Entscheidungsstichwort (Thema)
Dauerschulden; Kontokorrentkonto; längerfristiges Darlehen
Leitsatz (amtlich)
Dauerschulden, die auf einer längerfristigen Darlehensschuld beruhen, mindern sich nicht um kurzfristige Forderungen auf einem Kontokorrentkonto, die gegen den Gläubiger des längerfristigen Darlehens bestehen.
Orientierungssatz
1. NV: Die Verlagerung der Aufgaben der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen von einem FA auf ein überregionales Prüfungs-FA verstößt dann nicht gegen Art. 3 GG, wenn die Verlagerung von einer bestimmten Betriebsgröße abhängt.
2. NV: Die Verwertung von in der Betriebsprüfung ermittelten Tatsachen (hier: Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) hängt nicht vom Abhalten einer Schlußbesprechung ab (vgl. zur Rechtslage gemäß § 222 AO den BFH-Beschluß vom 2.7.1969 I B 10/69). Offenbleiben konnte, ob das FA zu einer solchen Besprechung gemäß § 201 Abs. 1 AO 1977 verpflichtet ist.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; FVG § 17 Abs. 2; GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1; HGB § 355; AO 1977 § 201 Abs. 1
Gründe
Gründe
Das FG hat zu Recht die Saldierung des Darlehens mit den kurzfristigen Forderungen der Klägerin aus der Kontokorrentabrede mit der Holding verneint und eine Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen gemäß § 8 Nr.1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und der Dauerschuld gemäß § 12 Abs.2 Nr.1 GewStG vorgenommen. Das von der Holding der Klägerin gewährte Darlehen diente in den Streitjahren der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals.
Grundsätzlich ist jede Schuldaufnahme im Rahmen des Gewerbebetriebs eine Verstärkung des Betriebskapitals (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10.November 1976 I R 133/75, BFHE 120, 545, BStBl II 1977, 165; vom 5.November 1980 I R 132/77, BFHE 132, 87, BStBl II 1981, 219). Bei mehreren Rechtsgeschäften ist jedes einzelne für sich zu betrachten (BFH-Urteil vom 31.Juli 1962 I 255/61 U, BFHE 75, 751, BStBl III 1962, 540). Dauerschulden auf einem bei einer Bank unterhaltenen Kontokorrentkonto können mit Guthaben auf einem anderen Konto bei derselben Bank jedenfalls dann nicht verrechnet werden, wenn das Guthaben infolge langfristiger Festlegung der Mittel zur Zeit nicht zur Tilgung der Dauerschulden herangezogen werden kann (Urteil in BFHE 75, 751, BStBl III 1962, 540). Diese Grundsätze sind nicht auf den Bankenbereich beschränkt. Sie enthalten eine allgemeine Aussage. Sie gelten nicht nur für den in BFHE 75, 751, BStBl III 1962, 540 entschiedenen Fall einer kurzfristigen Verbindlichkeit, der eine längerfristige Forderung gegen denselben Vertragspartner gegenübersteht, sondern auch dann, wenn sich eine kurzfristige Forderung und eine längerfristige Verbindlichkeit gegenüberstehen.
Nach den Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs.2 FGO), erhielt die Klägerin ein auf vier Jahre befristetes Darlehen von der Holding. Sie verrechnete die sich aus laufenden Geschäftsbeziehungen ergebenden Forderungen bzw. Verbindlichkeiten gegenüber der Holding durch gesonderten Vertrag kontokorrentmäßig. Das FG hat zu Recht diese beiden Verträge einzeln für sich betrachtet. Der Kontokorrentvertrag und der Darlehensvertrag wurden am gleichen Tag abgeschlossen; die Verträge traten aber zu verschiedenen Zeiten in Kraft. Bereits daraus ergibt sich, daß die Verträge nicht als Einheit aufzufassen sind.
Nach Nr.5 des Darlehensvertrages sollte die Darlehensforderung nicht mit den Ansprüchen aus dem Kontokorrent verrechnet werden, sondern gesondert verfügbar sein. Eine Abtretung, Verpfändung, Verrechnung und Aufrechnung mit Dritten sollte möglich sein. Auch der vereinbarte Rangrücktritt der Darlehensforderung ist rechtlich nur sinnvoll, wenn die Forderung losgelöst von der Kontokorrentabrede bestehen blieb. Für die getrennte Behandlung spricht auch die buchmäßige Darstellung. Der Kontokorrentsaldo wurde in den Wirtschaftsprüfungsberichten als kurzfristige Forderung der Jahre 1971 und 1972 ausgewiesen. Das Darlehen passivierte die Klägerin als (mittelfristige) Verbindlichkeit mit einer Laufzeit von mindestens vier Jahren. Eine Saldierung scheidet daher bereits deshalb aus, weil es im Verhältnis von Darlehenskonto zum Kontokorrentkonto an der Gleichartigkeit fehlt.
Es ist revisionsrechtlich unbedenklich, wenn das FG dem Schreiben vom 2.Juni 1972 keine rechtliche Bedeutung beigemessen hat. Die tatsächliche Würdigung des FG, mit dem Schreiben sollte nicht die Verrechnung bezeugt, sondern auf die Probleme der Bardepotpflicht hingewiesen werden, war möglich und frei von Denkfehlern. Dazu kommt, daß das Schreiben als einseitige Willenserklärung bestehende Verträge nicht ändern konnte.
Nach den Feststellungen des FG teilte die Holding der Klägerin jeweils zum 31.Dezember jeden Jahres den Saldo zwischen dem Kontokorrentkonto und dem Darlehenskonto mit. Damit wurde keine regelmäßige tatsächliche Verrechnung vorgenommen. Nach dem Urteil in BFHE 120, 545, BStBl II 1977, 165 muß eine tatsächliche Verrechnung stattfinden, die zu einer Verringerung der betreffenden Schuld führt. Im Streitfall bestand trotz "Verrechnung" zum 31.Dezember 1971 die Darlehensschuld vom 31.Dezember 1972 fort.
Die Betrachtung der Klägerin, die die im Kontokorrentvertrag getroffene Verrechnungsabrede als eine Vorausverfügung in Form eines antizipierten Aufrechnungsvertrages sieht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Überlegung der Klägerin geht von der Voraussetzung aus, daß der Darlehensvertrag von der Verrechnungsabrede erfaßt werde. Dies hat das FG jedoch (vgl. oben) abgelehnt. Somit kommt es nicht mehr darauf an, ob die Einzelforderung automatisch erlöschen konnte oder ob eine besondere Aufrechnungserklärung notwendig war.
Zu Recht hat das FA den von der Großbetriebsprüfungsstelle festgestellten Sachverhalt bei der Festsetzung der angefochtenen Bescheide verwertet. Ermittlung und Verwertung waren nicht rechtswidrig. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 4.April 1984 I R 269/81 (BFHE 140, 509, BStBl II 1984, 563) ―vgl. auch das BFH-Urteil vom 10.Dezember 1987 IV R 77/86 (BFHE 152, 24, BStBl II 1988, 322).
Die Verlagerung der Aufgaben der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen von einem FA auf ein überregionales Prüfungs-FA verletzt entgegen der Ansicht der Klägerin dann nicht Art.3 des Grundgesetzes (GG), wenn die Verlagerung von einer bestimmten Betriebsgröße abhängt. Denn gerade darin liegt ein sachlich gerechtfertigter Differenzierungsgrund.
Der Klägerin ist nicht zuzustimmen, daß allein durch die Verlagerung eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung eintritt. Sowohl die Großbetriebsprüfungsstelle als auch das ansonsten örtlich und sachlich zuständige FA unterliegen bei ihren Ermittlungen denselben steuerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Normen. Die Zuständigkeitsregelung selbst hält sich im Rahmen des § 17 Abs.2 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) vom 30.August 1971 (BStBl I 1971, 390, 391) ―vgl. Urteil in BFHE 140, 509, BStBl II 1984, 563.
Der Einwand der Klägerin, die Bescheide müßten aufgehoben werden, weil die ihnen zugrunde liegenden Feststellungen von der Großbetriebsprüfungsstelle ohne Abhalten einer Schlußbesprechung vom FA ausgewertet worden seien, geht fehl. Die Bescheide sind deshalb weder nichtig noch anfechtbar. Es kann offenbleiben, ob das FA zu einer solchen Besprechung gemäß § 201 Abs.1 AO 1977 verpflichtet war. Auch wenn dies der Fall wäre, führt das Unterlassen nicht ohne weiteres zur Fehlerhaftigkeit der gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 erlassenen Bescheide (vgl. zur Rechtslage gemäß § 222 AO 1977 den BFH-Beschluß vom 2.Juli 1969 I B 10/69, BFHE 96, 300, BStBl II 1969, 636). In keinem Fall hängt die Verwertung der in der Betriebsprüfung ermittelten Tatsachen vom Abhalten einer Schlußbesprechung ab.
Fundstellen
Haufe-Index 611159 |
BFH/NV 1989, 43 |
BFH/NV 1990, 273 |
BStBl II 1989, 900 |
BFHE 158, 79 |
BFHE 1990, 79 |
BB 1990, 120 |
DB 1989, 2258 |
HFR 1990, 90 |