veranlagungsbediensteten K den Sachverhalt bereits 1960 dargelegt haben sollte, sei dies unerheblich. K sei lediglich Mitarbeiter gewesen. Ein Aktenvermerk über die Unterredung sei nicht gefertigt worden.
Die Steuerpflichtige macht mit der Revision geltend: Es habe kein Leistungsaustausch zwischen ihr und der Fa. X stattgefunden. Sie habe weder Werbung betrieben noch betreiben dürfen. Die Zuschüsse seien vielmehr Einkaufsverbilligungen. Sie habe für die weniger wertvolle ZMR-Ware den vollen Listenpreis bezahlt. Die Zuschüsse hätten die Wertminderung ausgeglichen. Der Vertrieb sei lediglich mittelbar durch die Verbilligung des Einkaufs gefördert worden. Die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO hätten nicht vorgelegen. Der Mitarbeiter der Veranlagungsdienststelle K habe den Gesellschafter N um Aufklärung ersucht, welche Bewandtnis es mit einer Differenz von ... DM in der Debitorenprobe 1959 habe. Nachdem K erfahren habe, daß es sich um ausstehende Forderungen an die Fa. X gehandelt habe, und dabei über den gesamten Sachverhalt aufgeklärt worden sei, habe er neben dem Posten von ... DM vermerkt "Forderung, die den Umsatz nicht berührt". Das hätte die zuständigen Beamten der Veranlagungsdienststelle veranlassen müssen, sich von K oder der Steuerpflichtigen genauer unterrichten zu lassen. Das FA müsse sich so behandeln lassen, als ob es den Sachverhalt gekannt habe. Im übrigen bedürfe die Rechtsprechung einer Überprüfung, nach der sich das FA allenfalls die Kenntnis eines Sachbearbeiters zurechnen lassen müsse. Schließlich hätte das FG feststellen müssen - insoweit werde mangelnde Sachaufklärung gerügt -, ob und in welchem Umfang K Sachbearbeiterfunktion ausgeübt habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
1. Zutreffend hat das FG einen Leistungsaustausch zwischen der Steuerpflichtigen und der Fa. X bejaht. Selbst wenn mit der Steuerpflichtigen angenommen wird, daß sie keine Werbeleistungen erbrachte, wurde sie im Rahmen eines Leistungsaustausches nach § 1 Nr. 1 UStG 1951 tätig. Sie hatte sich gegenüber der Fa. X verpflichtet, ZMR-Ware abzunehmen und zu veräußern. Dementsprechend verfuhr sie. Die Fa. X zahlte ihr dafür den "Vertriebskostenzuschuß". Dieser Zuschuß ist Entgelt. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Steuerpflichtigen und der Zuschußzahlung. Die Steuerpflichtige hätte nicht mit ZMR-Ware gehandelt, wenn ihr nicht der Zuschuß bindend in Aussicht gestellt worden wäre; denn sie konnte mit ZMR-Ware nicht den sonst üblichen Preis erzielen. Andererseits war die Zuschußzahlung der Fa. X davon abhängig, daß die Steuerpflichtige ZMR-Ware abnahm und veräußerte.
Zu Recht bemerkt das FG, daß sich die Frage, ob ein Zuschuß Einkaufsverbilligung oder Preisauffüllung ist, erst stellt, wenn ein unmittelbarer Leistungsaustausch zwischen dem bezuschußten Unternehmer und dem Zuschußgeber zu verneinen ist. So war es in dem Fall des BFH-Urteils V 223/58 U (a. a. O.). Es lag kein Anhalt dafür vor, daß zwischen der bezuschußten Walzenmühle und der zuschußgebenden Einfuhr- und Vorratsstelle (EVSt) ein Leistungsaustausch stattgefunden hatte. Der Senat konnte damals davon ausgehen, daß die EVSt eine "unbeteiligte Dritte" war.
2. Das FA durfte die Veranlagungen 1960 bis 1963 nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigen. Ihm war bei Durchführung der Erstveranlagungen nicht bekannt, daß die Fa. X Vertriebskostenzuschüsse gezahlt hatte und auf welchen vertraglichen Abmachungen diese beruhten. Diese Kenntnis erlangte das FA erst durch die Betriebsprüfung.
Das FA muß diese Tatsachen auch nicht als bekannt gegen sich gelten lassen. Es braucht nicht jedem Zweifel nachzugehen, sondern kann sich grundsätzlich auf die Vollständigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen verlassen (u. a. BFH-Urteil I R 123/67 vom 28. Januar 1970, BFH 98, 171, BStBl II 1970, 296). Der Sachgebietsleiter und der Sachbearbeiter, deren Wissen sich das FA zurechnen lassen muß, konnten aus den Veranlagungsunterlagen 1959 nicht entnehmen, daß außer den erklärten Umsätzen auch Zuschüsse gezahlt worden waren. Die von dem Mitarbeiter K gefertigte und der vorbereiteten Veranlagung beigefügte Debitorenprobe ließ nicht vermuten, daß weitere Umsätze getätigt worden waren. In der Debitorenprobe sind zutreffend die Forderungen zum 31. Dezember 1959 mit ... DM von dem Sollumsatz abgesetzt worden. Diese Absetzung ist im späteren Verlauf der Debitorenprobe wieder um ... DM korrigiert worden mit der Anmerkung "Forderung, die den Umsatz nicht berührt". Ein solches Verfahren ist in sich widerspruchslos und hat auch zu dem erklärten Istumsatz geführt. Denn nicht alle Forderungen müssen Forderungen aus steuerbaren Umsätzen im Sinne des § 1 Nr. 1 UStG 1951 sein, wenn an Schadenseratzforderungen u. ä. gedacht wird. Der Debitorenprobe war lediglich zu entnehmen, daß die Warenforderungen zum 31. Dezember 1959 ... DM abzüglich ... DM betragen hatten.
Der Steuerpflichtigen kann nicht darin gefolgt werden, daß dem FA ein möglicherweise weitergehendes Wissen des Mitarbeiters K zuzurechnen ist. Nach ständiger Rechtsprechung muß sich das FA im Rahmen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO außer aktenkundigen Tatsachen lediglich die kenntnis des FA-Vorstehers, des Sachgebietsleiters und des Sachbearbeiters - ausnahmsweise und im engen Rahmen auch diejenige des Betriebsprüfers - zurechnen lassen (u. a. BFH-Urteile IV 143/56 U vom 10. Juli 1958, BFH 67, 239, BStBl III 1958, 365; V 92/61 S vom 16. Juli 1964, BFH 80, 446, BStBl III 1964, 634; VI 117/65 vom 23. September 1966, BFH 87, 73, BStBl III 1967, 23; VI 379/65 vom 1. Dezember 1967, BFH 90, 485, BStBl II 1968, 145). Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß nur die Bediensteten, die die Steuerfestsetzung zu verantworten haben, das FA repräsentieren und kraft dieser Stellung dem FA ihr Wissen vermitteln. Der Mitarbeiter gehört nicht zu diesem Personenkreis. Er ist ein anderer Verwaltungsangehöriger im Sinne des § 9 Abs. 3 (Beamte des mittleren Dienstes) oder Abs. 5 (entsprechende Angestellte) der Geschäftsordnung für Finanzämter und wird im Gegensatz zum Sachbearbeiter für "Dienstgeschäfte einfacher Art" verwendet. Es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Mitarbeiter, soweit es ihm seine eigentlichen Dienstgeschäfte erlauben, mit Zustimmung seiner Vorgesetzten auch vorbereitend bei der Erledigung schwieriger Dienstgeschäfte mitwirkt, u. a. , wie hier geschehen, eine Veranlagung vorbereitet. Diese Tätigkeiten hat er jedoch nicht zu verantworten, genausowenig wie ein sich ähnlich betätigender Finanzanwärter. Die Verantwortung trägt vielmehr der abschließend zeichnende Sachgebietsleiter "unbeschadet der Verantwortung des Sachbearbeiters" (§ 6 Abs. 3 FAGO). Auf die Verfahrensrüge kommt es danach nicht an.
Fundstellen
BStBl II 1972, 558 |
BFHE 1972, 190 |